Gazastreifen | |
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Basisdaten | |
Staat | Staat Palästina |
Fläche | 360 km² |
Einwohner | 1.918.221 (Schätzung Juli 2020) |
Dichte | 5328 Einwohner pro km² |
ISO 3166-2 | PS |
Der Gazastreifen, seltener auch Gasastreifen (arabisch قطاع غزّة, DMG Qiṭāʿ Ġazza, hebräisch רְצוּעַת עַזָּה Rətzūʿat ʿAsah), ist ein Küstengebiet am östlichen Mittelmeer zwischen Israel und Ägypten mit Gaza-Stadt als Zentrum. Den Namen „Gazastreifen“ und seine geografische Form erhielt er nach dem Ersten Arabisch-Israelischen Krieg (1948/49), als Israel und das Königreich Ägypten ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichneten. Er ist Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete und steht im Inneren formal unter Verwaltung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seit 2007 wird der Gazastreifen durch die Hamas kontrolliert, die von Israel und zahlreichen westlich orientierten Staaten als terroristische Vereinigung betrachtet wird. Israel kontrolliert die Außengrenzen auf der nördlichen und der östlichen Landseite, der westlichen Seeseite sowie indirekt den Personenverkehr über Videoschaltung auf der Südseite (in Zusammenarbeit mit Ägypten und der Europäischen Union). Auch in der Wasser- und Stromversorgung sowie der Telekommunikation ist der Gazastreifen von ausländischer Hilfe sowie von der Autonomiebehörde abhängig. Mehr als die Hälfte der Einwohner Gazas sind Flüchtlinge.
Geographie
Der Gazastreifen besteht, wie die Mittelmeerküste von Israel, hauptsächlich aus Sand und Dünen. Lediglich 14 % der Fläche sind für die Landwirtschaft nutzbar. Seine Länge beträgt 40 km, die Breite zwischen 6 und 14 km und die Fläche 360 km². Die mit 105 m über dem Meer höchste Erhebung ist der Abu Auda. Im jährlichen Durchschnitt regnet es zwischen 150 und 450 mm. Vor der Küste des Gazastreifens im Mittelmeer gibt es bedeutende Erdgasvorkommen. Im Süden grenzt der Streifen an den ägyptischen Sinai, im Norden und im Osten an Israel. Das Mittelmeer im Westen wird von Israel kontrolliert. Die Landgrenze wird von einer Sperranlage in Form eines Zaunes gebildet.
Im Gazastreifen liegen folgende Städte: Gaza-Stadt, Chan Yunis, Dair al-Balah, Rafah, Bait Lahiya und Dschabaliya. Bis zur Räumung der jüdischen Siedlungen (siehe unten) im August 2005 lebten im Gazastreifen etwa 8500 Israelis in 21 jüdischen Siedlungen innerhalb der jüdischen Enklaven.
Geschichte
Von der Antike bis zur Gründung des Staates Israel
Gaza war in der frühen Antike ein bedeutendes Handelszentrum an der Schnittstelle von Afrika, Asien und Europa. Die Philister hatten das Gebiet im 12. Jahrhundert v. Chr. im Zuge des sogenannten Seevölkersturms von Ägypten übernommen und bauten es zum Kern ihres Siedlungsgebietes aus. Ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. wechselte in kurzer Folge die Herrschaft verschiedener Reiche aus Ägypten oder Syrien/Mesopotamien über das Gebiet (Ägypten, Assyrisches Reich, Neubabylonisches Reich). Das Perserreich beherrschte das Gebiet ab dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. Alexander der Große eroberte die sich ihm heftig widersetzende Stadt 332 v. Chr. nach dreimonatiger Belagerung. Überlebende Männer, Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei verkauft. Alexanders Nachfolgedynastien der Ptolemäer (von Ägypten aus) und der Seleukiden (von Syrien aus) beherrschten das Gebiet bis zur Eroberung durch die Römer im 1. Jahrhundert v. Chr. Die Römer bauten die Stadt Gaza wieder auf und verhalfen ihr zu neuer Blüte. Unter anderem verlief auch die schon in der vorrömischen Zeit wichtige und von den Römern ausgebaute antike Handelsstraße Via Maris durch Palästina. Die Araber eroberten das Gebiet nach dem Sieg über die Byzantiner am Jarmuk im Jahr 636. Nachdem im 11. Jahrhundert vorübergehend Kreuzfahrer das Gebiet erobert hatten, kam es im 12. Jahrhundert unter ägyptisch-mamelukkische Herrschaft. Nach der Niederlage gegen die Osmanen im Jahr 1517 geriet das ägyptische Mamelukkenreich unter osmanische Herrschaft.
Im Frühjahr 1917 wurden die Einwohner der Stadt Gaza durch die Armeeleitung der osmanischen Truppen in das Hinterland evakuiert, so zum Beispiel nach Hebron, Jaffa und Jerusalem. Ein Teil der Evakuierten wurde mit der Eisenbahn bis nach Homs und Aleppo im heutigen Syrien verbracht. Seit März 1917 wurde um Gaza-Stadt heftig gekämpft und die Stadt bis zur Eroberung durch Truppen des britischen Empire am 7. November 1917 sowohl durch Artillerie als auch durch Bomben aus der Luft in ein Trümmerfeld verwandelt. Seit der osmanischen Niederlage im Ersten Weltkrieg gehörte das Gebiet zum britischen Völkerbundsmandat für Palästina. Die meisten jüdischen Familien wurden 1929 während antijüdischer Ausschreitungen aus dem Gazastreifen vertrieben.
1948–1967
In der Zeit nach der Gründung des Staates Israel 1948 bis zum Sechstagekrieg 1967 wurde der Gazastreifen vom Königreich Ägypten bzw. Ägypten verwaltet, jedoch nicht annektiert. Im Gegensatz zu den Palästinensern des damals von Jordanien besetzten Westjordanlandes erhielten die Bewohner des Gazastreifens keine staatsbürgerlichen Rechte von Ägypten und blieben somit staatenlos. 1956 wurde der Gazastreifen im Sinaifeldzug (Suezkrise) von Israel vorübergehend militärisch besetzt (Militärgouverneur war General Matti Peled, später Professor für Arabistik in Tel Aviv und ein erbitterter Gegner der jüdischen Kolonisation der besetzten Gebiete), fiel jedoch aufgrund internationalen Drucks wieder an Ägypten.
