Die Kunstkammer Wien ist eine Sammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien. Sie ist den Kunst- und Wunderkammern des späten Mittelalters, der Renaissance- und der Barockzeit nachempfunden und geht vor allem auf die früheren Sammlungen der Habsburger zurück.

Sammlungsgeschichte

Die Kunstkammer Wien entstand aus mehreren Einzelsammlungen, welche durch verschiedene Auftraggeber zusammengetragen wurden. Folgende Sammlungen bilden die Grundlage für die heutige Kunstkammer:

  • Die Kunstkammer Kaiser Rudolfs II. (1552–1612), die in Prag zusammengetragen wurde. Viele der Schätze Rudolfs gingen im Dreißigjährigen Krieg bei der Plünderung der Prager Burg verloren, doch wurde diese aus den zuvor nach Wien verbrachten Beständen mit Werken der Goldschmiede- und Steinschneidekunst der Zeit um 1600 sowie um Bronzen bereichert.
  • Im 17. Jahrhundert kamen die Bestände aus der Kunstkammer Erzherzog Leopold Wilhelms (1614–1662) hinzu. Er gilt als einer der Väter der heute im Kulturhistorischen Museum untergebrachten Gemäldegalerie, erwarb jedoch auch Renaissancebronzen meist italienischer Herkunft sowie Kleinplastiken aus Stein und Holz.
  • In die Schatzkammer im Schweizertrakt der Wiener Hofburg gelangten im 17. Jahrhundert zudem seinerzeit beliebte Arbeiten aus Halbedelsteinen, Drechselarbeiten aus Elfenbein, Schnitzereien aus Rhinozeroshorn und miniaturhafte Wachsmodellierungen.

Die Sammlung im Schloss Ambras wurde 1806 vor den Truppen Napoleons nach Wien in Sicherheit gebracht, wo sie im Unteren Schloss Belvedere zunächst ihre Selbständigkeit bewahrte. Erst die unter Kaiser Franz Joseph I. ab 1875 in Angriff genommene große Reform der kaiserlichen Sammlungen vereinte schließlich alle Kunstkammerbestände im 1891 eröffneten Kunsthistorischen Museum und beließ nur die Objekte mit Insigniencharakter und solche, die an Mitglieder des Kaiserhauses erinnern, in der Schatzkammer.

Die neu gebildete Sammlung fand ihren Platz im Hochparterre des Gebäudes und wurde zunächst als „Sammlung kunstindustrieller Gegenstände“ bezeichnet. 1919 erhielt sie den Namen „Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe“. Da diese Sammlung jedoch nur in geringem Maße Großplastiken und nur wenige zweckgebundene Gegenstände des Kunsthandwerks enthält, wurde dieser Name als unpassend betrachtet und man entschloss sich 1990 zur Rückbenennung in „Kunstkammer“.

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 gliederte man der Wiener Kunstkammer die Sammlungen der Nebenlinie Österreich-Este an, 1921 kam die Tapisseriensammlung dazu, bestehend aus ca. 800 Wandteppichen, welche ursprünglich der Ausgestaltung der kaiserlichen Schlösser gedient hatten. Diese Sammlung zählt neben der im Besitz der spanischen Krone befindlichen zu den bedeutendsten ihrer Art. 1938 stiftete Gustav von Benda mit einem Legat der Sammlung weitere wichtige Werke der Florentiner Frührenaissance. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Kunstsammlung mit sehr geringen Verlusten. Lediglich Teile der Tapisseriensammlung, welche als Leihgabe nach Berlin und zur Ausstattung von Görings Jagdschloss Carinhall gegeben werden mussten, gelten seit Kriegsende als verschollen.

Seit 1963 sind alle Bestände der Sammlung wieder im Kunsthistorischen Museum Wien vereint. 2002 erforderten die baulichen und technischen Gegebenheiten die vorübergehende Schließung der Kunstkammer. Im Anschluss erfolgte eine grundlegende Sanierung und Erweiterung der Räumlichkeiten sowie die Neuaufstellung und zeitgemäße Präsentation der Objekte.

Nachdem bereits im Dezember 2012 in einer öffentlichen Vorabpräsentation der erste Raum des Museums besucht werden konnte, wurde die als eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt geltende Kunstkammer Wien am 1. März 2013 wieder eröffnet.

Bestand

Auf einer Fläche von rund 2.700 m² sind mehr als 2.200 Objekte zu sehen, welche in 20 Themenräumen präsentiert werden.

Zu den künstlerisch bedeutenden Exponaten zählen Goldschmiedearbeiten wie die berühmte Saliera von Benvenuto Cellini, Skulpturen wie die Krumauer Madonna, Bronzefiguren, Elfenbeinarbeiten und Steingefäße, aber auch Uhren, mechanische Automaten, wissenschaftliche Instrumente, technische Spielereien und vieles mehr.

