Die Comparative Study of Electoral Systems (CSES) ist ein gemeinschaftliches wissenschaftliches Forschungsprojekt weltweit angesiedelter, nationaler Wahlstudien und Wahlforschungsteams. Wissenschaftler aus teilnehmenden Ländern integrieren ein gemeinsames Forschungsmodul in ihre nationalen Nachwahlbefragungen. Die so erhobenen Befragungsdaten werden zusammen mit demographischen Angaben, Variablen zur Wahlentscheidung sowie Daten auf Wahlbezirks- und Länderebene in einem Datensatz zusammengebracht, der vergleichende Wahlforschung mit Mehrebenenperspektive ermöglicht.

CSES-Daten werden der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Forschungsprojekt wird vom CSES-Sekretariat, einer Kooperation zwischen dem Center for Political Studies der University of Michigan und dem GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften erstellt.

Ziele und Inhalte der Studie

Gegründet wurde das CSES-Projekt 1994 insbesondere mit zwei Zielen. Erstens sollte die internationale Zusammenarbeit zwischen den bis dahin vorwiegend national ausgerichteten Wahlstudien initiiert und gefördert werden. Zweitens sollte mittels der CSES die Möglichkeit entstehen, politische Institutionen, insbesondere Wahlsysteme, und ihre Effekte auf Einstellungen und (Wahl-)Verhalten komparativ zu erforschen.

CSES Daten beinhalten Variablen auf drei Ebenen. Die erste Ebene bilden sogenannte Mikrovariablen, die die Antworten der Befragten aus den nationalen Nachwahlbefragungen enthalten. Die zweite Ebene stellen Daten über Wahlergebnisse aus den dazugehörigen Wahlbezirken der Befragten dar. Die dritte Ebene besteht aus Makrovariablen, die Informationen über den landesspezifischen Kontext, das Wahlsystem sowie Aggregatdaten wie ökonomische Indikatoren und Demokratie-Indizes enthalten. Durch diese hierarchisch geordnete Datenstruktur (s. Schaubild 1) werden Mehrebenenanalysen ermöglicht.

Das wissenschaftliche Planungskomitee entwickelt alle fünf Jahre ein neues thematisches Modul für die jeweils neueste Ausgabe der Studie. Die endgültigen CSES Datensätze erscheinen alle fünf Jahre, jeweils mit neuem thematischem Modul. Dieses Modul oder Thema der Studie wird vor Beginn einer neuen Datenkollektion vom internationalen wissenschaftlichen Planungskomitee entwickelt. Zusätzlich zu den abgeschlossenen Modulen, werden in den Jahren vor der Herausgabe der endgültigen Datensätze Vorabveröffentlichungen herausgegeben, die den jeweils bereits erhobenen und aufbereiteten Teil der Länderstudien enthalten. Bislang (Stand: 2023) wurden folgende Module erhoben:

Die Daten für das Modul 1 wurden zwischen 1996 und 2001 erhoben. Ihr Fokus lag auf der Performanz von Wahlsystemen als Prädiktor für das Wahlverhalten. Das Modul ermöglicht es, den Einfluss von Wahlregeln und –Institutionen auf das politische Verständnis und Verhalten der Bürger zu erforschen sowie die Arten politischer und sozialer Trennlinien (cleavages) und politischer Einstellungen zu untersuchen. Des Weiteren ermöglicht es, die Einstellungen von Bürgern zu demokratischen Institutionen und Prozessen zu erforschen. Modul 1 beinhaltet Daten von 39 Wahlstudien, die in 33 Ländern durchgeführt wurden.

Die Datenkollektion für Modul 2 wurde zwischen 2001 und 2006 durchgeführt und hat ‚Accountability and Representativeness‘, also politische Verantwortlichkeit und Repräsentativität zum Thema. Dabei geht es um die beiden kontrastierenden Sichtweisen, dass Wahlen einerseits die Funktion haben, Regierungen zur Verantwortung zu ziehen und andererseits ein Mittel sind, um sicherzustellen, dass die Interessen und Ansichten der Bürger in demokratischen Prozessen und Entscheidungen repräsentiert werden. Modul 2 beinhaltet Daten von 41 Wahlstudien aus 38 Ländern.

