Robert Stigler (* 18. April 1878 in Steyr, Österreich; † 9. August 1975 in Kirchberg in Tirol, Österreich) war ein österreichischer Mediziner und Hochschullehrer. In der Zeit des Nationalsozialismus unterstützte er die NS-Rassenhygiene, beteiligte sich u. a. an rassenphysiologischen Forschungen und hielt auch nach Ende der NS-Zeit am nationalsozialistischen und rassistischen Gedankengut fest.
Leben
Robert Stigler war der Sohn des Steyrer Apothekers, Chemikers und Kammersängers Wilhelm Stigler (späterer Künstlername: Steven). Er ging in Steyr zur Volksschule, in Wien ins Gymnasium und absolvierte an den Universitäten Wien, Kiel und Bern von 1897 bis 1903 ein Medizinstudium. Er war noch vor seiner Promotion (1903) Demonstrator am histologischen Institut Wien (Viktor von Ebner-Rofenstein) und stellvertretender Assistenzarzt an der chirurgischen Abteilung der Universitätsklinik Bern. 1903/4 arbeitete er ein erstes Mal bei Siegmund Exner-Ewarten, zunächst über subjektive Gesichtserscheinungen. Nach seiner Promotion arbeitete er an der Augenklinik Wien, von 1905 bis 1907am Physiologischen Institut Graz (bei Oskar Zoth), und ab 1907 am Physiologischen Institut Wien (bei Exner-Ewarten) als Assistent und Leiter der sinnesphysiologischen Abteilung, wo er 1910 den Metakontrast entdeckte und sich 2011 habilitieren konnte. Er war Mitglied der Burschenschaft Moldavia Wien. Nach seiner Promotion arbeitete er als Sekundararzt in Spitälern in Wien und Bern. Danach war er als Universitätsassistent an den Physiologischen Instituten der Universitäten Wien und Graz tätig. 1911 habilitierte er sich mit der Physiologie des Auges und wurde Dozent für Physiologie an der Universität Wien. Ab 1915 war Stigler außerordentlicher Professor und ab 1921 ordentlicher Professor für Anatomie und Physiologie für Haustiere an der Hochschule für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Zudem lehrte er von 1914 bis 1919 an der Wiener Krankenpflegeschule.
Stigler unternahm zahlreiche Reisen, vor allem zu Forschungszwecken. Im Zeitraum von 1908 bis 1914 bereiste er mehrmals die Mittelmeerländer, unter anderem als Schiffsarzt bei der österreichischen Niederlassung der Handelsschiffahrtsgesellschaft Lloyd. Von 1911 bis 1912 nahm er an der Uganda-Expedition von Rudolf Kmunke teil und war u. a. an den Erstbesteigungen des Mount Elgon und des Mount Moroto beteiligt. In der Zwischenkriegszeit bereiste er Kleinasien, Nordafrika, Italien und den Balkan.
Er bekannte sich früh zum Nationalsozialismus. 1931 leitete Stigler die medizinische Gruppe der Abteilung für Rasse und Rassenhygiene der Gauleitung der NSDAP in Wien und wurde nach eigenen Angaben 1932 Mitglied der Partei. Der parteinahen Deutschen Forschungsgemeinschaft galt er als „alter, bewährter nationalsozialistischer Kämpfer in Österreich“. Während der Zeit des Austrofaschismus wurde Stigler 1934 aus politischen Gründen von der Hochschule für Bodenkultur entlassen, weil er deklarierter Parteianhänger der NSDAP war. Im Zuge des Anschlusses Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich kehrte er 1938 an die Hochschule für Bodenkultur zurück und war dort von 1938 bis 1945 Vorstand des Instituts für Anatomie und Physiologie für Haustiere. Er hielt von 1938 bis 1941 Vorlesungen zur Rassenhygiene an der Universität Wien und lehrte dort ab 1941 als Professor für Physiologie. Er trat am 1. Mai 1938 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 6.282.784), da eine frühere Parteimitgliedschaft in der Reichskartei nicht verifiziert werden konnte.
Während des Zweiten Weltkrieges führte Stigler nach dem Westfeldzug zusammen mit einigen anderen Wissenschaftern im Juli 1940 rassenphysiologische Forschungen an „farbigen“ Kriegsgefangenen aus Afrika und Asien im Kriegsgefangenenlager Kaisersteinbruch im Burgenland durch. Von 1941 bis 1944 arbeitete Stigler am Marineärztlichen Forschungsinstitut für Unterseebootmedizin in Carnac in der Bretagne und war dort zeitweise als Institutsleiter tätig.
Nach Kriegsende wurde Stigler 1945 im Zuge der Entnazifizierung sämtlicher Ämter enthoben. 1947 wurde er pensioniert. Als Pensionär blieb Stigler wissenschaftlich tätig, u. a. publizierte er Ergebnisse früherer Forschungsarbeiten, beschäftigte sich mit der Krebsforschung und nahm an zahlreichen medizinischen Kongressen teil. Daneben widmete er sich der Volksbildungsarbeit; er hielt Vorträge und schrieb Artikel für populärwissenschaftliche Zeitschriften. Dabei befasste er sich mit allgemeinphysiologischen Themen, aber auch mit der Rassenphysiologie und Rassenhygiene.
