Cindy aus Marzahn

Cindy aus Marzahn ist ein lüsternes Fleischpaket und eine in hauchzarte, edle, anschmiegende Stoffe gekleidete Stilikone ihrer Zeit (Generation Presswurst). Zudem ist sie Markenbotschafterin des Make-Up-Zweiges der Lifestyle-Marke Edding. Ihr persönlicher Jogginganzug wurde aus der Wolle seltener, knallpinker Kaschmir-Ziegen gefertigt.

Übertreibung heißt auch übertrieben lustig oder?

Aus dem Spott eines neureichen Supertalents aus Berlin über die Unkultur der sozial benachteiligten Schichten deutscher Großstädte entstanden ist sie mit der Zeit zur wohlbürgerlichen Identifikationsfigur für den RTL-versehrten Mittelstandsproleten und damit zur Parodie ihrer selbst avanciert. In ihrer Rolle als Sit-Down-Komödiantin philosophiert sie ausgiebig über die drei Grundbedürfnisse des Menschen: Essen, Sex und Geschlechtsverkehr, von denen sie zwei mutmaßlich nur vom Hörensagen kennt. Der Relaxo-Pummeluff-Verschnitt Cindy ist nach dem Tod von Dirk Bach neben Ottfried Fischer das letzte verbliebene Mitglied der deutschen Fernsehwelt im Club BMI >27.

Leben ohne Figur

Inka Benzin, die Darstellerin von Cindy aus Marzahn, kam 1971 in einem schummrigen Kreißsaal in Luckenwalde, dem damaligen Industriezentrum Brandenburgs zur Welt, dem einzigen Ort in ganz Brandenburg, der eine Schaufel besaß. Ihre Mutter war Eintrittskartenabreißerin bei der Apfelsinenverteilstelle im örtlichen Konsum (saisonal), ihr Vater besaß ein kleines Klofrauenunternehmen. Weit weg von sozialen Brennpunkten wuchs Benzin in den Brandenburger Kieferwäldern beim Wölfejagen auf.

Benzin mit ihrem Freund Aaron Jeremy in der gemeinsamen 2,5 Zimmerwohnung.

Benzin führte zunächst 30 Jahre lang ein bemitleidenswertes und kümmerliches Leben, nur um ihr eigenes Versagen anschließend selber karikieren zu können. Von einem Leben als Prinzessin im DDR-Adel träumend, sah sie mit zwölf Jahren schon aus wie ein übergewichtiger 50-jähriger Lastwagenfahrer mit Diabetes im Endstadium. Bis zu ihrem zwanzigsten Geburtstag brachte sie es auf drei abgebrochene Ausbildungen zur Schellackplattenschüsselbiegerin, zwei Scheidungen und eine DDR-Vergangenheit. Dementsprechend desillusioniert und zynisch wurde sie mit der Zeit ob der Tatsache, dass sie für ein oberflächliches Leben in einer oberflächlichen Welt nicht die geeignete Oberfläche besaß und so zog sie sich unter den Hänseleien ihrer Mitmenschen zusehends in eine ihrer Speckfalten zurück und wurde sehr schweigsam. Vielleicht war das der Grund, dass die lange zurückgehaltenen Worte später nur so aus ihr herausschießen konnten, inhaltlich vermengt mit immer dem gleichen wiedergekäuten Sülz, vermutlich bedingt durch ihre fünf Mägen.

Einer WeightWatchers-Delegation, die einst mit den Worten „Dies ist eine Intervention.“ vor ihrer Haustür stand, erklärte sie, dass sie sehr wohl auf ihr Gewicht achte, jedoch keine Konsequenzen daraus ziehen wolle. Kurz vor ihrem 29. Geburtstag war sie an einem Tiefpunkt angelangt. Aus finanzieller Not heraus nutzte sie zu dieser Zeit Grissini als Lockenwickler und füllte täglich ihre PET-Flaschen am Getränkeautomaten von McDonalds nach. Nachmittags stand sie meist neben Altkleider-Containern und versuchte Menschen davon zu überzeugen, ihre alten Jogginganzüge nicht in den Sammelbehälter zu werfen, sondern ihr zu überlassen. Dies stärkte ihr rhetorisches Redeausdruckszeug enorm.