Die Datenkollektion für Modul 3 wurde zwischen 2006 und 2011 durchgeführt. Das Modul ermöglicht es Wissenschaftlern, die Bedeutsamkeit von Wahlen zu erforschen und hat einen zentralen Aspekt der Wahlforschung zum Thema: Die Abhängigkeit des Wahlverhaltens von den verfügbaren Optionen. Modul 3 beinhaltet 50 Wahlstudien aus 41 Ländern.

Die Datenkollektion für Modul 4 wurde zwischen 2011 und 2016 durchgeführt und beleuchtet Aspekte der Verteilungspolitik und der sozialen Sicherheit. Die Hauptthemen sind Präferenzen der Wähler in unterschiedlichen Politikbereichen, wie diese von politischen Institutionen beeinflusst werden und wie sie sich auf das Wahlverhalten auswirken. Modul 4 beinhaltet 45 Wahlstudien aus 39 Ländern.

Die Datenkollektion von Modul 5 erfolgte von 2016 bis 2021 und hat zum einen die Einstellungen der Wähler zur politischen Elite zum Thema. Zum anderen werden Einstellungen zu gesellschaftlichen ‚Outgroups‘, also Gruppen von Minderheiten betrachtet. Das Modul ermöglicht es somit zu erforschen, welche Einstellungen und welches Wahlverhalten Wähler im Kontext eines Anstiegs von Wahlkampagnen, die sich thematisch gegen das Establishment und gegen Minderheitengruppen richten, zeigen. Modul 5 beinhaltet 56 Wahlstudien aus 45 Ländern.

Eine Tabelle der Variablen aller Module findet sich auf der CSES Website.

Darüber hinaus bietet die CSES ein Integrated Module Dataset (IMD), welches Daten aus den ersten vier Einzelmodulen (CSES Module 1-4) in einem kumulierten und harmonisierten Datensatz bündelt. Dabei kommen Variablen, die in mindestens drei der einzelnen CSES Module – bis hin zu CSES Modul 5 – erhoben wurden, für die Aufnahme in das IMD infrage. Alle Länder, die an der CSES teilgenommen haben, sind im Datensatz enthalten.

Das CSES IMD umfasst über 281.000 Fälle auf der Individualebene zu 174 Wahlen aus 55 Staaten, mit Wählerbewertungen von über 600 politischen Parteien. Highlights des CSES IMD sind die Harmonisierung von Parteien- und Wahlbündniscodierungen über die CSES Module hinweg, sowie die Einbindung von Data-Bridging-Variablen, die ein problemloses Zusammenführen von CSES-Daten mit anderen gängigen Datensätzen aus den Sozialwissenschaften erlauben. Das CSES IMD wurde im Dezember 2018 gestartet und wird phasenweise veröffentlicht, mit dem aktuellsten Phase 3 Release im Dezember 2020.

Länder in der CSES

Module 1Module 2Module 3Module 4 Module 5
 Albanien2005 2017
 Argentinien2015
 Australien1996200420072013 2019
 Österreich20082013 2017
 Belarus20012008
 Belgien1999,19992003 2019, 2019
 Brasilien20022006,20102014 2018
 Bulgarien20012014
 Kanada1997200420082011,2015 2019
 Chile199920052009 2017
 Costa Rica 2018
 Kroatien2007
 Tschechien199620022006,20102013 2017,2021
 Dänemark199820012007 2019
 El Salvador 2019
 Estland2011
 Finnland20032007,20112015 2019
 Frankreich200220072012 2017
 Deutschland19982002, 20022005,20092013 2017,2021
 Vereinigtes Königreich199720052015 2017,2019
 Griechenland20092012,2015 2015,2019
 Hongkong1998,2000200420082012 2016
 Ungarn19982002 2018
 Island199920032007,20092013 2016, 2017
 Indien 2019
 Irland200220072011 2016
 Israel1996200320062013 2020
 Italien2006 2018
 Japan1996200420072013 2017
 Kenia2013
 Kirgisistan2005
 Lettland20102011,2014 2018
 Litauen1997 2016,2020
 Mexiko1997,200020032006,20092012,2015 2018
 Montenegro2012 2016
 Niederlande199820022006,2010 2017,2021
 Neuseeland1996200220082011,2014 2017,2020
 Norwegen199720012005,20092013 2017
 Peru2000,2001200620112016 2021
 Philippinen200420102016
 Polen199720012005,20072011 2019
 Portugal2002200520092015 2019
 Rumänien1996200420092012,2014 2016
Russland1999, 20002004
 Serbien2012
 Slowakei20102016 2020
 Slowenien1996200420082011
 Südafrika20092014
 Südkorea2000200420082012 2016
 Spanien1996,200020042008
 Schweden1998200220062014 2018
 Schweiz1999200320072011 2019
 Taiwan19962001,200420082012 2016, 2020
 Thailand200120072011 2019
 Tunesien 2019
 Türkei20112015 2018
Ukraine1998
 Vereinigte Staaten1996200420082012 2016,2020
 Uruguay2009 2019

