Diverses:Bluetooth im Mietwagen

Allgemeine Grundlagen über statistisch gesicherte Ausgangswerte

Selten geworden sind die Oasen vollkommenen Glücks im Alltag. In den Zeiten, als der Sprit billig und die Löhne hoch waren, formte sich im Nachkriegsdeutschland langsam, aber sicher das Bild des liebsten Kindes. Es hat vier Räder, glänzt im Sonnenschein, ist meist folgsam bis zur letzten Hauptuntersuchung und nicht selten auch das letzte, was man zu Lebzeiten zu Gesicht bekommt. Statistisch gesehen sind 100% aller Autofahrer froh, Autofahrer zu sein, aber immer weniger können sich den Genuss der ideellen Werte wie Freiheit, Unabhängigkeit und Schwanzverlängerung wie Ganzkörperlifting dieses DIY-Beförderungsmittels leisten. Der Niedergang folgt in ähnlich gestaffelten Raten, wie die Kreditabzahlung aber in reziproker Dramatik. Zuerst wird mit der Versicherung geschludert, es muss doch keine Insassenunfallversicherung mit unbegrenztem Deckungsgrad inklusive Verkehrsrechtschutz und Superdupervollkaskoauslandsrundumschutzbriefabdeckung sein! Vom Prozess des Niedergangs bleibt dann letztlich eine Haftpflicht beim billigen Onlineversicherer übrig, man reinigt sein Sechsliterminus-Auto selbst in der Gewissheit, aus der ferneren Erinnerung, dass die Waschanlagen sowieso nur rund putzen können und fährt die profilarmen Reifen bis die zu erwartende Strafe den Neubauwert der Garage aus den Siebzigern erreicht. Oder der Urlaub muss sterben! Oder beides!

Liegt also bei so vielen autarken Verkehrsteilnehmern die neben der Liebe so selbstverständliche Fürsorge im Groschengrab, hat sich ein Eiland, ein Paradies ungetrübter Freude im motorisierten Alltag jenseits der Einhaltung von Fahrplänen erhalten. Da wo man ungeniert dem geliebten Fahrzeug die Aufmerksamkeit schenken darf, die es verdient: als Firmenfahrzeugfahrer! Hier spendiert man dem rollenden Arbeitplatz freizügig edle Öle, kostbare Teppiche, hält weitsichtig Ausschau nach Markenscheibenwischern, bucht die beste Autowäsche und den umsichtigsten Kfz-Meister, dem auch kleinste Defekte ins Auge springen, koste es was es wolle: Hauptsache, mir selbst nichts. Und das vielleicht Schönste daran ist, diese Sorgfalt wird einem im Dienstwagenüberlassungsvertrag sogar schwarz auf weiß auferlegt!

Protokollierung eines typischen Schadsymptoms mit Begrenzungsabsicht

Montags vormittags, irgendwo zwischen Köln und Overath, bemerkte ich im Zuge der geforderten Sorgfalt im Umgang mit dem mir anvertrauten Dienstwagen im linken Messanzeiger des Armaturenbrettes ein giftgelb leuchtendes Symbol eines Schraubenschlüssels, der mit einem Zahnrad verschränkt ist. Schon wieder! Und dabei hatte ich erst vor einer Woche eine komplette Inspektion machen lassen, drei Wochen davor das möglicherweise für frühere Störungsanzeigen verantwortliche vorgelagerte Ventil des Turboladers und Mitte letzten Monats in einem zweiwöchigen Workaround letztlich die komplette Zündung austauschen lassen! (Kollegen, die auch Firmenwagen fahren, sagten übrigens, dass das mit den Reparaturen später wieder nachlasse.)

Bluetooth sei Dank schnell die Nummer des Autohauses unter den Favoriten gefunden. Die warme Stimme des Büromitarbeiters meldete sich. Wie ich weiß, ist er übrigens seit seinem letzten Skiurlaub 2012 in den französischen Alpen Single, weil seine Freundin keine Lust mehr auf eine Fernbeziehung zwischen Köln und Augsburg hatte, wo sie Geoinformatik studiert und mit einem Bachelor of Science (B.Sc.) in 2016 abschließen möchte:

"Hallo Martin, alles senkrecht?"
Er lachte: "ja, Ali, immer doch - was macht das Auto?"
"Nicht das, was es soll - eine gelbe Warnleuchte...links..."
"Ah ja, schon wieder? Das kann wie immer alles sein, komm vorbei!"
"Termin?"
"Nö, nicht nötig! Ersatzauto ist reserviert"

