Victor Hugo

Mangelnde Anerkennung
"Unfähig (...), auf einem Foto freundlich dreinzublicken."

Der Schriftsteller, Publizist und Berufsexilant Victor-Marie Hugo [viktɔʁ maʁi yˈɡo] (* 26. Februar 1802 in Besançon; † 22. Mai 1885 in Paris) ist für die Franzosé der größte Literat aller Zeiten. Für sie kann es daran keinen Zweifel geben, immerhin ist er ein Franzosé. Die übrige Welt freilich teilt weder diese Sicht noch die Begeisterung für diesen Autor. Sie lässt auch das dämliche Marie im Namen weg. Wenn überhaupt kennt man Hugo nur als vermeintlich versoffenen alten Zausel, der unfähig ist, auf einem Foto freundlich dreinzublicken.


Leben und Schaffen

Eine Jugend im Exil

Leben und Karriere Hugos standen von Beginn an unter keinem guten Stern. Das Unglück begann mit der Tatsache, dass er denselben Namen wie sein Vater tragen musste, der unter Napoleon ein bisschen zu schnell ein bisschen zu weit nach oben befördert worden war, was nach der etwas dümmlichen Sache in Russland und der richtig dämlichen Angelegenheit in Belgien einen ebenso raschen Fall zur Folge hatte. Für den jungen Victor war es ein schlechtes Pedigree, an dem auch die gesunde Seeluft von Elba und später St. Helena nichts änderte – doch genau dorthin durfte er seinem Herrn Papa in die Verbannung von Onkel Napoleon begleiten.

Sinnbild des Lebens
"Kaum errichtet von einer Atlantikwelle davongespült oder von einem übellaunigen britischen Wachsoldaten zertrampelt"

Nachdem der Empereur seinen letzten, übel riechenden, aber immerhin kaiserlichen Atemzug ausgehaucht hatte, hockten Vater und Sohn auf dem Sandklumpen im Südatlantik und wussten nicht weiter. Dass heißt, Papa Hugo wusste es noch weniger als sein Sohn. Denn dem Alten fehlte die Gabe des Sprößlings, sich an Sandburgen zu erfreuen, die, kaum errichtet, von einer Atlantikwelle davongespült oder von einem übellaunigen britischen Wachsoldaten zertrampelt wurden. Der Vater sah darin sein eigenes Schicksal und das seines Kaisers ein bisschen zu sinnfällig dargelegt. Er erkannte das Wirkungsprinzip des Jahrhunderts, das soeben begonnen hatte: Du musst immer damit rechnen, dass Dir die Naturgewalten oder die Briten einen Strich durch die Rechnung machen, wobei die Natur wenigstens bestimmten Gesetzen unterliegt.
Derlei Überlegungen waren dem jungen Hugo jedoch noch fremd. Im Grunde wollte er nur zwei Dinge: Zum Ersten wollte er jemand anderes werden, was er mit zehn Jahren in seinem gruselig-bedeutungsschwangeren Manifest „Chateaubriand zu werden oder nichts“ darlegte. Zum Zweiten wollte er… tja, was wollte er? Auf St. Helena mitten im Atlantik hatte er noch keinen Begriff dafür, wusste aber, dass es etwas mit Mädchen zu tun hatte. Er ahnte, dass dies, wenn es schon nicht bedeutungsschwanger war, immerhin etwas mit Schwangerschaft zu tun hatte.
Victor Hugos großes Glück bestand darin, dass die Franzosé unterhaltsames Straßentheater mögen. Und gutes Theater braucht gute Regisseure, gute Autoren und viel Abwechslung. Diese Einstellung hatten die Franzosén auch ihrem Staat gegenüber entwickelt und bewahren sie bis heute. Im Grunde bedeutet es nur, dass man die Periode zwischen Regierungswechseln auf das absolute Minimum verkürzt, alle nicht mehr gebrauchten Haushaltsgegenstände auf der Straße zu Barrikaden auftürmt und nach gelungenem Regimewechsel den Vorgänger per Guillotine um die Pensionsbezüge bringt. Das erhebt die Seele und schont die Staatskasse, und das nicht nur sprichwörtlich.
Nach nur drei Jährchen im Sand von St. Helena konnten Vater und Sohn Hugo daher nach Frankreich zurückkehren. Unglücklicherweise geschah dies an Bord eines britischen Schiffes, das zu allem Übel noch einen wohlmeinenden Koch an Bord hatte. Aus welchen Gründen auch immer, er wollte den beiden Franzosé (also Nichtbriten und damit per se Exoten) eine Freude machen, indem er für sie Froschschenkel zubereitete. Frösche kommen in der Regel jedoch nicht auf hoher See vor, was im Umkehrschluss heißt: Sie waren den weiten Weg aus England mit dem Schiff nach St. Helena gereist, um nun kurz vor der Ankunft in der Pfanne zu landen. In Verbindung mit den berühmten Kochkünsten der Inselherren führte dies dazu, dass Sohn Hugo das Schiff auf einer Krankenbahre verließ, wohingegen sich der Vater sofort für eine Holzkiste entschieden hatte.

