Die Seldschuken, auch seldschukische Türken, Seldschuk-Türken oder Seldschuqen (türkisch Selçuklular, persisch سلجوقيان Saldschughiyan, DMG Salǧūqiyān, arabisch سلجوق Saldschuq, DMG Salǧūq, pl. السلاجقة as-Saladschiqa, DMG as-Salāǧiqa) waren eine von 1040 bis 1194 herrschende türkische Fürstendynastie, die das Reich der Großseldschuken begründete, das sich über Mittelasien, Iran, den Irak, Syrien, Anatolien und Teile der Arabischen Halbinsel erstreckte und seine Blütezeit etwa zwischen 1047 und 1157 hatte.

Einige Seldschuken-Fürsten beherrschten das gesamte Großseldschukenreich, andere Teilgebiete wie Kerman und Syrien (bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts) oder Anatolien (Sultanat von Rum bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts).

Die Seldschuken waren sunnitische Muslime und leiteten mit ihrem Sieg in der Schlacht von Manzikert im Jahr 1071 die türkische Landnahme in Anatolien ein.

Geschichte

Aufstieg

Die Seldschuken waren ein Zweig des im 8. Jahrhundert in Transoxanien eingewanderten türkischen Stammesverbands der Oghusen, jener Nomaden, die noch im 10. Jahrhundert größtenteils in der heutigen Kasachensteppe umherzogen. Namensgeber der Dynastie war Seldschuk (um 1000), Khan des oghusischen Stammes der Kınık. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts trat Seldschuk mit seinen Leuten zum Islam über. Er hatte vier Söhne, Mîkâ'îl, Isrâ'îl (oder Arslan), Mûsâ, und Yûnus. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Karachaniden und den persischen Samaniden spielten die Oghusen eine bedeutende Rolle, was zu politischen Spannungen unter den oghusischen Stämmen führte. Die zu Seldschuk gehörenden Nomaden und seine Krieger lösten sich aus dem Stammesverband der Oghusen und wanderten weiter. 1025 nahm Mahmud von Ghazni Seldschuks Sohn Arslan gefangen und nahm ihn als Geisel; dieser überlebte die Gefangenschaft nicht.

Unter den Söhnen Mîka'îls, Tughrul Beg (der Falke) und Tschaghri Beg brachten die Seldschuken 1034 Chorâsân unter ihre Herrschaft und verdrängten 1040 mit der siegreichen Schlacht von Dandanqan die Ghaznawiden. 1055 zog Tughrul in Bagdad ein und beendete die über hundertjährige Schutzherrschaft der Bujiden. Damit wurden die Seldschuken die neue Schutzmacht über das Abbasiden-Kalifat in Bagdad. Unter Tughrul Beg unterwarfen die Seldschuken große Teile Persiens und 1055 den Irak. Vom Kalifen in Bagdad erhielt er den Titel eines Sultans verliehen. Tughrul verlegte die Hauptstadt des seldschukischen Reiches nach Rey in der Nähe des heutigen Teheran.

Die Gründung des Reiches der Großseldschuken und die türkische Dominanz in der islamischen Welt markieren einen Wendepunkt in der Geschichte der islamischen Zivilisation und der muslimischen Völker. Zu einem Zeitpunkt, als die Welt des Islams an inneren und äußeren Krisen litt, stellten die Seldschuken die politische Einheit der islamischen Welt wieder her.

Blüte

Alp Arslan (1063–1072) führte das Reich der Großseldschuken zum Höhepunkt seiner Macht. 1071 besiegte er in der Schlacht von Manzikert das Byzantinische Reich und leitete damit die türkische Besiedlung Anatoliens ein. Zwischen 1071 (Schlacht von Manzikert) und 1243 (Schlacht vom Köse Dağ) wanderten bis zu einer Million Türken in Anatolien ein. Sie bildeten nicht die ethnische Mehrheit in Anatolien, waren aber die einzige Gruppe, die sich über das gesamte Gebiet verteilt hatte. Die Landnahme Anatoliens durch die Seldschuken ab dem 11. Jahrhundert bildete den Gipfel der massiven Wanderungen der türkischen Völker, die ab dem 8. Jahrhundert erfolgten. Anatolien wurde in europäischen Quellen (erstmals in lateinischen) ab dem 12. Jahrhundert zur „Türkei“ (bzw. „Turchia“). Unter Alp Arslan, seinem Nachfolger Malik Şâh (1072–1092) und dem persischen Wesir Nezâm al-Molk erreichte das Sultanat seinen politischen und kulturellen Höhepunkt.

