Die Amalekiter (hebräisch עֲמָלֵק ʿᵃmālēq) gelten im Alten Testament als räuberisches Nomadenvolk, das im Süden Palästinas lebte, und Erbfeind der Israeliten. In Gen 36,12 werden sie durch die Nennung Amaleks als Enkel Esaus in die Nachkommenschaft Isaaks und den Konflikt mit Jakob als Stammvater der Israeliten gestellt. Historisch lässt sich über das Volk der Amalekiter wenig sagen.
Lokalisierung
Aufgrund der fehlenden archäologischen Zeugnisse und der uneindeutigen biblischen Angaben lässt sich der Lebensraum der Amalekiter nicht eindeutig lokalisieren. In Num 14 werden Amalek und Kanaan als benachbarte Völker genannt, jedoch widersprechen die Angaben darin, dass die Völker zunächst in der Ebene (Num 14,25 ) dann im Gebirge (Num 14,39–45 ) lokalisiert werden.
Ri 1,16 (nach plausibler Konjektur) und 1 Sam 15,6 sehen die Amalekiter und Keniter als Nachbarn, was zur Lokalisierung Amaleks im Negev passt (Num 13,29 ). Auch die Abfolge des vermutlich alten Völkerspruchs in Num 24,20f , die Keniter den Amalekitern unmittelbar folgen lässt, deutet möglicherweise auf die Nachbarschaft der Völker hin. Dass die Amalekiter im edomitischen Gebiet lebten, legen auch die Geschlechterliste Esaus (Gen 36,12 und 1 Chr 1,36 ) und die Liste der edomitischen Häuptlinge (Gen 36,16 ) nahe.
In Ps 83,7 f werden die Amalekiter unter den transjordanischen Völkern verortet. Ri 5,14 und Ri 12,15 bezeugen Erinnerungen Amaleks in Ephraim.
Lebensweise
Über die Lebensweise der Amalekiter lassen sich kaum gesicherte Aussagen treffen. Für gewöhnlich wird in Amalek ein im Negev umherziehender Nomadenstamm vermutet. Dem Nomadentum widerspricht jedoch die Angabe in 1 Sam 15 , dass Amalek eine Stadt bewohne und König Agag an seiner Spitze stehe.
Gemäß Ri 6,3–5 , 1 Sam 15,3 und 1 Sam 30,17 besaßen die Amalekiter Kamele. 1 Sam 30 sowie die Erwähnungen in Ri 6,3 , 6,33 und 7,12 zeichnen ein Bild von Amalek als räuberischem Volk.
Biblischer Bericht
Die vertrauenswürdigsten Überlieferungen des AT zur Auseinandersetzung zwischen Israel und den Amalekitern sind die aus der Zeit Davids. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Feindschaft in seine Zeit zu datieren ist. In späteren Traditionen wird die Feindschaft immer weiter in die Frühgeschichte zurückverlagert und dabei Amalek mit ostjordanischen Feinden verknüpft. Der Name des amalekitischen Königs Agag wird schließlich zum neuen Synonym für einen Erzfeind.
Wüstenwanderung
Mit Ausnahme einer kurzen Notiz über die Verwüstung des Gebiets der Amalekiter durch einen Zusammenschluss von Königen (Gen 14,7 ), sind die Amalekiter in Ex 17,8–16 zum ersten Mal von Bedeutung. Nach seinem Auszug aus Ägypten griff Amalek Israel in Refidim an. Mose übertrug Josua, dem Sohn Nuns, die militärische Führung im Kampf, während er selbst die Hände zum Gebet erhoben hielt.
„Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker.“
Israel konnte den Sieg erringen, da Aaron und Hur die Hände Moses stützten (Ex 17,12 f ).
Die Erzählung gipfelt in einer göttlichen Zusage der Vernichtung der Amalekiter: „Denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen.“ (Ex 17,14 ). So begründet sie die Erzfeindschaft zwischen den beiden Völkern und „zeigt als theologische Lehrerzählung die Kraft des Gebets“.
