Sir Kenelm Digby, fälschlich auch Dygbi (* 11. Juli 1603 in Gayhurst, Buckinghamshire (heute Borough of Milton Keynes); † 11. Juni 1665), war ein englischer Höfling, Abenteurer und Diplomat. Ebenso genoss er als Naturphilosoph eine hohe Reputation und war als einer der führenden römisch-katholischen englischen Intellektuellen bekannt. Seine Vielseitigkeit brachte ihm den Beinamen eines „magazine of all arts“ („Speicher aller Künste“) ein.

Frühe Jahre und Laufbahn

Digby stammte aus dem niederen Adel, doch wurde sein Leben vor allem durch die Verbundenheit seiner Familie zum römisch-katholischen Glauben geprägt. Sein Vater Everett Digby wurde wegen seiner Beteiligung am Sprengstoffanschlag „Gunpowder Plot“ hingerichtet, den Katholiken im Jahr 1605 auf den protestantischen König Jakob I. verübt hatten.

Er besuchte ab 1618 die Universität Oxford (Gloucester Hall, das für katholische Sympathien bekannt war), wo er ein Schüler des Mathematikers Thomas Allen war, erwarb aber keinen Abschluss. Allen vermachte ihm später seine Bibliothek. Danach war er 1620 bis 1623 auf Kavalierstour in Kontinentaleuropa. Seinen Memoiren nach eroberte er Marie de Medici und freundete sich mit dem späteren König Karl I. in Spanien an, wo sein Onkel der Earl of Bristol englischer Botschafter war. Bei der Rückkehr wurde er am 28. Oktober 1623 als Knight Bachelor geadelt. Er gehörte zum engsten Kreis um Karl I. und war Mitglied von dessen Privy Council. Um seine Karriere zu fördern trat er 1630 zur anglikanischen Kirche über.

Im Jahr 1628 war Digby als Freibeuter aktiv. Mit seinem Flaggschiff „Eagle“ kaperte er vor Gibraltar und Mallorca mehrere spanische und flämische Schiffe, schüchterte nordafrikanische Piraten in Algier ein und besiegte eine im Hafen von Iskanderun liegende französisch-venezianische Flotte. Nachdem daraufhin englische Kaufleute von Repressalien bedroht waren, wurde Digby zur Beendigung seiner Aktivitäten gezwungen. Die Eagle wurde später in Arabella oder Arbella umbenannt und transportierte 1630 unter John Winthrop Puritaner nach Amerika.

Nach der Rückkehr 1629 wurde er Beamter und später Leiter des Trinity Haus, dem die Leuchttürme und Seezeichen Großbritanniens unterstanden.

Ehe, Katholizismus und Bürgerkrieg, Exil in Frankreich

1625 heiratete er Venetia Stanley (geboren 1600, ihr eigentlicher Vorname war wahrscheinlich Gwyneth), eine berühmte Schönheit der damaligen höfischen Gesellschaft, die aber schon 1633 starb. Zunächst war sie die Konkubine von Richard Sackville, 3. Earl of Dorset, mit dem sie Kinder hatte und der ihr eine Pension von 500 Pfund aussetzte. Ihr Tod war mysteriös und auch eine offiziell angeordnete Autopsie brachte keine Klarheit. Digby war untröstlich (ihm wurde in der Ehe aber auch Eifersucht nachgesagt) und der Tod seiner Frau, die er auf dem Totenbett von Anthony van Dyck porträtieren ließ, war ein großer Einschnitt in seinem Leben. Digby schrieb Erinnerungen an ihre Beziehung in literarisch bearbeiteter Form (er bezeichnete sie als Stelliana und sich als Theagenes und auch für andere Personen wählte er Pseudonyme), die 1827 erschienen, gesäubert um sexuell anzüglich Stellen, die aber einige Jahre später in einer weiteren Ausgabe im Anhang erschienen. Digby ließ sie auch in einem prächtigen Grabmonument verewigen, das aber dem Feuer von London 1666 zum Opfer fiel.