Als ich die nächste Ausfahrt benutzte, um den Schildern in der Autobahnperipherie zu folgen, die in die entgegengesetzte Richtung wiesen, erledigte ich noch alle wichtigen Anrufe, um die heutigen Termine auf unbestimmte Dauer zu verschieben. Dabei variierte ich gern, was Sprache und Dramaturgie angeht: Die Gespräche gestalteten sich furztrocken wie sonst nur die mit der Chefsekretärin:

"Entschuldigen Sie Frau Merzighausen-Rohrschweiler, ich hatte einen Termin ...Overath ...Störung..." (dramatische Pause, Schlucken mit dem dem Lenkrad-Mikro zugeführten Kehlkopf - dank einer bedienerfreundlichen Wulst ohne Akrobatik möglich) "
"Herr Kapunkt, ich verstehe Sie nicht richtig!"
(Ich hatte schon etwas vorgebaut und Sympathien durch geschickt verborgene Komplimente geschürt)
"Frau Rohrschweiler...ich möchte Sie darüber informieren, dass mein Auto..."
(wieder die gleiche Masche)
"Herr Kapunkt...?", sie klang nun deutlich nervöser..
(im Internet hatte ich so eine Seite aufgetan, auf der Handy-Interferenzen als Soundfiles angeboten wurden... ich überlegte kurz, ob ich das in künftigen Gesprächen einbauen könnte)
"Frau...Rohrschweller (hihi) ...das Auto scheint defekt zu sein..ich habe schon mit der Werkstatt ...ähem... mit der Vertragswerkstatt (fürs Protokoll: "Vertragswerkstatt" ist ein Lieblingswort des Herrn Ürkensweg in Zusammenhang mit Dienstwagenüberlassungsverträgen...) Rücksprache gehalten...bitte sagen Sie Herrn Rath und Herrn Ürkensweg Bescheid. Danke!"
"Danke fürs Bescheid sagen!"
(Artig ist sie, das muss man sagen!)

"Danke!"

...oder "es" war richtig lieblos:

"Tuut, tuut, tuut"
"Guten Tag, die Xing GmbH in Overath, Frau Wilbach mein Name"
"Kapunkt hier, Auto ist kaputt, bitte allen Bescheid sagen, danke!"
(Bereits beim <<sch>> hatte ich aufgelegt. Ich machte es mir zu einer Art Sport, den Monolog frühestmöglich zu beenden, aber trotzdem keinen Rückruf zu bekommen.)

Subjektive Betrachtung einer offensichtlich spontanen Gefühlsäußerung im Geschäftsverkehr

Gut anderthalb Stunden und diverse Audiodiagnosen diverser PC-Probleme mit besorgten Kollegen später erreichte ich endlich die in der Voreifel gelegene, etwa 150 km entfernte Werkstatt. Ein Sauwetter begrüßte mich. Ich stellte das Auto in dem engen Innenhof ab, in dem sich immer wieder kleinere Windhosen aufbretzelten. Kurz dachte ich an eine Halbgarage, die das Auto natürlich nicht vor diesem Wetter, aber vor Eis und Schnee besser schützen könnte. Auch wenn es gerade März war. Ich schritt die kleine abgenutzte Freitreppe langsam hoch, deren ausgebrochene Kanten mit der nassen Schmutzigkeit der Stufen in ihrer Tristesse konkurrierten.

Da wankte mir ein gut gekleideter Herr mittleren Alters entgegen. Auffällig war seine verdrehte Krawatte und die verschmutzten Kniepartien seiner grau-schwarz karierten zum Jackett passenden Stoffhose. Sein Unterkiefer zitterte, die müden Augen waren nass, er hatte viel Wehleidiges an sich. Ich versuchte ihn gekonnt zu ignorieren, aber er legte seine Hand auf meinen Unterarm, griff etwas Stoff, wie ein Ertrinkender sich an alles Mögliche klammert und stammelte:

"Ich...ich ... wollte immer nur ein normales Leben führen...!"
Betroffen sah ich ihn immer noch nicht direkt an, meinte aber:
"Ach, das wird schon wieder" und ärgerte mich sogleich über meine dumme Floskulatur, die nichtssagender nicht hätte sein können...aber drehte mich so geschickt gegen seinen Griff, dass er loslassen musste, um nicht zudringlich zu wirken. Warum schwiegst Du nicht einfach?