Nach Jahren der Arbeitslosigkeit, geprägt von Rabattcoupons und Waschsalons, fasste Benzin 2004 in ihrer Sozialwohnung in Neu-Brandenburg neuen Mut und bewarb sich auf eine Kellnerinnenstelle beim Quatsch Comedy Club. Für einen ausgefallenen Act an ihrem Probetag eingesprungen, sollte sie da jedoch plötzlich Leute unterhalten und wurde auch herzlich ausgelacht, als sie von ihrer Lebensgeschichte erzählte. Benebelt von Ruhm und Lachern bekam sie bald darauf schon einen Rappel, der sie nach Berlin-Wilmersdorf brachte. Von ihrer verdienten Gage in ein großes Loft umgezogen, bastelte Benzin nun an ihrer Rolle, mit der sie als Unterschichtenspottobjekt in die Berliner Nachtclubszene eintauchen wollte. Dafür begleitete sie eine sechzehnfache Mutter (25) mit acht akzeptierten Kindern in einer 20 m² großen Plattenbauwohnung aus Berlin-Marzahn zwei Jahre lang auf Schritt und Tritt und baute sich nach und nach eine fiktive Identität aus Spaghettifertiggerichten, RTL-Dokus und maßgeschneiderten Armani-Jogginganzügen auf. Weitere Auftritte im Quatsch Comedy Club schlossen die Metamorphose hin zur sozial akzeptierten Pummelprinzessin langsam ab. Benzin schlüpfte in ein Kostüm ihrer selbst und schrieb einen Namen, der nicht nach unehelicher Affäre in der Wohnwagensiedlung klingt, drauf. Aus dem hässlichen Kokon schlüpfte ein übergewichtiger, flugunfähiger rosa Schmetterling - Cindy aus Marzahn.

Leben als Kunstfigur

Die "Kunst"figur Cindy aus Marzahn wurde 1971 im Berliner Stadtteil "Szeneviertel" geboren. Ihre Mutter war Eintrittskartenabreißerin bei der Rosenkohlverteilstelle im örtlichen Konsum (saisonal), ihr Vater besaß ein kleines Handwerksunternehmen.

Ey, die ist doch gar nicht Prinzessin, voll fett ey.

Cindys erster Kuss, ein prägendes Erlebnis mit Anfang 30, erweckte die lange versteckte Prinzessinnen-Seite im Körper der früheren Hartz-IV-Empfängerin aus Marzahn. Als aus den Fugen geratenes, deutsches Fernsehmaskottchen wird sie seitdem als Spachtelmasse für inkontinente Abendunterhaltung und Lückenbüßerin für freie Sendezeit überall da eingesetzt, wo im deutschen Fernsehen Not am Mann ist – und sie wird oft eingesetzt. Das (einzig) schöne an diesem personellen Kunstfehler ist die absolute Inhaltsleere ihres in zwei bis drei Sätzen fertig umrissenen Bühnenprogramms, das sie mit etwa 600 Worten in der Minute abspulen kann, kurz: genug um einen Thomas Hermann im Quatsch Comedy Club langfristig zu begeistern.

