Spiegelwelten:K-Raum
Entdeckung und Darlegung der physikalischen Grundlagen
Der Anfang aller Dinge – die Krise
Der Kleiszter-Raum wurde nach seinem Entdecker Carl-Eduard von Kleiszter benannt (Das Itzerdeutsch kennt kein „ß“, daher die Umschreibung mit „sz“), der Mitte des 18. Jahrhunderts an der Universität Itz in Hinterwald eine Reihe von Experimenten durchführte, die schließlich mehr oder weniger zufällig in der Entdeckung der betreffenden Paralleldimension führten.
Ausgangspunkt dafür war wie sooft die berühmte Not, die erfinderisch macht: Kleiszter hatte nach seinem Examen (1762 an der Universität Itz, summa cum laude) gerade mit der Arbeit als Dozent für Omniopossibilitistik begonnen (was bedeutete, dass er für alles zuständig war, wozu die anderen Dozenten und Professoren keine Lust hatten) und in diesem Zusammenhang eine Amtsstube bezogen, die etwa fünf Quadratmeter groß (oder klein) war. Schon nach wenigen Stunden türmten sich Papiere, Bücher, halb gegessene Kekse, Kaffeetassen und Pizzareste zu einem gewaltigen Gebirgsmassiv auf, das über die Kanten des Schriebtisches drängte und schließlich nach nur einem Tag den Raum vollkommen füllte.
Kleiszter war ratlos. Alle Bemühungen, ein größeres Büro zu bekommen, blieben erfolglos. Allerdings konnte er im Zuge seiner Bittgänge die Arbeitsräume vieler Kollegen in Augenschein nehmen, und ihm fiel auf, dass es sich selbst im Büro des Großkanzlers, das die Ausmaße eines Ballsaales hatte, ähnlich verhielt. Ohne es zu ahnen hatte Kleiszter die später nach ihm benannte Naturkonstante k entdeckt:
Von der k-Konstante zum K-Raum
Dies war jedoch nur ein Baustein des späteren K-Raums. Kleiszter bemerkte nämlich im Zuge der Suche nach einem größeren Büro, dass die Bitten und Memoranden, die er seinen Vorgesetzten schickte, stets auf rätselhafte Weise zwischen anderen Papieren verschwanden – besonders dann, wenn sie in größere Stapel von Dokumenten gelegt worden waren. Kleiszter begann zu experimentieren und schließlich gelang ihm eine bahnbrechende Entdeckung: Die angeblich verschwundenen Seiten waren nach wie vor an dem Ort, an dem sie abgelegt worden waren, allerdings hatten sie ihre räumliche Ausdehnung verloren – sie waren wortwörtlich zwischen anderen Papieren verschwunden. Kleiszter verharrte einen Augenblick in Denkerpose, dann hatte er die Lösung für dieses Phänomen:
Erschaffung des ersten K-Raumes
Kleiszter beließ es nicht bei dieser theoretischen Erkenntnis, sondern schritt zur Tat. Er türmte alle Papiere, die er in seinem Büro finden konnte auf einen Stapel in einer Ecke des kleinen Raumes - und siehe, es gelang. Jener bis an die Decke reichende Stapel in einem ansonsten leeren Büro bewies die Richtigkeit seiner Annahmen. Doch das genügte Kleiszter nicht. Er ließ sich das gesamte Makulaturarchiv der Universität bringen (das immerhin die Grundfläche von drei Fußballfeldern einnahm) und fügte dieses dem einen Stapel hinzu – auch das funktionierte. Nach wie vor befand sich in Kleiszters kleinem Büro nur jener einzelne Stapel.
Hier nun geschah etwas Merkwürdiges. Seinen Akademikergenen gehorchend setzte Kleiszter sich nieder und schrieb eine Dissertation. Sie gilt bis heute als makellos und als ein Meilenstein der akademischen Präzision, das hinderte ihn jedoch nicht, nun den nächsten Schritt zu tun. Kleiszter packte einen kleinen Rucksack, ging auf den Stapel zu, griff wahllos nach einem Blatt im unteren Drittel – und verschwand. Zurück blieb die auf der letzten Seite aufgeschlagene Dissertation, deren Zusammenfassung den Gelehrten Hinterwalds bis heute enormes Kopfzerbrechen bereitet, sie lautet:
Kleiszter war – wie in diesem letzten Abschnitt der Dissertation beschrieben – im K-Raum verschwunden. Seine Kollegen waren zu gleichen Teilen schockiert und fasziniert (immerhin handelte es sich um Wissenschaftler). Erstaunlicherweise zweifelten sie nicht daran, dass Kleiszter den Übergang in den Mini-Kosmos überlebt hatte, sie fragten sich vielmehr, wie es da drüben wohl wäre, ob die Luft frisch und das Bier genießbar seien. Einige Jahre später eintreffende Postkarte bestätigte die Berechtigung ihres Optimismus’, denn der Text lautete: „Grüße aus dem K-Raum! Das Wetter ist gut (meistens), die Eingeborenen freundlich (wenn richtiges, d. h. spitzes Ende der Waffe auf sie zeigt), Essen ausgezeichnet – kommt doch nach! Beste Grüße PS: Bringt Bier mit; das Zeug hier ist ein Abführmittel.“
Aktuelle Debatte
Die Erschaffung des K-Raumes blieb zunächst nur eine Fußnote der Universitätsgeschichte. Niemand kümmerte sich groß um die Sache, sie schien hinreichend erforscht (Zum Verständnis: Die übrigen Akademiker mussten zähneknirschend eingestehen, dass Kleiszter eine wirklich gute Dissertation hinterlassen hatte; über unzureichend Untersuchtes schreibt aber niemand eine solche Arbeit, folglich muss die Sache erledigt sein – kein ehrgeiziger Akademiker lässt sich auf eine Sache ein, bei der kein Blumentopf zu gewinnen ist).
Als jedoch bekannt wurde, dass eine Kollision von Ozeanien und der Alten Welt bevorsteht, begann man in Itz mit der Aufarbeitung des Falles Kleiszter. Der K-Raum erschien den Wissenschaftlern als Ausweg aus der existenziellen Krise ihrer Welt – allerdings bildeten zur hinreichenden Erörterung der Frage, ob der K-Raum Ozeanien helfen könnte, zunächst eine Reihe von Kommissionen – derzeit wird heftig über Budgetfragen und Postenverteilung gestritten. Die Sache selbst wurde noch nicht näher besprochen.
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