Digby wandte sich nun der Wissenschaft zu und kehrte auch 1633 zum katholischen Glauben zurück. Er experimentierte im Gresham College und erhielt für seinen Unterhalt vom Hof das Monopol auf Siegelwachs in Wales und Umgebung sowie für den Handel mit dem Golf von Guinea und mit Kanada (letzteres auf 30 Jahre mit drei anderen). Ab 1635 war er in Paris, wo er die meiste Zeit bis zu seiner Rückkehr 1660 verbrachte, einschließlich der Zeit des Englischen Bürgerkriegs (1642–1649). Nur zweimal versuchte er in dieser Zeit zurückzukehren: 1641 um Karl I. im Bischofskrieg zu unterstützen und 1642, als er Frankreich nach einem Duell verließ, in der er einen französischen Adligen (Mont le Ros) tötete, der auf einem Banquet den englischen König beleidigte (Digby galt als exzellenter Fechter). In England wurde er aber durch das Parlament inhaftiert. Durch die Intervention von Anna von Österreich befreit ging er wieder zurück nach Frankreich, während sein Besitz in England vom von Puritanern beherrschten Parlament beschlagnahmt wurde. In Paris traf er Thomas Hobbes (der dort ebenfalls im Exil war), den er mit dem Discourse von René Descartes bekanntmachte, und gehörte zum Kreis um Marin Mersenne. Später war er mit der Akademie von Montmor verbunden und ein Freund von Samuel de Sorbière. Er kannte Descartes auch persönlich und ebenso Christian Huygens.

Er stand mit englischen und französischen Mathematikern in Briefwechsel (John Wallis, Pierre de Fermat, Frenicle de Bessy, Brouncker). Er war seit 1660 Gründungsmitglied der Royal Society und 1662/63 in deren Rat.

Nachdem die Königin und Gemahlin von Karl I. Henrietta Maria von Frankreich 1644 aus England floh wurde er ihr Kanzler, was er bis zu seinem Tod blieb. 1645 und 1646/47 verhandelte er für die Royalisten mit dem Papst in Rom. Später kam es aber auch zu einer Verständigung mit Oliver Cromwell, der ihn als Vertreter der englischen Katholiken zu (erfolglosen) Verhandlungen mit dem Papst 1655 in Rom nutzte. Außerdem erhielt er wahrscheinlich eine Pension von Cromwell. In der Zeit der Restoration war er aufgrund seines Verhältnisses zu Henrietta Maria am Hof angesehen, kam aber öfter in Konflikt mit Karl II. und wurde bei einer Gelegenheit vom Hof verbannt. Er starb wahrscheinlich an Nierensteinen.

Charakter und Werke

Zeitgenossen hielten Digby einerseits wegen seines extrovertierten Auftretens und andererseits wegen seiner wissenschaftlichen Interessen für exzentrisch. Aufgrund seiner Vielseitigkeit nannte ihn Henry Stubbe den Plinius seiner Zeit. In einer Zeit, in der sich wissenschaftliche Verfahren noch nicht etabliert hatten, betrieb Digby intensive astrologische und alchemistische Studien, in den 1630er Jahren teilweise mit dem Maler Anthonis van Dyck. Seine Erfahrungen in Pharmazie schlugen sich in einem 1668 veröffentlichten Buch nieder (Choice and Experimental Receipts of Physick and Chirurgery), das viele Auflagen hatte. In ihm propagiert er ein Powder of Sympathy (Pulvis sympatheticus bzw. ferrum sulfuricum siccum) als eine Art Allheilmittel, hergestellt mit astrologischen Verfahren. Es wurde sogar 1687 als Lösung des Längengradproblems vorgeschlagen (aufgrund der "sympathischen" Wirkung der Verabreichung des Pulvers). Seine Waffensalbe auf Basis von Kupfersulfat sollte durch sympathische Wirkung Wunden heilen, indem die verursachende Waffe eingerieben wurde. Er unterstützte um 1654 die alchemistischen Versuche im Kreis von Samuel Hartlib (dem auch Robert Boyle angehörte) und hatte 1661 in London ein eigenes Labor mit dem siebenbürgischen Alchemisten Johannes Banfi Hunneades als Assistenten.

Erste Kontakte zu Experimentatoren erhielt er wahrscheinlich in seiner Zeit im Marineamt am Trinity House in Deptford. Nach dem Tod seiner Frau stürzte er sich in Experimente am Gresham College zu den unterschiedlichsten Themen wie Magnetismus, Optik und Medizin und Anatomie (Wachstum des Embryos, Blutkreislauf in der Nachfolge William Harveys). Sein bedeutendstes Werk war Discourse concerning the vegetation of plants (1661) über Botanik. Er war einer der Ersten, die die Bedeutung des Sauerstoffs („vital air“) für den Stoffwechsel von Pflanzen erkannten. Neben seiner Suche nach einer Universalmedizin interessierte er sich für Arzneien und Kosmetika aus Metallsalzen, Konstruktion von Öfen und Umwandlung von Metallen. Er erhielt bei seinem Aufenthalt in Paris in den 1650er Jahren Unterweisung von Nicolas Lefèvre im Jardin Royale.

Digby war 1660 eines der Gründungsmitglieder der „Royal Society“.