Tücken des Lebens
"Mit der Romantikerkarriere war es Essig"

Romantische Experimente

Die nächsten Jahre verbrachte Hugo in Paris, wo er sich ganz dem Studium der Romantik zuwandte. Dies bedeutete, dass er vom Erbe seines Vaters lebte, in Cafés und Spelunken zweifelhaften Rufs abhing, stets leere Zettel und einen Stift mit sich führte. Nur um behaupten zu können, an einem ganz großen literarischen Projekt zu arbeiten, wie es die Welt noch nicht gesehen habe und viel Zeit mit stets unglücklichen Liebschaften zubrachte. Besonders das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht war dabei durchaus schwierig, da sich das erhoffte Unglück nicht plangemäß einstellte. Hugo wusste, dass ein echter Romantiker an der Liebe zu verzweifeln hatte, weil A) die begehrte Dame unerreichbar, B) das Gegenteil von interessiert oder C) die Frau zwar willig, der Romantiker selbst aber abgeneigt war. Dummerweise handelte es sich bei Hugo um einen durchaus gut aussehenden, solide wirkenden und vertrauenseinflößenden jungen Mann, dem stets äußerst hübsche, lebenslustige und zugleich bodenständige junge Frauen zuflogen, mit denen er ohne jede Schwierigkeit eine stabile und fruchtbare Beziehung hätte eingehen können. Romantisches Leiden stellte unter diesen Bedingungen eine echte Herausforderung dar. Hinzu kam, dass die literarische Arbeit weit besser gedieh, als es einer romantischen Musterkarriere zuträglich war - selbst die Cafés und Spelunken erwiesen sich als nicht halb so verrucht wie erhofft. Kurzum: Hugo wurde trotz aller gegenteiligen Versuche zum Modell des gelingenden Lebens, mit der Romantikerkarriere war es Essig.
Als scharfem Beobachter mit ausgezeichneten analytischen Fähigkeiten entging Hugo nicht die Falle, die ihm das Schicksal da stellte: Hielte er weiter an seinen romantischen Ambitionen fest, flöge ihm der Erfolg auch weiterhin zu. Ließe er sich hingegen auf das Glück ein, dass ihm unverdienterweise und immer wieder in den Schoß fiel, würde er sofort und in Gänze scheitern. Ohne es zu wollen wurde Hugo vom Schicksal in ein Doppelleben hineinmanövriert - allerdings eines ohne Batmobil.

Der Kaiser und andere Feinde

Als Zwangsehe noch kein Schimpfwort war
Adéle Hugo, "Höchstkaiserliche Inspekteurin der Schlafzimmerdecken, die sie untersuchte, während sich der Kaiser über sie rollte."

