Die Todesmale des Engels

Die Todesmale des Engels (jap. 天人五衰, Tennin Gosui) ist der achtzehnte und letzte Roman des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima vor seinem ritualisierten Suizid am 25. November 1970. Es handelt sich um den vierten und letzten Band der Tetralogie Das Meer der Fruchtbarkeit. Er erschien am 25. Februar 1971 posthum bei Shinchosha. Wie auch die ihm vorausgehenden Bücher wird er zu Mishimas Opus magnum gezählt und gilt insbesondere in seinem Schöpfungsland als Meisterwerk der Nachkriegsliteratur.

Die mit gerade einmal 236 Seiten bemerkenswert kurze Erzählung handelt vom pensionierten Richter Shingekuni Honda, einer Hauptfigur aller vier Bände. Nach dem Tode seiner Ehefrau Rié lebt er mit seiner lesbischen Freundin Keiko in einer Villa im Tokioter Stadtteil Hongō. Er entdeckt den sechzehnjährigen Waisenjungen Tōru, der durch seine drei untereinanderliegenden Muttermale an der linken Rückenseite die dritte Reinkarnation seines alten Schulfreundes Kiyoaki zu sein scheint. Honda adoptiert den Jungen und hofft, ihm rationales Denken anstelle ungezügelter Leidenschaft beibringen zu können, damit ihm der frühe Tod seiner Vorgänger erspart bleibt und Kiyoaki endlich Frieden findet. Tōru stellt sich aber als selbstgefällige, feindselige und machthungrige Version Kiyoakis heraus, dessen einziges Ziel ist, sich an der Welt zu rächen und jedem, inklusive seines Adoptivvaters, zu schaden. Er verlobt sich mit der gleichaltrigen Momoko und beginnt bewusst, um sie zu verletzen, eine Affäre mit einer anderen Frau. Seine Bediensteten terrorisiert er und letztlich schafft er es sogar, Honda als senil einstufen zu lassen, sodass dieser die Verfügungsbefugnis über sein Grundstück verliert. Trotz aller Misshandlungen behält Honda ihn bei sich. Auf einer Weihnachtsfeier erfährt Tōru von Hondas enger Freundin Keiko den Grund für die Adoption: Sollte Tōru nicht vor 1975 sterben, ist er ein Schwindel und der Reinkarnationskreislauf ist längst gebrochen. Tōru versucht daraufhin, durch Methanol Suizid zu begehen, scheitert aber und erblindet; Honda erkennt, dass es sich tatsächlich nicht um die dritte Reinkarnation seines alten Freundes handelt. Im letzten Teil des Buches, am 22. Juli 1975, besucht der mittlerweile 81-jährige Honda nach über sechzig Jahren seine alte Freundin Satoko, Kiyoakis frühere Geliebte aus dem ersten Band, im Gesshu-Tempel. Sie erkennt ihn zwar wieder, behauptet aber entgeistert, nie einen Kiyoaki gekannt zu haben. Honda weiß die überraschende Antwort nicht ganz einzuordnen und spaziert im Garten des Tempels, einem „Ort ohne Erinnerungen, gar nichts.“

Während Mishima mit Schnee im Frühling seine romantische, mit Unter dem Sturmgott seine politische und mit Der Tempel der Morgendämmerung seine spirituelle Seite thematisiert hat, vertritt Die Todesmale des Engels Nihilismus und Pessimismus und begründet damit Mishimas Lebensphilosophie des „kosmischen Nihilismus“. Mishima, der anhand der Tetralogie den westlichen Einfluss auf Japan und dessen Wandel von einer feudalistischen, patriarchalen und aristokratischen Gesellschaft in eine moderne Demokratie demonstriert, zeichnet eine geradezu dystopische Zukunftsvision. Die Nostalgie und Schönheit der anderen Bänder, die bereits ab Der Tempel der Morgendämmerung abgenommen hat, ist verschwunden und übrig bleibt eine völlig identitäts- und prinzipienlose Welt. Gleichzeitig führt er die in der Tetralogie etablierten Konzepte der Ideen Wang Shourens, des Speicherbewusstseins und der Reinkarnationen, zu einem geschlossenen Ende, das bis heute eine Vielzahl von Interpretationen mit sich bringt.

Eine deutsche Übersetzung von Siegfried Schaarschmidt erschien 1988 beim Carl Hanser Verlag (ISBN 978-3-446-14615-0) sowie 1990 als sublizenzierte Taschenbuchausgabe beim Goldmann Verlag (ISBN 978-3-442-09940-5).

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