Untergang

Mit der Ermordung des Wesirs Nezâm al-Molk durch die Assassinen und dem Tod von Sultan Malik-Schah (1092) brachen bald Thronkämpfe innerhalb der Seldschuken aus. Diese führten 1118 zur Teilung des Reiches in Khorasan/Transoxanien und die beiden Irak (auf dem Gebiet des westlichen Iran und des Irak gelegen). Im 11. Jahrhundert entstand in Anatolien – mit der Hauptstadt Konya – das Sultanat der anatolischen Seldschuken.

Unter dem in Khorasan regierenden Sultan Sandschar (1118–1157), Sohn Malik-Schahs II., hatte die Seldschukenherrschaft eine letzte Blüte. Allerdings erlitt er 1141 bei Samarkand eine Niederlage gegen die Kara Kitai, wurde wenig später gestürzt und versuchte bis zu seinem Tod vergeblich, das Seldschukenreich wieder aufzurichten. Die Choresm-Schahs traten mit Söldnern der Kyptschaken und Oghusen sein Erbe an, eroberten bis Ende des 12. Jahrhunderts Mittelasien und den Iran. 1194 beseitigten sie den letzten Seldschukenherrscher von Rey. In Anatolien gerieten die Rum-Seldschuken nach 1243 unter die Herrschaft der Ilchane; ihr Sultanat von Konya löste sich bis 1307 auf. Die aufstrebenden Osmanen traten zu Beginn des 14. Jahrhunderts das Erbe der Seldschuken in Anatolien an.

Organisation

Abstufung der Macht:

  • Sultān (selbständige Herrscher unter der Autorität des Kalifen)
  • Wazīr
  • Amīr (Heerführer)
  • einheimische Adelige

Die seldschukischen Türken, die aus Zentralasien kamen, wussten das Beste aus den bereits existierenden Verwaltungsstrukturen zu machen. Die Etablierung des Seldschukenreichs brachte unter anderem die Entthronung der arabischen Sprache als alleinige Lingua franca im Nahen Osten mit sich, da die Seldschuken, die kein eigenes hochentwickeltes türkisches Kultur- oder Literaturerbe mitbrachten, das Kultur- und Literaturerbe Persiens übernahmen, so dass die persische Sprache zu ihrer Verwaltungs- und Kultursprache wurde. Die persische Kultur der Rum-Seldschuken in Anatolien gilt als besonders prächtig. Erst seit dem Zerfall der seldschukischen Zentralmacht im 14. Jahrhundert entwickelte sich die türkische Sprache schrittweise als parallele Sprache in Regierungskreisen und in der Literatur. Die persische Prägung der osmanischen Zivilisation sollte noch bis ins 19. Jahrhundert stark bleiben.

Die Politik der Seldschuken wurde maßgeblich durch zwei Faktoren bestimmt:

  1. die Wünsche und Bedürfnisse des Sultāns und die seiner Berater und Administratoren auf der einen Seite,
  2. die Bedürfnisse der turkmenischen Nomaden, die weiterhin einen wichtigen Teil der seldschukischen Streitmacht stellten, auf der anderen Seite.

Die mühevolle Balance zwischen persisch-islamischen und türkisch-nomadischen Elementen konnte Konflikte nicht verhindern. Vor allem im Osten der persischen Welt, und ganz besonders in Transoxanien, gab es nach dem Zusammenbruch der Samaniden und Ghaznawiden, zumindest anfänglich, eine deutliche Dezentralisation der Macht und einen Rückfall in Richtung feudaler Strukturen. Die Seldschuken herrschten über ein Reich ohne feste Grenzen, und so konnte es auch vorkommen, dass bestimmte Gebiete in bestimmten Zeiten an die einheimischen Stämme zurückgegeben oder verkauft wurden. In der Regel durften in den Peripherien des Reiches die lokalen Fürsten und Prinzen als feudale Herren weiterherrschen. Sie waren dem seldschukischen Sultan aber tributpflichtig.

Kultur

Sprache

Die Seldschuken pflegten vor allem in der Frühzeit die nomadischen Traditionen ihrer oghusischen Vorfahren, die sie aber nach der Bekehrung zum Islam größtenteils aufgaben. Obwohl sich die türkischen Seldschuken als aufstrebende Großmacht im Laufe der Zeit aufgrund der Etabliertheit der persischen Schriftsprache in der islamischen Welt zunehmend iranisierten, konnten sich dennoch, insbesondere unter der nomadisch lebenden Bevölkerung außerhalb der Städte, türkische Traditionen und Mundarten aufgrund ihrer oghusischen (türkischen) Vergangenheit lange erhalten. Hofsprache der Seldschuken war nach Dynastiegründung das Persische, das sie schon zu Beginn angenommen hatten.

Literatur

Die persische Literatur und Dichtkunst wurde von den Herrschern der Seldschuken großzügig gefördert.

Kunst

Die Bedeutung der seldschukischen Kunst im größeren Kontext der islamischen Kunst liegt vor allem darin, dass sie die dominierende Rolle Persiens etablierte, die vergleichbar ist mit der Rolle Italiens in der europäischen Kunst, und damit auch die Entwicklung der persischen Kunst späterer Jahrhunderte prägte.