In der Folge waren Blauhelm-Truppen im Rahmen der UNEF-Mission im Gazastreifen stationiert, was zu einer nachhaltigen Beruhigung der Grenzkonflikte zwischen Israel und Ägypten führte. Im Zusammenhang mit der ägyptischen Mobilisierung im Vorfeld des Sechstagekriegs wurden die UNEF-Soldaten auf Anweisung General Nassers am 19. Mai 1967 abgezogen. Unmittelbar danach begannen Feuerwechsel zwischen israelischen Grenzpatrouillen und arabischen Kämpfern sowie intensive Attacken der Palästinensischen Befreiungsarmee vom Gazastreifen aus gegen israelische Zivilisten.
1967–2004
Im Rahmen des Sechstagekriegs 1967 wurde der Gazastreifen von Israel besetzt. Während die gleichzeitig besetzte Sinai-Halbinsel von der israelischen Armee nach den Camp-David-Gesprächen 1978 und der Unterzeichnung des Israelisch-ägyptischen Friedensvertrages 1979 stufenweise bis 1982 geräumt wurde, blieb der Gazastreifen bis 2005 besetzt. Die israelische Regierung genehmigte den Bau jüdischer Siedlungen im Gazastreifen. 8000 Siedler lebten auf 40 % des Gazastreifens in dem als Gusch Katif bezeichneten Siedlungsblock im südlichen Gazastreifen. Diese Siedlungen waren für die arabischen Bewohner des Gazastreifens nicht zugänglich und schnitten sie von Stränden und Feldern ab. Zu diesem Zweck wurde ein eigenes Straßensystem für Siedler, getrennt vom palästinensischen, errichtet. Über dieses konnten die Siedlungen leidlich sicher von Israel aus erreicht werden. Im Dezember 1987 nahm die Erste Intifada ihren Anfang in den Protestaktionen im Gazastreifen. Seit dem Gaza-Jericho-Abkommen (auch Kairoer Abkommen genannt) 1994 stand der Gazastreifen überwiegend unter der Selbstverwaltung der Palästinenser (Palästinensische Autonomiegebiete). Zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern kam es seit der Ausrufung der Zweiten Intifada immer wieder zu blutigen Kämpfen; der Gazastreifen bildete weiterhin eine Hochburg für den arabisch-islamischen Fundamentalismus der Hamas. Gegen sie arbeitete Mohammed Dahlan, der in diesen Jahren Sicherheitschef für Gaza war und seine Macht in sämtlichen Bereichen derart ausübte, dass man schon von „Dahlanistan“ sprach. Selbst Korruptionsfälle konnten die USA und Europa nicht davon abhalten, Dahlan zu fördern.
2005
Nach langen innenpolitischen Auseinandersetzungen setzte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon 2005 den Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen durch – verbunden mit dem Abbau aller israelischen Siedlungen. Bei der Abstimmung in der Knesset hatten sich 60 Abgeordnete für und 47 gegen den Abzug ausgesprochen. Diese Mehrheit erhielt Scharon nur aufgrund von Stimmen der Opposition (u. a. der Arbeitspartei), da seine Partei in der Frage des Rückzugs gespalten war und daher einige Abgeordnete gegen ihn stimmten. Trotz heftiger gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen im Vorfeld leitete Israel am 15. August 2005 schließlich den Abzug aus dem Gazastreifen mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot für israelische Zivilisten ein. Den Siedlern der 21 im Gazastreifen befindlichen israelischen Siedlungen wurde zunächst eine Frist von 48 Stunden gegeben, um das Gebiet zu verlassen. Danach begann die zwangsweise Räumung des Gebietes durch das israelische Militär. Innerhalb weniger Tage wurden die Siedlungen im Gazastreifen geräumt; nach Abriss der Häuser wurden die bisherigen israelischen Siedlungsgebiete an die Palästinenser übergeben. Am Morgen des 12. September 2005 verließ der letzte israelische Militärkonvoi den Gazastreifen über den Grenzübergang Kissufim. Damit endete nach 38 Jahren die Präsenz der Israelis im Gazastreifen, während die Grenzen bis auf die zu Ägypten nach wie vor unter israelischer Kontrolle verblieben. Der Abzug wurde von den Palästinensern teils frenetisch mit Freudenschüssen und Autokorsos gefeiert. Allerdings kam es auch zu Zwischenfällen. So steckten Palästinenser in mehreren früheren israelischen Siedlungen die Synagogen der Siedler in Brand, die als einzige Gebäude unzerstört zurückgelassen wurden. Es folgten heftige innerarabische Kampfhandlungen vereinzelter arabischer Klans und der Bewegungen Hamas und Fatah untereinander. Der Kampf um die von den Israelis freigegebenen Gebiete wurde blutig ausgetragen, viele Hundert arabische Zivilisten starben. Zugleich nahmen die Anschläge auf israelisches Territorium zu, vermehrt wurden Raketen und Anschläge registriert. Der Aufbau der arabischen Infrastruktur lahmte weiterhin.
Israels Premier Ariel Scharon wies am 25. Dezember 2005 die Streitkräfte an, Raketenangriffe militanter Palästinenser vom Gazastreifen aus auf israelische Städte zu unterbinden. Dazu sollte eine 2,5 Kilometer breite Sperrzone im nördlichen Gazastreifen eingerichtet werden. Diese durfte von Palästinensern nicht betreten werden. Am 27. Dezember 2005 forderte die israelische Armee die palästinensischen Bewohner der „Sicherheitszone“ durch Flugblätter und Lautsprecherdurchsagen auf, diese zu verlassen.
Während die Wohnhäuser der jüdischen Siedlungen im Gusch Katif vor dem Abzug abgerissen worden waren, hatte eine amerikanische Stiftung die Gewächshäuser für insgesamt 15 Millionen Dollar gekauft. Sie wollte damit den Palästinensern, die nach Schließung der Grenzen nicht mehr zum Arbeiten nach Israel pendeln konnten, eine ökonomische Grundlage verschaffen. Das Geld war durch Spenden zusammengekommen, Weltbank-Chef James Wolfensohn hatte allein eine halbe Million Dollar beigetragen. Die Gewächshäuser wurden allerdings kurz nach Abzug der israelischen Armee geplündert und seitdem nicht wieder aufgebaut.
