Samuel Hartlib (* um 1600 in Elbing, Königlich-Preußen; † 1662 in London, England; gebürtig Samuel Hartlieb) war ein deutsch-englischer Wissenschaftler und Pädagoge. Er galt als „the Great Intelligencer of Europe“ (der große Informationssammler und -verbreiter Europas).
Leben und Wirken
Sein Vater war ein reicher Färbereibesitzer (der um 1600 vor den Jesuiten aus Posen nach Elbing floh) und seine Mutter die Tochter des englischen Kaufmanns (und Vorsteher der englischen Kaufmannschaft in Elbing) John Langthon in Elbing. Hartlieb studierte am Gymnasium in Brieg und an der Königsberger Universität, dann kurz an der Universität Cambridge in England (ohne immatrikuliert zu sein). Im Jahre 1628 zog Hartlib dann von Elbing gleichzeitig mit dem Prediger der englischen Gemeinde von Elbing, John Dury, nach England. Dort heiratete er Mary Burningham, mit der er mindestens vier Söhne und zwei Töchter hatte und die um 1660 starb, und blieb fast bis zum Ende seines Lebens dort ansässig.
Er schloss sich der idealistischen Geheimgesellschaft „Antilia“ an, die Mitglieder vor allem in Deutschland hatte und sich der Reformierung von Religion und Erziehung widmete. Sie wollte alle Sekten und Kirchen vereinigen, um sie auf die Wiederkunft Christi vorzubereiten. 1630 gründete er im Auftrag der Gesellschaft eine Akademie (Schule) in Chichester. Nach deren Scheitern ging er nach London, um nun anderen bei der Verwirklichung ihrer Reformgedanken zu helfen.
Sein eigenes Lieblingsprojekt war die Gründung eines aus öffentlichen Mitteln finanzierten Adressbüros (Office of Publick Adresse – nach dem Modell des Bureau d´Adresse von Théophraste Renaudot in Paris), das Informationen von Wissenschaftlern aller Wissensgebiete sammeln und zum allgemeinen Nutzen miteinander verknüpfen sollte, also ein Vorläufer wissenschaftlicher Akademien wie der Royal Society. Der Schwerpunkt lag dabei auf praktisch anwendbaren Wissenschaften. Sie sollte auch zum Austausch in- und ausländischer Kaufleute dienen, der Verbreitung von Erfindungen dienen und die Gönnerschaft reicher Sponsoren sichern. Die dazu notwendigen finanziellen Mittel konnte er nicht beschaffen, doch erhielt er bei seinen Finanzierungsbemühungen wenigstens soviel öffentliche Mittel, um seinen Lebensunterhalt und den einiger notleidender Wissenschaftler zu bestreiten. 1657/58 gründete er ein Adressbüro in Dublin. Offiziell wurde er als Kaufmann bezeichnet, scheint aber nicht als solcher gearbeitet zu haben.
Hartlib unterstützte protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem vom Dreißigjährigen Krieg verheerten Mitteleuropa in England und lud Johann Amos Comenius 1641 nach England ein und gab dessen Schrift Prodomus pansophiae und andere Werke heraus und unterstützte dessen Ideen zur Bildungsreform. Er war auch ein Verfechter der Bemühungen von John Dury um protestantische Einheit. Seine Ideen eines aufgeklärten, Bildung und Wissenschaft fördernden Staates legte er in seiner Utopie A description of the famous kingdom of Macaria von 1641 dar. Sie war von den Utopien von Thomas Morus, Francis Bacon und Johann Valentin Andreae (Christianopolis) beeinflusst (er dringt darauf, dass der Schriftsteller John Hall (1627–1656) eine englische Übersetzung des Buchs von Andreae anfertigt, veröffentlicht 1647). Wie Dury stand er unter dem Einfluss von Andreae (einem der Urheber der Rosenkreuzer-Bewegung), mit dem er auch korrespondierte.
Hartlib entfaltete eine rege Tätigkeit zur Förderung von Wissenschaft und Erziehung und bildete das Zentrum des „Hartlib-Kreises“, der als einer der Vorläufer der Royal Society gilt (er wurde auch von Robert Boyle Invisible College genannt). Er sammelte als Ein-Mann-Verkörperung seines Adressbüros die Ideen von Erfindern und Denkern und verbreitete sie auch ins Ausland. So wurde sein Haus ein Umschlagsplatz für internationalen wissenschaftlichen Literaturaustausch. Er gab viele Publikationen heraus, vor allem Übersetzungen, jedoch verbreitete er auch „Graue Literatur“ – handschriftliche Kopien von Briefen und Aufsätzen. Das war nicht nur finanziell weniger riskant als der Druck, sondern erlaubte auch, unvollendete Werke unter Interessenten zu verbreiten und mit Vorschlägen und Korrekturen versehen zurückzusenden. Zu seinem Kreis gehörten Robert Hooke und Robert Boyle. und ihre alchemistische Tätigkeit wurde unterstützt von Kenelm Digby. Weiter gehörten William Petty, der Chemiker Benjamin Worsley (1618–1673), die Naturwissenschaftler Arnold und Gerald Boate und die Erfinder Cressy Dymock und Gabriel Plattes zum Kreis. Er hatte auch Kontakt zu John Milton, der ihm sein On Education (1644) widmete, und dem Mathematiker John Pell, mit dem er korrespondierte, als er in der Schweiz war. Er korrespondierte unter anderem mit Johannes Hevelius in Danzig, John Dury in den Niederlanden und Deutschland, John Winthrop (Gouverneur von Massachusetts) und George Starkey in Neuengland und mit Henry Oldenbourg. Auch mit Samuel Pepys stand er in Verbindung, der Gast auf der Hochzeit seiner Tochter Nan mit John Roth aus Utrecht war, mit Thomas Hobbes, Christopher Wren, John Evelyn und Pierre Gassendi.