Die Erzählung in Num 14,39–45 stellt ein negatives Gegenstück zu Ex 17,8–16 dar: Israel unterliegt Amalek in einem eigenmächtig und gegen den ausdrücklichen Willen JHWHs unternommenen Kriegszug.
Amalekitergesetz
Das Amalekitergesetz in Dtn 25,17–19 nimmt die Vernichtungszusage aus Ex 17,14 auf und überführt sie in einen Auftrag, das Volk der Amalekiter auszurotten, wenn Israel nach der Landgabe Frieden gefunden hat. Begründet wird das Gebot mit dem Angriff der Amalekiter während der Wüstenwanderung. Die Verwerfung Sauls in 1 Sam 15,18 f hat ihre Ursache in der Missachtung dieses Gebots.
Richter- und Königszeit
In der Richter- und Königszeit kommt es häufiger laut biblischem Bericht zu wiederholten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Amalekitern und Israeliten.
Ri 3,13 erzählt von einem Eroberungszug der Amalekiter und Ammoniter unter moabitischer Führung gegen Israel. Gemäß Ri 6,3 , 6,33 und 7,12 führten die Amalekiter gemeinsam mit den Midianitern und den „Leuten des Ostens“ Beutezüge durch. Auch Ri 10,12 zählt Amalek als eines der Völker, die Israel in vorstaatlicher Zeit bedrängten, auf.
Der Übergang zu 1 Sam 15 wird durch eine Notiz geschaffen, die von einem Schlag Sauls gegen Amalek berichtet (1 Sam 14,48 ). 1 Sam 15 nennt insgesamt zwölfmal die Amalekiter (zehnmal עֲמָלֵק ʿᵃmālēq, zweimal עֲמָלֵקִי ʿᵃmālēqî). Gemäß dem o. g. Amalekitergesetz muss Saul den vollständigen Bann vollziehen, jedoch führt er den Befehl nicht korrekt aus. Dies führt zu seiner Verwerfung. Auch 1 Sam 28,18 begründet den Verlust von Sauls Königtum mit dem nicht vollstreckten Bann.
Die Notiz in 1 Sam 27,8 , die von Überfällen Davids auf Amalek berichtet, bereitet die große Erzählung 1 Sam 30 vor: Nach einem Überfall der Amalekiter auf seine Residenzstadt Ziklag führt David einen Rachefeldzug durch. 2 Sam 1,1–16 beschreibt, wie der Amalekiter, der David die Königsinsignien Sauls überbringt, vorgibt, Saul getötet zu haben und dafür niedergestochen wird. 2 Sam 8,12 und 1 Chr 18,11 zählen die Amalekiter als eines der Fremdvölker auf, die David besiegte und plünderte.
Ps 83,7 f nennt Amalek in einer Aufzählung transjordanischer Völker, die die feindliche Völkerwelt bzw. die Chaosmächte repräsentieren. Sie planen Israel derart zu vernichten, dass sich niemand mehr an Israel erinnern wird.
Historizität
Ein historischer Kern kann nicht mit genügend Sicherheit aus Ex 17,8–16 , 1 Sam 15 und 1 Sam 30 isoliert werden, was die historische Rekonstruktion verhindert. Die Erzählungen dienen dem Zweck, Amalek als den Feind schlechthin darzustellen – keine Bannforderung erreicht dieselbe Schärfe wie die gegen Amalek.
Auch die übrigen Berichte lassen kein eindeutiges Bild erkennen. Vermutlich handelte es sich bei Amalek in vorstaatlicher Zeit um einen hartnäckigen Feind, der an Judas Südgrenze zu lokalisieren ist und mit dem Israel immer wieder wegen Weide- und Quellenrechten in Konflikt geriet. Später blieb nur die rudimentäre Erinnerung an einen nicht mehr existierenden Feind, die Amalek zum Synonym jeglicher Feindschaft gegen Israel werden ließ.
