Die Hagana, auch Haganah geschrieben, (hebräisch הַהֲגַנָּה ha-Hagannah, deutsch ‚die Verteidigung‘) war eine zionistische paramilitärische Untergrundorganisation in Palästina während des britischen Mandats (1920–1948). Unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel wurde die Hagana in die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte überführt.
Geschichte
Ursprünge
Schon im späten 19. Jahrhundert war als Reaktion auf die Pogrome 1887 in Russland eine Organisation Jugendlicher unter diesem Namen entstanden. Ein direkter Vorgänger der Hagana war die 1909 gegründete Gruppe HaSchomer. Es war eine kleine Vereinigung jüdischer Immigranten, die nie mehr als 100 Mitglieder umfasste.
Ein Teil Palästinas wurde 1917 in der Balfour-Deklaration als „nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ versprochen, wobei die Rechte bestehender dortiger nicht-jüdischer Gemeinschaften gewahrt bleiben sollten. In der Folge kam es zu massiven jüdischen Einwanderungen nach Palästina.
Gründung
Die Unruhen von April 1920 in der Jerusalemer Altstadt forderten fünf Tote, 216 Verletzte und 18 Schwerverletzte auf jüdischer Seite; vier Tote, darunter ein kleines Mädchen durch einen Querschläger, 23 Verletzte und ein Schwerverletzter auf arabischer Seite. Sieben britische Soldaten wurden in den Auseinandersetzungen verletzt. Die Unruhen von Jaffa im Mai 1921 verstärkten im Jischuw das Gefühl der Bedrohung.
Die Führung der Jewish Agency wollte sich bei der Verteidigung der Siedlungen nicht länger auf die britischen Kolonialtruppen verlassen. HaShomer reichte nicht mehr aus, weshalb man sie im Juni 1920 auflöste und unter der Führung von Elijahu Golomb die zentralisiertere Hagana gründete. Ihr erster Oberbefehlshaber wurde mit Youssef Hecht ein 28-jähriger Veteran des britischen Jewish Bataillon. Hecht war zwar der Ranghöchste, jedoch war er nach sowjetischem Organisationsvorbild von einem Rat mit fünf Vollmitgliedern und zwei Kandidaten abhängig.
Die Hagana wurde als Miliz geführt, die einen hohen Anteil der wehrfähigen jüdischen Bevölkerung erfasste. Da nur mit kleinen Einheiten geübt werden konnte, kam die Ausbildung über einen Truppführerlehrgang allerdings nicht hinaus. Während der 1920er Jahre standen nicht mehr als ein Dutzend Berufssoldaten im Dienst der Organisation, von denen sich viele ebenso als politische Aktivisten betätigten. Da der Waffenbesitz unter der Mandatsverwaltung illegal war, wurden Schusswaffen und Munition meist über das französisch kontrollierte Syrien ins Land geschmuggelt.
Während der relativ ruhigen ersten neun Jahre war die Hagana dennoch eine eher lose Organisation örtlicher Verteidigungsgruppen in größeren Orten und wenigen Siedlungen. Die Organisation unterstand der zivilen Führung der Gewerkschaft Histadrut und war ihrem starken Einfluss unterworfen.
Infolge des Massakers von Hebron und weiterer Unruhen des Jahres 1929, die zu 133 Toten auf jüdischer Seite führten, änderte sich die Rolle der Hagana dramatisch. Sie wurde zu einer wesentlich größeren Organisation und umfasste beinahe alle Jugendlichen und Erwachsenen in den ländlichen Siedlungen und hatte tausende Mitglieder in den Städten. Sie begann, ausländische Waffen zu besorgen und einfaches militärisches Gerät sowie Handgranaten herzustellen (siehe: Israel Military Industries). Gleichzeitig wandelte sie sich von einer untrainierten Miliz zu einer ernstzunehmenden paramilitärischen Vereinigung.
Aus Unzufriedenheit mit der insgesamt eher moderaten Haltung der Hagana spalteten sich 1931 die meisten Mitglieder des rechten Flügels ab und bildeten die Irgun Tzwa’i Le’umi (in Israel besser bekannt unter dem Namen Etzel). Die Untergrundorganisation Irgun und deren Abspaltung Lechi wurden durch ihre geheimen, meist terroristischen Missionen bekannt.
