Hinrich Wilhelm Kopf (* 6. Mai 1893 in Neuenkirchen, Hadeln; † 21. Dezember 1961 in Göttingen) war ein deutscher Politiker (SPD). Er war Ministerpräsident des 1946 gegründeten Landes Hannover und danach ab Ende des Jahres erster Niedersächsischer Ministerpräsident.

Leben

Nach dem Besuch der Volksschule seines Heimatdorfs besuchte er das Realprogymnasium in Otterndorf und wechselte dann auf die Höhere Staatsschule nach Cuxhaven. Im Alter von 16 Jahren brach er die Schule ab, um nach Amerika auszuwandern. Hier schlug er sich etwa 9 Monate in New Jersey mit Aushilfsjobs durch, kehrte dann aber nach Deutschland zurück. Er besuchte nun das Andreanum in Hildesheim, wo er das Abitur ablegte. Anschließend machte er eine Lehre in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Ab 1913 absolvierte er ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen, unterbrochen durch zweimalige Teilnahme am Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1915 sowie von 1917 bis 1918. Während seines Studiums war er Mitglied der fakultativ schlagenden schwarzen Verbindung Lunaburgia Göttingen im Miltenberger Ring. Er trat 1919 der SPD bei und war ab 1921 persönlicher Referent des Reichsministers des Innern Eduard David, anschließend Regierungsrat im preußischen bzw. thüringischen Innenministerium. Zwischen 1923 und 1928 folgte eine Tätigkeit im Bank- und Versicherungswesen. Von 1928 bis 1932 war er als erster Sozialdemokrat Landrat in seinem Heimatkreis Hadeln. Von Oktober 1932 bis 1933 war er Angestellter im Regierungsbezirk Oppeln. Nach seiner Entlassung aus dem öffentlichen Dienst infolge der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war Kopf als selbständiger Kaufmann und Landwirt tätig.

Kopf war von 1939 bis 1943 im Auftrag der NS-Regierung als Vermögensverwalter im besetzten Polen, zunächst mit einer eigenen Firma gemeinsam mit dem Juristen Edmund Bohne, später dann für die Haupttreuhandstelle Ost tätig und war „Treuhänder konfiszierter polnischer und jüdischer Güter“ und als Enteignungskommissar im Gebiet Lubliniec tätig. Dabei muss sich Kopf an der Enteignung und Aussiedlung der polnischen Bevölkerung verantwortlich beteiligt haben.

1948 versuchte die Regierung der Volksrepublik Polen, ihn für die Tätigkeiten im besetzten Polen mit einem Auslieferungsersuchen an die britische Kontrollkommission als Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Das Höhere Militärgericht in Herford lehnte diesen Antrag ab. Kopf stand seit November 1947 auf der Kriegsverbrecherliste der alliierten Kriegsverbrecherkommission. Die Streichung von der Liste der Kriegsverbrecher führte in Polen zu der Forderung, gegen ihn in Abwesenheit ein Strafverfahren durchzuführen.

1945 wurde Kopf von der Britischen Militärregierung zum Oberpräsidenten der Provinz Hannover ernannt. In der Folge war er maßgeblich an den Konzepten zur Gründung des Landes Niedersachsen beteiligt, dessen erster Ministerpräsident er am 1. November 1946 wurde. Gemeinsam mit Adolf Grimme und Fritz Sänger leitete er die Ausarbeitung der 1951 verabschiedeten niedersächsischen Landesverfassung. Auf einem Plakat der SPD aus der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde neben einem Kopf-Porträt als Slogan gezeigt: „Ich bin Sozialist, weil ich Christ bin“.

Nach seiner zweiten Amtsperiode zog sich Kopf 1955 vorübergehend aus der Politik zurück, nahm aber die Aufgabe eines Aufsichtsratsmitglieds beim Hüttenwerk Peine an. Im Jahr 1957 kehrte er als Innenminister in die Landespolitik zurück, von 1959 bis zu seinem Tode amtierte er erneut als Ministerpräsident.

Kopf wurde vielfach „der rote Welfe“ genannt, ob aufgrund freundschaftlicher Verbindungen zum Welfenhaus, ist zweifelhaft. Zur Hochzeit im Welfenhaus im Jahr 1951 wurde er nicht eingeladen. Kopf galt als volksnah, bodenständig und trinkfest. Er war Jäger. Zahlreiche Aussprüche wurden noch lange nach seinem Tod als Beleg für seine volksnahe Sprache kolportiert. Der im ehemaligen Landratsamt Otterndorf hängende plattdeutsche Spruch: „Pus’di man nich op, büst ok blot mit’n nookten Moors oppe Welt komen“ („Puste Dich mal nicht so auf, Du bist auch bloß mit einem nackten Hintern auf die Welt gekommen“), soll von ihm stammen.