Die Prinzessin auf Abruf eröffnet ihr Live-Programm generell mit einem berlinerisch dahingerotzten Kommentar zum eigenen Erscheinungsbild (Ick soll hier och den Sexappeal wieder in die Schow bringen, Wat guckter'n so, noch nie 'nen jefärbten Beluga gesehen?), um ohne Umschweife auf ihre beiden Lieblingsthemen Sexualität (igitt!) und Arbeitslosigkeit (igitt igitt igitt!) zu kommen. Es folgt Klischeeabarbeitung am Fließband, die ihren Höhenpunkt in billigen Pointen findet, die dem Zuschauer aufzwingen, sich Cindy beim Geschlechtsverkehr vorzustellen (Hat mich der Thomas neulich jefracht, ob ick ma wieder kommen möchte und ick hab nur jedacht - wat der is nisch mehr schwul?). Sobald das Konzept Cindy einer bestimmten Zuschauergruppe bekannt war, wurde es in weitere Comedyformate exportiert, die ihren hauptsächlichen Humor aus lautem Rumbrüllen und eingespielten Lachern zogen. Nachdem sämtliche Sat.1-Sketchshows und Impro-Formate nach 22 Uhr Cindy einmal humortechnisch durchgevögelt hatten, wechselte die Komikerin ins abendliche Hauptprogramm, wo sie ZDF-Zuschauern erste Vorstellungen davon vermittelte, was sich eigentlich hinter diesem Hartz IV verbirgt.

Der Marzahn der Zeit

Integrität vergessen? Tja, die findet sie wohl nicht mehr.

Einmal berauscht vom Millionenpublikum am Samstagabend verlor Benzin in ihrer Rolle zunehmend die Bodenhaftung, was zugegeben schon sehr schwierig ist. Als Oliver Geissen der Comedy stumpfte sie für ein Leben in Luxus und Partyhäppchen abseits der Bühne ab, benutzte rosa Plüschanzüge wie Klopapier und wurde gegen Fernsehinhalte jeder Art immun. Als anteilnahmslose Showmarionette taumelte sie selbst dann durch das Scheinwerferlicht, wenn ihre beste Freundin, die tatsächlich gar nicht Prithney, sondern Jaqueline-Chantalle hieß nicht den neusten Tratsch für ein müde zusammengekittetes Showprogramm für sie hatte. Das machte aber nichts, denn um das Jahr 2013 war Inka Benzin, oder aus Marzahn, wie sie sich jetzt auch privat nannte zum selbstproduzierenden Eigendarstellerin geworden, die sich endloser Wiederholung ihrer eigenen Masche ein emotionales Fortkommen in der deutschen Gagenlandschaft sicherte.

Cindy aus Marzahn gehört dabei neben Atze Schröder, Olaf Schubert und Philipp Rösler zu der Kategorie Komiker, die erst die eigene bemitleidenswerte Rolle hinterhältig beleidigen müssen, um Lacher zu erzielen. Dieser zusammenknetbare Baukastenhumor fernab jeglicher kreativer Eigenleistung fußt nicht nur auf simpelster Tatsachenverdrehung sondern auch der Solidarisierung von Verlierern in einer Ellenbogengesellschaft, die wegen wohlstandbedingtem Armfett selbst nicht mehr an einer solchen teilnehmen können. In der Berufswelt gibt es dagegen Mobbingseminare. Und doch wurde gerade diese Masche bei der beleidigten Zielgruppe zwischen 14 und 49 zum kommerziellen Kassenschlager, weil es aus Marzahn schaffte, auch das letzte bisschen Sozialkritik zugunsten einer unerträglichen Reihe schaler Topoi und abgestandener Klischees in ein Fest der größten Antiwitze für die eigene gesellschaftliche Unzulänglichkeit umzumünzen, wie z.B. ihre gekünstelte Mitleidsheischerei, die mit der fest einstudierten, rituellen Pseudo-Interaktion des Mobs beantwortet wird, der aus mit Plüschdiademen und Jägermeistergürteln dekorierten Mittvierzigern, Junggesellinnenabschiedsorganisatorinnen ohne festen Freund und Schulabbrechern besteht, die durch diesen vermeintlichen Tabubruch aus ihrer spießbürgerlichen Rolle ausrechen und auch mal albern sein können.

Alberne Flirtversuche mit älteren, wohlhabenden Männern. Kokettierei oder stiller Hilfeschrei?