2006–2007
Im Januar 2006 gewann die Hamas bei den Parlamentswahlen der Palästinensischen Autonomiegebiete mit 76 von 132 Sitzen die absolute Mehrheit. Aufgrund anschließender internationaler Isolation, die neben einem Stopp der Finanzhilfen der USA und der EU an die Autonomiebehörde auch Einbehaltung von palästinensischen Steuereinnahmen durch Israel beinhaltete, war die Hamas jedoch gezwungen, im September 2006 in eine Regierung der Nationalen Einheit mit der verfeindeten Fatah einzuwilligen. Die Spannungen zwischen der islamistischen Hamas und der religiös gemäßigteren, aber mit Korruptionsvorwürfen belasteten Fatah hielten jedoch an und erreichten im Juni 2007 einen neuen Höhepunkt. Im Kampf um Gaza gelang es der Hamas, die Fatah aus dem Gazastreifen zu vertreiben. Präsident Mahmud Abbas setzte am 17. Juni 2007 eine neue Regierung unter Salam Fayyad ein. Dabei wurde er von den USA, der EU, aber auch von der Arabischen Liga unterstützt. Die Hamas lehnte die neue Regierung ab. Sie erhob für sich den alleinigen Machtanspruch und regiert seitdem faktisch den Gazastreifen. Die Politik der Hamas gegenüber der Zivilbevölkerung ist dabei von Willkür und Gewalt gekennzeichnet. So kritisiert Amnesty International willkürliche Verhaftungen, Folter und Erschießungen. In der internationalen Presse wurde der Gazastreifen daher teilweise spöttisch mit dem politischen Schlagwort „Hamastan“ bezeichnet.
Am 19. September 2007 erklärte die israelische Regierung den Gazastreifen zum „feindlichen Gebiet“, um „so den Druck auf die Hamas [zu] erhöhen, damit diese die inzwischen fast täglichen Raketenangriffe aus dem palästinensischen Autonomiegebiet unterbindet“. Daher sollte unter anderem die Versorgung des Gazastreifens mit Elektrizität eingeschränkt werden. Ziel dieser Maßnahmen sei die Schwächung der Hamas. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen forderte daraufhin Israel auf, den Beschluss zu überdenken. Israel habe Verpflichtungen gegenüber der Zivilbevölkerung und dürfe nicht Menschenrechte missachten.
2008–2009
Als Reaktion auf die Raketenangriffe auf die israelische Stadt Sderot mit Kassam-Raketen durch die Hamas aus dem nördlichen Gazastreifen sperrte Israel zunächst am 18. Januar 2008 die Grenzübergänge zum Gazastreifen und stellte die Treibstofflieferungen ein. Nachdem das einzige Ölkraftwerk bei Gaza-Stadt seine Stromproduktion am Sonntag, dem 20. Januar 2008, hatte einstellen müssen, kam es zunächst zu einem großen Stromausfall im Gazastreifen. Israel und die Hamas-Regierung unter Ismail Haniyya machten sich gegenseitig für den Stromausfall verantwortlich. Die israelische Regierung kündigte kurz darauf eine Öffnung der Grenzen und Wiederaufnahme der Hilfslieferungen in den Gazastreifen an. Auch die Stromlieferungen, die 70 % des Strombedarfes ausmachen, sollten wieder aufgenommen werden.
Am 23. Januar 2008 sprengten Kämpfer einen mehrere hundert Meter langen Teil der Grenzmauer zu Ägypten, worauf viele tausend Palästinenser über die Grenze in die ägyptische Provinz Schimal Sina strömten. In Israel wurden Stimmen laut, die Verantwortung für die Versorgung der 1,5 Millionen Bewohner des Gazastreifens wieder – wie es bis 1967 der Fall war – Ägypten zu übertragen. Auch Ägypten ergriff entlang der Grenze zu Gaza ähnliche Schritte wie Israel und begann Anfang 2008 mit der Errichtung einer drei Meter hohen Sperrmauer, die – nach der Sprengung der Grenzbarrieren durch die Hamas – zumindest auf einer Teilstrecke des Grenzverlaufs die bisherigen Stacheldrahtsperranlagen ersetzen soll. Am 19. Juni 2008 trat eine von Ägypten ausgehandelte sechsmonatige Waffenruhe in Kraft. Die Hamas verpflichtete sich, ihre Raketenangriffe auf israelische Gebiete zu beenden; im Gegenzug lockerte Israel schrittweise seine Blockade des Gazastreifens. Damit war es zum ersten Mal seit langer Zeit wieder möglich, die 1,5 Millionen im Gazastreifen lebenden Palästinenser unbeschränkt mit Nahrungsmitteln, Baustoffen, Treibstoff und Konsumgütern zu versorgen. Im Juli 2008 erschütterten mehrere Bombenanschläge und Selbstmordattentate den Gazastreifen. Die Hamas machte dafür die mit ihr rivalisierende Palästinensergruppe Fatah verantwortlich. Bei Razzien wurden über 100 Mitglieder der Fatah festgenommen. Auch die Raketen- und Mörserangriffe auf israelische Siedlungen wurden fortgeführt und von der Hamas nicht unterbunden. Während der verabredeten Waffenruhe wurden insgesamt mindestens 239 Raketen- und 185 Granatenangriffe gezählt, allein am 17. Dezember erfolgten 24 Angriffe. Abwehrmaßnahmen der Israelischen Streitkräfte gegen Raketenschützen wurden von der Hamas als Verletzung der vereinbarten Waffenruhe und Provokation bezeichnet.
Seit einigen Jahren kommt es im Gazastreifen auch wiederholt zu Bombenanschlägen islamistischer Extremisten auf die Einrichtungen der christlichen Minderheit unter den Palästinensern; dabei wurden u. a. eine Bibliothek sowie Geschäfte und Internetcafés zerstört.
Am 27. Dezember 2008 begann die israelische Armee als Reaktion auf den fortwährenden Raketenbeschuss Israels durch die Hamas die sogenannte Operation Gegossenes Blei. Begleitet wurde diese militärische Aktion von Bombenangriffen auf Gebäude, in denen Angehörige der Hamas vermutet wurden. Dabei kamen mehrere hundert Zivilisten ums Leben, mehrere Tausend wurden während der Luftangriffe verletzt, sodass Krankenhäuser überfüllt waren und die medizinische Versorgung erschwert wurde. Die Operation wurde durch einseitige Waffenstillstandserklärungen durch Israel vom 17. Januar 2009 für zehn Tage und von der Hamas vom 18. Januar 2009 für sieben Tage vorläufig beendet. Israel zog seine letzten Truppen am 21. Januar 2009 ab. Frankreich verlagerte zur Sicherung des Waffenstillstandes und zur Verhinderung von neuem Waffenschmuggel vom Meer aus die Fregatte Germinal in die Küstenregion. Gleichzeitig forderte es die schnelle Öffnung des Grenzübergangs Rafah.
