Gerasa oder Jerasch (arabisch جرش Dscharasch, DMG Ǧaraš, auch Jarash und Jerash) liegt im Norden Jordaniens und etwa 40 Kilometer nördlich von Amman. Die antike Stadt Gerasa war Teil der sogenannten Dekapolis; die gut erhaltenen Ruinen sind heute eine Touristenattraktion. Die moderne Stadt hat etwa 40.000 Einwohner und ist Verwaltungszentrum des Gouvernement Dscharasch.

Geschichte

Erste Spuren menschlicher Besiedlung in Gerasa stammen aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. Es sind bronzezeitliche und eisenzeitliche Spuren erhalten. Aus diesen Zeiten stammt auch der Name Gerasa. Wahrscheinlich gehörte der Ort später zum Nordreich Israel.

Die bis ins 1. nachchristliche Jahrhundert unbedeutende Stadt erlebte unter römischer Herrschaft und unter dem römischen Frieden einen schnellen Aufstieg. Sie wurde 64 v. Chr. Teil der Provinz Syria und Mitglied der Dekapolis und machte als Handelsstadt zunehmend dem älteren Petra Konkurrenz. Ihre Einwohner gewannen Erz in den nahen Adschlun-Bergen. Ab der Mitte des ersten Jahrhunderts führte dieser Aufschwung zu reger Bautätigkeit und einer reichen, auch heute noch beeindruckenden Fülle von Baudenkmälern.

Im Jahr 106 n. Chr. wurde Gerasa Teil der neuen römischen Provinz Arabia Petraea. In den folgenden Jahrzehnten führten die römischen Expansionskriege in Vorderasien zu einem weiteren Bedeutungsgewinn; es entstanden gut ausgebaute Straßen nach Pella, Philadelphia, Dion und zur Provinzhauptstadt Bos(t)ra. Kaiser Hadrian stattete der Stadt im Winter 129/130 einen Besuch ab. In der Spätantike änderte sich die politische Situation in der Region grundlegend und die Stadt verlor an Bedeutung. Dennoch blieb die Oberschicht wohlhabend. In diese Zeit fällt auch die Durchsetzung des Christentums und der Bau vieler Kirchen in der Stadt. Gerasa hatte einen eigenen Bischof – noch heute ist es ein Titularbistum –; Bischof Placcus (oder Plancus) nahm 451 am Konzil von Chalcedon teil.

Zwischen 613 und 630 beherrschten die Sassaniden den Ort. Bald nach 636 fiel die Stadt dann an die muslimischen Araber. Nach einem Erdbeben im Jahr 658 wurde die sogenannte Kathedrale von Gerasa aufgegeben. Die danach wieder instandgesetzte Portikus überließ man ab der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts sich selbst, zeitweise wurde der Bereich als Deponie verwendet. Ein erneutes Erdbeben 749 führte zum Einsturz des Baus. Das Erdbeben von 749 hatte wie für die gesamte Region auch für Gerasa verheerende Folgen. Allerdings zeigen jüngere Forschungen, dass es nicht zu einem abrupten Siedlungsabbruch kam, sondern eher eine längere Phase des Niedergangs einsetzte.

In der Kreuzfahrerzeit scheint Gerasa unbewohnt geblieben zu sein. Fulcher von Chartres und Wilhelm von Tyrus erwähnen allerdings eine Episode, wonach im Jahr 1121 König Balduin II. eine Festung in Gerasa einnahm und anschließend zerstörte, die erst im Jahr zuvor durch Tughtigin, den Atabeg von Damaskus erbaut worden war. Diese Festung ist bisher archäologisch nicht nachweisbar.

Aus ayyubidisch-mamlukischer Zeit ist ebenfalls Bebauung nachweisbar. Bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist die Stadt nach Angaben des Yāqūt al-Ḥamawī aber völlig verlassen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch in Gerasa Tscherkessen angesiedelt, womit die neuzeitliche Wiederbesiedlung des Ortes beginnt.

Aus Gerasa stammen u. a. Schimon bar Giora und Nikomachos von Gerasa.

Baudenkmäler

Hadriansbogen

Das Bogenmonument wurde im Winter 129/130 zu Ehren des Kaisers Hadrian erbaut, der damals die Stadt besuchte. Es befand sich außerhalb des antiken Gerasa. Ursprünglich sollte der Bogen vielleicht als neues Stadttor dienen, denn einer Inschrift zufolge wollte Hadrian ein ganzes Stadtviertel an dieser Stelle gründen. Allerdings fiel dieses Bauvorhaben offenbar einer Wirtschaftskrise zum Opfer.

Nach Restaurierungsarbeiten, die etwa von 2003 bis 2008 teilweise mit den Originalsteinen ausgeführt wurden, ragt das dreiteilige Tor wieder mit der ursprünglichen Höhe von 21 Metern empor, bei einer Gesamtbreite von über 25 Metern.