Die Vereinigung von Norwegen und Dänemark in einem leihweise zur Verfügung gestellten Personenkraftwagen

Martin war übrigens nicht da. Mittagspause vermutete ich. Frau Wevering, das Mädchen für alles im Betrieb, nur nicht für das eine, Verantwortung zu übernehmen - wie Martin immer böse witzelte - wuselte fleißig im offenen Büro herum.
"Ach, Herr Kapunkt...Herr Paulsen hat sie schon angekündigt, das Auto...!"
"Ja, das Auto, wieder...!"
"Sagen Sie, wer war das denn?" und deutete auf den Mann, der sich langsam in Richtung Innenstadt entfernte.
"Ach, er kommt hier in regelmäßigen Abständen vorbei und will eigentlich nur etwas zu essen - ich kann ja nicht nein sagen, wenn es um so etwas geht..."
"Also," sagte sie weiter "wir haben momentan nur einen Neu- bzw. Vorführwagen, den Sie nehmen könnten. Wenn das OK ist...!"
"Damit kann ich leben! Danke! Welcher ist es?"
Sie wies auf den Parkplatz neben der Verkaufshalle, wo normalerweise vor allem die zu reparierenden Fahrzeuge vor der angegliederten Werkstatt standen.
"Sehen Sie den Corsa, den <<DN-WT-589>>? Schlüssel steckt"
Sie lächelte mit ungeschicktem Charme.
"Danke für die schnelle Hilfe - ich habe noch viele Termine."


Noch nie zuvor hatte ich einen Neuwagen gehabt. Gerade wollte ich das futuristische Armaturenbrett mit dem Smartphone fotografieren, da klopfte es an der Scheibe. Die Frau Wevering.

"Ach, ich hätts beinah vergessen - Sie müssen uns noch unterschreiben, dass Sie das Vorführfahrzeug fahren. Das ist eine Verpflichtung von Opel, die wissen wollen, wer...."
"Jaja, schon gut"
Ich unterschrieb die kleingeschriebenen zwei Formseiten. Frau Wevering lächelte und ich war auch zufrieden.

Als ich mich mit der reichen Bordelektronik vertraut machte - während der Fahrt, denn ich hatte es mittlerweile eilig (Herr Rath hatte angerufen und so eine widerliche Ungeduld in der Stimme), interessierte mich vor allem die Bluetooth-Eigenschaft der Audioanlage. "Herr Rath, natürlich bin ich immer während der Dienstzeit erreichbar!" äffte ich ihn mit zornig verzerrtem Mund und seinen typischen seitlichen Kopfzuckungen nach. Ich hatte das große Glück, User des im Langzeittest bewährten IntelliLink x Siri Eyes Free Infotainment sein zu dürfen, wie ich durch Googeln herausfand, das als zentrale Schnittstelle alle Multimediaanwendungen im Opel Adam wie im Opel Corsa E in kompakter Form anbietet. Auf der linken Seite gab es zahlreiche Knöpfe mit mir sich nicht ganz erschließenden Symbolen und Abkürzungen, wie geschlossenen und offenen Vorhängeschlössern, Abkürzungen wie ECO, einige Pfeiltasten und einem Haussymbol, was sich zum Teil rechts wiederholte. Mysteriös! Mittlerweile war ich nach einer viertelstündigen Fahrt durch die Serpentinen an einer Kreuzung stehen geblieben und manövrierte durch das Touchdisplay, durch Symbolkolonnen, Apps, Favoriten, aktivierte eine Navigation zu einem Ort, den ich nie zuvor gehört hatte, aktivierte versehentlich die Bildschirmtastatur, um endlich in das Bluetooth-Menü zu kommen. Als ich die Geräte routiniert miteinander verbunden hatte, klopfte es wieder an der Seitenscheibe, diesmal eine schrullige, ziemlich erboste Verkehrsteilnehmerin, deren Gezeter ich durch die sehr gute Schalldämpfung nicht wahrnahm. Wie eine Kaulquappe zappelte sie hinter der Scheibe herum und sah mit wild wehendem Haar wahrhaft wie eine Hexe aus, die mich mit Flüchen belegte. Und sogar erfolgreich!

Der Krieg zwischen erheblich ungleichen wie teilweise unfreiwilligen Vertragseinmannparteien: dem alten Ego und einem übereifrigen Mädchen für alles

Denn als ich den Mietwagen schon wieder gegen den Dienstwagen eingetauscht hatte, bekam ich im Büro einen Anruf vom Autohaus. Freisprechanlage eingeschaltet. Herrlich, in der Geräuschkulisse beschäftigter Dissonanz tippen oder einfach dem Anderen Gesten zeigen zu können, die dieser nicht sehen kann! Nein, es schien nicht einer dieser gefürchteten Anrufe zu sein, wo es um angebliche Lackschäden mit umgekehrter Beweispflicht geht, sondern ein viel schlimmerer - in meiner heutigen Wahrnehmung:

