Great Pianists of the 20th Century, deutscher Titel Die großen Pianisten des 20. Jahrhunderts, ist eine Label-übergreifende Pianisten-Edition von Philips Records, die von Sommer 1998 bis zum Herbst 1999 in 100 Alben mit Doppel-CDs veröffentlicht wurde und Werke vom Barock bis zur Moderne umfasst.
Edition
Die 100 Alben der Edition sind 72 namentlich auf den Covern genannten Pianisten zugeordnet. Jedes Album besteht aus einer Doppel-CD von 150 Minuten Spiellänge. 16 Pianisten sind mit 2 Alben vertreten, Claudio Arrau, Alfred Brendel, Emil Gilels, Vladimir Horowitz, Wilhelm Kempff, Swjatoslaw Richter und Arthur Rubinstein mit jeweils 3 Doppel-CDs. Neben dem Klavierduo Ljubow Bruk und Mark Taimanow beinhaltet die Kompilation weitere Klavierwerke zu vier Händen – Dinu Lipatti spielt mit Nadia Boulanger, Josef Lhévinne mit seiner Ehefrau Rosina und Robert Casadesus mit Gaby Casadesus.
Die Auswahl der Pianisten erfolgte durch den Editions-Produzenten Tom Deacon anhand der Kriterien einer internationalen Karriere und Bekanntheit. Alfred Brendel wirkte bei der Aufnahmenauswahl zu den Pianisten Alfred Cortot, Edwin Fischer und Wilhelm Kempff mit, die ansonsten der Polygram oblag. Am häufigsten sind Kompositionen von Chopin, Liszt, Beethoven, Schumann, Bach, Mozart, Haydn, Schubert, Brahms, Tschaikowski, Rachmaninow, Prokofjew, Stravinsky, Debussy, Ravel und Poulenc zu hören. Werke von Webern, Bartók, Berg, Gershwin, Copland, Rorem und anderen ergänzen das Repertoire.
Ein Viertel der 250-stündigen Edition ist zuvor nicht auf CD erschienen, 90 Minuten enthalten bis 1998 unveröffentlichte Einspielungen von Alfred Brendel, Byron Janis und Clifford Curzon. Die älteste Aufnahme stammt aus 1911 von Ignacy Paderewski, die aktuellste von Mitsuko Uchida von Dezember 1998. Jewgeni Kissin, geboren 1971, ist der jüngste, Ignacy Paderewski, Geburtsjahr 1860, der älteste Pianist der Edition. Michail Pletnjow ist als einziger Interpret mit einer Transkription – Tschaikowskis Nussknacker für Klavier – vertreten.
Die Kompilation erfolgte Label-übergreifend und beinhalt neben Aufnahmen der Polygram – der Deutschen Grammophon, Decca und Philips, Veröffentlichungen von Sony, EMI, BMG, Teldec, Vanguard und weiteren insgesamt 25 Labels. Die Überprüfung der Soundqualität, Remastering und die Digitalisierung analoger Tonträger wurde unter Aufsicht von Ingenieuren der Deutschen Grammophon durchgeführt. Steinway & Sons unterstützte die Veröffentlichung der Edition durch Promotion-Veranstaltungen.
Die Veröffentlichung erfolgte in nicht chronologischer Reihenfolge zu jeweils zehn Alben monatlich vom Sommer 1998 bis zum Herbst 1999. Der Edition vorangestellt erschien eine Sonderausgabe in Form einer Doppel-CD, die Beiträge von 68 der insgesamt 72 Pianisten enthält. Diesem Sampler war ein Promo-Tonträger mit Klaviersonaten von Scarlatti, gespielt von Clara Haskil 1951 durch Westminster Records veröffentlicht, beigelegt.
Die großen Pianisten des 20. Jahrhunderts führte die Philips-Tradition der Herausgabe von Editionen des Produzenten Deacon fort. 1995 erschien die Kompilation Best of Mozart mit 180 Tonträgern, davor das Box-Set Goldenes Barock, eine Alfred Brendel- und eine Swjatoslaw Richter-Edition.
