Eine Wortgleichung ist eine Serie von Wörtern aus verschiedenen Sprachen, die lautlich ähnliche Wörter dieser Sprachen mit gleicher oder ähnlicher Bedeutung nebeneinanderstellt. Die Etymologie untersucht (mit den Methoden der historischen Linguistik), ob die Ähnlichkeit auf eine gemeinsame Abstammung der Wörter oder auf Lehnwortbildung zurückgeht oder ob es sich um eine zufällige Ähnlichkeit handelt. Wenn die Wörter einer Wortgleichung einen gemeinsamen Ursprung haben, nennt man sie auch (Ur-)Verwandte.

Beispiele

Die folgende Tabelle stellt Wortgleichungen germanischer Sprachen zusammen.

SpracheVaterMutterTochterHerzKnieFuß12345678910
DeutschVaterMutterTochterHerzKnieFußein(s)zweidreivierfünfsechssiebenachtneunzehn
LuxemburgischDuechterHäerzKnéiFousseen(t)zweedräivéierfënnefsechssiwenaachtnéngzéng
Jiddischfotermutertokhterhartsknifuseyn(s)tsveydrayfirfin(e)fzekszibnakhtnayntsen
Zimbrischvaatarmuutartòkhtarhèertzechnievuusòanzbòadraiviarvüfsèkssibanachtnaünzègan
SchweizerdeutschVatterMueterTochterHärzChnöi, ChnüFuessai(s)zwöi, zwaidrü, dreivierfüf, foifsächssibeachtnüünzäh(e)
Althochdeutschfatermuotertohterherzakneo, kniufuozein(az)zweidrīfiorfimfsehssibunahtoniunzehan
Niederländischvadermoederdochterhartknievoetééntweedrieviervijfzeszevenachtnegentien
NiederdeutschVaderModerDochterHartKnieFooteentweedreeveerfiefsößsövenachtnegenteihn
Altsächsischfadarmōdardohtarhertakniofōtēntwēthrīefiuwarfīfsehssiƀunahtoniguntehan
Westfriesischfaarmoerdochterhertfoetientwatrijefjouwerfiifseissânachtnjoggentsien
Altfriesischfedermōderdochterherteknīfōtān, ēntwā, twēthrē, thriāfiūwerfīfsexsiugunachtaniuguntiān
Englischfathermotherdaughterheartkneefootonetwothreefourfivesixseveneightnineten
Scotsfadermoder, mitherdochterhertkneefitanetwathreefowerfivesaxseivenaichtnineten
Altenglischfædermōdordohtorheortecnēofōtāntwāþrīfēowerfīfsexseofoneahtaniġontīen
Schwedischfar, fadermor, moderdotterhjärtaknäfoten(två)trefyrafemsexsjuåttaniotio
Altnordischfaðirmóðirdóttirhiartaknéfótreinn(tvá)þrírfiórirfimmsexsiauáttaníutíu
Gotischfadarmōþardaúhtarhaírtōkniufōtusáinstwáiþreisfidwōrfimfsaíhssibunahtáuniuntaíhun
Urgermanisch*faðēr*mōðēr*duχtēr*χertān*knewan*fōt-*ainaz*twai*þrīz*feðwōr(iz)*fimfe*seχs*seƀun*aχtōu*newun*teχunt

Die folgende Tabelle stellt Wortgleichungen indogermanischer Sprachen zusammen.

SpracheVaterMutterTochterHerzKnieFuß
Hethitischduttarii̯ata/i-ker (Dat. kardi)genu- ~ ganu-pāt- ~ pat-
Altgriechischpatḗrmḗtērthygátērkē̃r / kardíagónypoús (Gen. podós)
Lateinischpātermāterfutír (oskisch)cor (Gen. cordis)genūpēs (Gen. pedis)
Altirischathirmáthirduxtir (gallisch)crideglúned ‚Schritt, Intervall‘
Tocharisch A / Bpācar / pācermācar / mācerckācar / tkācerkri ‚Wille‘ / käryāñkanweṃ / kenīnepe / paiyye
Gotischfadarmōþerdaúhtarhaírtōkniufōtus
Litauischmótė ‚Ehefrau‘duktė͂širdìspãdas ‚Sohle‘ / pėdà ‚Fußabdruck‘
Albanischmotër ‚Schwester‘gju
Altarmenischhayr (Gen. hawr)mayr (Gen. mawr)dustrsirtcun-rotn
Avestischptāmātadugǝdar-zǝrǝd-žnūmpad-
Altindischpitā́ (Stamm pitár-)mātā́ (Stamm mātár-)duhitā́ (Stamm duhitár-)hṛdayajā́nupā́t (Akk. pā́dam)
Indogermanisch*ph₂tḗr*méh₂tēr*dʰugh₂tḗr*ḱḗr (Gen. ḱrd-ós)*ǵenu-*pṓds (Gen. pḗds)

Aus diesen Wortgleichungen lassen sich die Lautgesetze einer Sprachfamilie ermitteln und die gemeinsame Ausgangsform der Verwandten in der Ursprache dieser Sprachfamilie erschließen (vgl. die rekonstruierten indogermanischen Ansätze in der letzten Tabellenzeile).

Wortgleichungen sind also – neben morphologischen Vergleichen – ein unverzichtbares Hilfsmittel bei der Untersuchung der genetischen Zusammenhänge einer Gruppe von Sprachen. Eine Sprachgruppe, für die sich solche Gleichungen nicht systematisch erstellen lassen, kann nicht als genetische Einheit betrachtet werden.

Besonders wichtig sind Wortgleichungen für „stabile Begriffe“ – Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile –, die üblicherweise nicht von einer Sprache in eine andere entlehnt werden, sondern zum gemeinsamen Urbestand einer Sprachfamilie gehören. Nach Aharon Dolgopolsky (1986) sind die in diesem Sinne „stabilsten“ 23 Begriffe:

ich/mich – zwei/paar – du/dich – wer/was – Zunge/Sprache – Name – Auge – Herz – Zahn – nein/nicht – Fingernagel/Fußnagel/Kralle – Laus – Träne – Wasser – tot – Hand – Nacht – Blut – Horn – voll – Sonne – Ohr – Salz

Diese nach „Stabilität“ (von oben nach unten abnehmend) angeordnete Liste basiert auf der Untersuchung von 140 Sprachen aus verschiedenen Sprachfamilien in Europa und Asien. Sie wird auch häufig bei der Untersuchung von entfernten genetischen Verwandtschaften (siehe Makrofamilie) herangezogen.

Einzelnachweise

  1. Aharon Dolgopolsky: A probabilistic hypothesis concerning the oldest relationships among the language families in northern Eurasia. In: Vitaly Shevoroshkin, Thomas Markey (Hrsgg.): Typology, relationship, and time. Karoma, Ann Arbor (Michigan) 1986, S. 27–50.
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