In den Jahren nach dem Bürgerkrieg suchten sie vor allem nach Mitteln, den Wohlstand des Landes zu heben und das menschliche Leben zu verlängern. Dabei machten sie auch vor alchemistischen Versuchen nicht Halt. Sie wollten mit der göttlichen Vorsehung zusammenarbeiten, um die Verbesserung der menschlichen Verhältnisse zu beschleunigen. Die Restauration und die Rückkehr der Stuarts warfen alle Projekte zurück und Hartlib lebte verarmt in Oxford und London. Zuletzt verlor er noch Bücher und Manuskripte durch einen Brand.
Samuel Hartlieb aus Elbing zog aus mit dem Vorsatz: Alles menschliche Wissen zu dokumentieren und universal der ganzen Menschheit dessen Studium zu ermöglichen („To record all human knowledge and to make it universally available for the education of all mankind“).
Der Nachlass ist in der Universitätsbibliothek Sheffield.
Werke
- A Description of the Famous Kingdome of Macaria, London, 1641
- A Faithful and Seasonable Advice, or, the Necessity of a Correspondencie for the Advancement of the Protestant Cause, London, 1643
- Considerations Tending to the Happy Accomplishment of Englands Reformation in Church and State. London, 1647
- A Further Discoverie of the Office of Publick Address for Accomodations, London, 1648
- Samuel Hartlib and his legacy, London 1651, 3. Auflage 1655 (Sammlung von Aufsätzen zur Landwirtschaft, u. a. von Cressy Dymock und Robert Child)
Hartlibs Briefe und sein Nachlass, insgesamt über 25.000 Seiten, wurden 1995 auf CD veröffentlicht. Ein Großteil befindet sich in der Bibliothek der University of Sheffield.
Literatur
- Marie Boas Hall: HartLib, Samuel. In: Charles Coulston Gillispie (Hrsg.): Dictionary of Scientific Biography. Band 6: Jean Hachette – Joseph Hyrtl. Charles Scribner’s Sons, New York 1972, S. 140–142.
- Mark Greengras, Michael Leslie (Hrsg.) Samuel Hartlib and Universal Reformation. Studies in Intellectual Communication, Cambridge 1994
- G. H. Turnbull: Samuel Hartlib. A sketch of his life and his relation to J. A. Comenius, Oxford 1920
- G. H. Turnbull: Hartlib, Dury and Comenius. Gleanings from Hartlibs papers, Liverpool, London 1947
- G. H. Turnbull Samuel Hartlib´s Influence on the Early History of the Royal Society, Notes and Records of the Royal Society of London 10, no. 2, 1953
- R. H. Syfret The origins of the Royal Society, Notes and Records of the Royal Society of London 5, 1947/48, S. 75–137.
- Henry Dircks Biographical Memoir of Samuel Hartlib, London 1865
- Friedrich Althaus: Samuel Hartlib- ein deutsch-englisches Charakterbild, Leipzig 1884
- H. M. Knox: William Petty's Advice to Samuel Hartlib, British Journal of Educational Studies, Vol. 1, No. 2 (May, 1953), S. 131–142.
- Martin Schmidt: Hartlib, Samuel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 7, Duncker & Humblot, Berlin 1966, ISBN 3-428-00188-5, S. 721 f. (Digitalisat).
- Alfred Stern: Samuel Hartlib. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 10, Duncker & Humblot, Leipzig 1879, S. 672 f.
- Donald R. Dickson: The Tessera of Antilia. Utopian brotherhoods and secret societies in the early seventeenth century, Brill 1998
- Charles Webster (Hrsg.) Samuel Hartlib and the Advancement of Learning, Cambridge University Press, 1970.
- Carol Pal: The early modern information factory: how Samuel Hartlib turned correspondence into knowledge. In: Paula Findlen (Hg.): Empires of knowledge – scientific networks in the early modern world, London; New York: Routledge 2019 ISBN 978-1-138-20712-7, S. 126–158.
- Leigh T. I. Penman: Omnium Exposita Rapinæ: The Afterlives of the Papers of Samuel Hartlib. January 2016. Book History 19(1):1-65. DOI:10.1353/bh.2016.0000.
Weblinks
- Samuel Hartlib Museum University Oxford (in Englisch)
- Anton Tantner: Frühneuzeitliche Adressbüros
- Hartlib Papers, Universitätsbibliothek Sheffield
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ https://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/Content/52059/PDF/01.pdf
- ↑ Auch John Dury war an der Konzipierung beteiligt
- ↑ 1645 bis 1659 erhielt er verschiedentlich Zuwendungen vom Parlament. Marie Boas Hall, Dictionary of Scientific Biography
- ↑ Joad Raymond, John Hall, Oxford Dictionary of National Biography
- ↑ Dessen erste wissenschaftliche Veröffentlichung erschien in Chymical, Medicinal and Chyrurgical Addresses Made to Samuel Hartlib Esq, London, 1655
- ↑ Pell war politischer Agent von Oliver Cromwell und Cromwell scheint auch Hartlib für seine politischen Verbindungen ins Ausland genutzt zu haben - auf Cromwells Begräbnis wird er als Sekretär bezeichnet
- ↑ The Hartlib Papers on CD Rom, Ann Arbor, Michigan 1995, Herausgeber J. Crawford, M. Greengrass, M. Leslie, T. Raylor. Inzwischen online: https://www.dhi.ac.uk/hartlib/.