Ovales Forum

Das ovale Forum liegt zu Füßen des Jupitertempels. Seine Maße betragen 90 × 80 Meter. Das Oval ist mit Kolonnaden gesäumt. Der Platz wurde strategisch gewählt – er überdeckt eine natürliche Senke. Um diese auszugleichen, wurde das Forum auf 6 bis 8 Meter hohem Unterbau errichtet. Der birnenförmige Umriss ist dabei untypisch für ein römisches Forum, da die Römer regelmäßigere Formen bevorzugten. Nach der Meinung vieler Archäologen ist das Forum oval, um den Zeustempel mit dem römischen Teil der Stadt auf einer Nord-Süd-Achse zu verbinden. Der Zweck des ovalen Marktplatzes bleibt jedoch umstritten: entweder handelte es sich um einen Handelsplatz, oder um einen Opferplatz.

Jupiter-Tempel

Der Jupiter-Tempel wurde oberhalb des ovalen Forums auf einem gewaltigen Tonnengewölbe errichtet. Der gesamte Hang wurde künstlich gestaltet, um den Jupitertempel an dieser Stelle errichten zu können. Sein Gelände hatte schon zuvor als Heiligtum verschiedener Gottheiten gedient. Höchstwahrscheinlich war auf dem Gelände in hellenistischer Zeit ein Zeustempel errichtet worden. Ein Indiz dafür ist, dass der Jupitertempel von seiner Lage her nicht in einen typisch römischen Stadtplan passt. Die Ruinen, die heute noch zu sehen sind, stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Die Tempelmauern, von denen heute noch Teile stehen, sind etwa 10 Meter hoch. Der Tempelbau selbst ruhte auf einem Podest von 41 Metern Länge und 28 Metern Breite. Der syro-nabatäischen Bauweise folgend führte eine Treppe auf das Dach der Cella. Ursprünglich war das Allerheiligste von 38 Säulen umgeben, von denen heute noch drei original stehen. Weitere Säulen wurden im Rahmen des Restaurierungsprogrammes der Jordanischen Antikenverwaltung wieder aufgerichtet.

Nymphäum

Das prächtige, 22 Meter breite Nymphäum stammt ebenfalls aus dem 2. Jahrhundert. Das den Wassernymphen geweihte zweigeschossige Heiligtum ist eines der besterhaltenen Gebäude des antiken Gerasa. Das untere Stockwerk des Nymphäums war mit Marmor verkleidet. Das obere war mit Fresken verziert, die zum Teil noch erkennbar sind. Auffällig ist die Dachkonstruktion – eine Halbkuppel mit gesprengtem Giebel, die sich über einem großen Prachtbrunnen wölbt. Die Brunnenfassade wurde in Nischen unterteilt, in denen sich Statuen befanden. Einige Statuen hielten große Behälter, aus denen sich Wasser in das Bassin des Prachtbrunnens ergoss. Ein komplexes Leitungssystem führte das Wasser aus der Umgebung heran.

Südtheater

Das Südtheater entstand etwa 90 bis 92 n. Chr. Es verfügte über 32 Sitzreihen, in denen bis zu 5000 Zuschauer Platz fanden. Das Theater ist westlich des Jupiter-Tempels in den Hang gebaut, der obere Rang wurde über Tonnengewölbe aufgesetzt. Die Bühne ist klassisch-römisch gestaltet und verfügt über zwei seitliche Bogentore sowie drei Kulissenzugänge. Die Zuschauer wurden nicht von Sonnenlicht geblendet, da das Theater nach Norden ausgerichtet war.

Artemis-Tempel

Der aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammende Artemis-Tempel war mit den Ausmaßen seiner Umfassungsmauer von 160 × 120 Metern besonders imposant und sicherlich eines der wichtigsten Bauwerke der Stadt. Die Pilger näherten sich dem Tempel über eine Prozessionsstraße und -treppe, die aus der Stadt hinaufführt. Von den einstmals 32 Säulen des Tempels sind elf aufrechterhalten, davon tragen neun noch ihre korinthischen Kapitelle und ragen damit 13 Meter hoch auf. Die Cella selbst maß 23 × 40 Meter.

Stadtmauer

Die spätantike Stadtmauer ist in ihrem Verlauf fast vollständig erhalten. Sie umgibt das rund 90 Hektar große antike Stadtgebiet, von dem gut die Hälfte in einer archäologischen Schutzzone liegt (der restliche Teil ist durch die moderne Stadt Jerash überbaut). Beim Anfang 2015 begonnenen Bau einer neuen Straße auf der Westseite des alten Gerasa wurden Teile der Stadtmauer schwer beschädigt und ein Mauerabschnitt einschließlich eines antiken Turmes bis auf die Grundmauern zerstört.

