Das Lemkenland (lemkisch/russinisch Лемковина Lemkowyna; polnisch Łemkowszczyzna; ukrainisch Лемківщина Lemkiwschtschyna) ist eine ethnographische Region der Lemken im östlichen Mitteleuropa beiderseits des nördlichen Karpatenbogens und erstreckt sich im Süden entlang des Ondauer Berglands und der Waldkarpaten, historisch überwiegend nordöstliche Slowakei, zwischen der westlichen Popper und dem San.

Das Gebiet liegt heute größtenteils in den südpolnischen Woiwodschaften Karpatenvorland und Kleinpolen. Der südliche Teil des historischen Lemkiwschtschyna an der Popper beziehungsweise Poprad gehört zum Landesbezirk Prešov. Die bedeutendsten Städte im heutigen Lemko-Gebiet sind Krynica, Gorlice, Komańcza, Svidník und Humenné.

Grenzen

Die nördlichen, westlichen und südlichen Grenzen waren am deutlichsten erkennbar – es gab jedoch lemkische bzw. ruthenische Sprachinseln, wie Ruś von Szlachtowa (1) auf der galizischen Seite, oder Osturňa (5), das westlichste ruthenische Dorf in Oberungarn.

Ethnographisch betrachtet begrenzten das Lemkenland im Norden die polnischsprachige Gruppe der Oberländer (mit Einschlag der deutschen Bauernkultur) in Polen sowie die Bojken-Kultur als auch im Süden die Gebiete der Karpatendeutschen und der Zipser Sachsen sowie die slowakische Kultur.

Geschichte

Die Ethnogenese der Lemken erfolgte wahrscheinlich im Spätmittelalter (14. bis 15. Jahrhundert) in den Niederen Beskiden zwischen den Flüssen San und Poprad. Der Kamm der Karpaten stellte jedoch seit Jahrhunderten eine politische Grenze dar: Der südlich davon gelegene Teil des Lemkenlandes gehörte – wie die ganze heutige Slowakei – bis 1918 zum Königreich Ungarn. Das Gebiet wurde durch die ungarischen Komitate Sáros und Semplin verwaltet. Der nördlich des Gebirges gelegene Teil gehörte hingegen zum Königreich Polen bzw. der Adelsrepublik Polen-Litauen. Dort waren die lemkischen Gebiete den Woiwodschaften Ruthenien und Krakau zugeordnet.

Infolge der ersten polnischen Teilung 1772 kam dieser Teil unter österreichische Herrschaft und wurde dem Königreich Galizien und Lodomerien zugeschlagen. Aurel Popovicis 1906 vorgeschlagener Plan für eine Föderalisierung der Habsburgermonarchie, mit der auch der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand sympathisierte, sah einen Gliedstaat „Ost-Galizien“ vor, zu dem alle Gebiete mit „ruthenischer“ Bevölkerungsmehrheit gehören sollten. Dieser hätte auch das Lemkenland – beiderseits des Karpatenkamms – umfasst. Der Plan wurde jedoch nicht umgesetzt.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Auswanderungswellen aus dem Lemkenland nach Nordamerika, insbesondere ins westliche Pennsylvania (Region Pittsburgh). Der bekannteste Amerikaner mit lemkischen Wurzeln dürfte der Pop-Art-Künstler Andy Warhol sein.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam der südliche Teil des Lemkenlandes zur Tschechoslowakei, der Norden zur wiedererrichteten Republik Polen. Im frühen 20. Jahrhundert gab es auf der polnischen Seite der Grenze um die 80.000 Lemken. In den 1930er Jahren wurde deren Anzahl auf 100.000 bis 150.000 geschätzt. In den Jahren 1918 bis 1920 traten die Lemken erfolglos dafür ein, einen eigenen Staat mit der Hauptstadt in Florynka zu errichten.

In Folge der Russophilen Bewegung in Galizien wechselten ab 1911/1912 einzelne Dörfer die Konfession von griechisch-katholisch zu orthodox. Der Verlauf wurde in den 1920er Jahren beschleunigt. Das Schisma von Tylawa im Jahr 1926 galt als die erste und die bekannteste völlige Konversion. In der Zwischenkriegszeit umfasste das Schisma etwa 40 lemkischen Dörfer mit rund 20.000 Bewohnern (1939 um 15 % der allen Lemken), davon über 50 % im Powiat Jasielski, 45 % im Powiat Krośnieński, 30 % im Powiat Gorlicki, 20 % im Powiat Nowosądecki. Um den Übertritt weiterer Lemken von der griechisch-katholischen zur orthodoxen Kirche zu verhindern, wurde 1934 eine eigene Apostolische Administration Łemkowszczyzna mit Sitz in Wróblik Szlachecki gegründet. Diese wurde unmittelbar dem Vatikan unterstellt, um den unerwünschten Einfluss des ukrainischen Klerus auf die lemkischen Katholiken zu beenden.

1944 bis 1946 übersiedelten rund 65 % der Lemken in die Ukraine (teils freiwillig, teils unter Druck). Die in der Volksrepublik Polen Verbliebenen deportierte die kommunistische Regierung 1947 größtenteils in der Aktion Weichsel in den Norden und Westen Polens (vom Deutschen Reich „wiedergewonnene Gebiete“). Stattdessen wurden im früheren Lemkenland ethnische Polen angesiedelt. Die Lemken sollten auf diese Weise assimiliert und die Bevölkerung Polens ethnisch homogenisiert werden. Der Rückkehr eines Teils der Lemken begann im Jahr 1956, z. B. in die ehemalige Stadt Uście Gorlickie, die heute die einzige Ortschaft in den Niederen Beskiden mit lemkischer Mehrheit ist.

