Als Reaktionswärme wurde früher die bei einer chemischen Reaktion freigesetzte oder aufgenommene Energie bezeichnet. Der Begriff ist thermodynamisch nicht zutreffend, da diese Energie sowohl in Form von Arbeit (Volumenarbeit) als auch in Form von Wärme auftritt. Der thermodynamische Fachbegriff lautet Reaktionsenthalpie.

Im Verlauf einer chemischen Reaktion wird in der Regel ein Teil des Energieunterschieds von Ausgangsstoffen und Reaktionsprodukten in Form von Wärme freigesetzt oder aufgenommen. Die Untersuchung der Reaktionswärme erlaubt Rückschlüsse auf die thermodynamischen Eigenschaften der beteiligten Substanzen. Bei der Auslegung der Reaktionsgefäße ist es ebenfalls sehr nützlich, eine zu erwartende Wärmefreisetzung im Voraus ermitteln zu können.

Die Reaktionswärme ist jedoch keine Zustandsgröße, sondern eine Prozessgröße. Selbst wenn die Ausgangs- und Produktstoffe sowie deren thermodynamische Zustände genau festgelegt sind, ist daher immer noch nicht die zu erwartende Reaktionswärme festgelegt, da sie auch davon abhängt, wie der Reaktionsprozess geführt wird. Tabellen für die zu erwartenden Reaktionswärmen müssten daher nicht nur alle möglichen Substanzkombinationen, sondern auch alle möglichen Prozessführungen auflisten, was praktisch nicht durchführbar wäre.

Unter bestimmten Bedingungen jedoch – nämlich für Reaktionen, die bei konstantem Volumen oder bei konstantem Druck ablaufen – kann die Reaktionswärme als Differenz von Zustandsgrößen ausgedrückt werden:

  • Für Reaktionen bei konstantem Volumen ist die umgesetzte Reaktionswärme die Differenz der inneren Energien von Produkt- und Ausgangsstoffen.
  • Für Reaktionen bei konstantem Druck ist die umgesetzte Reaktionswärme die Differenz der Enthalpien von Produkt- und Ausgangsstoffen.

Die Tabellierung wird dadurch erheblich vereinfacht. Es müssen nicht einmal alle möglichen Kombinationen von Substanzen tabelliert werden. Es genügt, die innere Energie beziehungsweise die Enthalpie der Einzelsubstanzen in geeigneten Referenzzuständen (wie beispielsweise dem Standardzustand) zu tabellieren.

  • Im Fall einer Reaktion bei konstantem Volumen lässt sich die zu erwartende Reaktionswärme ermitteln als Summe der inneren Energien der Produktstoffe abzüglich der Summe der inneren Energien der Ausgangsstoffe.
  • Im besonders häufig auftretenden Fall einer Reaktion bei konstantem Druck lässt sich die zu erwartende Reaktionswärme ermitteln als Summe der Enthalpien der Produktstoffe abzüglich der Summe der Enthalpien der Ausgangsstoffe.

Erläuterung

Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass eine Änderung der inneren Energie eines Systems gleich der Summe der mit dem System ausgetauschten Wärme und Arbeit ist:

.

Neben der Aussage, dass eine Erhöhung des Energieinhalts Energiezufuhr erfordert (Energieerhaltung) wird damit auch festgestellt, dass es zwei verschiedene Mechanismen für den Energieaustausch zwischen dem System und seiner Umgebung gibt: Wärme und Arbeit. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass mit der Wärme auch Entropie transportiert wird, mit der Arbeit hingegen nicht (Zweiter Hauptsatz der Thermodynamik). Geschieht der Energieaustausch aufgrund einer chemischen Reaktion im System, werden die beiden Übertragungsmechanismen auch als Reaktionswärme und Reaktionsarbeit bezeichnet.

Reaktionswärme und Reaktionsarbeit sind wichtige und aufschlussreiche Kenngrößen bei der thermodynamischen Untersuchung des Systems und seiner Prozesse, sie spielen aber auch in der praktischen Arbeit eine wesentliche Rolle bei der Auslegung der Apparaturen.

Die üblicherweise verwendete Vorzeichenkonvention für die Reaktionswärme betrachtet den Wärmeaustausch vom Standpunkt des Systems aus, setzt also zugeführte Wärme als positiv an (Gewinn), abgeführte Wärme als negativ (Verlust).