Am 27. Januar 2009 um 8:00 Uhr Ortszeit wurde in der Nähe des Grenzüberganges Kissufim von militanten Palästinensern ein Sprengsatz gezündet, als ein israelisches Patrouillenfahrzeug passierte. Dabei wurden ein israelischer Unteroffizier getötet und drei Soldaten teilweise schwer verletzt. Kurz nach diesem Angriff kündigte Ministerpräsident Ehud Olmert harte Reaktionen auf den Vorfall an. Am Nachmittag rückten Panzer und Planierraupen östlich von Chan Junis in den Gazastreifen ein. Dabei wurde ein palästinensischer Landwirt getötet. Die Luftwaffe habe eine Rakete auf ein fahrendes Motorrad abgefeuert und dabei ein Hamas-Mitglied und seinen Beifahrer schwer verletzt. Die israelische Luftwaffe flog mehrere Luftangriffe auf die rund 1.500 Tunnelanlagen an der Grenze zu Ägypten. Am 15. August 2009 rief Abdel-Latif Mussa, der Führer der al-Qaida nahestehenden Splittergruppe Dschund Ansar Allah, in Rafah ein „Islamisches Emirat“ aus. Bereits zuvor hatte die Gruppe der Hamas Nachgiebigkeit im Bezug auf die Durchsetzung der Scharia-Vorschriften vorgeworfen. Im Anschluss daran kam es zu einem mehrstündigen Feuergefecht zwischen Angehörigen dieser Gruppierung und Einheiten der Kassam-Brigaden, in dessen Verlauf Mussa sowie 27 weitere Personen, darunter nach amtlichen Angaben sechs Polizisten und zwei unbeteiligte Zivilisten, getötet wurden. Unter den Toten war auch ein Unterhändler der Hamas, Abu Dschibril Schemali; dieser wurde von Israel als einer der Organisatoren der Gefangennahme und Verschleppung Gilad Schalits verantwortlich gemacht, die zur Operation Sommerregen führte.
2010–2013
Am 31. Mai 2010 kam es zu einem Zwischenfall vor der Küste Gazas. Das israelische Militär enterte sechs mit Hilfsgütern für den Gazastreifen beladene Schiffe, die die Blockade durchbrechen wollten. Beim Entern der Mavi Marmara wurden nach Berichten mindestens neun Menschen getötet und über vierzig verletzt. Viele Staaten verurteilten den Angriff und kritisierten zugleich die seit drei Jahren andauernde Blockade des Gazastreifens. US-Außenministerin Hillary Clinton etwa bezeichnete die Situation in Gaza als „unhaltbar und inakzeptabel“. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte, dass Israel die Blockade sofort aufheben müsse.
Zweieinhalb Wochen nach dem „Ship-to-Gaza“-Zwischenfall beschloss das israelische Sicherheitskabinett am 20. Juni 2010 eine Lockerung der Blockade des Gazastreifens. Güter zur zivilen Nutzung sowie Materialien für zivile Bauprojekte unter internationaler Aufsicht sollen ohne Einschränkungen in den Gazastreifen eingeführt werden können. Diese Einfuhr könne aber nur über den Landweg erfolgen, die israelische Regierung werde auch weiterhin an der Seeblockade festhalten. Statt der Liste mit den erlaubten Produkten gibt es seitdem eine Liste mit verbotenen Materialien, meist Gegenstände, die auch als Waffen benutzt werden können.
Im November 2010 forderten Hilfsorganisationen wie Amnesty International und medico international mit einem Appell an die internationale Gemeinschaft das sofortige Ende der Gaza-Blockade. Sie klagten an, dass das Verbot von Exporten aus dem Gazastreifen nicht aufgehoben wurde und dass es vor allem an Material für den Wiederaufbau fehle. Zudem sei die Bevölkerung stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und nach Angaben der UN zu 80 % von externen Hilfslieferungen abhängig. Beeinflusst von der Revolution in Ägypten, gingen viele Palästinenser im Februar 2011 auf die Straßen und demonstrierten gegen die aktuelle politische Situation. Nachdem die Regierung im Westjordanland Wahlen für Ende 2011 angekündigt hatte und zurückgetreten war, unterschrieben Anfang Mai Ismail Haniyya und Mahmud Abbas ein Versöhnungsabkommen, das eineinhalb Jahre zuvor die ägyptische Führung in Auftrag der Arabischen Liga aufgesetzt hatte. Beide Fraktionen planten, vor der Parlamentswahl 2012 eine gemeinsame Übergangsregierung zu bilden. Palästinensische Politikexperten führten diesen Schritt auf die arabischen Aufstände seit Beginn des Jahres 2011 zurück. Das ägyptische Außenministerium kündigte daraufhin an, den Grenzübergang bei Rafah dauerhaft zu öffnen und so die Blockade des Gazastreifens zu beenden. Nahostexperten betrachten die Chancen auf eine dauerhafte Aussöhnung der beiden Parteien jedoch skeptisch. Am 10. März 2012 wurden mindestens 130 Raketen vom Gazastreifen aus auf israelische Städte und Dörfer innerhalb von 35 Stunden abgefeuert. Das Raketenabwehrsystem Iron Dome konnte bis zu 90 Prozent der abgefeuerten Raketen abfangen.
Am 11. November 2012 erreichten bei Angriffen mit Mörsergranaten und Raketen erneut über 100 Geschosse innerhalb von 24 Stunden Ziele in Israel. Etwa 450 Raketen sollen in diesem Zeitraum mehrerer Tage von Gaza auf israelisches Gebiet abgefeuert worden sein, dabei starben drei Menschen im Süden Israels. Als Reaktion griff die israelische Luftwaffe in der Operation Wolkensäule ab dem 14. November 2012 Ziele im Gazastreifen an. Im Zuge dieser Angriffe wurde auch der Hamas-Führer Ahmed al-Dschabari getötet. Seit 2001 sind damit etwa 11.000 Raketen aus Gaza nach Israel abgefeuert worden. Am 22. November wurde durch Vermittlung Ägyptens und der USA eine Waffenruhe erzielt.
