Das Polenmuseum Rapperswil befand sich bis Mai 2022 im Schloss Rapperswil aus dem 13. Jahrhundert in Rapperswil (Kanton St. Gallen, Schweiz). Es blickt auf eine über 140-jährige Tradition zurück. Die Geschichte des Polenmuseums umfasst drei Zeitabschnitte (1870–1927, 1936–1952 und 1975 bis heute), in denen es abhängig von der politischen Lage in Polen in verschiedenen Formen existierte. Da das Polenmuseum nicht mehr die Räumlichkeiten des Schlosses nutzen kann, soll es künftig in einem anderen, zu diesem Zweck vom polnischen Staat erworbenen Gebäude in Rapperswil eingerichtet werden.
Die Polen in Rapperswil
Den ersten Schritt markierten die Flüchtlinge des Novemberaufstands von 1830 und des Januaraufstands von 1863 gegen die russische Herrschaft in Kongresspolen. Sie gelangten u. a. auch in die Schweiz, wo 1863 unter Mitwirkung des Zürcher Staatsschreibers und Dichters Gottfried Keller das Schweizerische Zentralkomitee für Polen entstand. Dieses arbeitete eng mit dem in die Schweiz geflohenen und in Rapperswil ansässigen Graf Władysław Plater zusammen. Auf Plater gehen die 1868 errichtete, heute vor dem Rapperswiler Schloss stehende «Polnische Freiheitssäule» und das zwei Jahre später eröffnete erste Polnische Nationalmuseum zurück.
Polnisches Nationalmuseum (1870–1927)
Im von Graf Plater 1870 im Rapperswiler Schloss eingerichteten Museum füllten sich bald die Räume des Schlosses mit Gaben (Kunstgegenstände, Militaria, Dokumente, Buchsammlungen) von Polen und Polenfreunden aus aller Welt. Die Stadt Rapperswil wurde bis zur Wiedergeburt Polens 1918 zum Hort polnischer Hoffnungen, Begegnungen und Ideen. Seit 1895 bewahrte man im zu diesem Zweck im Turm eingerichteten Mausoleum die Urne mit dem Herzen des in der Schweiz verstorbenen polnischen und amerikanischen Helden Tadeusz Kościuszko auf.
Nach der «Wiedergeburt Polens» (Zweite Polnische Republik ab November 1918) verliessen 1927 die Sammlungen des Polenmuseums gemäss dem Willen Graf Platers Rapperswil in Richtung Polen. 3000 Kunstwerke, 2000 historische Andenken und Militaria, 20'000 Stiche, 9000 Medaillen und Münzen, rund 92.000 Bücher und 27'000 Archivalien füllten hunderte von Kisten in 13 Waggons. Auch die Urne mit Kościuszkos Herz wurde nach Warschau überführt. Der überwiegende Teil der Rapperswiler Sammlung, meistens Archivalien und Bücher, wurde während der Zerstörung Warschaus im Zweiten Weltkrieg vernichtet.
Museum des zeitgenössischen Polen (1937–1951)
1936 wurde im leerstehenden Schloss Rapperswil dank der Initiative der Künstlergruppe «Blok» eine Ausstellung zeitgenössischer polnischer Kunst organisiert. In den darauf folgenden Jahren entstand unter dem Protektorat des polnischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten eine ständige Exposition, die die künstlerischen und wirtschaftlichen Errungenschaften des neu erstandenen Polen zeigte. Die Ausstellung figurierte nun unter der Bezeichnung «Museum des zeitgenössischen Polen». Als Kustos ernannte man Frau Halina Jastrzębowska-Kenar.
Im Juni 1940 wurden nach Kämpfen gegen die Wehrmacht in Frankreich 13'000 polnische Soldaten der 2. Schützendivision in der Schweiz interniert. Das Polenmuseum mit seiner Bibliothek übernahm die kulturelle und bildende Betreuung der Internierten.
Auch wenn die Eidgenossenschaft 1945 die kommunistische Regierung in Warschau anerkannte, stellte sich die Ortsgemeinde Rapperswil im Zuge des Kalten Krieges gegen die Neugestaltung des Polenmuseums und kündigte den Mietvertrag des Schlosses. Die Sammlungen wurden 1952 nach Polen transportiert. Das Schloss übernahm der Schweizerische Burgenverein. Im Rahmen der Restaurierung des Gebäudes wurden fast alle polnischen Spuren am Schloss beseitigt.
Als Antwort auf die Schliessung des Polenmuseums wurde 1954 von bekannten Schweizern und polnischen Emigranten der antikommunistisch orientierte Verein der «Freunde des Polenmuseums Rapperswil» gegründet. Auf Initiative des Vereins wurde 1975 zum drittenmal ein Polenmuseum im Schloss Rapperswil eröffnet.