Seine Grabstätte befindet sich auf dem Stadtfriedhof Stöcken in Hannover und war bis 2015 ein sogenanntes Ehrengrab der Stadt Hannover, deren Verwaltung es mit Blumen schmückte und pflegte. Im Juni 2015 wurde in den Gremien des Rates der Stadt die Aufhebung der früheren Entscheidung eingeleitet, weil Kopf „der Ehrung unwürdig“ sei.

Privatleben

Kopf war insgesamt drei Mal verheiratet. 1919 heiratete er Änne Lüssenhop. Von ihr ließ Kopf sich jedoch scheiden. Nach der Scheidung heiratete er Josefine Freiin von Behr; auch diese Ehe endete nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Scheidung. Josephine Kopf heiratete anschließend Hinrich Wilhelm Kopfs Kultusminister Adolf Grimme. Hinrich Wilhelm Kopf heiratete erneut seine erste Ehefrau.

Politische Ämter und Ehrungen

Bewertung des Verhaltens zwischen 1933 und 1945

Nach 2010 setzte eine Berichterstattung über Kopfs Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus ein, die insbesondere durch die Dissertation der Göttinger Historikerin Teresa Nentwig am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen ausgelöst wurde. Insbesondere seine Tätigkeit als sog. Vermögensverwalter im von Deutschland besetzten Polen wurde als Verstrickung in die Verbrechen der nationalsozialistischen Ausplünderung bewertet. Nach 1945 hat Kopf diese Verstrickung geleugnet. Kopf habe in der Angelegenheit „den Landtag belogen“, äußerte sich 2013 Kopfs späterer Amtsnachfolger Stephan Weil. Im niedersächsischen Landtag warfen Politiker aller Richtungen Kopf vor, zwar nicht Nationalsozialist gewesen zu sein, sich aber am Eigentum jüdischer und polnischer Mitbürger als Immobilienverwalter bei deren Enteignung bereichert zu haben. Diese neuen Erkenntnisse über Kopf beruhen zum großen Teil auf den Forschungsergebnissen in der Dissertation Teresa Nentwigs.

Nach Vorlage der neuen Forschungsergebnisse hat der Niedersächsische Landtag bei der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen ein Gutachten zur Biographie Hinrich Wilhelm Kopfs in Auftrag gegeben. Im Oktober 2013 legte sie dieses Gutachten vor, in dem sie im Wesentlichen die Forschungsergebnisse von Nentwig zusammenfasst und die zum Teil bereits in der Gründungsphase des Landes Niedersachsen gegen Kopf vorgebrachten Vorwürfe bestätigt. Die Kommission votierte mit Hinweis auf die Bedeutung Hinrich Wilhelm Kopfs im demokratischen Wiederaufbau in Niedersachsen für die Beibehaltung der Ehrungen des ersten Ministerpräsidenten durch Benennung von Schulen, öffentlichen Plätzen und Straßen. Statt einer Umbenennung schlug die Kommission vor, an einem Ort im Landtag „in geeigneter Form seine Tätigkeiten darzustellen, seine Leistungen zu würdigen und seine offensichtlichen Fehler, Versäumnisse und Vergehen während der Zeit des Nationalsozialismus offenzulegen“, wie der Kommissionsvorsitzende Thomas Vogtherr aus Anlass eines Colloquiums zur NS-Vergangenheit früherer Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft ausführte.

Am 15. September 2014 beschloss der Bezirksrat Hannover-Mitte eine Namensänderung des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platzes am Landtag in „Hannah-Arendt-Platz“. Am 2. April 2015 wurde die Umbenennung vollzogen. Ebenso wurden verschiedene andere Institutionen, beispielsweise Schulen, die bisher den Namen Hinrich Wilhelm Kopf trugen, umbenannt.