2014–2022
Die Ermordung dreier israelischer Jugendlicher und der mutmaßliche Rachemord an einem palästinensischen Jungen waren Auslöser für eine erneute Eskalation im Juli 2014. Nach Verhaftungen von Verdächtigen intensivierte sich der Raketenbeschuss auf Israel. Als Antwort startete das israelische Militär die Operation Protective Edge, bei der mit dem Raketenbeschuss in Zusammenhang stehende Ziele in Gaza aus der Luft angegriffen wurden. Später wurde auch eine Bodenoffensive eingeleitet. Insgesamt sind nach Angaben der Hamas bis zum 1. August 2014 über 1400 Palästinenser getötet worden, darunter auch Extremistenführer Hafes Hamad. Die Hamas und andere militante Organisationen feuerten seit Beginn der Operation weit über 1000 Mörsergranaten und Raketen auf das gesamte israelische Staatsgebiet, erstmals erreichten Raketen aus dem Gazastreifen damit auch den Norden Israels. Die israelische Armee bombardierte über 1300 Ziele im Gazastreifen. Am 26. August 2014 trat eine unbefristete Waffenruhe in Kraft. Diese kam aufgrund ägyptischer Vermittlung zustande, nachdem Israel Zugeständnisse gemacht hatte. Nach UN-Angaben wurden 6761 Gebäude vollständig zerstört und mehr als 10.000 Gebäude beschädigt. Für den Wiederaufbau trat Mitte Oktober in Kairo eine Geberkonferenz zusammen. Insgesamt wurden Verpflichtungen über 5,4 Milliarden Dollar eingegangen, wovon 47,5 % für die Wiederherstellung von Wohnraum und Infrastruktur vorgesehen wurden. Von diesen Geldern war in Gaza bis April 2015 laut dem Pressesprecher der dortigen Handelskammer jedoch noch nichts angekommen. Der Wiederaufbau hat dennoch begonnen, obwohl er durch die Korruption der Hamas-Regierung und die restriktive Kontrolle des Zementimports durch Israel, der zudem für den Ausbau des Tunnelsystems verwendet wird, behindert wird. Im August 2017 waren 7 von 10 Einwohnern von humanitärer Hilfe aus dem Ausland abhängig, die Jugendarbeitslosigkeit lag bei rund 60 %. Am 1. August 2018 ist die von der EU gebaute Solaranlage eingeweiht worden. Mit dem gewonnenen Strom soll eine Meerwasserentsalzungsanlage betrieben werden, die ab 2020 eine Viertel Million Menschen mit sauberem Wasser versorgen soll. Im Juli 2019 ist nach drei Jahren Bauzeit eine weitere Entsalzungsanlage fertiggestellt worden. Die Anlage bei Gaza-Stadt liefert täglich rund 10.000 Kubikmeter sauberes Trinkwasser, mit denen etwa 200.000 Menschen versorgt werden können. Die Kosten beliefen sich auf rund 15 Millionen Dollar. Das Geld stellte der Kuwait-Fonds für arabische Wirtschaftsentwicklung zur Verfügung.
Allein im Jahr 2019 wurden aus dem Gazastreifen 1295 Raketen auf Israel abgefeuert. Von diesen wurden 478 vom Raketenabwehrsystem Iron Dome abgefangen. Im Mai 2021 wurden erneut über 4.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Iron Dome konnte rund 90 % davon abfangen. Auslöser für den Konflikt 2021 waren Einschränkungen der Ramadanfeiern durch israelische Sicherheitskräfte. Nach der Stürmung der Al-Aksa-Moschee durch die israelische Polizei begann am Montag, dem 10. Mai 2021 der Raketenbeschuss.
Mit ausdrücklicher Duldung Israels wurde der unter der Kontrolle der Hamas stehende Gazastreifen über Jahre hinweg von Katar finanziert. Israel erhoffte sich durch die Finanzierung eine Anhebung und Stabilisierung des Lebensstandards im Gazastreifen und damit wiederum, dass sich die Bevölkerung politisch mäßigt. Diese Hoffnungen waren spätestens im Oktober 2023 begraben.
Seit 2023
In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober 2023 begannen palästinensische Terroristen der Hamas vom Gazastreifen aus einen mehrtägigen Terrorangriff auf Israel, bei dem über eintausend israelische Zivilisten ermordet und über hundert als Geiseln in den Gazastreifen entführt wurden.
Bevölkerung
Der Gazastreifen hatte Ende 2018 eine Bevölkerungszahl von etwa 1,961 Millionen Menschen, 2017 waren es rund 1,8 Millionen. Innerhalb des Gazastreifens gibt es große Unterschiede. 1,2 Millionen Menschen leben in Flüchtlingslagern, diese gehören nach Angaben der Vereinten Nationen zu den am dichtest besiedelten der Welt.
Zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung sind Flüchtlinge, die vor dem Palästinakrieg (1947–1949) vor allem in Jaffa und Umgebung lebten, und deren Nachkommen. Davon leben etwa 492.000 in den acht von der UNRWA verwalteten Lagern. Damit leben 22,42 % aller von der UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlinge im Gazastreifen. Die Bevölkerungsdichte dieser Lager gehört zu den höchsten der Welt; so leben in dem Lager Al Chati (Beach) bei der Stadt Gaza 80.688 Menschen auf einer Fläche von 0,7 Quadratkilometern (zum Vergleich: Kowloon (Hongkong) 43.033 (2006); Mumbai 31.214; Paris 21.067 (2014); Gaza-Stadt 14.658; Tokio 13.650; Genf 12.828; New York 10.532; München 4.668; ehemalige Kowloon Walled City 1,3 Mio. Einwohner je Quadratkilometer).
Vergleich mit zwei deutschen Stadtstaaten | ||||
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Gemeinwesen | Stichzeit | Einwohner | Fläche | Bevölkerungsdichte |
Gazastreifen | Juli 2020 | 1.918 Tsd. | 360 km² | 5.328 E/km² |
Hamburg | 31.12.2022 | 1.892 Tsd. | 755 km² | 2.506 E/km² |
Bremen (Land) | 31.12.2022 | 684,9 Tsd. | 419 km² | 1.633 E/km² |
Die Geburtenrate und das Bevölkerungswachstum gehören zu den höchsten weltweit. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist unter 19 Jahre alt, und die Bevölkerungszahl verdoppelt sich bei der derzeitigen Wachstumsrate etwa alle 15 bis 20 Jahre. Die Lebenserwartung liegt bei 74,16 Jahren, für Männer bei 72,48 Jahren und für Frauen bei 75,95 Jahren. Damit ist die Lebenserwartung im Gazastreifen etwas höher als der weltweite Durchschnitt, der bei 73 Jahren liegt. Das Durchschnittsalter beträgt 17,9 Jahre (Stand: 2012). Die Kindersterblichkeit liegt bei 1,546 % (Weltweiter Durchschnitt 2014: 4,8 %).