Man sagt, das Schicksal sei unbestechlich, und in der Tat gibt es einige belastbare Indizien hierfür. Hugo ereilte das Schicksal im Form eines Mannes, der denselben Namen wie Onkel Napoleon trug und sich gerade anschickte, wie dieser Kaiser der Franzosé zu werden. Letztere wussten davon noch nichts, genossen aber das vorbereitende Straßentheater und polierten vorsorglich die Guillotine. Napoleon junior (in Wahrheit handelte es sich um einen Neffen; später gab er sich mathematisch korrekt, humanistisch gebildet: Er war die Nummer Römisch-drei) mochte die Schriften Hugos. Er mochte sie so sehr, dass er den jungen Autor förderte und umwarb. Hugo wurde Opfer des Umstandes, dass man im Leben immer einmal weniger "Nein" sagen kann als es eigentlich notwendig wäre. Ergo: Bald schon gingen Hugo und seine aktuelle Geliebte Adéle bei Napo junior ein und aus und genossen das mondäne und schon ein bisschen nach Empire duftende Umfeld. Und dann wurde Adéle schwanger.
Hugo - grundsätzlich dem Prinzip der Vaterschaft nicht abgeneigt - erkannte sofort die tragische Reichweite des Ereignisses, konnte jedoch nicht mehr gegensteuern. Napo junior regierte prompt: "Victor", sagte er, "mein lieber Victor. Ich selbst bin in diesen Sachen ja ganz liberal, das weißt du. Aber die Leute, die ich leider Gottes fürs erste brauche, um das Empire wieder aufzurichten, sind es dummerweise nicht. Wenn die mitkriegen, dass ich in meinem Umfeld wilde Ehen zulasse, ist die ganze Geschichte des 19. Jahrhunderts futsch, was mir Bismarck und Disraeli nie vergeben würden. Also sei doch so gut und heirate Adéle, ja?"
Hugos Schicksal rollte plangemäß ab: Er heiratete Adéle, das erste Kind starb nach der Geburt (mieses Karma, da haben wir's!). Napo junior nutzte eine der Revolten und bekam sein Empire - Hugo war leider nicht anwesend, weil er Adéle trösten musste. Entsprechend fiel er in Ungnade und wurde als lästiger Klotz am Bein des neuen Empereurs (immerhin kannte er diesen noch als jovialen, netten Kumpan - Herrscher vergeben solche Dinge nie) erst aus dem engeren Kreis ausgeschlossen und schließlich aus Frankreich verbannt. Man trennte ihn von der Frau, die zu heiraten man ihn vor kurzem noch gezwungen hatte, packte ihn auf ein Schiff und setzte ihn schließlich auf einer herrenlosen Insel mitten im Pazifik aus. Adéle bekam ein Hofamt und wurde zur höchstkaiserlichen Inspekteurin der Schlafzimmerdecken, die sie zweimal die Woche untersuchte, während sich der Kaiser über sie rollte. Man hört nichts davon, dass sie damit ein Problem gehabt hätte. Hugo selbst sah sie nie wieder. Sic transit gloria.

Die Feder ist mächtiger als das Schwert

Späte Rache
"Dementsprechend fände ich es gut, wenn wir uns auf ein baldigen Krieg und ein Zerschlagen Frankreichs einigen könnten"