Ausgewählte Objekte

KunstwerkKünstlerJahrInventarnr.Bemerkung
Adam und EvaConrat Meit1520 ca.KK 9888, 9889zwei Statuen aus Buchsbaumholz
Apollo und DaphneJakob Auer1688KK 4537Elfenbeinstatuette
Bergkristall-PyramideDionysio Miseroni1651–1653KK 2251145,4 cm hohes Steinschneidekunstwerk aus Bergkristall
Brettspiel für den „Langen Puff“Hans Kels der Ältere1537KK 3419–3449Brettspiel Kaiser Ferdinands I., nach einem Entwurf von Jörg Breu dem Älteren
Dichter, seiner Geliebten ein Lied vorsingendTullio Lombardo1505/10KK 7471Marmorrelief, früher als Bacchus und Ariadne bezeichnet
Die Einheit des StaatesFrancesco Primaticcio1540–1547T CV/6Tapisserie aus Schloss Fontainebleau
Figurenuhr mit Diana auf dem KentaurenHans Jacob Bachmann1602/06KK 1166Automat mit beweglichen Figuren, der als Trinkspiel einen Pfeil schießt
Flora, Ceres, Bacchus und VulkanJohan Gregor van der Schardt1570 ca.KK 1118 u. a.feuervergoldete Bronzestatuen, Allegorie der vier Jahreszeiten
Grablegung ChristiAndrea Mantegna zugeschrieben1480KK 6059Bronzerelief, teilweise vergoldet
Heiliger Gregor mit SchreibernMeister der Wiener Gregorplatte980/990KK 8399Elfenbeinrelief
Kaiser Karl V.Leone Leoni1555 ca.KK 5504Portraitbüste aus Bronze
Kaiser Leopold I. als Sieger über die TürkenMatthias Steinl1690/93KK 4662Reiterstatuette aus Elfenbein
Kaiser Rudolf II.Adriaen de Vries1603KK 5506Bronzebüste
Knabe mit der GansAndrea Briosco1515/20KK 5518Bronzestatuette
König Joseph I. als Sieger über den FurorMatthias Steinl1693KK 4663Reiterstatuette aus Elfenbein
Krumauer MadonnaMeister der Krumauer Madonna1390/1400KK 10156Kalksandstein, gefasst und vergoldet
Madonna mit KindAntonio Rossellino1465/70KK 5455Marmorrelief
Madonna mit KindDonatello1445KK 7462Tondo aus vergoldeter Bronze, Marmorrahmen von Desiderio da Settignano
Mechanische GaleoneHans Schlottheim1585KK 874Tischautomat in Form eines Schiffes
SalieraBenvenuto Cellini1540–1543KK 881Goldschmiedarbeit
Spielkarten aus dem Ambraser HofjagdspielWerkstätte Konrad Witz1440/50KK 5019 u. a.eines der ältesten Kartenspiele nördlich der Alpen
VanitasJörg Syrlin oder Michel Erhart1470/80KK 1Allegorie der Vergänglichkeit, Figurengruppe aus Lindenholz
Weibliche BüsteFrancesco Laurana1480/90KK 3405Marmor mit Wachsapplikationen
Wiener PlanetenuhrJost Bürgi zugeschrieben1605 ca.KK 846Gehäuse von Jan Vermeyen

Literatur

  • Rotraud Bauer in Zu Gast in der Kunstkammer: 12. Oktober bis 15. Dezember 1991 / eine Ausstellung anlässlich des Einhundertjährigen Bestehens des Kunsthistorischen Museums; Manfred Leithe-Jasper (Hrsg.); Kunsthistorisches Museum Wien, Wien 1991, ISBN 978-3-900325-21-3.
  • Manfred Leithe-Jasper, Rudolf Distelberger: Kunsthistorisches Museum Wien. Band 1. Die Schatzkammer. Verlag C. H. Beck, 1998. (5., aktualisierte Auflage. 2009, ISBN 978-3-406-59178-5.)
  • Sabine Haag (Hrsg.): Ein Wunderraum der Phantasie. Die Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums. Kunsthistorisches Museum Wien, Wien 2009, ISBN 978-3-85497-156-6.
  • Sabine Haag, Franz Kirchweger (Hrsg.): Die Kunstkammer. Die Schätze der Habsburger. Kunsthistorisches Museum Wien und Christian Brandstätter Verlag, Wien 2012, ISBN 978-3-85033-661-1.
Commons: Kunstkammer Wien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Camillo Rusconi: Giulia Albani degli Abati Olivieri; Halbfigur (Memento vom 17. Februar 2013 im Webarchiv archive.today) Europeana, abgerufen am 18. Januar 2013.
  2. Jakob Auer: Apollo und Daphne (Memento vom 17. Februar 2013 im Webarchiv archive.today) Europeana, abgerufen am 18. Januar 2013.
  3. 1 2 Wiedereröffnung der Kunstkammer Wien. In: The Epoch Times. 16. Januar 2013, abgerufen am 7. Januar 2021.
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