Ismail Haniyya (arabisch إسماعيل هنية, DMG Ismāʿīl Haniyya oder إسماعيل عبد السلام أحمد هنية, DMG Ismāʿīl ʿAbd as-Salām Aḥmad Haniyya [oder Hanīya], oft auch als Ismail Haniyeh, Ismail Hanija oder Isma’il Haniya; * 29. Januar 1963 im Flüchtlingslager Asch-Schati im Gazastreifen) war von März 2006 bis Juni 2007 Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiegebiete. Er zählt zu den so genannten Top Five der politischen Führer der palästinensischen Hamas. Seit 2017 ist er Chef der Hamas. Am 1. August 2021 wurde er vom Schura-Rat für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. 2018 verließ er den Gazastreifen und hält sich seitdem in der Türkei, wo er sich am 26. Juli 2023 mit Erdoğan und Abbas traf, und Katar auf.
Leben
Seine Eltern mussten während des Palästinakriegs 1948 in das Flüchtlingslager asch-Schati bei Gaza-Stadt fliehen, wo er aufwuchs und bis zu seiner Ausreise 2018 lebte. Haniyya besuchte eine Schule der Vereinten Nationen in Gaza und studierte bis 1987 an der Islamischen Universität Gaza arabische Literatur. Dort kam er in Kontakt mit radikalen Unabhängigkeitsbewegungen.
1987 und 1988 wurde er jeweils wegen der Teilnahme an der ersten Intifada zu kürzeren Haftstrafen verurteilt. 1989 wurde Haniyya schließlich zu drei Jahren Haft verurteilt und 1992 zusammen mit anderen führenden Hamas-Mitgliedern wie Abd al-Aziz ar-Rantisi und Mahmud az-Zahar in den Südlibanon deportiert.
Nach seiner Rückkehr 1993 wurde er zum Dekan der Philosophischen Fakultät der Islamischen Universität ernannt. 1997 wurde er Bürochef Scheich Ahmad Yasins, des geistigen Führers der Hamas, und Verbindungsmann der Hamas zur palästinensischen Autonomiebehörde. Im März 2004 überlebte er die Tötung Yasins durch die israelische Armee. Nachdem im folgenden Monat auch Yasins Nachfolger ar-Rantisi liquidiert wurde, beschloss die Hamas, den Namen ihres neuen Führers in Gaza geheim zu halten. Palästinensische Quellen sprechen aber davon, dass Haniyya zusammen mit az-Zahar und Sayyid as-Sayyam eine Dreierspitze bildet. Bei den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten 2006 war er Spitzenkandidat der Hamasliste.
Haniyya gilt als relativ pragmatische Figur innerhalb der Hamas. So war er schon früh bestrebt, die Hamas in die palästinensische Befreiungsorganisation PLO einzubinden. Er bemüht sich nachhaltig um eine Koalitionsregierung mit der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Abbas. Am Abend des 21. Februar 2006 wurde Haniyya von Präsident Abbas auf Vorschlag der Hamas zum neuen Ministerpräsidenten der Palästinensergebiete ernannt. Nach ungesicherten Berichten soll Haniyya von Abbas ein Schreiben erhalten haben, in dem die neue hamasgeführte Regierung aufgefordert wird, sämtliche mit Israel getroffenen Friedensverträge und Absprachen einzuhalten.
Daraufhin erklärte Haniyya seine grundsätzliche Bereitschaft zur Anerkennung Israels für den Fall, dass Israel sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht. Außerdem solle das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge festgeschrieben werden. Nach heftigen Protesten innerhalb der Hamas relativierte Haniyya seine Äußerungen und sprach anstatt einer Friedenslösung nur noch von einem dauerhaften Waffenstillstand. Am 29. März 2006 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt und stellte seine Regierung vor.
Als Anfang Juni 2006 die Hamas die Waffenruhe aufkündigte und Raketen auf israelischem Territorium einschlugen, wurde von Zachi Ha-Negbi, dem Vorsitzenden des Außen- und Verteidigungsausschusses der Knesset, Haniyyas „Eliminierung“ angedroht: Falls die Hamas wieder Selbstmordattentate in Israel begehe, sei der Regierungschef vogelfrei.
Um den internationalen Boykott der Hamas-Regierung und das damit verbundene Finanzembargo des Westens zu beenden, verhandelten Hamas und Fatah seit dem Herbst 2006 über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Haniyya erklärte daraufhin seine Bereitschaft zum Rücktritt, falls durch diesen eine Aufhebung der Sanktionen erreicht werden könnte. Als sein Nachfolger war Muhammad Schabir im Gespräch. Haniyya blieb jedoch bis zum 15. Juni 2007 im Amt. An diesem Tag wurde er von Präsident Mahmud Abbas entlassen, weil dieser in Ministerpräsident Haniyya den Hauptschuldigen für den Bürgerkrieg zwischen der Hamas und der Fatah sah. Abbas ernannte den bisherigen Finanzminister Salam Fayyad zum Ministerpräsidenten einer Notstands-Regierung.