Polenmuseum Rapperswil (seit 1975)
Janusz Morkowski wurde zum Kustos des Polenmuseums ernannt. Das Museum wurde finanziell unterstützt von Julian Godlewski aus Lugano und von Schweizer Seite durch den Kantons- und Stadtrat Hans Rathgeb, der später zum Vorsitzenden des Vereins der Freunde des Polenmuseums gewählt wurde.
Das neu geschaffene Museum und die dort organisierten Anlässe wurden für die Polen in der Heimat und im Exil zum Inbegriff des freien und unabhängigen Polen. Während der folgenden 25 Jahre wurde das Museum von über 300.000 Gästen besucht.
Die anfänglich bescheidenen Sammlungen des Polenmuseums wuchsen dank der Gaben polnischer Emigranten und Polenfreunde in Anzahl und Qualität ständig.
Die gegenwärtige Ausstellung des Polenmuseums ist nach Themen gegliedert. In einer Besichtigungsfolge werden dargestellt:
Die Schweizer in Polen, die grossen Emigrationswellen der Polen in den Westen (nach Aufständen, Kriegsereignissen und Verfolgungen), die Polen in der Schweiz (Ingenieure, Wissenschaftler, Künstler und Soldaten), bekannte Persönlichkeiten (z. B.: Nikolaus Kopernikus, Frédéric Chopin, Madame Curie, Literaturnobelpreisträger), Kampf der Polen «um Freiheit und Glauben» (Entsatz von Wien 1683; Nationalaufstände 1830 und 1863; 2. Weltkrieg und Internierung der 2. Poln. Schützendivision in der Schweiz; Johannes Paul II., 1970 und Solidarność-Bewegung 1980).
Weitere Themen im Polenmuseum sind: polnische Malerei des 19. und 20. Jahrhundert, Kunsthandwerk (unter anderen Sarmatenkunst des polnischen Adels im 18. Jh.), Zeugnisse jüdischer Kultur in Polen, sowie polnische Sakral- und Volkskunst. Im Rahmen der Exposition kann man u. a. die Bilder von Chełmoński, Brandt, Wyczółkowski und Boznańska, sowie Miniaturgemälde von Vinzent Lesseur um 1800 – Geschenk der Familie Grafen Tarnowski – sehen.
Gezeigt werden auch alte Buchdruckerkunst, Chroniken und Landkarten von Polen, die meisten aus dem Nachlass von Roman Umiastowski. Wertvoll sind auch die Uhren der Manufaktur Patek aus Genf oder die Tabakdosen mit Motiven polnischer Ulanen während der napoleonischen Kriege sowie eine Gemmenkollektion mit Portraits von Politikern und Militärs des 19. Jahrhunderts aus dem alten «Plater-Museum».
Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Folklorestube mit Volkstrachten, Hinterglasbildern und Schnitzereien von Volkskünstlern, wie die fast 500 Skulpturen zählende Sammlung von über 80 Volkskünstlern. Der Wehrgang und der fünfgeschossige Wehrturm mit häufigen Wechselausstellungen bilden den Abschluss der Ausstellung.
Das Polenmuseum ist Zeugnis einer langjährigen polnischschweizerischen Freundschaft. Die polnischen Mieter waren ab 1870 massgeblich daran beteiligt, dass das Schloss Rapperswil vor dem Zerfall gerettet werden konnte. Während der Renovationsarbeiten von 1988 bis 1990 beteiligten sie sich an den Renovationskosten der Museumsräumlichkeiten. 2008 setzten sich über 9000 Personen aus 30 Ländern mit einer Petition für den Erhalt dieses traditions- und symbolreichen Museums im Schloss Rapperswil ein. Am 11. Oktober 2012 lancierte eine Gratiszeitung eine Kampagne gegen die Erneuerung des Mietvertrages zwischen dem Polenmuseum und der Ortsgemeinde Rapperswil als Eigentümerin des Schlosses.
Bibliothek und Archiv
Im Gebäude «Burghof» am Rapperswiler Hauptplatz befindet sich seit 1987 die Bibliothek und das Archiv des Polenmuseums. Die Bibliothek ist auf Themen spezialisiert, die im Polenmuseum dargestellt werden. Daneben enthält sie Übersetzungen polnischer Literatur in westliche Sprachen, einige hundert polnische Altdrucke und eine bedeutende Sammlung alter Landkarten, die Polen zum Gegenstand haben.
Das Archiv beinhaltet Dokumente, die Polen in der Schweiz und schweizerisch-polnische Verbindungen betreffen; so z. B. die Internierung der 2. Polnischen Schützendivision in der Schweiz 1940–1945.
In Räumen der Bibliothek befindet sich die ständige Ausstellung der Sammlungen von Jadwiga und Jan Nowak-Jeziorański, des ehemaligen Direktors der polnischen Abteilung von Radio Free Europe in München sowie Dokumente, Büchersammlung und Bilder der Familie Romer aus Cytowiany in Litauen.
