Krimgotisch

Gesprochen in

Krim-Halbinsel
Sprecher keine (Sprache ausgestorben)
Linguistische
Klassifikation

indogermanische Sprachen

germanische Sprachen
  • Krimgotisch
Offizieller Status
Amtssprache in (ausgestorben)
Sprachcodes
ISO 639-1

Die krimgotische Sprache war eine germanische, möglicherweise ostgermanische, Sprache.

Gotische Gruppen siedelten sich im 3. Jahrhundert auf der Krim an, wo die Krimgoten vom Rest der Goten isoliert wurden. Das Krimgotische starb spätestens im 17./18. Jahrhundert aus.

Aufzeichnungen des Ogier Ghislain de Busbecq

Als spärliche Sprachzeugnisse sind neben onomastischem Material lediglich die Aufzeichnungen des flämischen Diplomaten Ogier Ghislain de Busbecq erhalten, der während seiner Zeit als Gesandter in Konstantinopel ab 1554 mit einem Sprecher des Krimgotischen in Kontakt gekommen war. In seinem Rechenschaftsbericht über die Gesandtschaft beschrieb er Aussehen und Sitten der Krimgoten und zeichnete einige krimgotische Wörter und Sätze behelfsmäßig mit deren lateinischer Übersetzung auf, z.B.:

  • broe „panis (= Brot)“
  • plut „sanguis (= Blut)“
  • hoef „caput (= Kopf [→ Haupt])“
  • schieten „mittere sagittam (= schießen)“
  • knauen tag „bonus dies (= guten Tag)“
  • reghen „pluvia (= Regen)“
  • bruder „frater (= Bruder)“
  • schuuester „soror (= Schwester)“
  • alt „senex (= alt)“
  • wintch „ventus (= Wind)“
  • siluir „argentum (= Silber)“
  • goltz „aurum (= Gold)“
  • fisct „piscis (= Fisch)“
  • thurn „porta (= Tür)“
  • sune „sol (= Sonne)“
  • mine „luna (= Mond)“
  • bars „barba (= Bart)“
  • handa „manus (= Hand)“
  • boga „arcus (= Bogen)“
  • brunna „fons (= Brunnen)“
  • waghen „carrus (= Wagen)“
  • apel „pomum (= Apfel)“
  • schlipen „dormire (= schlafen)“
  • kommen „venire (= kommen)“
  • singhen „canere (= singen)“
  • lachen „ridere (= lachen)“
  • geen „ire (= gehen)“
  • oeghene „oculi (= Augen)“
  • stul „sedes (= Stuhl)“
  • hus „domus (= Haus)“
  • salt „sal (= Salz)“

Diese Zeugnisse zeigen einige gotische, andererseits aber auch eher westgermanische Merkmale. Daher ist die Klassifizierung nicht ganz unumstritten; manche Forscher vermuten eine westgermanische (niederdeutsch-niederländische) Sprache.

Während der Jahrhunderte fanden zahlreiche Lehnwörter Eingang ins Krimgotische, insbesondere aus dem Griechischen, den iranischen Sprachen und dem Slawischen. So übernahmen die Krimgoten für das Zahlwort hundert das iranische Wort sada (vgl. aber gotisch hund).

Weiteres

Im Jahr 2015 wurden von dem russischen Historiker Andrej Winogradow fünf Graffiti-Inschriften auf Steinplatten wiederentdeckt und als gotisch identifiziert, die 1938 in Mangup ausgegraben worden waren. Sie wurden auf die zweite Hälfte des 9. oder erste Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert und von Winogradow und Maxim Korobow transkribiert, transliteriert und übersetzt.

Auf den gleichen Platten wurden auch griechische Inschriften festgestellt, was auf eine Diglossie von Griechisch und Gotisch hindeutet.

Die Steinplatten waren Teil der Mangup-Basilika. Die Inschriften sind also in einem religiösen, christlich-orthodoxen Kontext entstanden, was sich auch am Inhalt zeigt. Es handelt sich dabei unter anderem um einen Psalm, eine Osterhymne und eine Gebetsformel. Die Inschriften sind in der von Wulfila entwickelten gotischen Schrift verfasst. Auch die Syntax der Sätze, der Lautstand sowie die Schreibkonventionen zeigen, dass die Verfasser mit dem Bibelgotischen vertraut waren.

Eine Inschrift lautet:

ƕas g(u)þ mikils

swe g(u)þ unsar? þu

is g(u)þ waurkjands

sildaleika. ainn[s]

usstoþ

und aiwins

us dauþaim

jah in midjun[gard-]

(Wer ist ein großer Gott wie unser Gott? Du bist der Gott, der Wunder tut. Einer ist in die Ewigkeit von den Toten auferstanden und in die/der Welt…)

Der erste Teil der Inschrift entspricht Psalm 77:14f.; möglicherweise ist es ein Zitat aus einem gotischen Psalter, der nicht überliefert ist. Beim zweiten Teil scheint es sich um eine Osterhymne zu handeln, die aber weder auf griechisch noch auf gotisch an anderer Stelle überliefert ist.