Hugos Geschichte hätte hier zu Ende sein können, wenn nicht die Herren der Meere zu dieser Zeit beschlossen hätten, auch noch im letzten Winkel der Erde ihre Flagge aufzupflanzen. Kaum zwei Wochen nachdem er auf der Insel ausgesetzt worden war - wobei er symbolisch sein letztes Hemd hatte ausziehen und abgeben müssen (man mag es kaum glauben, aber in Sachen Korrektheit bei gleichzeitiger Rachsucht stehen die Franzosé ihren östlichen Erzfeinden hin und wieder in nichts nach) - erschien am Horizont eine britische Fregatte und stellte die Insel feierlich unter den Schutz Ihrer Majestät Queen Victoria. Dem abgerissenen Dichter begegneten die Herren der Meere zunächst reserviert, fanden aber nach Kenntnisnahme seiner Geschichte, man könne hier durchaus gewissen medialen Mehrwert generieren.
Hugo kam nach London, wo er die kommenden zwanzig Jahre damit zubrachte, allein, desillusioniert und nach außen hin ein bisschen menschenfeindlich einen Roman nach dem anderen zu schreiben. Im Kern drehten sie sich alle am Napo junior, wobei Hugo jedoch zu gebildet und qualitätsbewusst war, die Kübel mit Spott, Hohn und bitterer Galle direkt und offensichtlich über dem Freund-Feind auszukippen. Dennoch ist Werken wie Der König amüsiert sich, Der Glöckner von Notre Dame und Les Misérables durchaus anzumerken, wer da gemeint ist. Die Franzosé - inzwischen durch Langzeitregent Napo III. ihres beliebten Straßentheaters ein bisschen beraubt - zeigten sich überaus begeistert und klauten seine Werke direkt aus den kaiserlichen Zensurstellen.
Hugos offene Rechnung mit Napo junior beglich allerdings ein anderer. Nämlich ein gewisser Otto von Bismarck. Bis heute stellt diese Person ein Trauma für die Franzosé dar, weil er ihnen als einer der wenigen zeigte, was eine Harke ist. Sich seines historischen Auftrages bewusst sandte er eine kurze Depesche nach Paris, die sinngemäß folgenden Inhalt hatte:

"Lieber Napo! Wie du sicherlich weißt, haben die Deutschen der Welt bislang noch nicht so richtig zeigen können, was so alles in ihnen steckt. Nun ist das zwanzigste Jahrhundert aber schon in Sichtweite gekommen und wir haben eine monströse Liste abzuarbeiten, zwei Weltkriege, einen irrsinnig aufwendigen Völkermord, rund vierzig Jahre Teilung und eine Frau als Kanzlerin. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür, wenn ich mich daher kurzfasse. Wie du sicherlich weißt, hat die deutsche Geschichte vor allem den Sinn, den Briten ordentlich eins reinzuwürgen und ihnen ihr Weltreich zur Sau zu machen, was ja auch in deinem Interesse ist. Dementsprechend fände ich es gut, wenn wir uns auf ein baldigen Krieg und ein Zerschlagen Frankreichs einigen könnten. Mit den besten Grüßen, Otto."
Napo Juniors letzter Kampf
"Man verabredete sich in Sedan zur Niederlage, die dann auch programmgemäß abrollte"

Gesagt, getan. Man verabredete sich in Sedan zur Niederlage, die dann auch programmgemäß abrollte. Napo wurde festgesetzt und verbannt - ironischerweise auf jene Insel, die auch für zwei Wochen Hugos Aufenthaltsort gewesen war. Diesmal mochten die Briten sich nicht zu einer Rettung durchringen. Die Franzosén selbst machten noch ein bisschen Rabatz und mussten feststellen, dass die Deutschen eine Menge unbewältigter Vergangenheit mit sich herumschleppten. Diese fürchterlich nachtragenden Leute hatten das französische Agieren im Dreißigjährigen Krieg noch nicht ganz verwunden und waren der Meinung, Frankreich müsse nun auch einmal in den Genuss eines totalen Trümmerfeldes gelangen. Gücklicherweise lag Paris in Richtung des deutschen Vormarsches, so dass die Deutschen hier mit ihrer Selbsttherapie beginnen konnten.
Hugo selbst verfolgte das von London aus. Über Napos Niederlage sprach er jenen Satz für den er auch außerhalb Frankreichs bekannt geworden ist: "Ein Feind, den man zu Grabe trägt, ist nicht schwer." So wenig er Napo mochte und so sehr er sich über dessen Niederlage freute - was in Paris geschah, konnte und wollte ihm nicht gefallen. Kaum war der Krieg vorbei, kehrte er 1871 ins völlig zerstörte Paris zurück. Er musste feststellen, dass sein "Sieg" über Napoleon einen hohen Preis hatte: Er schnitt ihn von der eigenen Vergangenheit ab. Die Orte seiner glücklichen Jahre lagen in Trümmern, durch die er nach Adéle suchend wanderte. Er fand sie nicht. So aber blieb er den Franzosé im Gedächtnis: Ein alter Mann, der mit finsterem und suchendem Blick zugleich suchend durch eine Trümmerlandschaft wanderte und dies in mal bissigen, mal melancholischen Texten dokumentierte. Die Franzosé begriffen es da noch nicht, aber hier sahen sie den ersten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts.
In diesem Zustand des Unverstandenseins verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens in Paris, angefeindet für seine Weigerung, antideutsche Pamphlete zu verfassen. Das Straßentheater hatte das Prinzip des "The show must go on" entdeckt und strafte die Verweigerer. Der Mob konnte Zurückweisungen nicht ertragen, weshalb man von Glück sagen kann, dass er Hugo nur Müll und Hundekot nachwarf. Erst nachdem Hugo am 22. Mai 1885 verstorben war, änderte sich die allgemeine Ansicht und machte ihn zu dem französischen Schriftsteller überhaupt.
So ist es immer.
Hugo hätte darüber gelacht.