Der heute kaum mehr gebräuchliche Begriff Wärmetönung bezeichnet die bei der Reaktion freigesetzte Wärme, benutzt also die entgegengesetzte Vorzeichenkonvention: Freigesetzte Wärme entspricht einer positiven Wärmetönung, aufzuwendende Wärme einer negativen Wärmetönung.

Je nach Art der Reaktion kann die Reaktionswärme auch als Verbrennungswärme, Lösungswärme, Zersetzungswärme, Polymerisationswärme und so weiter bezeichnet werden.

Zusammenhang mit Reaktionsenthalpie und Reaktionsenergie

Zustands- und Prozessgrößen

Eine Zustandsgröße ist durch den aktuellen Zustand des Systems eindeutig festgelegt. Sie ist insbesondere unabhängig von der Vorgeschichte des Systems, also von dem Prozess, über den es in den vorliegenden Zustand gelangte. Beispiele sind die innere Energie des Systems und die Enthalpie des Systems.

Eine Prozessgröße beschreibt den Vorgang, der das System von einem Zustand in einen anderen überführt. Gibt es verschiedene Prozessführungen, die von einem gegebenen Anfangszustand zu einem gegebenen Endzustand führen, können die jeweiligen Prozessgrößen trotz fixierter Anfangs- und Endzustände verschieden sein.

Die Reaktionswärme und die Reaktionsarbeit sind Prozessgrößen. Wird ein System durch einen Prozess von einem Anfangs- in einen Endzustand überführt, so ist die umgesetzte Gesamtenergie und damit die Summe von Reaktionswärme und Reaktionsarbeit durch Anfangs- und Endzustand eindeutig festgelegt (nämlich als Differenz der Zustandsgrößen End- und Anfangsenergie). Wie sich dieser Gesamtenergieumsatz jedoch in Wärme und Arbeit aufspaltet, hängt im Allgemeinen von der jeweiligen Prozessführung ab. Daraus folgt, dass insbesondere die Reaktionswärme im Allgemeinen nicht ohne nähere Kenntnis der verwendeten Prozessführung berechnet werden kann.

Unter bestimmten Umständen kann die Reaktionswärme jedoch auf Zustandsgrößen zurückgeführt werden. In diesen Fällen genügt die Kenntnis von Anfangs- und Endzustand, um die Reaktionswärme berechnen zu können. Details des verwendeten Prozesses werden nicht benötigt, was den rechnerischen Umgang mit der Reaktionswärme stark erleichtert. Im Folgenden werden nur Systeme betrachtet, die außer Volumenänderungsarbeit keine andere Art von Arbeit (z. B. elektrische Arbeit) leisten können.

Reaktion bei konstantem Volumen

Wird die Reaktion bei konstantem Volumen (also isochor) durchgeführt, dann wird keine Volumenänderungsarbeit geleistet und zu- oder abgeführte Wärme führt zu einer gleich großen Änderung der inneren Energie:

.

Der Unterschied der inneren Energien von End- und Anfangszustand heißt Reaktionsenergie. Sie ist nur abhängig vom Anfangs- und Endzustand.

Die Reaktionswärme bei konstantem Volumen ist nach obiger Erläuterung identisch mit der Reaktionsenergie und damit allein durch Anfangs- und Endzustand bestimmt:

.

Reaktion bei konstantem Druck

Wird die Reaktion bei konstantem Druck (also isobar) durchgeführt, dann ändert das System dabei in der Regel sein Volumen und leistet dadurch an der Umgebung die Volumenänderungsarbeit . Von zugeführter Wärme steht also nur noch der Anteil zur Erhöhung der inneren Energie zur Verfügung:

oder umgestellt

Die Änderung der Enthalpie des Systems ist andererseits, gemäß deren Definition und unter Anwendung der Produktregel

,

was sich im vorliegenden Fall konstanten Drucks () reduziert auf

.

Vergleich der markierten Ausdrücke liefert

.

Zugeführte Wärme führt im isobaren Fall also zu einer gleich großen Änderung der Enthalpie des Systems.

Der Unterschied der Enthalpien von End- und Anfangszustand heißt Reaktionsenthalpie. Sie ist nur abhängig vom Anfangs- und Endzustand.

Die Reaktionswärme bei konstantem Druck ist nach obiger Herleitung identisch mit der Reaktionsenthalpie und damit allein durch Anfangs- und Endzustand bestimmt:

.