Robert Stigler war verheiratet und hatte vier Kinder. Er verbrachte seine letzten Jahre in Going am Wilden Kaiser in Tirol.
Auszeichnungen und Ehrungen, spätere Aberkennungen
- 1972: Verleihung der akademischen Auszeichnung „Ehrenring“ durch die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU)
- Im Mai 2014 wurde durch den Senat der Universität für Bodenkultur Wien die Robert Stigler verliehene Auszeichnung posthum aberkannt. Die Entscheidung basierte darauf, dass es nach Recherchen keinen Zweifel gebe, „dass Prof. Stigler in seiner Forschung und Lehre nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut verbreitete.“
- bis 2010: Ehrung durch Benennung der Robert-Stigler-Straße in Stiglers Geburtsort Steyr
- Im Frühjahr 2010 beschloss der Gemeinderat von Steyr, dem „Rassenforscher und ehemaligen Lagerarzt der Nazis“ Robert Stigler die Ehre eines Straßennamens abzuerkennen und die Robert-Stigler-Straße umzubenennen.
Publikationen
- Lehrbuch der Physiologie für Krankenpflegeschulen (= Lehrbücher für Krankenpflegeschulen). Hölder, Wien/Leipzig 1917; 2. verbesserte Auflage 1921.
- Entwurf eines neuen medizinischen Lehrplanes. M. Perles, Wien 1918.
- Professoren – Privatdozenten – medizinischer Unterricht. M Perles, Wien 1919 (aus: Wiener Medizinische Wochenschrift, 1919, Nr. 15).
- Physiologisches Merkblatt für Bergsteiger. Herausgegeben von der Wiener Lehrersektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (DuÖAV), Selbstverlag des DuÖAV, Wien 1921.
- Lehrbuch der Physiologie in einfacher Darstellung. 3. neubearbeitete Auflage. Urban & Schwarzenberg, Berlin/Wien 1927.
- Rassenphysiologische Ergebnisse meiner Forschungsreise in Uganda 1911/1912 (= Denkschriften, Band 109, Abhandlung 3). Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1952 (auch bei: Springer, Wien 1952).
- Normaler und hoher Blutdruck und kardiovaskuläre Mortalität bei verschiedenen Völkern. Epidemiologie und Ätiologie (= Kreislauf-Bücherei, Band 22). D. Steinkopff, Darmstadt 1964; Online-Ausgabe: ISBN 978-3-642-87659-2.
Literatur
- Deutsche Biographische Enzyklopädie, Band 9, Schlumberger–Thiersch. 2., überarbeitete und erweiterte Ausgabe. K. G. Saur Verlag, München 2008, ISBN 978-3-598-25039-2, S. 706 (Kurzbiografie von Robert Stigler).
Weblinks
- Birgit Pack: Robert Stigler. Mediziner, Rassenphysiologe, Afrikareisender – Online-Datenbank Die Entwicklung der Afrikanistik in Österreich, 2010
- Simon Loidl: Karriere eines Rassenphysiologen – Science.ORF.at, 13. Oktober 2014
Einzelnachweise
- ↑ Robert Stigler: Eine neue subjektive Gesichtserscheinung. In: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Band 39, 1905, S. 327–331.
- ↑ Odmar Neumann, Jochen Müsseler: Visuelles Fokussieren: Das Wetterwart-Modell und einige seiner Anwendungen. In: Bielefelder Beiträge zur Kognitionspsychologie. 1990, S. 77–108 (academia.edu [PDF]).
- ↑ Verzeichnis der Alten Herren der Deutschen Burschenschaft. Überlingen am Bodensee 1920, S. 251.
- ↑ Vgl. Kurzbiografie von Robert Stigler in: Deutsche Biographische Enzyklopädie, Band 9, Schlumberger–Thiersch. 2., überarbeitete und erweiterte Ausgabe. K. G. Saur Verlag, München 2008, ISBN 978-3-598-25039-2, S. 706.
- 1 2 3 4 5 6 Birgit Pack: Robert Stigler. Mediziner, Rassenphysiologe, Afrikareisender. Auf der Online-Datenbank Die Geschichte der Afrikanistik in Österreich, www.afrikanistik.at, von 2010; abgerufen am 19. November 2014.
- ↑ Bundesarchiv R 9361-II/983783
- ↑ Aberkennung des Ehrenrings von Robert Stigler. Pressemitteilung der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), www.boku.ac.at, vom 2. Juni 2014; abgerufen am 18. November 2014.
- ↑ Hannes Fehringer: Nazi-Arzt Robert Stigler wird Ehre eines Straßennamens aberkannt. In: Oberösterreichische Nachrichten vom 3. März 2010; abgerufen am 18. November 2014.