Nach Berechnungen der FAO lebten im Jahr 2006 81 % der 1,5 Millionen Einwohner des Gazastreifens ebenso wie 59 % der 2,4 Millionen Einwohner des Westjordanlandes unterhalb der Armutsgrenze. Nach FAO-Angaben waren 70 % der Bevölkerung im Gazastreifen nicht in der Lage, ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln ohne zusätzliche Hilfe zu decken und hatten nur 2–3 Stunden pro Tag Zugang zu Wasser. Seit 1949 ist der Gazastreifen wesentlich auf die Versorgung durch die UNRWA angewiesen. So versorgte die UNRWA Ende 2012 etwa die Hälfte der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Eine Gesundheitsstudie der WHO vom Juli 2009 kam zu dem Ergebnis, dass Untergewichtigkeit von Säuglingen (1,2 %) und Kindern bis 16 Jahren (1,4 %) im Gazastreifen leicht rückläufig sei und auf einem akzeptablen Niveau liege, während Übergewichtigkeit von Kindern zwischen 10 und 16 Jahren mit 15,9 % eine „hohe Verbreitung“ („high prevalence“) aufweise. Die Studie vermutet als Gründe Bewegungsmangel und unausgewogene Ernährung. 2012 legte Israel seinen Lebensmittellieferungen in den Gazastreifen einen Pro-Kopf-Bedarf von ca. 9,5 MJ/d (= 2.279 kcal/d). zugrunde. Hinzu kommen lokal erzeugte Lebensmittel und vor allem solche, die durch Tunnel aus Ägypten eingeschmuggelt werden. Kritiker wie die Free-Gaza-Bewegung werfen Israel vor, es wolle das palästinensische Volk aushungern. Laut FAO liegt der Schwellenwert für Hunger bei ca. 7,5 MJ/d (= 1.800 kcal/d) pro Kopf.
Der Großteil der Bevölkerung sind Muslime. Mit Räumung der rund 8500 jüdischen Siedler verblieben als größte religiöse Minderheiten die Christen, deren Zahl 2007 noch 3000 betrug und 2016 auf 1200 gesunken war. Der Großteil davon ist griechisch-orthodox, ein Sechstel hingegen katholisch. Die christliche Minderheit wird geduldet, sieht sich jedoch Missionierungsversuchen bis hin zu Zwangskonversionen ausgesetzt. 2014 detonierte auf dem Gelände einer Kirche ein Sprengsatz. Ein Graffito rechtfertigte den Anschlag als Rache für das, was den Muslimen in Zentralafrika angetan werde. 2022 war die Zahl der Christen auf ca. 1.070 zurückgegangen, davon rund 130 katholische Christen.
Wirtschaft
Die Industrie des Gazastreifens besteht aus meist kleinen Familienbetrieben, in denen Textilien, Seife, Schnitzereien aus Olivenholz und Souvenirs aus Perlmutt hergestellt werden. Die Israelis haben einige moderne industrielle Kleinbetriebe aufgebaut. Elektrizität wird zum wesentlichen Teil aus Israel geliefert, das daneben durch Kürzung oder Einstellung der Treibstofflieferung den Betrieb des einzigen Kraftwerkes vor Ort in der Hand hat und diese Lieferungen immer wieder bei Angriffen aus Gaza heraus als Druckmittel benutzt. Aus anderen Gründen gab es ab Juni 2017 in Gaza nur vier Stunden täglich Strom, nachdem Israel auf Bitten des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas die Stromversorgung verringert hatte. Der Fatah-Chef wollte damit Druck auf die in Gaza regierende Hamas ausüben. Ab Januar 2018 erhöhte Israel – wiederum auf Bitten der Palästinensischen Autonomiebehörde – die Stromlieferung wieder, so dass täglich wieder sechs bis acht Stunden Strom zur Verfügung stehen. Die wichtigsten Agrarprodukte sind Oliven (Erträge durch Oliven 2008: ca. 123 Millionen USD), Zitrusfrüchte, Gemüse, Rindfleisch und Molkereiprodukte. Hauptausfuhrartikel sind Zitrusfrüchte und Schnittblumen (Erträge im Durchschnitt: 13 Millionen USD pro Jahr), Haupteinfuhrartikel sind Lebensmittel, Konsumgüter und Baustoffe. Die wichtigsten Handelspartner des Gazastreifens sind Israel, Ägypten und das Westjordanland.
Sektoren | Anteil am BIP 2007 | Anteil am BIP 2011 | Anteil an den Beschäftigten 2007 | Anteil an den Beschäftigten 2011 |
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Verarbeitende Industrie | 13,0 | 10,09 | 12,5 | 11,8 |
Land-, Forstwirtschaft, Fischerei |
5,6 | 5,9 | 16,1 | 11,9 |
Baugewerbe | 5,1 | 7,3 | 10,9 | 13,9 |
Handel, Hotels, Restaurants |
13,0 | 15,4 | 19,4 | 20,3 |
Transport, Lagerung, Kommunikation |
7,2 | 8,1 | 5,5 | 6,1 |
Sonstige Dienstleistungen | 56,1 | 52,4 | 35,6 | 36,0 |
Die Wirtschaftsleistung des Gazastreifens sank zwischen 1992 und 1996 um etwa ein Drittel ab. Erklärt wurde dieser Niedergang einerseits mit Korruption und Misswirtschaft durch Jassir Arafat, andererseits mit israelischen Grenzabriegelungen, durch die der bis dahin aufgebaute Pendler- und Güterverkehr zwischen Israel und dem Gazastreifen unterbrochen wurde. Die nachteiligste soziale Folge war das Entstehen einer hohen Arbeitslosigkeit. In den darauffolgenden Jahren verhängte Israel seltener derart umfassende Grenzsperrungen und traf Vorkehrungen, um die Auswirkungen solcher Sperren und anderer Sicherheitsmaßnahmen auf den Import palästinensischer Waren und Arbeitskraft nach Israel zu vermindern. Diese Änderungen führten zu einer drei Jahre anhaltenden wirtschaftlichen Erholung im Gazastreifen. Der Aufschwung endete mit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst des Jahres 2000. Diese führte zur völligen Grenzabriegelung durch die israelische Armee und häufigen Verkehrsbehinderungen in den palästinensischen Selbstverwaltungsgebieten, wodurch Handel und Arbeitsverkehr stark behindert wurden. Innerer Aufruhr und israelische Militäraktionen in den Palästinensergebieten führten zur Zerstörung wichtiger Fabrikanlagen und Verwaltungsstrukturen, zahlreichen Geschäftsschließungen und einem jähen Abfall des Bruttoinlandsproduktes.
Ein weiterer Hauptfaktor war das Sinken der Arbeitseinkommen infolge der eingeschränkten Anzahl von Bewohnern, denen die Einreise zur Arbeit nach Israel gestattet wurde. Nach dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen erlaubte Israel wieder einer begrenzten Anzahl von Arbeitern, nach Israel zu pendeln. Nach dem Sieg der Hamas in den Parlamentswahlen von 2006 kündigte Israel aber an, diese Genehmigungen wieder zu reduzieren oder zu beenden. Nach der gewaltsamen Übernahme der Macht im Gazastreifen durch die Hamas 2007 (Kampf um Gaza) wurden die Grenzen vollständig geschlossen.