Erst nach seinem Tod wurde ein von ihm erstelltes Kochbuch veröffentlicht. Digby entwickelte auch eine verbesserte Manufakturtechnik zur Weinflaschenherstellung, indem die Luftzufuhr in den Brennofen verbesserte und höhere Kali- und Kalkanteile bei der Glasproduktion verwendete. Ihm wird die Entwicklung der modernen Weinflasche zugeschrieben, worauf er 1662 ein Patent erhielt. Seine Flaschen waren zylindrisch, hatten einen eingewölbten Boden und sie waren fest genug, um durch Flaschengärung Champagner herzustellen.

1638 veröffentlichte Digby seine Schrift A Conference with a Lady about choice of a Religion, die Apologie seines Übertritts zum Katholizismus, in der er die Unfehlbarkeit der katholischen Kirche verteidigte. 1644 veröffentlichte Digby die philosophischen Traktate The Nature of Bodies und On the Immortality of Reasonable Souls, die sowohl der aristotelischen Philosophie als auch einer atomistisch geprägten Weltsicht folgten und seine naturphilosophischen Hauptwerke darstellen.

Übersetzungen

  • Eröffnung unterschiedlicher Heimlichkeiten der Natur. Übersetzt von H. Hupka. Balthasar Christoph Wust, Frankfurt am Main 1660 (mehrfache Neuauflagen) – Schrift über die Erfindung des pulvis sympatheticus.

Literatur

  • Robert T. Petersson: Sir Kenelm Digby, the Ornament Of England. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1956.
  • Eric W. Bligh: Sir Kenelm Digby and his Venetia. Low Marston Publ., London 1932.
  • Thomas Longueville: The life of Sir Kenelm Digby. Longmans, Green u. Co., London 1896 (Archive).
  • Antoine-Jacques-Louis Jourdan: Kenelm Digby. In: Dictionnaire des sciences médicales. Biographie médicale. Band 3, Panckoucke, Paris 1821, S. 478–482 (Digitalisat)
  • Kenelm Digby: Private Memoirs of Sir Kenelm Digby. Saunders and Otley, London 1827 (Archive).
  • H. M. Digby: Sir Kenelm Digby and George Digby, Earl of Bristol. Digby, Long and Co., London 1912.
  • Roy Digby Thomas: Digby. The Gunpowder Plotter´s Legacy. Janus Publ., London 2001, ISBN 1-85756-520-7.
  • Betty Jo Teeter Dobbs: Studies in the natural philosophy of Sir Kenelm Digby, Ambix, Band 18, 1971, S. 1–25, Band 20, 1973, S. 143–163, Band 21, 1974, S. 1–28
  • Marie Boas Hall, Kenelm Digby, in Dictionary of Scientific Biography
  • Martha Baldwin: Kenelm Digby. In: Claus Priesner, Karin Figala Alchemie: Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, C. H. Beck 1998, S. 110–111.
  • Lawrence M. Principe: Sir Kenelm Digby and His Alchemical Circle in 1650s Paris: Newly Discovered Manuscripts, Ambix, Band 60, 2013, S. 3–24.

Anmerkungen

  1. http://198.82.142.160/spenser/BiographyRecord.php?action=GET&bioid=33241@1@2Vorlage:Toter+Link/198.82.142.160+(Seite+nicht+mehr+abrufbar,+festgestellt+im+April+2019.+Suche+in+Webarchiven.) Datei:Pictogram+voting+info.svg Info:+Der+Link+wurde+automatisch+als+defekt+markiert.+Bitte+prüfe+den+Link+gemäß+Anleitung+und+entferne+dann+diesen+Hinweis.
  2. Anlässlich des Besuchs des Königs 1624 in Cambridge, den er begleitete, erhielt er dort einen Magister Artium Abschluss
  3. In seinen Memoiren schildert er einen Straßenkampf mit Spaniern in Madrid, Paul Kirchner The extraordinary street fight of Sir Kenelm Digby
  4. William Arthur Shaw: The Knights of England. Band 2, Sherratt and Hughes, London 1906, S. 183.
  5. Biographie von John Aubrey
  6. Er porträtierte sie insgesamt dreimal, einmal als Teil eines Familienporträts und einmal allegorisch als Klugheit
  7. Erste Kontakte zu Experimentatoren hatte er wahrscheinlich über das Trinity House in Deptford in seiner Zeit im Marineamt
  8. The Cambridge History of English and American Literature, Vol. VIII.
  9. Richard Westfall: Science and Religion in Seventeenth-Century England, 1973, S. 16.
  10. The Closet of the Eminently Learned Sir Kenelme Digbie Knight Opened, 1669, Ausgabe im Project Gutenberg. Mit Biographie von Digby.
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