Persönlichkeiten

Prominente Persönlichkeiten der Region:

Tourismus

Das Lemkenland liegt am Europäischen Fernwanderweg E8. Die Wanderwegstrecke führt vom Bardejov über den Dukla, Iwonitz-Bad, den Bukowicahügel und die Wołosate bis in die Ukraine.

Volkskultur

In Polen:

In der Ukraine:

In der Slowakei:

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. „Über die Lemken und das Lemkenland können wir erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. sprechen. Früher waren das sgn. Rusnacy, Rusini (das heißt Ruthenen), die seit ein paar Jahrhunderten die Niedrigen Beskiden (auf der polnischen und slowakischen Seite) bewohnt haben.“ In: Jerzy Czajkowski: Studien zum Lemkenland. Zusammenfassung. 1999, S. 221
  2. Ihr Siedlungsgebiet — die Lemkowszczyzna (Lemkenland) — trennt als tiefer Keil an beiden Seiten des Karpatenrückens die von Polen bewohnten Gebiete von den slowakisch besiedelten Teilen. In: Viehwirtschaft und Hirtenkultur: ethnographische Studien von László Földes, 1969 S. 302
  3. An der nördlichen Seite der Karpaten erstreckt sich das Wohngebiet der Lemken vom Gebirgszug Wielki Dział, der das Tal der Osława nach Osten zu absperrt, bis zum Popradfluß. In: Viehwirtschaft und Hirtenkultur: ethnographische Studien von László Földes, 1969 S. 302
  4. Zahlreiche Dörfer, wie Muszynka (1356), Binczarowa (1365) und Florynka (1391), wurden zuerst auf dem deutschen Recht angesiedelt, jedoch im 14. Jahrhundert [der Verlauf wurde besonders im 15. und 16. Jahrhundert beschleunigt] erneut begründet, diesmal auf dem walachischen Recht. Das war mit dem Hirtenprofil verbunden, das sich an die oft bewaldeten bergigen Ländereien besser anpasste. Wie bereits erwähnt war dieses Gebiet schwer zu besiedeln. Die polnischen und deutschen [der Anteil deutscher Siedler ist unbekannt, aber eindeutig kleiner als polnischer Siedler] Siedler ließen sich nur mit großem Widerstand in den Bergen nieder. In: Magdalena Palka: Das vergessene Volk der Lemken. Eine ethnische Minderheit auf der Suche nach ihrer Identität. Wien, 2012
  5. Zugleich folgt dieser Linie auch in großen Zügen die freilich wenig scharfe Sprachgrenze zwischen Slowaken und Polen einerseits, Ruthenen oder Ukrainern anderseits, die an der Ostgrenze dieses Mittelstückes, an den Quellen der Theiß, von den Rumänen abgelöst werden. Die Dukla-Linie dient aber in gewissem Sinne auch als sekundäre Kulturgrenze. In: Landeskunde der Sudeten- und Westkarpatenländer von Fritz Machatschek 1927.
  6. Torsten Lorenz: Die Lemken im Südosten Polens und das Problem ihrer ethnischen Identität. Europa-Universität Viadrina.
  7. Danylo Husar Struk (Hrsg.): Encyclopedia of Ukraine. Band IV, S. 32, Eintrag Pittsburgh.
  8. Stephen P. Haluszczak: Ukrainians of Western Pennsylvania. Arcadia Publishing, Charleston (SC) u. a. 2009.
  9. Stefan Troebst: Die Karpaten – zwischen subregionaler Identitätssuche und EU-Osterweiterung. Eine Exkursion der Professur für Kulturstudien Ostmitteleuropas in die Heimat Andy Warhols. In: Berliner Osteuropa Info, Nr. 16/2001, S. 63–65.
  10. R. Brykowski. Krzyże Łemków. „Tygodnik Powszechny”. 1984 nr 41. S. 7.
  11. Małgorzata Misiak: Łemkowie. W kręgu badań nad mniejszościami etnolingwistycznymi w Europie. Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego, Wrocław 2006, ISBN 83-229-2743-6, S. 75 (polnisch).
  12. Witold Grzesik, Tomasz Traczyk, Bartłomiej Wadas: Beskid Niski od Komańczy do Wysowej. Sklep Podróżniczy, Warszawa 2012, ISBN 978-83-7136-087-9, S. 474475 (polnisch).
  13. Magdalena Palka: Das vergessene Volk der Lemken. Eine ethnische Minderheit auf der Suche nach ihrer Identität. Diplomarbeit, Wien 2012, Kapitel „6.5.5. AAŁ „Apostolska Administracja Łemkowszczyzna“, S. 80.
  14. Andrzej A. Zięba: Profesor Emilian Czyrniański. In: Zięba: Łemkowie i łemkoznawstwo w Polsce. Nakładem Polskiej Akademii Umiejętności, Krakau 1997, S. 15–27.
  15. Raymond M. Herbenick: Andy Warhol's Religious and Ethnic Roots. The Carpatho-Rusyn Influence on His Art. Edwin Mellen Press, 1997, S. 1–2.
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