Israelische Siedler hatten während der Zeit ihrer Anwesenheit im Gazastreifen viele Treibhäuser errichtet und experimentierten mit neuen landwirtschaftlichen Verfahren. Die Treibhäuser boten Hunderten von Palästinensern Arbeitsplätze. Als sich die Israelis im Sommer 2005 aus dem Gazastreifen zurückzogen, kaufte die Weltbank die Treibhäuser und stellte sie den Menschen im Gazastreifen zur Verfügung, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Wenngleich es auch an einigen Orten zu Plünderungen und Vandalismus kam, werden nun die meisten dieser Treibhäuser von palästinensischen Farmern benutzt. Die durch israelische und ägyptische Grenzschließungen bewirkte wirtschaftliche Abschnürung, die inzwischen praktisch unterbundenen Zahlungsüberweisungen über Banken von und an Regierungsstellen in Gaza wegen der weitgehenden internationalen Isolierung des Hamas-Regimes, der Konflikt mit der im Westjordanland regierenden Fatah und die mit Angriffen mit Kassam-Raketen begründeten israelischen Militäraktionen haben das Wirtschaftsleben inzwischen weitgehend zum Stillstand gebracht. Der Gazastreifen ist von Hilfslieferungen internationaler humanitärer Organisationen und einzelner ausländischer Staaten, von Israel sowie vom Schmuggel abhängig, der vor allem über die Sinai-Halbinsel abgewickelt wird. Durch die Zerstörung von Schmugglertunneln und Benzinleitungen aus Ägypten wurde der Schmuggel stark beeinträchtigt. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich im Laufe der Jahre stark. Während es 2010 und 2011 noch ein Wachstum von 9,8 % gab, fiel 2012 das Wachstum auf 6,6 %, 2013 auf 1,9 % (Schätzung). Für 2014 wurde ein Wachstum von 3,6 % anvisiert.
Trinkwasserversorgung
Im Gazastreifen haben nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser (Stand 2020). Ein Aquifer, das die Einwohner jahrzehntelang mit Wasser versorgte, wurde überbeansprucht und durch nachsickerndes salzhaltiges Meerwasser weitestgehend zerstört. Zudem gelangen Dünger und ungefiltertes Abwasser ins Grundwasser und machen es ungenießbar. Israel liefert zwar Trinkwasser, kann jedoch nicht den gesamten Bedarf decken. Trinkwasser wird zudem durch Meerwasserentsalzungsanlagen gewonnen.
Verkehr
Seit dem Sechstagekrieg steht der Gazastreifen unter direkter, seit dem Rückzug des israelischen Militärs und der Schließung israelischer Siedlungen im Jahr 2005 unter indirekter Kontrolle Israels. Israel, aber auch das Nachbarland Ägypten schränkten den Personen- und Warenverkehr in der Vergangenheit immer wieder ein und ließen ihn zeitweise gänzlich zum Erliegen kommen, was immer wieder zu Engpässen in der Versorgung führte und somit die dortige Wirtschaft und den Arbeitsmarkt zumindest teilweise zusammenbrechen ließ.
Eine Studie der Rand Corporation sieht eine Verbindung zwischen dem Westjordanland und Gazastreifen als Voraussetzung für einen lebensfähigen palästinensischen Staat, da sie die Mobilität und Bevölkerungsaustausch zwischen diesen Gebieten ermöglicht. Israel gestattet derzeit nicht einmal den temporären Aufenthalt von Gazabewohnern im Westjordanland, z. B. für Studenten aus Gaza, die in Bir Zait studieren wollen. Ausnahmen gibt es nur für 16 Personengruppen, z. B. Sportler der palästinensischen Nationalmannschaften für gemeinsames Training und Wettbewerbe.
Eisenbahn
Die normalspurige Strecke (Israel-) Gaza Stadt – Rafah war Teil der Sinai-Bahn. Sie wurde von der britischen Sinai Military Railway erbaut und bis 1948 von den Palestine Railways betrieben. 1948 bis 1967 wurde die Strecke (Kairo–) Rafah–Gaza Stadt durch die ägyptische Staatsbahn (ESR) betrieben, der nördliche Teil abgebaut. 1967 wurde die Strecke von den Israel Railways ab Al-Arisch übernommen, die Verbindung Richtung Aschkelon–Lod wieder aufgebaut. 1972 verkehrten wieder Personenzüge bis nach Tel Aviv Darom und Haifa.
Seit 1996 gibt es eine palästinensische Eisenbahnverwaltung, die rund 50 Kilometer lange Strecke im Gazastreifen ist jedoch nicht in Betrieb.
Flugverkehr
Im Gebiet der Gemeinde Dahaniye befindet sich der Internationale Flughafen Jassir Arafat, welcher der einzige Verkehrsflughafen in den palästinensischen Autonomiegebieten ist. Der 1998 eröffnete Flughafen wurde im Jahre 2001 durch israelische Streitkräfte in der Folge der Zweiten Intifada aufgrund der Vermutung, dass auf dem Luftweg Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden, geschlossen und zerstört.
Bildung
Im Gazastreifen bestehen vier Universitäten (al-Aqsa-Universität, al-Azhar-Universität Gaza, Islamische Universität Gaza, University of Palestine), Außenstellen der Fernuniversität Al-Quds Open University sowie drei Fachhochschulen. In den staatlichen Schulen findet keine Koedukation von Jungen und Mädchen statt. 2013 versuchte die Hamas erfolglos, auch die Koedukation an den Schulen der kleinen christlichen Minderheit zu unterbinden.
Verwaltung
Der Gazastreifen ist in fünf Gouvernements gegliedert: Gouvernement Nordgaza, Gouvernement Gaza, Gouvernement Dair al-Balah, Gouvernement Chan Yunis und Gouvernement Rafah.
Bei der zweiten Wahl im Januar 2006 wurden die folgenden Ergebnisse erzielt:
- Nordgaza: 5 Sitze an die Liste Change and Reform(a)
- Gaza: 5 Sitze an die Liste Change and Reform, 3 Sitze für die Liste Independent Palestine(b)
- Dair al-Balah: 2 Sitze an die Liste Change and Reform, 1 Sitz an die Partei al-Fatah
- Chan Yunis: 3 Sitze an die Liste Change and Reform, 2 Sitze an die Partei al-Fatah
- Rafah: 3 Sitze an die Partei al-Fatah
Justiz
Der Gazastreifen verfügt über drei Justizvollzugsanstalten, von denen eine ein Hochsicherheitsgefängnis ist. Gemäß einem Bericht des Spiegels vom 21. Oktober 2010 kommt es in der Untersuchungshaft regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen und Folter.
Sperrzonen und Grenzübergänge
Die Landgrenzen zu Ägypten und Israel sind mit einem Sicherheitszaun gesichert. Durch eine von Israel hinter dem Zaun deklarierte 200 bis 300 Meter breite Sicherheitszone, die nicht betreten werden darf, können 62,6 km² meist landwirtschaftliche Fläche nicht genutzt werden.