Weitere Bauwerke

  • Der Cardo Maximus aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, eine 800 Meter lange, gepflasterte Hauptstraße zwischen dem Marktplatz und dem nördlichen Stadttor (erbaut 115). Sie war von einem Säulengang gesäumt, von dem heute noch 500 Säulen erhalten sind.
  • Das Nordtheater mit ca. 800 Plätzen

Zahlreiche spätantike Kirchen, vor allem aus der Zeit Kaiser Justinians (527 bis 565), mit teilweise gut erhaltenen Mosaikböden:

  • Die sogenannte Kathedrale, eine dreischiffige Säulenbasilika aus dem späten 4. Jahrhundert
  • Die Theodosiuskirche, Basilika mit hohen korinthischen Säulen, 494–496
  • Prokopioskirche, um 526/527
  • Georgskirche, von 529
  • Synagogenkirche, um 530/531 zur Kirche umgebaute Synagoge
  • Johanneskirche von 531, ein Rundbau mit ca. 24 × 30 Metern
  • St. Cosmas und Damian, um 533, mit besonders schönem Mosaikboden
  • Peter-und-Paul-Kirche (Säulenbasilika), um 540, daneben Gedächtniskirche (Hallenkirche)
  • Propyläenkirche, um 560
  • Kirche des Bischofs Genesius von 611

Biblische Erwähnung

Nach dem Markusevangelium (5,1 ) und dem Lukasevangelium (8,26 ) heilte Jesus in der Gegend von Gerasa einen von vielen Dämonen besessenen Menschen, der in Grabhöhlen lebte. Die Dämonen fuhren in eine Herde Säue, die sich daraufhin in den nahen See Genezareth stürzten und ertranken. Dass die Evangelisten irrtümlicherweise Gerasa am Ufer des See Genezareth lokalisieren, wird in der Wissenschaft als Indiz schlechter Ortskenntnis der Verfasser gewertet, die also wahrscheinlich nicht aus Palästina stammten. Schon früh korrigierten Handschriften diese Ortsangabe und boten einige Varianten, unter anderem das heute unbekannte Gergesa. Der Evangelist Matthäus (Kap. 8,28) lokalisiert die Erzählung hingegen in die Gegend von Gadara, südöstlich des Sees Genezareth.

Literatur

  • S. Applebaum, A. Segal: Gerasa. In: E. Stern (Hrsg.): The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land II. New York u. a. 1993, S. 470–479.
  • A. R. Bellinger: Coins from Jerash, 1928–1934 (= Numismatic Notes and Monographs. Band 81). The American Numismatic Society, New York 1938.
  • Immanuel Benzinger: Gerasa 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band VII,1, Stuttgart 1910, Sp. 1242–1244.
  • I. Browning: Jerash and the Decapolis. London 1982, ISBN 0-7011-2591-8.
  • John Winter Crowfoot: Churches at Jerash. A Preliminary Report on the Joint Yale-British School Expeditions to Jerash 1928–1930. London 1931.
  • Adolf Hoffmann, Susanne Kerner (Hrsg.): Gadara – Gerasa und die Dekapolis. Zabern, Mainz 2002, ISBN 3-8053-2687-4. (Antike Welt, Sonderheft; Zaberns Bildbände zur Archäologie)
  • David Kennedy: Gerasa and the Decapolis. A 'virtual island' in northwest Jordan. London 2007, ISBN 978-0-7156-3567-4.
  • R. G. Khoury: Jerash. A Frontier City of the Roman East. London/ New York 1986, ISBN 0-582-78384-4.
  • C. H. Kraeling: Gerasa. City of the Decapolis. An account embodying the record of a joint excavation conducted by Yale University and the British School of Archaeology in Jerusalem (1928–1930), and Yale University and the American Schools of Oriental Research (1930–1931). New Haven 1938.
  • Achim Lichtenberger, Rubina Raja: Ǧeraš in the Middle Islamic Period. Connecting Texts and Archaeology through New Evidence from the Northwest Quarter. In: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 132, 2016, S. 63–81, Tafeln 7–10.
  • Frank Rainer Scheck: Jordanien. Völker und Kulturen zwischen Jordan und Rotem Meer. 5. Auflage. Dumont, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7701-3979-8, S. 104–137.
Commons: Gerasa – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Baedeker: Jordanien. ISBN 978-3-8297-1153-1, S. 186/187.
  2. Lichtenberger, Achim.: Kulte und Kultur der Dekapolis. Untersuchungen zu numismatischen, archäologischen und epigraphischen Zeugnissen. Harrassowitz, Wiesbaden 2003, ISBN 978-3-447-04806-4.
  3. Ina Eichner, Vasiliki Tsamakda: Syrien und seine Nachbarn von der Spätantike bis in die islamische Zeit. Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Reichert, Wiesbaden 2009 (Online S. 1027/1028 [PDF; abgerufen am 19. Dezember 2011]).
  4. Rubina Raja, Achim Lichtenberger: Aus der Traum vom Kulturerbe. Ein Straßenbau zerstört Teile der antiken Stadtmauer von Jerash in Jordanien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. April 2015, S. 12.

Koordinaten: 32° 17′ N, 35° 54′ O

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