Doch der ganz große Schenkelklopferhumor der Masche aus Marzahn stand Benzin mit ihrem Universaleinstieg in die Showmasterei zur Primetime 2014 bevor. Nicht genug damit, dass sie aus dem niveaulosen Drittspartensender ein Ausbildungscamp für gescheiterte Clowndarsteller und Puppenspieler gemacht hatte, die als Menschenfänger bis weit ins Spätprogramm verzweifelt müde Arbeiter im Halbschlaf quälen wollen. Nein, ganze große Fernsehunterhaltung erlebten die Zuschauer erst mit ihr, als sie „Herr Lanz, Herr Lanz grölend bei Wetten, dass..? auf einem ächzenden Bobbycar aus der Bühnenverkleidung schoss, während sich Gerard Butler dazu im Hintergrund Eiswürfel in die Hose kippte und Markus Lanz diesen herrlichen TV-Moment ganz ungestellt und natürlich mit dem bei ihm sehr seltenen Prädikat "Ein großer Spaß" adelte. Wer über so feinen Humor nicht lachen konnte, der hat sich zu Recht zum proletarischen Spottbild dieser scharfsinnigen, sozialkritischen Beobachterin gemacht.

Dem Wetten, dass..?-Produktionsteam, das nach dem Auftritt hinter den Kulissen weinte, vermutlich vor Freude, war damit eine der genialsten Veralberungen seit Verstehen Sie Spaß? gelungen, denn endlich konnte man sich Cindy aus Marzahn auch mal selbstironisch vor den eigenen halbdementen Zuschauerleichen geben, die sich im tranigen Halbschlaf wohl mehrfach im Jahr gefragt haben dürften, warum der Gottschalk eigentlich so arrogant und die Hunziker so fett geworden ist. Hatte es Benzin mit dieser Parodie zu weit getrieben? Nach dem unerwartet plötzlichen Showaus wurde es jedenfalls ruhig um die 43jährige, es folgten ernstere Rollen im Reality-Fernsehen, die sie natürlich mit der gleichen emotionslosen Professionalität abspulte.

Ja was denn, was gibt´s denn da zu lachen?

Die fetten Jahre sind vorbei

Die Gesellschaft entwickelt sich weiter, pinke Trainingsanzüge von Dolce&Gabbana kommen zunehmend aus der Mode und der Trend geht zurück zu Amazon und C&A. Kevin und Chantal heißen heute Lucas und Leonie und der moderne Hartz-IV-Empfänger hat natürlich ein Smartphone, um seine Freunde darüber zu informieren, in welchem Saturn es den neuesten Flachbildfernseher gibt, auf dem man die Lieblingssendungen in H3D gucken, von Mario Barths neuer Extremkochshow bis Auf Streife; nur Cindy aus Marzahn verliert zunehmend an Quoten. In die televisionäre Nische eines Antibilds des Unterschichtsproleten der 2000er Jahre gekrochen, hat sich das nicht zu übersehende Standbild, der rosa Schandfleck aus Brandenburg überlebt und wurde als lebendiger Anachronismus von seinem Geburtsfehler eingeholt. Und Benzin? Die ist völlig in der bizarren Mutterrolle für Verstandeswaisen aus ostdeutschen Plattenbauten aufgegangen, letztlich nicht nur wegen ihrer Sucht nach Cremetörtchen unfähig, sich weiterzubewegen.

Vielleicht wird sich Cindy aus Marzahn eines Tages neu erfinden, vielleicht wird die einst geniale Zynikerin und Kulturpessimistin den Zahn der Zeit nochmal treffen und als Fadhma aus Bagdad mit einer pinken Burka und Kalaschnikow über die Bühne rennen, um modernen religiösen Fanatikern oder Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Lächerlichkeit ihrer desintegrierten Parallelgesellschaften vor Augen zu halten und die Salafisten im Publikum zum ausgelassenen Johlen und Selbstbeweihräuchern anzuregen. Bis dahin sollte man sich aber nicht über die arbeitslose Cindy lustig machen, die sich von Möbelhauseröffnung zu Drittspartenradiosendungen hangelt, um sich irgendwie über Wasser zu halten, denn nur eine Gesellschaft, der es viel zu gut geht, kann es sich leisten, sich so unverfroren über seine Arbeitslosen zu belustigen.

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