Eine häufig aktualisierte Tabelle über die teilnehmenden Länderstudien der Module findet sich auf der CSES Website.

Organisationsstruktur und Finanzierung

Das CSES Sekretariat

Das CSES-Sekretariat koordiniert das CSES-Projekt in enger Verbindung mit den Primärforschern der nationalen Wahlstudien. Die Mitarbeiter im CSES-Projekt sind beim GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und bei der University of Michigan in Ann-Arbor (USA) angestellt. Das CSES-Sekretariat ist verantwortlich für die Datenintegration und -harmonisierung der Einzelstudien in die CSES-Gesamtstudie. Des Weiteren ist es verantwortlich für das Hinzufügen von Wahlbezirks- und Makrodaten, für die Datendokumentation und für die Kontrolle der Datenqualität. Außerdem pflegt es die CSES Website, bewirbt das Projekt, steht Datennutzern bei Fragen zur Verfügung und organisiert Konferenzen und Projekttreffen.

Das wissenschaftliche Planungskomitee (Planning Committee), die Primärforscher und das CSES Plenum (Plenary Meeting)

Die wissenschaftliche Planung, das Studiendesign und die Fragebogenentwicklung obliegt dem ‚Planning Committee‘ einem internationalen Zusammenschluss führender Wissenschaftler der Politikwissenschaften, Soziologie und Umfragemethodik. Das Planning Committee wird jeweils vor Beginn eines neuen Studienmoduls berufen. Die Nutzergemeinschaft nominiert neue Mitglieder, welche vom Plenary Meeting in das Planning Committee berufen werden. Das Plenary Meeting besteht aus Primärforschern der an der CSES beteiligten nationalen Wahlstudien. Ideen für neue Studienmodule können auch Personen von außerhalb des Planning Committees einbringen. Weitere Informationen über das Planning Committee, seine Mitglieder, Planungsreports und die Arbeit vorheriger Planning Committees, können auf der CSES Website gefunden werden. Eine Liste der nationalen Primärforscher, welche an der CSES mitarbeiten, findet sich auf der CSES Website.

Finanzierung und Unterstützung

Die Arbeit des CSES Sekretariats wird von der National Science Foundation der USA, dem GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften und dem Center for Political Studies an der University of Michigan finanziert. CSES wird weiterhin durch die partizipierenden Wahlstudien und weiterer Organisatoren unterstützt, die die Planungstreffen und Konferenzen organisieren, sowie vielen Organisationen, die direkt an den nationalen Wahlstudien der CSES beteiligt sind.

Der GESIS-Klingemann-Preis

Mit dem GESIS-Klingemann-Preis wird jedes Jahr eine wissenschaftliche Forschungsarbeit (Artikel, Buch, Dissertation oder andere wissenschaftliche Arbeit), die im Vorjahr mit der CSES erbracht wurde, prämiert. Der Preis wird vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften gestiftet und ist nach Hans-Dieter Klingemann benannt. Für den Preis nominierte Arbeiten haben zur Vorgabe, dass sie die CSES intensiv in ihren Analysen nutzen und im Jahr vor der Preisvergabe – online oder gedruckt – publiziert wurden.