Im Vergleich zu den anderen Führern der Hamas wird Haniyya dem eher gemäßigten Flügel zugeordnet. Er soll keine Verbindung zu den Militanten haben. Haniyya gilt als der Mann, der die Hamas führen könnte, falls der radikale und militante Flügel die Macht verlieren sollte.
Im August 2009 äußerte sich Haniyya kompromisslos hinsichtlich der Anerkennung Israels: „Hamas will never recognize the Zionist entity … and [will] continue the resistance until liberating the land and the holy sites“ („Hamas wird das zionistische Gebilde niemals anerkennen … und [wird] den Widerstand fortsetzen, um das Land und die Heiligen Stätten zu befreien“). Dagegen erklärte er im Dezember 2010 im Namen der Hamas, dass seine Organisation einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptieren würde. Zudem würde sie ein Referendum über ein Friedensabkommen respektieren, sofern die Mehrheit aller Palästinenser dafür stimme.
Anfang Mai 2011 unterschrieb Haniyya gemeinsam mit Mahmud Abbas (Fatah) zur Überraschung vieler ein Versöhnungsabkommen, das eineinhalb Jahre zuvor die ägyptische Führung in Auftrag der Arabischen Liga aufgesetzt hatte. Vor allem die Hamas hatte sich gegen eine Unterzeichnung gewehrt. Beide Fraktionen planen vor der Parlamentswahl 2012 eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden. Palästinensische Politikexperten führten diesen Schritt auf die arabischen Aufstände seit Beginn des Jahres 2011 zurück.
Am 11. Februar 2012 nahm Haniyya an den Feiern zum 33. Jahrestag der Islamischen Revolution in Teheran teil.
Die enge Kooperation Ismail Haniyya mit Recep Tayyip Erdoğan wurde erstmals 2012 in den Medien thematisiert.
Im Mai 2017 wählte die Schura Haniyya, bisher Stellvertreter des Hamas-Politbüro-Vorsitzenden Chalid Maschal, zum neuen Vorsitzenden ihres politischen Büros.
Im Dezember 2017 rief Haniyya als Reaktion der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch US-Präsident Donald Trump zu einer dritten Intifada auf.
Im Januar 2018 setzten die Vereinigten Staaten Haniyya auf ihre Liste globaler Terroristen.
Haniyya ist verheiratet und hat dreizehn Kinder.
Literatur
- Wir wollen Ruhe und Stabilität. In: Der Spiegel. Nr. 24, 2006 (online – Interview mit Ismail Haniyeh).
- Ismail Hanija, in: Internationales Biographisches Archiv 37/2012 vom 11. September 2012, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Weblinks
- Profile: Ismail Haniya, Hamas' political chief aljazeera.com, 9. Mai 2017 (englisch)
- Profile: Hamas PM Ismail Haniya BBC News, 14. Dezember 2006 (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Bundesministerium des Innern und für Heimat [Hrsg.]: Verfassungsschutzbericht 2022, S. 221. 2. August 2023, abgerufen am 15. Oktober 2015.
- ↑ „Du wirst verrecken“: Türkischer Vize-Minister hetzt gegen Netanjahu – Erdogan sucht Deal mit Hamas. Frankfurter Rundschau, 12. Oktober 2023, abgerufen am 12. Oktober 2023.
- ↑ Gazastreifen: Hamas bestätigt ihren Chef Hanija im Amt, RedaktionsNetzwerk Deutschland 2. August 2021
- ↑ Haniyeh re-elected as chief of Palestinian Islamist group Hamas, von Nidal Al-mughrabi, Reuters 1. August 2021
- ↑ Nahost: Israel droht Hanija mit Ermordung, Focus, 12. Juni 2006.
- ↑ „Haniyya: 'Hamas will never recognize the Zionist entity'“, International Middle East Media Center, 14. Aug. 2009
- ↑ Sanfte Töne aus dem Gazastreifen. Der Hamasführer Ismael Hanija gibt sich kompromissbereit – Israel und die Fatah sind dennoch skeptisch, Frankfurter Rundschau, 2. Dezember 2010.
- ↑ vgl. Palästinenser besiegeln Aussöhnung: Das Ende von "vier schwarzen Jahren" (Memento vom 7. Mai 2011 im Internet Archive) bei tagesschau.de, 4. Mai 2011 (aufgerufen am 4. Mai 2011).
- ↑ n24.de (Memento vom 12. Februar 2012 im Internet Archive)
- ↑ Türkische Nahost-Politik Warum Erdogan die Hamas hofiert von Christoph Sydow, Der Spiegel 4. Januar 2012
- ↑ Palästinensische Partei im syrischen Exil: Hamas sucht ein neues Zuhause von Susanne Knaul, taz 5. Februar 2012
- ↑ Hamas Schmerzhafte Häutungen, von Hans-Christian Rößler, FAZ 21. Februar 2012
- ↑ Katar, die Hamas und der neue Nahe Osten, von Kersten Knipp Deutsche Welle 24. Oktober 2012
- ↑ Die Palästinenser und Trump Hamas ruft wegen Trumps Israel-Entscheidung zu "neuer Intifada" auf Deutsche Welle 7. Dezember 2017
- ↑ Handelsblatt. Abgerufen am 15. Oktober 2023.