Für zahlreiche chemische Systeme sind die Enthalpien in bestimmten Zuständen tabelliert, die Ermittlung der Reaktionswärme geschieht dann einfach durch Bildung der Enthalpiedifferenz. (Sofern die betrachtete Reaktion isobar ist – andernfalls erhält man zwar korrekt die Enthalpiedifferenz, diese ist dann jedoch nicht mit der Reaktionswärme identisch. Für nähere Details siehe den Artikel → Enthalpie.)

Schreibweise

Die umgesetzte Reaktionswärme kann gemeinsam mit den umgesetzten Stoffen in die Reaktionsgleichung aufgenommen werden. Die Vorzeichenkonvention für Reaktionswärmen ist dabei gewahrt, wenn die Reaktionswärme auf der linken Seite der Gleichung angeschrieben, also wie die Ausgangsstoffe behandelt wird:

Bei der Bildung von zwei Mol Stickstoffmonoxid aus den Elementen werden 180,5 kJ an Reaktionswärme verbraucht. Das System nimmt diese Reaktionswärme auf, sie ist daher positiv zu zählen.

Bei der Bildung von zwei Mol Ammoniak aus den Elementen werden 92,2 kJ an Reaktionswärme freigesetzt. Das System gibt diese Reaktionswärme ab, sie ist also negativ zu zählen.

Zieht man es vor, die umgesetzte Wärme auf der rechten Seite der Gleichung anzuschreiben, muss (gemäß den Regeln für Gleichungsumformungen) ihr Vorzeichen umgekehrt werden. In diesem Fall ist also die jeweilige Wärmetönung anzusetzen:

Eine andere Möglichkeit besteht darin, die umgesetzte Energie separat aufzuführen. Durch das verwendete Formelzeichen kann dabei auch explizit angegeben werden, ob es sich um die Reaktionswärme, Reaktionsenergie oder Reaktionsenthalpie handelt:

Bei der Bildung von (flüssigem) Wasser aus den Elementen wird eine Reaktionsenthalpie von 286,02 kJ/mol freigesetzt. Da die Tabelle, der dieser Zahlenwert entnommen wurde, isobaren Reaktionsverlauf voraussetzt, ist es auch der Zahlenwert für die freigesetzte Reaktionswärme.

Da die Energieeinheit (meist kJ/mol) explizit angeschrieben wird, hat man hierbei gegebenenfalls die Freiheit, den Energieumsatz pro Mol statt wie in den obigen Beispielen pro Formelumsatz anzugeben, was den Vergleich mit Tabellenwerten erleichtert.

Das Vorzeichen ergibt sich aus der Regel, dass die Differenz „Energie der rechten Seite minus Energie der linken Seite“ zu bilden ist. Ein Energiegewinn des Systems wird also durch ein positives Vorzeichen ausgedrückt, ein Energieverlust durch ein negatives Vorzeichen. Diese Regel entspricht auch der eingangs beschriebenen Vorzeichenkonvention für die Reaktionswärme.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. E. Wiberg: Die chemische Affinität. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York 1972, ISBN 3-11-00-2092-0, S. 40.
  2. Eintrag zu Reaktionswärme. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 25. Juli 2017.
  3. E. Wiberg: Die chemische Affinität. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York 1972, ISBN 3-11-00-2092-0, S. 17.
  4. M. Planck: Vorlesungen über Thermodynamik. 7. Auflage, de Gruyter, Berlin/Leipzig 1922, S. 33 (Transkription des Project Gutenberg im Textarchiv – Internet Archive): „[P]ositiv, wenn Wärme frei oder entwickelt, d. h. nach außen abgegeben wird (exothermische Vorgänge), negativ, wenn Wärme gebunden oder absorbiert, d. h. von außen aufgenommen wird (endothermische Vorgänge).“
  5. 1 2 E. Wiberg: Die chemische Affinität. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York 1972, ISBN 3-11-00-2092-0, S. 16.
  6. E. Wiberg: Die chemische Affinität. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York 1972, ISBN 3-11-00-2092-0, S. 16f.
  7. 1 2 3 E. Wiberg: Die chemische Affinität. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York 1972, ISBN 3-11-00-2092-0, S. 17. Umrechnung der in kcal gegebenen Wärmen durch Multiplikation mit 4,184 kJ/kcal.
  8. 1 2 A. F. Holleman, N. Wiberg: Anorganische Chemie. 103. Auflage. 1. Band: Grundlagen und Hauptgruppenelemente. Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2016, ISBN 978-3-11-049585-0, S. 51 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
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