Arabischer Aufstand
Im April 1938 zählte die Hagana 21.000 Freiwillige, davon waren rund 4000 Frauen. Es waren fast alle Teilzeitkräfte. Während des Arabischen Aufstands der Jahre 1936 bis 1939 wurden Mitglieder der Hagana als Teile der neu gegründeten Jewish Settlement Police geduldet, einer Abteilung der Notrim. Zunächst hatte diese Einheit einen rein defensiven, auf die Sicherung jüdischer Siedlungen zielenden Charakter. Erst gegen Ende des Aufstands nahm diese Einheit eine offensivere Stellung ein. Die Erfahrung dieser Jahre erwies sich später im Palästinakrieg von 1947 bis 1949 für die jüdische Seite als nützlich.
Um den Forderungen des Arabischen Aufstands entgegenzukommen, wurde die jüdische Einwanderung nach Palästina mit dem britischen Weißbuch von 1939 eingeschränkt, worauf die Hagana Demonstrationen gegen die Briten sowie die illegale Einwanderung Alija Bet organisierte, die über Basen in der Schweiz und der Türkei operierte.
Die SS Patria, ein französisches Passagierschiff, wurde 1940 in der Bucht von Haifa von der Hagana gesprengt, um die Überführung der jüdischen Passagiere nach Mauritius zu sabotieren. Dabei starben über 250 Menschen. „Keiner der Männer, die an dem Untergang der ‚Patria‘, an diesem Verbrechen mitwirkten, ist je in Israel wegen Mord zur Verantwortung gezogen und verurteilt worden“, schreibt Rudolf Hirsch im Nachwort seines Romans Patria Israel.
Teilnahme am Zweiten Weltkrieg
Trotz des Weißbuchs von 1939, das die Einwanderungsbeschränkungen für Juden festschrieb und damit die jüdische Führung in Palästina tief verärgerte, stellte sich David Ben-Gurion als Vorsitzender der Jewish Agency nach Kriegsausbruch auf die Seite der Briten:
„Wir werden Hitler bekämpfen, als ob es kein Weißbuch gäbe, und wir werden das Weißbuch bekämpfen, als ob es keinen Krieg gäbe“
Im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs ersuchte die britische Armee die Hagana aus Angst vor einem deutschen Durchbruch in Nord-Afrika um Unterstützung. In der Folge wurden viele junge jüdische Siedler, darunter viele, die erst kurz davor aus Europa nach Palästina geflüchtet waren, Mitglieder der britischen Armee, zum Teil unter recht fragwürdigen Bedingungen, wie sich das Hagana-Mitglied Michael Evenari erinnerte:
„Da die Engländer auf den Krieg völlig unvorbereitet waren, gab es in Palästina keine englischen Flakkanonen. Unsere Kanonen waren von den Italienern erbeutete kleine Geschütze, die wir »pea shooters« nannten. Wir mußten selber herausfinden, wie sie funktionierten und für sie bessere Zielvorrichtungen erfinden. Dabei zeichnete sich Hans Jonas, ein Doktor der Philosophie und später sehr bekannter Philosophieprofessor in Nordamerika, besonders aus. Er wurde deshalb zum »armourer« befördert. Erst später bekamen wir Bofors, richtige Flakgeschütze. Wir wurden in Abteilungen von je sechs (inklusive einem Koch) mit einem Geschütz zum Flugschutz von Haifa auf dem Bahnhof, im Hafen, um die Ölraffinerie und auch am Toten Meer zum Schutz der Kali-Fabrik aufgestellt. Haifa wurde damals von italienischen, vichy-französischen und deutschen Flugzeugen angegriffen. Der Hafen wurde, soviel ich weiß, auch einmal von Schiffen attackiert. Wir traten einige Male mit unseren »pea shooters« in Aktion.“
Nachdem Rommel allerdings 1942 in El-Alamein besiegt worden war, beendeten die Briten ihre uneingeschränkte Unterstützung der Hagana. Die jüdischen Soldaten wurden mehrfach zwischen Ägypten und Haifa verlegt, bevor sie Ende 1943 nach Zypern verlegt wurden. Hier waren sie erneut zu weitgehender Tatenlosigkeit verdammt, bevor nach langen Verhandlungen (auch innerbritischen) 1944 die Jüdische Brigade innerhalb der britischen Armee gegründet wurde. Ihr Brigadeabzeichen war der Davidstern, ihre Einheit gehörte zur britischen 8. Armee. Evenari berichtet aber, dass in der Brigade auch nicht-jüdische englische Artilleristen eingesetzt werden mussten, was zu Spannungen und antisemitischen Konflikten geführt habe. Und es gab Hierarchie-Probleme: „Ich als Batterie-Sergeant-Major war die höchste Charge unter den Unteroffizieren. So viel ich weiß, war das eine ungewöhnliche Situation, denn nach den »King’s Regulations« darf nur ein Brite britische Soldaten befehligen.“
Die Jüdische Brigade bestand aus 5.000 Soldaten. Sie wurde ab September 1944 erst in Italien eingesetzt und zog dann quer durch das besiegte Deutschland bis nach Belgien. Die Auflösung erfolgte 1946.