Werke (Auswahl für das Publikum außerhalb Frankreichs)

Die Franzosé kennen hunderte von Werken Hugos - und zwar alle auswendig. Ein nicht unerheblicher Teil stammt zwar aus der Feder uninspirierter Nachahmer, aber dennoch lassen die Franzosén nichts auf ihren Hugo kommen. Das internationale Publikum zeigt sich da weitaus reservierter, weshalb hier auch nur die beiden einzigen Werke zur Sprache kommen sollen, die den Menschen außerhalb Frankreichs überhaupt etwas sagen:

Genau wie immer
"Kaum war Hugo tot, machten die Franzosén das Werk zu einem Aushängeschild französischer Literatur"
  • Der Glöckner von Notre Dame
    Im Kern wird die Geschichte eines gewissen Quasimodo erzählt, dessen sonderbare Geschichte für Hugo aber nur Anlass ist, Napoleon und sein Reichlein durch den Kakao zu ziehen. Sein geschätztes Publikum meinte aber zunächst, es handele sich um eine Art Autobiographie Hugos, weshalb man dem Text mit besonderer Rührung begegnete. Nach Hugos Rückkehr nach Frankreich wurden die Franzosé allerdings bitter enttäuscht: Hugo hatte keinen Buckel und trieb sich nachts auch nicht auf Dächern herum. Dass er zu allem Überfluss nicht einmal die ihm angebotene Turmwohnung bezog (angeblich hatte er's mit dem Rücken - was für eine billige Ausrede bei einem neunundsechszigjährigen mit bewegter Vergangenheit), waren die Franzosé ziemlich sauer. Kaum war Hugo aber endlich tot, machten sie das Werk zu einem Aushängeschild französischer Literatur. Angeblich wird es vereinzelt sogar in Deutschland gelesen.
  • Les Misérables
    Wenig überraschend, jedoch demütigend für den Franzosé ist, dass sich dieses Werk vor allem in Deutschland großer Beliebtheit erfreut, besonders in sozialdemokratischen und tatsächlich linkem Milieu. Das liegt daran, dass es mit seiner Thematisierung von Elend und Armut den Nerv kleinbürgerlicher Abstiegsängste trifft, die regelmäßig beim Ansteigen der Benzin- oder Butterpreise um einen Cent sofort einsetzen. Tritt dieser Fall ein (schlimmstenfalls in Kombination), sehen sich weite Teile der deutschen Bevölkerung bereits unter der Brücke leben oder von ihr herunterspringen, wobei Hugos Les Misérables eines der drei Dinge ist, die man aus der vorherigen Existenz herüberretten kann. Da sitzen sie dann, stellen sich die Brücke vor, unter der sie hausen werden (mit einem Handtuch haben sie bereits einen Platz reserviert), und lesen sich unter ernstem Nicken Hugos dann besonders bedeutungsschwangere Zeilen vor. Die meisten Franzosé bekommen hierbei Minderwertigkeitskomplexe: Um Frankreich muss es sehr schlecht bestellt gewesen sein, wenn man von diesen Typen zweimal besiegt worden ist.
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