"Wevering, Autohaus Hilsmeier, guten Tag, Herr Kapunkt!"
"Guten Tag!"
"Herr Kapunkt, vor drei Tagen brachten Sie uns den Corsa zurück..."
"Ja und, mit ihm war doch alles in Ordnung...?!"
"Naja, nicht ganz..."
"Wieso? Ich habe wie immer sehr gut auf den Mietwagen aufgepasst und außerdem...jetzt nach drei Tagen anzurufen..."
"Nein, nein, Herr Kapunkt...es ist anders...Sie haben das Bluetooth-System unseres Corsas benutzt"
"Ja, und? Ich musste einige Telefonate führen und...!"
"Das ist schon ok, aber Sie haben die Verbindung nicht sauber beendet, so dass Ihr Gerät jetzt in der Bluetooth-Historie der Bordelektronik steht"
"Und jetzt? Was heißt nicht sauber beendet?"
"Also grundsätzlich müssen wir jeden gefahrenen Kilometer der Opel AG nachweisen, deswegen auch Ihre Unterschrift unter den (tief Luft geholt) Vertrag, weil diese uns so zur Verfügung gestellten Fahrzeuge nicht in unserem Eigentum sind. Sie dienen einzig der Akquise und werden später als Kommissionsware verkauft. Der Eintrag in der Bluetooth-Historie ist verkaufspreismindernd und sollte mit Hilfe einer Neuinitialisierung und anschließendem Beenden der Bluetoothfunktionalität Ihres Gerätes deinitialisiert also gelöscht werden!"
"Können Sie das nicht löschen?"
"Na, wenn das so einfach wäre, hätte ich Sie nicht angerufen. ich habe schon mit dem Chef und er hat mit Opel gesprochen, Sie müssten, um Mehrkosten zu vermeiden, nach Hamburg reisen und die Verbindung von Ihrem Gerät aus wieder aufnehmen und dann sauber beenden!"
"Was, nach Hamburg? Das sind 400 Kilometer! Ist das Fahrzeug jetzt in einem Hamburger Autohaus? Was wäre der andere Weg?"
"Ja, ist es! Der andere Weg wäre ein komplettes Zurück- und Neuaufsetzen des IntelliLink x Siri Eyes Free Infotainment-Systems, das kostet in einer spezialisierten Werkstatt - wir können das auch nicht - ca. 2000 Euro oder wir geben die Vertragsstrafe bzw. Wertminderung von Opel an Sie weiter...es ist ja nicht so, dass die Nutzung des Bluetooth-Systems Ihnen erlaubt gewesen wäre""
"Was? Stand das in Ihrem mir schnell unter die Nase gehaltenen Vertrag?"
"So ist es!"
"Geben Sie mir bitte Paulsen!"
(Die verzweifelte Person am Eingang des Autohauses kam mir wieder in den Sinn.)

Improvisierter Kompromiss zwischen der Sehnsucht nach Unkompliziertheit in der alltäglichen Profession und der Einhaltung arbeitsvertraglicher Selbstverständlichkeiten trotz aller Dynamik im Dialog

"Martin... hallo Ali"
"Sag mal, hat die Wevering noch alle ... ich meine ... bist Du im Bilde mit dem Mietwagen?"

"Das war jetzt eine rhetorische Frage. Alles, was über ihren Tisch geht, geht auch über meinen. Nur war sie etwas übereifrig. Du kannst auch Dein Handy nach Hamburg schicken, damit die Kollegen die Deinitialisierung anstoßen können!"

Einzahl!

"Mein Firmenhandy? Das könnte ich aber nur über die Osterfeiertage verschicken! Sag mal, könnt ihr Leistungen auch umdeklarieren? Dann würde ich es vorziehen, eine Reparatur vorzuziehen..hehe.."
"Der Wertverlust?"
"Oh Mann, ich allein gegen die Opel AG und Autohaus Hilsmeier - ja, genau, wie hoch wäre die Wertminderung?"
"Die kostet Dich einen Kasten Bier, Ute hatte nicht geglaubt, dass ich Dich dazu bringe, den Quatsch mit dem Bluetooth-Problem zu glauben"
(Gemeinsames Gelächter auf der einen und wieder Betroffenheit auf der anderen Seite)

"Und Ihren Job" ertönte die Stimme Herrn Raths, der während der erhitzten Unterredung leise hinter mich getreten war.

In dieser Zeit las ich mich über Monate hinweg in die Funktionsweise der Bluetooth-Technik ein, um sie, genauso wie den vertraulichen Kontakt zu Dienstleistenden konsequent zu meiden. Damit nur noch die Erinnerungen und aktuelle Arbeitsmarktprobleme nerven. Ich erfuhr, das Bluetooth tatsächlich wörtlich zu übersetzen ist, und zu Ehren eines Harald Blauzahns, der im zehnten Jahrhundert n. Chr. lebte, erfunden wurde, der Norwegen und Dänemark einte. Das stimmte mich versöhnlich, wenigstens dank eines großartigen Tributs der modernen Technik an die Geschichte gescheitert zu sein.

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