Literatur

  • Hans Jürgen Rieckenberg: Kopf, Hinrich Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 12, Duncker & Humblot, Berlin 1980, ISBN 3-428-00193-1, S. 562 f. (Digitalisat).
  • Kopf-Jäger – Der ehrliche Makler in: Der Spiegel, Nr. 5/1948 vom 31. Januar 1948, S. 3f. Digitalisat Bericht über die Vorwürfe Polens aus der Tätigkeit im besetzten Polen
  • Werner Tietje: Hinnerk Willem Kopp. Otterndorf 1966
  • Stephan A. Glienke: Die NS-Vergangenheit späterer niedersächsischer Landtagsabgeordneter. Hannover 2012, S. 172 f. (PDF; 890 kB)
  • Teresa Nentwig: Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961). Ein konservativer Sozialdemokrat (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 272). Hahn. Hannover 2013. ISBN 978-3-7752-6072-5.
  • Teresa Nentwig: Hinrich Wilhelm Kopf und sein Wirken während des „Dritten Reiches“. Nachträge zu einer Debatte. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Jg. 88 (2016), S. 227–333.
  • Dietmar von Reeken: Hinrich Wilhelm Kopf. In: Henning Steinführer u. a. (Hrsg.): Geschichte und Erinnerung in Niedersachsen und Bremen. 75 Erinnerungsorte. Wallstein Verlag, Göttingen 2021 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; 314), ISBN 978-3-8353-3872-2, S. 449–454.
Commons: Hinrich Wilhelm Kopf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Onlinefassung des Berichtes mit dem Titel Die NS-Vergangenheit späterer niedersächsischer Landtagsabgeordneter (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im November 2022. Suche in Webarchiven.)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. ( Abruf 13. August 2013), Verfasser Stephan A. Glienke. Druckfassung Hannover: Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2012.
  2. 1 2 3 Der Spiegel, Nr. 5/1948 vom 31. Januar 1948, S. 3 Digitalisat, abgerufen am 13. Juni 2015
  3. Hinrich Wilhelm Kopf war in Nazi-Verbrechen verstrickt. In: Süddeutsche.de, 11. Juli 2013
  4. Niedersachsen Galerie der Persönlichkeiten
  5. Der Spiegel, Nr. 18/1948 vom 1. Mai 1948, S. 17 Digitalisat, abgerufen am 13. Juni 2015
  6. Der Spiegel, Nr. 15 vom 12. April 1947, S. 1 Digitalisat, abgerufen am 13. Juni 2015
  7. ZEIT vom 11. März 1954
  8. Der Spiegel, Nr. 37/1951 vom 12. September 1951, S. 8 Digitalisat, abgerufen am 13. Juni 2015
  9. Der Spiegel, Nr. 4/1953 vom 21. Januar 1953, S. 25 Digitalisat, abgerufen am 13. Juni 2015
  10. Hannoversche Allgemeine Zeitung, Ausgabe Stadt Hannover, vom 13. Juni 2015, S. 15
  11. Lastenausgleichsanträge von H.W. Kopf, Aenne Kopf geb. Lüssenhop und Josefine Grimm (Kopfs 2. Ehefrau). In: arcinsys.niedersachsen.de. Niedersächsisches Landesarchiv, abgerufen am 13. Juli 2022.
  12. Landrat müsste man sein. In: Der Spiegel. 19. April 1955, abgerufen am 13. Juli 2022.
  13. https://www.mi.niedersachsen.de/minister/ehemalige_minister/hinrich-wilhelm-kopf-60407.html
  14. Marco Hadem: Nazi-Schatten über Niedersachsen. Der erste Ministerpräsident des Landes war vor 1945 am Raub jüdischen Eigentums beteiligt / „Den Landtag belogen“, Frankfurter Rundschau, 13. Juli 2013, S. 4
  15. Robert von Lucius: Eine schlechte Adresse, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 301 vom 28. Dezember 2013, S. 5
  16. Teresa Nentwig: Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961). Ein konservativer Sozialdemokrat (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 272). Hahn. Hannover 2013. ISBN 978-377-52607-2-5. 2012 als Dissertation veröffentlicht. – Die Bewertung der Haltung Kopfs in der NS-Zeit durch Teresa Nentwig ist nicht unwidersprochen geblieben, vgl. die kritische Rezension von Karl-Ludwig Sommer in: Bremisches Jahrbuch Band 94, 2015, S. 286–288.
  17. Klaus Wallbaum: Hinrich Wilhelm Kopf ist kein Vorbild mehr. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung 19. November 2013
  18. Klaus Wallbaum: CDU will „Platz der Niedersachsen“. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung 22. November 2013
  19. Erster Landesvater gilt als belastet. In: Weser-Kurier 20. November 2013
  20. Thomas Vogtherr: Die NS-Vergangenheit von Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf und späteren Landtagsabgeordneten. In: Die NS-Vergangenheit früherer Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft. Hrsg. von der Bremischen Bürgerschaft. Bremen 2014, S. 140–147, hier S. 144.
  21. Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz wird zu Arendt-Platz In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 15. September 2014
  22. Dieser Platz ist nun sehr angemessen In: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2. April 2015
  23. Hannoversche Allgemeine Zeitung, Stadt-Anzeiger Ost, vom 17. September 2015, S. 2
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