Insgesamt dienten während des Krieges mehr als 30.000 palästinensische Juden in der britischen Armee.
Im Frühjahr 1941 gründete die Hagana die Palmach (Akronym für Plugot Machatz – Einsatztruppen), eine militärartige Einrichtung, die sich auf das Training von Jugendlichen konzentrierte. Sie war vergleichsweise klein – bis 1947 umfasste sie nur fünf Bataillone (ca. 2.000 Mann) – spielte aber eine wichtige Rolle, da ihre Mitglieder grundlegende militärische Fähigkeiten und auch Führungsfähigkeiten erhalten hatten, die sie für Führungsfunktionen in der späteren israelischen Armee qualifizierten.
1945 bis 1948
Nach dem Krieg führte die Hagana anti-britische Operationen in Palästina aus, z. B. die Befreiung internierter Immigranten aus dem Atlit Camp, Bombenanschläge auf das Eisenbahnnetz sowie Sabotageakte auf Radarstationen und Polizeistationen der Briten. Außerdem organisierte sie weiterhin die Einwanderung von Juden, wie beispielsweise die Fahrt von europäischen Überlebenden des Holocaust mit der Exodus, und weitere Formen der Beriha.
1946 wurde Jisrael Galili, der seit 1935 der Führung der Hagana angehört hatte, zu ihrem Stabschef berufen.
In der Amerikanischen Besatzungszone in Deutschland unterhielt die Hagana ab 1946 zwei illegale Militärschulen in Bayern: das Hochlandlager bei Königsdorf in Oberbayern – wo zuvor die Hitlerjugend militärisch ausgebildet worden war – und bis zum Frühjahr 1947 auch ein Ausbildungslager in Wildbad in Mittelfranken.
Am 28. Mai 1948, weniger als zwei Wochen nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai, gründete die provisorische israelische Regierung die neue israelische Armee. Zeitgleich wurden alle anderen bewaffneten Gruppen verboten. Der Irgun akzeptierte die Entscheidung nach einem kurzen Zusammenstoß zwischen Hagana und Irgun. Schließlich legte der Irgun die Waffen nieder und Menachem Begin transformierte seine Miliz in eine politische Partei, die Cherut.
Gedenkorte
Eine von dem Kibbuznik Yair Pelleg erstellte Dokumentation zur Geschichte der Hagana ist zu finden im Haus der Ghettokämpfer des Kibbuz Lochamej haGeta’ot nördlich von Haifa. In diesem von überlebenden Ghettokämpfern gegründeten Kibbuz fanden auch bis zur Gründung der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die zentralen Gedenkfeiern an die Shoa, die überlebenden Kämpfer des Warschauer Gettoaufstandes und die gefallenen Palmachniks statt.