Rezension
Der US-amerikanische Schriftsteller, Pianist und Kolumnist Michael Kimmelman nannte die Edition „einen riesigen, wertvollen Fundus von Klavieraufnahmen“. Die umfängliche Dokumentation der Klavierinterpretationen des 20. Jahrhunderts könnte Antworten auf die Fragen geben: ob „die Qualität des Klavierspieles – das Niveau der Ausarbeitung, Spontaneität, rhythmische Gestaltung und so weiter – im Laufe des Jahrhunderts zurückgegangen ist, wie Kritiker manchmal sagen?“ Ob technische Perfektion zum Selbstzweck geworden und nationale Stile ersetzt habe? „Ob es überhaupt so etwas wie eine nationale Schule gibt?“
Raymond Tuttle von Classical Net nannte die Edition ein „großartiges Projekt“ – beispiellos in der Geschichte. Pianophile hätten über die nächsten Jahre viel zu hören und zu diskutieren. Roland de Beer stimmte dem Philips Slogan „einer einzigartigen Sammlung mit dem besten Klavierspiel dieses Jahrhunderts“ in der Hinsicht zu, dass die Edition als „Musterbeispiel diplomatischer Arbeit“ der 25 daran beteiligten Labels „sicher einzigartig“ ist. Charles Michener vom Observer fühlte sich angesichts der Veröffentlichung in einen pubertierenden Zustand versetzt, den nur wahre „Piano Junkies“ kennen und hob die Möglichkeit des vergleichenden Hörens unterschiedlicher Interpretationen sich überschneidender Kompositionen hervor. Ned Rorem äußerte, dass man schon aufgrund des Samplers zur Edition erkenne, wie sich die Aufführpraxis im Laufe des Jahrhunderts mehrfach geändert hat, „von sehr freien zu sehr genauen“ Wiedergaben der Partitur und „wieder zurück und wieder zurück“.
Als weitere Stärke der Edition wurde gewertet, dass sie neben den allgemein bekannten Größen an Pianisten aus der Mitte des Jahrhunderts erinnere – an Clara Haskil, Arturo Benedetti Michelangeli, Wilhelm Kempff, William Kapell, Clifford Curzon und Friedrich Gulda, „die einem allgemeinen Publikum nicht mehr hinreichend bekannt“ sind sowie „einige weniger bekannte und vergessene“ Pianisten würdige: Ivan Moravec, Wladimir Sofronizki, Nelson Freire, Nikita Magaloff und Maria Yudina.
Kritisiert wurde das Fehlen prägender, als wesentlich für das 20. Jahrhundert wahrgenommener Pianisten: Ferruccio Busoni, Simon Barere, Moriz Rosenthal, Heinrich Neuhaus, Alexander Goldenweiser, Jacques Février, Carl Friedberg, Samuil Feinberg, Mark Hambourg, Percy Grainger, Emil von Sauer, Egon Petri, Guiomar Novaes, Alexander Brailowsky, Vlado Perlemuter, Mieczysław Horszowski, Richard Goode, Wladimir von Pachmann, Paul Badura-Skoda, Garrick Ohlsson, Jewgeni Mogilewski, Ivo Pogorelich, Emanuel Ax und Grigori Sokolow. Aufnahmen der Pianistinnen Wanda Landowska, Annie Fischer, Maria Tipo, Magda Tagliaferro und Tatjana Nikolajewa sind nicht enthalten ebenso wie die der komponierenden Pianisten Edvard Grieg, Camille Saint-Saëns und Béla Bartók. Des Weiteren wurde die Anzahl der Alben je Pianist und die Aufnahmeauswahl bemängelt, insbesondere, dass die Edition keine Bach-Einspielungen von Glenn Gould enthält. Die Musikkritik thematisierte auch, dass in der Edition Aufnahmen bedeutender Kompositionen des 20. Jahrhunderts fehlen, zum Beispiel Messiaen eingespielt von Yvonne Loriod, Michel Béroff oder Håkon Austbø, Werke Stockhausens interpretiert von den Brüdern Alfons und Aloys Kontarsky sowie Nonos von Maurizio Pollini. Roland de Beer bemerkte abschließend und die Kritik einschränkend, „je größer eine Sammlung ist, desto deutlicher wird es eigenartigerweise, dass auch vierhundert CDs nicht ausreichen würden, um "die Besten des Jahrhunderts" unterzubringen.“
Als fehlerhaft wurden die Begleithefte zu den Alben von Alfred Cortot und Ignacy Paderewski beurteilt. Cortos Einspielung von Schumanns Kreisleriana ist auf 1935 datiert, obwohl sie aus den 1950er-Jahren stammt. Auch seine Aufnahme von Ravels Jeux d'Eau, datiert 1923, wurde 1931 eingespielt. Die Paderewski zugewiesene Aufnahme der Liszt Etüde La Leggierezza in der Bearbeitung von Benno Moiseiwitsch stammt von Moiseiwitsch selbst in der Bearbeitung von Theodor Leschetizky.