Die Inschriften zeigen, dass ein erstarrtes Bibelgotisch im 9./10. Jahrhundert in religiösen Kontexten noch verwendet wurde. Ein Beweis für ein kontinuierliches Fortleben des Gotischen als Volkssprache sind sie indes nicht.

Im späten 17. Jahrhundert bereiste Engelbert Kaempfer (1651–1716) die Krim. Er schrieb: „In Asien findet man auf der Halbinsel Crimm oder in Chersonesus Tartarica noch viele deutsche Worte, und man giebt vor, daß sie eine gothische Colonie 850 Jahr nach der Sündfluth dahin gebracht habe. Der Herr von Busbeck, kaiserl. Gesandter am otshmannischen Hofe hat in seinem vierten Schreiben eine gute Anzahl dieser Worte aufgezeichnet, und ich habe mir noch mehr angemerkt.“

Um 1780 bereiste Stanisław Siestrzeńcewicz-Bohusz, Erzbischof von Mahiljou (Belarus), die Krim und berichtete unter anderem, er habe an der Südküste und bei Sewastopol „Tataren“ angetroffen, deren Sprache dem „Plattdeutschen“ ähnlich sei. Ob es sich dabei tatsächlich um das Krimgotische gehandelt hat, ist zwar unsicher, jedoch möglich, da die nach der Eingliederung der Krim in das Zarenreich 1783 angeworbenen deutschen Neusiedler vor allem aus Schwaben bzw. Süddeutschland kamen.

Literatur

  • Ottar Grønvik: Die dialektgeographische Stellung des Krimgotischen und die krimgotische cantilena. Universitetsforlaget, Oslo 1983, ISBN 82-00-06614-2.
  • Maksim Korobov und Andrey Vinogradov: Gotische Graffito-Inschriften aus der Bergkrim. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 145 (2016), S.Hirzel Verlag Stuttgart, S. 141–157.
  • Maksim Korobov und Andrey Vinogradov: Gothic graffiti from the Mangup basilica. In: Advances in Gothic Philology and Linguistics. NOWELE 71:2 (2018), S. 223–235.
  • Rüdiger Schmitt, Andreas Schwarcz, Ion Ioniţă: “Krimgoten”. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 17 (2002), De Gruyter Berlin/New York, 373–377.
  • Ernst Schwarz: Die Krimgoten. Saeculum 4 (1953), S. 156–164.
  • MacDonald Stearns Jr.: Crimean Gothic. Analysis and Etymology of the Corpus. Anma Libri, Saratoga CA 1978, ISBN 0-915838-45-1, (Studia Linguistica et Philologica 6).
  • MacDonald Stearns Jr.: Das Krimgotische. In: Heinrich Beck (Hrsg.): Germanische Rest- und Trümmersprachen; de Gruyter, Berlin, New York 1989, S. 175–194 ISBN 3-11-011948-X, (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 3), S. 175–194.
  • Patrick Stiles: A textual note on Busbecq’s „Crimean Gothic Cantilena“. In: Neophilologus 68(4) (1984), S. 637–639.

Belege

  1. digitalisierter Originaltext Busbecqs: http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/germ/got/krimgot/krimg.htm?krimg001.htm
  2. Rüdiger Schmitt, Andreas Schwarcz, Ion Ioniţă: Krimgoten. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. B. 17. De Gruyter, Berlin/New York 2002, S. 373377.
  3. 1 2 3 4 5 6 7 Maksim Korobov, Andrey Vinogradov: Gotische Graffito-Inschriften aus der Bergkrim. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur. Band 145. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2016, S. 141157.
  4. Sergej Nemalewitsch in Meduza (russischsprachige Internetzeitung) Молитвы на камнях Историк Андрей Виноградов рассказывает о первых надписях на крымско-готском языке, dat. 25 Dezember 2015 - abgerufen am 2. März 2016
  5. А. Ю. Виноградов, М. И. Коробов Готские граффити из мангупской базилики, 2016, Seiten 57 bis 75 (Russisch, PDF) - abgerufen am 2. März 2016
  6. Maksim Korobov, Andrey Vinogradov: Gotische Graffito-Inschriften aus der Bergkrim. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur. Band 145. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2016, S. 145 f.
  7. Engelbert Kämpfers Geschichte und Beschreibung von Japan. Aus den Originalhandschriften des Verfassers herausgegeben von Christian Wilhelm Dohm. Erster Band. Mit Kupfern und Charten. Lemgo, im Verlage der Meyerschen Buchhandlung, 1777. S. 99
  8. Mithridates oder allgemeine Sprachenkunde; 1817, S. 168
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