Auf dem Tel Aviver Rothschild-Boulevard, im Haus mit der Nummer 23, dem ehemaligen Wohnhaus des Hagana-Gründers Eliyahu Golomb, befindet sich heute das Hagana-Museum. Es liegt schräg gegenüber der israelischen Independence Hall, in der am 14. Mai 1948 die israelische Unabhängigkeitserklärung erfolgte.
Siehe auch
- Bekannte Mitglieder der Hagana
Literatur
- Jim G. Tobias, Peter Zinke: Nakam – Jüdische Rache an NS-Tätern. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2000, ISBN 3-89458-194-8 (Rezension von Julia Brauch in der Süddeutschen Zeitung).
- Jim G. Tobias: Sie sind Bürger Israels: Die geheime Rekrutierung jüdischer Soldaten außerhalb von Palästina/Israel; unter besonderer Berücksichtigung der Mobilmachung im Nachkriegsdeutschland von 1946 bis 1948. Antogo-Verlag, Nürnberg 2007, ISBN 3-9806636-8-X.
- Howard Blum: Ihr Leben in meiner Hand. Die Geschichte der Jüdischen Brigade im Zweiten Weltkrieg. Econ-Verlag, München 2002, ISBN 3-430-11565-5.
- Michael Evenari: Und die Wüste trage Frucht. Ein Lebensbericht. Bleicher, Gerlingen 1990, ISBN 3-88350-230-8. Das Buch enthält eine ausführliche Darstellung von Evenaris Zeit in der britischen Armee und in der Jüdischen Brigade. Es deckt sich weitgehend mit den Erfahrungen von Erich Jehoshua Marx, die dessen Vater aus dem gemeinsamen Briefwechsel aus dieser Zeit rekonstruiert hat:
- Leopold Marx: Mein Sohn Erich Jehoshua. Sein Lebensweg aus Briefen und Tagebüchern, Bleicher, Gerlingen, 1996, ISBN 978-3-88350-730-9.
Weblinks
- The Haganah Jewish Virtual Library (englisch)
- Jewish Armed Forces in the British Mandate palestinefacts.org (englisch)
- Haganah: A History of the Jewish Underground Defense force in Palestine zionism-israel.com (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Tom Segev: Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels. Siedler Verlag, München, S. 143.
- ↑ Benny Morris: 1948. A History of the First Arab-Israeli War. New Haven 2008, S. 11.
- ↑ Martin van Crefeld: The Sword and the Olive. A Critical History of the Israeli Defence Force, New York 2002, S. 20–25.
- 1 2 3 Tom Segev: David Ben Gurion – Ein Staat um jeden Preis. Siedler Verlag (Random House), München 2018, ISBN 978-3-8275-0020-5, S. 285 (übersetzt von Ruth Achlama).
- ↑ le paquebot PATRIA des messageries maritimes. In: www.messageries-maritimes.org. Abgerufen am 5. August 2016.
- ↑ Deaths of 260 in 1940 ship explosion commemorated.
- ↑ Rudolf Hirsch: Patria Israel, S. 325, Rudolstadt 1983
- ↑ Michael Evenari: Und die Wüste trage Frucht, S. 93.
- ↑ Leopold Marx: Mein Sohn Erich Jehoshua, S. 107 ff.
- ↑ Michael Evenari: Und die Wüste trage Frucht, S. 101.
- ↑ In den Büchern von Michael Evenari und Leopold Marx finden sich ausführliche Schilderungen über den Einsatz der Jüdischen Brigade.
- ↑ Häuserkampf an der Isar: Die geheime Rekrutierung jüdischer Soldaten hagalil.com
- ↑ Geheime Militärausbildungscamps der Hagana in Bayern 1946–48 nurinst.org (Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V.). Siehe dort auch die TV-Dokumentation „Sie sind Bürger Israels“ – Die geheime Ausbildung von jüdischen Soldaten in Bayern von Jim G. Tobias und der Medienwerkstatt Franken, Juni 2003 (Video, 24:13 Min.).
- ↑ Vgl. die Buchveröffentlichung Sie sind Bürger Israels von Jim G. Tobias (2007) unter Literatur.
- ↑ Heritage Sites: The Haganah Museum. In: shimur.org. The Council for Conservation of Heritage Sites in Israel, abgerufen am 15. April 2019 (englisch).