Übersicht
Einzelnachweise
- 1 2 David Stevens: A Century of Great Pianists in 15, 000 Minutes. The New York Times, 27. April 1999, abgerufen am 1. Dezember 2018 (englisch).
- 1 2 3 4 Charles Michener: Philips’ ‘Great Pianists’ Series Is a Piano Junkie’s Dream. The Observer, 22. März 1999, abgerufen am 3. Dezember 2018 (englisch).
- 1 2 3 Bradley Bambarger: Philips survays Great Pianists of the Century with 200-CD set. Billboard, 24. Oktober 1998, abgerufen am 1. Dezember 2018. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche, englisch)
- 1 2 Roland de Beer: Toetsentimmeraars en wilde beesten. de Volkskrant, 8. Oktober 1998, abgerufen am 3. Dezember 2018 (niederländisch).
- ↑ Raymond Tuttle: Great Pianists of the 20th Century Philips Classics Great Pianists of the 20th Century Sampler. Selections from the Definitive Collection. Classical Net, 1999, abgerufen am 1. Dezember 2018 (englisch).
- ↑ Die großen Pianisten des 20. Jahrhunderts. Sonderausgabe zur Edition. Discogs, abgerufen am 1. Dezember 2018 (englisch).
- 1 2 Jed Distler: Haskil’s Genius Scarlatti/Westminster. Classics Today, abgerufen am 1. Dezember 2018 (englisch).
- ↑ Michael Kimmelman: Music; A Century of Piano That Can Last for Weeks. The New York Times, 16. Mai 1999, abgerufen am 3. Dezember 2018 (englisch): „ […] valuable trove of piano recordings […] . Has the quality of piano Performance – the level of invention, spontaneity, rhythmic suppleness and so on – declined during the century, as critics sometimes say? Has technique become an end in itself, and homogeneity replaced once distinct national styles? Is there even such a thing as a national school?“
- ↑ Roland de Beer: Toetsentimmeraars en wilde beesten. de Volkskrant, 8. Oktober 1998, abgerufen am 3. Dezember 2018 (niederländisch): „Als staaltje van diplomatenarbeid is de verzameling zeker uniek: ze komt uit de archieven van zo'n 25 verschillende maatschappijen.“
- ↑ Bradley Bambarger: Philips surveys Great Pianists of the Century with 200-CD set. Billboard, 24. Oktober 1998, abgerufen am 1. Dezember 2018. Zitat: Just with the sampler you can hear how styles change, from very free to very careful and back again and back again. (englisch)
- ↑ Michael Kimmelman: Music; A Century of Piano That Can Last for Weeks. The New York Times, 16. Mai 1999, abgerufen am 3. Dezember 2018 (englisch): „ […] who are no longer familiar enough to a general audience.“
- ↑ Charles Michener: Philips’ ‘Great Pianists’ Series Is a Piano Junkie’s Dream. The Observer, 22. März 1999, abgerufen am 3. Dezember 2018 (englisch): „ […] handful of lesser-known and forgotten pianists.“
- 1 2 Michael Kimmelman: Music; A Century of Piano That Can Last for Weeks. The New York Times, 16. Mai 1999, abgerufen am 3. Dezember 2018 (englisch).
- ↑ Roland de Beer: Toetsentimmeraars en wilde beesten. de Volkskrant, 8. Oktober 1998, abgerufen am 3. Dezember 2018 (niederländisch).
- ↑ Roland de Beer: Toetsentimmeraars en wilde beesten. de Volkskrant, 8. Oktober 1998, abgerufen am 3. Dezember 2018 (niederländisch): „Het vreemde is, hoe groter de collectie, hoe duidelijker ze maakt dat ook een ruimte van vierhonderd cd's niet genoeg zou zijn om 'het beste van de eeuw' te herbergen.“