Grenzübergang Rafah
Am 15. November 2005 wurde eine Vereinbarung zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde getroffen, nach der an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten in Rafah ein Übergang für Menschen und Waren geschaffen werden sollte. Die Grenzabfertigung sollte durch die Palästinensische Autonomiebehörde unter Aufsicht einer europäischen Beobachtergruppe mit Fernüberwachung durch Israel erfolgen.
Vom 30. November 2005 bis zur Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen waren etwa 70 Europäer unter der Leitung des Italieners Pietro Pistolese am palästinensisch-ägyptischen Grenzübergang in Rafah stationiert. Die Aufgabe der European Union Border Assistance Mission Rafah (EU BAM Rafah) war es, beim Aufbau eines palästinensischen Grenzschutzes zu helfen, die vorgenommene Grenzabfertigung „aktiv zu beobachten“ und zu den institutionalen Beziehungen zwischen den palästinensischen, ägyptischen und israelischen Behörden bezüglich des Grenzüberganges beizutragen.
Nach Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Juni 2007 wurde der Grenzübergang bis auf weiteres geschlossen. Weder eine Einreise noch eine Ausreise ist möglich. Israel, Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde stellten sich bislang auf den Standpunkt, dass die Grenzabfertigungsvereinbarung vom 15. November 2005 immer noch gültig sei. Die Hamas dagegen betrachtet die Grenzabfertigung als in der alleinigen Regelungskompetenz der Hamas-Regierung in Gaza und der ägyptischen Regierung. Nachdem Ägypten die Grenze zum Gaza-Streifen zeitweise geöffnet hatte, wurde er nach einem Massenansturm von Palästinensern wieder geschlossen. Ägypten befürchtete den Schmuggel von Waffen und das Einsickern von Hamas-Kämpfern, die im Inland Terroranschläge verüben könnten.
Auf der ägyptischen Seite des Überganges begann man 2015, die dortigen Teile Rafahs aus Sicherheitsgründen und zur Bekämpfung des für Ägypten wirtschaftlich schädlichen Schmuggels mit subventioniertem Benzin vollständig abzureißen. In einer ersten Phase wurde bereits ein 500 Meter breiter Sicherheitsstreifen entlang der 13,5 Kilometer langen Grenze eingerichtet, um alle Schmugglertunnel dort zu zerstören. Betroffen sind 1165 Familien, deren 820 Häuser mit ein bis zwei Tagen Vorwarnzeit weitgehend entschädigungslos abgerissen wurden. In einer zweiten Phase wird diese Zone auf 1000 Meter mit 1220 Häusern und über 2000 Familien verbreitert. Am Ende des Vier-Stufen-Plans wird die Pufferzone rund fünf Kilometer breit sein und den gesamten ägyptischen Stadtteil beinhalten, in dem derzeit noch rund 75.000 Menschen leben.
Luft- und Seezugänge
Daneben kontrolliert Israel weiterhin mit seiner Armee den gesamten Zugang zum Gazastreifen über die Luft (bestehender Flughafen Gaza von Israel teilweise zerstört und Wiederaufnahme von Flugverbindungen ohne Zustimmung Israels nicht möglich) und zur See (Bau eines Hochseehafens bzw. Aufnahme entsprechender Schiffsverbindungen ohne israelische Zustimmung nicht möglich).
Tunnel
Neben den offiziellen Grenzübergängen gibt es ein verzweigtes Tunnelsystem innerhalb Gazas und in den Grenzgebieten zu Ägypten und Israel.
Persönlichkeiten
- Simson und Delila (ca. 10. Jh. v. Chr.) aus der Bibel (Buch der Richter)
- Hilarion von Gaza (291–371), Heiliger (römisch-katholisch und orthodox)
- Ahmad Yasin (1936–2004), Gründer der Hamas
- Mohammed Dahlan (* 1961), palästinensischer Politiker (Fatah)
- Ismail Haniyya (* 1963), palästinensischer Politiker (Hamas)
Rezeption
- Deutschlandfunk, Radio-Feature vom November 2012, Sebastian Meissner: Der Himmel über Gaza – Palästinensische Träume vom Fliegen
- Der Comic Gaza des Autors Joe Sacco erhielt 2012 den Preis für den besten internationalen Comic des 15. Internationalen Comic-Salon Erlangen
- Im Jahr 2011 entstand der von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeierte Film Das Schwein von Gaza, der sich mit der nach wie vor schwierigen Situation im Gazastreifen humorvoll auseinandersetzt
- Das 2010 nach dem Gazakrieg entstandene Theaterstück Die Gaza-Monologe mit Texten von Jugendlichen aus dem Gazastreifen wurde auf Initiative der Nichtregierungsorganisation Ashtar am 17. Oktober 2010 weltweit gleichzeitig in über 40 Theatern auf allen Kontinenten aufgeführt.
- Die Netflix-Serie Das Mädchen aus Oslo behandelt unter anderem den Konflikt zwischen Gaza und Israel.
Literatur
- Jean-Pierre Filiu: Gaza: A History. Hurst & Company, London 2014, ISBN 978-1-84904-401-1.
Weblinks
Einzelnachweise
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- ↑ Gaza: Israel’s $4 billion gas grab. In: The Ecologist. 18. Juli 2014.
- ↑ Dotan Halevi: Gaza und seine Bewohner: Exil und Zerstörung. In: Zmanim. Heft 126, 2014. (in hebräischer Sprache)
- ↑ Michael R. T. Dumper, Bruce E. Stanley: Cities of the Middle East and North Africa: A Historical Encyclopedia. ABC-CLIO, Santa Barbara (CA) 2007, ISBN 978-1-57607-919-5, S. 155.
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- ↑ Reuters: reuters.com Hamas hails Gaza victory after seizing base Zitat: […] that Hamas had taken charge after six days of bloodshed in which more than 100 gunmen and civilians have been killed. Reuters, vom 14. Juni 2007.
- ↑ Israel erklärt Gazastreifen zum „feindlichen Gebiet“. In: Neue Zürcher Zeitung. 19. September 2007.
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- ↑ Israel will Gaza-Blockade lockern. In: Der Tagesspiegel. 17. Juni 2010.
- ↑ Amira Hass: Hummus Starts Trickling Past Israel’s Blockade on Gaza. In: Ha-Aretz. 9. September 2011, abgerufen am 26. Dezember 2016.
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- 1 2 Israel bombardiert 100 Ziele im Gaza-Streifen. In: welt.de
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- ↑ Nahost-Konflikt – Blutige Nacht im Gazastreifen. In: FAZ.net, 12. Juli 2014, abgerufen am selben Tag
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