Literatur

  • Claude Cahen: La Campagne de Mantzikert d'apres les sources musulmanes. In: Byzantion 9, 1934, ISSN 0378-2506, S. 613–642.
  • Claude Cahen: Le Malik-Nameh et l'histoire des origines Seldjukides. In: Oriens 2, 1949, ISSN 0078-6527, S. 31–65.
  • Claude Cahen: Pre-Ottoman Turkey. Übersetzt von J. Jones-Williams. Taplinger, New York NY 1968.
  • Claude Cahen: The Turkish Invasion: The Selchükids. In: Kenneth M. Setton (Hrsg.): A History of the Crusades. Band 1. University of Wisconsin Press u. a., Madison WI 1969, S. 135–176 (online).
  • Carter Vaughn Findley: The Turks in World History. Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 0-19-517726-6, Kapitel 2 „Islam and Empire from the Seljuks through the Mongols“, S. 56–92.
  • Gillies E. Tetley: The Ghaznavid and Seljuk Turks. Poetry as a Source for Iranian History. Routledge, New York 2009, ISBN 978-0-415-43119-4.
  • Osman Turan: Anatolia in the Period of the Seljuks and the Beyliks. In: Peter Malcolm Holt, Ann Katharine Swynford Lambton, Bernard Lewis: The Cambridge History of Islam. Band 1, A: The central Islamic lands from pre-Islamic times to the first World War. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1977, ISBN 0-521-29135-6, S. 231–262.
  • Martin Strohmeier: Seldschukische Geschichte und türkische Geschichtswissenschaft. Die Seldschuken im Urteil moderner türkischer Historiker. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 1984, ISBN 392296897X.
Commons: Seldschuken – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Seldschuke – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 Tamara Talbot Rice: Die Seldschuken. Köln 1963, S. 10
  2. 1 2 3 4 5 6 Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. Darmstadt 1985, S. 14
  3. Monika Gronke: Geschichte Irans. München 2003, S. 41
  4. Tamara Talbot Rice: Die Seldschuken. Köln 1963, S. 22
  5. Encyclopaedia of Islam, digitale Edition, Artikel Saldjukids – Einleitung
  6. Steinbach (1996), S. 22
  7. 1 2 Matuz (1985), S. 16
  8. Gronke (2003), S. 41
  9. Johann August Vullers: Mirchond's Geschichte der Seldschuken. Heyer, 1837, S. 6 f.
  10. Tamara Talbot Rice: Die Seldschuken. Köln 1963, S. 12
  11. Peter Malcolm Holt, Ann Katharine Swynford Lambton, Bernard Lewis: The Cambridge History of Islam. Vol 1A, 1977, S. 231
  12. Peter Malcolm Holt, Ann Katharine Swynford Lambton, Bernard Lewis: The Cambridge History of Islam. Vol 1A, 1977, Turkish Migration and First Raids on Anatolia und The Settlement of the Turks in Anatolia, S. 231f.
  13. Carter V. Findley: Dünya Tarihinde Türkler. türk. Übersetzung von The Turks in World History, 2006, S. 91
  14. Peter B. Golden: An Introduction to the History of the Turkic Peoples. Ethnogenesis and State-Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East. 1992, S. 224–225
  15. Harald Haarmann: Weltgeschichte der Sprachen. München 2006, S. 271
  16. Carter V. Findley: Dünya Tarihinde Türkler. türk. Übersetzung von The Turks in World History, S. 72
  17. Kreiser (2003), S. 44.
  18. So war die türkische Sprache damals noch nicht verschriftlicht. – Vgl. Thorsten Roelcke: Variationstypologie. Ein sprachtypologisches Handbuch der europäischen Sprachen in Geschichte und Gegenwart. Walter de Gruyter, 2003, ISBN 3110160838, S. 919
  19. 1 2 Thorsten Roelcke: Variationstypologie. Ein sprachtypologisches Handbuch der europäischen Sprachen in Geschichte und Gegenwart. Walter de Gruyter, 2003, ISBN 3110160838, S. 919
  20. Encyclopaedia of Islam, digitale Edition, Artikel Saldjukids, Abschnitt The historical significance of the Saldjuks
  21. C.E. Bosworth: Barbarian Incursions. The Coming of the Turks into the Islamic World. In: D.S. Richards: Islamic Civilization. Oxford 1973, S. 10 ff.
  22. Tamara Talbot Rice: Die Seldschuken. Köln 1963, S. 92
  23. Cahen (1968), S. 292
  24. 1 2 Gronke (2003), S. 46
  25. Encyclopaedia of Islam, New Edition; Brill, Leiden; CD-Version; Artikel "Saldjūkids"
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