Aktivitäten des Polenmuseums
Ergänzt werden die Aktivitäten des Polenmuseums durch zahlreiche temporäre Ausstellungen, durch Konzerte mit polnischer Musik und durch Vortragsveranstaltungen, die mit schweizerisch-polnischen Themen in Verbindung stehen. Das Museum spielt (informell) die Rolle einer vielseitigen Institution, die das Wissen über Polen und die polnische Kultur propagiert.
Das heutige Polenmuseum entstand und wird weiter geführt dank dem ehrenamtlichen Engagement vieler Mitarbeiter. Es beschäftigt keine festangestellten Mitarbeiter und arbeitet ohne Subventionen der öffentlichen Hand. Träger und Verwalter des Polenmuseum ist der 1954 von polnischen Emigranten und Schweizer Freunden gegründete «Verein der Freunde des Polenmuseums», der seit 1978 von der Polnischen Kulturstiftung Libertas Rapperswil unterstützt wird. Seit der Wende in Polen 1989 erhält der Verein bei der Ausstellungsgestaltung und den anderen zahlreichen kulturellen Aktivitäten professionellen Beistand namhafter polnischer Museen und Bibliotheken. Kustodin ist seit 2005 Anna Buchmann.
Zukunft des Polenmuseums
Die Stadt Rapperswil-Jona beabsichtigt, das Schloss umzubauen und ein neues Schlossmuseum einzurichten, das auch das Thema «Polen im Schloss» aufnehmen soll. Das heutige eigenständige Polenmuseum sollte dabei geschlossen werden. Der polnische Botschafter in der Schweiz bis 2020, Jakub Kumoch, setzte sich für das Museum im Schloss ein und hat 2018 erklärt, dass es «für uns Polen ein kleines Rütli» sei. Der Schweizer Bundespräsident für 2019, Ueli Maurer, sagte bei einem Staatsempfang in Polen «Die Gemeinde Rapperswil hat die Bedeutung dieses Museums für Polen und die Schweiz noch nicht vollumfänglich erkannt» und dass er sich für einen Kompromiss zwischen Rapperswil und dem Staat Polen einsetzen wolle.
Bis Juni 2022 musste das Polenmuseum nach 151 Jahren die Räumlichkeiten im Schloss Rapperswil-Jona verlassen. Die Behörden und der Betreiberverein haben trotz der Kündigung eine Absichtserklärung für eine zukünftige Zusammenarbeit erarbeitet, womit der Museumsverein einen Einsitz ohne Stimmrecht im Schlossrat erhalten hätte. Die ausserordentliche Generalversammlung des Museumsvereins hat entschieden, diese Absichtserklärung abzulehnen.
Ende Juni 2022 wurde bekannt, dass die Republik Polen das Gebäude des ehemaligen Hotels Schwanen als neuen Sitz des Museums erstanden hat. Dort soll sich das Museum nach einem Umbau innerhalb der nächsten zwei Jahre wieder ansiedeln. Es ist auch geplant, den seit 2016 eingestellten Hotelbetrieb und die Gastronomie in diesem Gebäude wieder aufzunehmen.
Literatur
- Anton Krenn: Das Polenmuseum zu Rapperswil. In: Schweizer Illustrierte, Bd. 7, 1903, S. 155–157. (e-periodica)
Siehe auch
- Polenwege in der Schweiz
- Archivum Helveto-Polonicum
- Polen in der Schweiz
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Polnisches Museum: Unterschriftensammlung für den Verbleib des Polenmuseums im Schloss Rapperswil 2008 (PDF; 28 kB)
- ↑ Pro Schloss Rapperswil: Geschichte und Bedeutung des Polenmuseums (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven.) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ OM: «Polen im Schloss» statt Polenmuseum. In: Linth 24. 13. August 2019, abgerufen am 22. November 2019.
- 1 2 Mario Aldrovandi: Bundesrat Maurer mischt sich in Polenmuseum ein. In: Linth 24. Mai 2019, abgerufen am 22. November 2019.
- ↑ Pascal Büsser: «Das Polenmuseum im Schloss ist ein kleines Rütli für uns». In: Südostschweiz. 22. Juni 2018, abgerufen am 22. November 2019.
- ↑ Nau.ch vom 5. November 2020: Polenmuseum in Rapperswil-Jona lehnt Absichtserklärung ab
- ↑ Polenmuseum.ch: Newsletter Nr. 27, Dezember 2021
- ↑ Giorgio Scherrer: Der Staat Polen kauft das ehemalige Hotel Schwanen in Rapperswil. In: Neue Zürcher Zeitung. 1. Juli 2022, abgerufen am 2. Juli 2022.
- ↑ Bruno Hug: Staat Polen kauft Schwanen Rapperswil. In: zuerioberland24.ch. 29. Juni 2022, abgerufen am 2. Juli 2022.
Koordinaten: 47° 13′ 36″ N, 8° 49′ 6″ O; CH1903: 704487 / 231556