Amalek und Amalekiter als wiederkehrende Figuren in der jüdischen Geschichte
In der jüdischen Überlieferung sind verschiedene Personen, die sich durch besondere Feindschaft gegenüber den Juden hervorgetan haben, dem Stamm Amalek zugeordnet worden. Dazu zählen zum Beispiel der Kosakenführer Bohdan Chmelnyzkyj (1595–1657) sowie Adolf Hitler. Die Nationalsozialisten galten prominenten Juden, so zum Beispiel Simon Dubnow, Arthur Szyk und Raul Hilberg, als Amalekiter. Solche Überlieferungen hängen mit Vorstellungen über Reinkarnation zusammen, die auf Hebräisch Gilgul genannt wird (wörtlich: „Rollen“, hier der Seele).
Einige Rabbis gehen sogar so weit, bestimmte Völker mit den Amalekitern zu identifizieren, wie beispielsweise der Gaon von Wilna, auf den sich Rabbi Joseph Chaim Sonnenfeld berief, als er sich 1898 weigerte, Kaiser Wilhelm II. bei seinem Palästinabesuch zu begrüßen, da die Deutschen von den Amalekitern abstammten. Rabbi Joseph Ber Soloveitchik und andere Rabbiner lehren, dass alle Judenhasser von der Saat Amaleks stammten, so die Nationalsozialisten, die Sowjets, Nasser und der Mufti. Wiederum andere, wie Rabbi Jack Riemer, sehen in islamischen Fundamentalisten Amalekiter. Die Palästinenser als Volk wurden mit Amalek gleichgesetzt, seit Rabbi Moshe Ben-Tzion Ishbezari aus Ramat Gan 1974 sie als solche bezeichnete. Dieser Betrachtungsweise schloss sich Rabbi Israel Hess 1980 an. Hess war Rabbi am Campus der Bar-Ilan-Universität und veröffentlichte im Februar 1980 einen Artikel mit dem Titel „Die Aufforderung zum Völkermord in der Torah“.
Nach dem Tode Jassir Arafats wurde dieser von 200 Rabbis aus Piqquach Nefesch als „Amalek unserer Generation“ bezeichnet und der Vorschlag gemacht, dessen Todestag als Freudentag zu feiern.
Siehe auch
Literatur
- Hanns-Martin Lutz, Hermann Timm, Eike Christian Hirsch (Hrsg.): Altes Testament. Einführungen, Texte, Kommentare. 4. Auflage. R. Piper & Co. Verlag, München 1984, ISBN 3-492-02317-7.
- David Heinrich von Müller: Amalekitai. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 1717.
- Hans Andreas Tanner: Amalek/Amalekiter. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
- Friedrich Weinreb: Die Rolle Esther. 2. Auflage. Origo Verlag, ISBN 3-282-00006-5.
- Friedrich Weinreb: Schöpfung im Wort – Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung. 2. Auflage. Thauros Verlag, ISBN 3-88411-028-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Hans Andreas Tanner: Amalek / Amalekiter. In: WiBiLex. Deutsche Bibelgesellschaft, 1. Mai 2008, abgerufen am 14. Oktober 2022.
- 1 2 Stefan Timm: Amalekiter. In: Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Auflage. Band 1. Mohr Siebeck, Tübingen 1998.
- ↑ The First Word: Are Jews still commanded to blot out Amalek? – Jerusalem Post (Memento vom 16. März 2006 im Internet Archive) (englisch).
- ↑ Nur Masalha: The Bible and Zionism: Invented Traditions, Archaeology and Post-Colonialism in Palestine-Israel. Zed Books (englisch).
- ↑ Robert Eisen: The peace and violence of Judaism: from the Bible to modern Zionism. Oxford University Press, 2011, S. 152 (englisch).
- ↑ Yisrael Hess: Mitzvot Hagenocide Batorah. In Bat Qol. Bar-Ilan-Universität, 26. Februar 1980 (englisch).
- ↑ Nur Masalha: The Bible and Zionism: Invented Traditions, Archaeology and Post-Colonialism. Zed Books, 2007, S. 150 f. und 199 (englisch).
- ↑ Elliott S. Horowitz: Reckless Rites: Purim and the Legacy of Jewish Violence. Princeton, University Press, 2006, S. 3 (englisch).