Preisträger

2023: James Adams (University of California, Davis), David Bracken (University of California, Davis), Noam Gidron (Hebrew University of Jerusalem), Will Horne (Georgia State University), Diana Z. O’Brien (Washington University in St. Louis) und Kaitlin Senk (Exeter University) (2022): Can’t We All Just Get Along? How Women MPs Can Ameliorate Affective Polarization in Western Publics. American Political Science Review, 117(1), 318-324. doi:10.1017/S0003055422000491

2022: Vicente Valentim (University of Oxford) (2021): Parliamentary representation and the normalization of radical right support. Comparative political studies, 54(14), 2475-2511. doi:10.1177/0010414021997159

2021: Enrique Hernández (Universitat Autònoma de Barcelona), Eva Anduiza (Universitat Autònoma de Barcelona) und Guillem Rico (Universitat Autònoma de Barcelona) (2021): Affective polarization and the salience of elections. Electoral Studies, 69(1), 1-9. doi:10.1016/j.electstud.2020.102203

2020: Eelco Harteveld (University of Amsterdam), Stefan Dahlberg (University of Gothenburg), Andrej Kokkonen (Aarhus University) und Wouter Van Der Brug (University of Amsterdam) (2019): Gender Differences in Vote Choice: Social Cues and Social Harmony as Heuristics. British Journal of Political Science, 49(3), 1141-1161. doi:10.1017/S0007123417000138

2019: Ruth Dassonneville (University of Montreal) und Ian McAllister (Australian National University) (2018). "Gender, Political Knowledge, and Descriptive Representation: The Impact of Long-Term Socialization". American Journal of Political Science, 62(2), 249-265. doi:10.1111/ajps.12353

2018: André Blais (University of Montreal), Eric Guntermann (University of Montreal) und Marc-André Bodet (University of Laval) (2017). "Linking Party Preferences and the Composition of Government: A New Standard for Evaluating the Performance of Electoral Democracy". Political Science Research and Methods, 5(2), 315–331. doi:10.1017/psrm.2015.78

2017: Dani Marinova (Autonomous University of Barcelona) (2016): Coping with Complexity: How Voters Adapt to Unstable Parties. ECPR Press.

2016: Kasara Kimuli (Columbia University) und Pavithra Suryanarayan (Johns Hopkins University) (2015): When Do the Rich Vote Less Than the Poor and Why? Explaining Turnout Inequality across the World. American Journal of Political Science, 59(3), 613–627. doi:10.1111/ajps.12134

2015: Noam Lupu (University of Wisconsin-Madison) (2015): Party Polarization and Mass Partisanship: A Comparative Perspective. Political Behavior, 37(2), 331–356. doi:10.1007/s11109-014-9279-z

2014: Richard R. Lau (Rutgers University), Parina Patel (Georgetown University), Dalia F. Fahmy (Long Island University), Robert R. Kaufman (Rutgers University) (2014): Correct Voting Across Thirty-Three Democracies: A Preliminary Analysis. British Journal of Political Science, 44(02), 239–259. doi:10.1017/S0007123412000610

2013: Mark Andreas Kayser (Hertie School of Governance), Michael Peress (University of Rochester) (2012): Benchmarking across Borders: Electoral Accountability and the Necessity of Comparison. American Political Science Review, 106(03), 661–684. doi:10.1017/S0003055412000275

2012: Russell J. Dalton (University of California, Irvine), David M. Farrell (University College Dublin), Ian McAllister (Australian National University) (2011): Political Parties and Democratic Linkage. How Parties Organize Democracy. Oxford University Press.

2011: Matt Golder (Florida State University) und Jacek Stramski (Florida State University) (2011): Ideological Congruence and Electoral Institutions. American Journal of Political Science, 54 (1), 90-106. doi:10.1111/j.1540-5907.2009.00420.x

Einzelnachweise

  1. CSES - Comparative Study of Electoral Systems. GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, abgerufen am 28. April 2023.
  2. CSES - Integrated Module Dataset. GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, abgerufen am 28. April 2023.
  3. 1 2 Es wurden zwei separate Wahlstudien in Belgien durchgeführt: Eine in der Region Flandern und eine in der Region der Walonie.
  4. In Deutschland wurden 2002 zwei Teilstudien mit einer telefonischen (CATI) und eine schriftlichen (PAPI) Befragung durchgeführt.
  5. Die Studie über die Parlamentswahl in Portugal 2002 wurde zwischen dem Ende von Modul 1 und dem Beginn von Modul 2 durchgeführt und beinhaltet beide Module.
  6. Russland 1999 und 2000: Die Studien dieser beiden Jahre waren Teile einer Panelstudie, die für 1999 eine Befragung über die Parlamentswahl und 2000 eine Befragung über die Präsidentschaftswahl enthält.
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