Diverses:Das Märchen des Blutigen Barons
Völlig gefrustet schlendere ich in das Zimmer meiner kleinen Tochter um ihr die allabendliche Gutenachtgeschichte zu erzählen.
Nach einem harten, langen Arbeitstag habe ich auf dem Heimweg extra einen Zwischenstopp eingelegt, um am Blumenladen um die Ecke einen kleinen Rosenstrauß zu besorgen, weil ich weiß, wie sehr meine Freundin Blumen liebt. Wir sind jetzt seit 8 Monaten zusammen, die "rosa" Phase beginnt langsam zu enden und der Alltag kehrt ein. Grundsätzlich halte ich das sogar für gut, denn meine kleine Ida braucht feste Pole in ihrem Leben, doch immer wenn es ernst wird, beschwert sich mein kleiner Rolf, dass es langweilig und kompliziert wird.
Früher wenn ich nach Hause kam, war Isabelle top gestylt, stand in scharfen Klamotten im Eingang und begrüßte mich mit: "Da bist du ja, Tiger... " Keine zwei Sekunden später waren wir im Schlafzimmer verschwunden.
Heute kaufe ich Blumen, trage Intimparfum und lese sogar manchmal Jolie und Bunte, um auch nur ein klein wenig Erotik abzubekommen, doch wenn ich Heim komme erwartet mich statt scharfer Unterwäsche eine ausgelatschte Jogginghose, bei der ich froh sein kann, wenn ausnahmsweise keine Senfflecken darauf sind. Ihre Ausrede heute: "Ich hab meine Tage, Schatz, tut mir Leid!". Mist. Hatte sie die nicht schon letzte Woche? Wer hat sich den Blödsinn bitte ausgedacht...
Cut. Ich erwache aus meinem Tagtraum und befinde mich nun vor Idas Tür. "Hey kleiner Engel, hast du schon auf mich gewartet?" "Paaapi" Die Kleine rennt mir entgegen und stolpert dabei, tollpatschig wie Kinder nun einmal sind, beinahe über die zu langen Beine ihres Delfinschlafanzugs. Unfassbar, wie schnell sie erwachsen werden, wenn sie so weiter wächst, passt ihr der Schlafanzug bald.
"Willst du erst einen neuen Strich an der Tür machen, wie viel du gewachsen bist, oder wollen wir gleich zur Geschichte übergehen?", frage ich mit besänftigter Stimme.
"Das hat Isabelle schon gemacht, ich will jetzt die Geschichte hören!"
Ich lege mich zu ihr aufs Bett und überlege, welche Geschichte ich heute erzählen soll, als Ida mich anstupst und fragt: "Warum bist du heute so böse, Papi?"
Ich antworte: "Heute erzähle ich eine Geschichte über Hexen!"
Das Märchen des Blutigen Barons
Es war einmal im fernen Griechenland vor langer, langer Zeit ein Mensch, der noch für sein Geld gearbeitet hat. Ein Jüngling gar, der sich der Aufgabe verschrieben hatte, im Auftrag von Königen das Land von Drachen zu befreien! In jener Zeit, in der die Menschen noch wussten, dass alle Frauen Hexen sind, spielte sich nun eine Geschichte ab, die ihresgleichen sucht...
Sie beginnt in der Hütte des Jünglings, der verzweifelt am Kamin sitzt, weil ihn soeben seine persönliche Haushexe verlassen hatte.
Wie sollte er alleine zurechtkommen? Den Waschzuber bedienen? Hexenwerk! Den Besen schwingen? Noch mehr Hexenwerk!
Im brodelnden Kessel auf dem offenen Feuer kochen? Geht es noch offensichtlicher...?
Also machte der Jüngling, was alle vernünftigen Männer machen würden: Er nähte sich eine Schärpe mit der Aufschrift: "Sieben auf einen Streich",
packte seine sieben Sachen und zog von Dannen.
Welch' ein Anblick er bot, reitend auf seinem weißen Schimmel, den er in der Küche gefunden hatte, mit wallendem Haar und dichtem Hipsterbart.
Bereits im ersten Dorf, welches er erreichte, hörte er Geschichten von einem bösartigen Drachen, der die Gegend unsicher machen soll.
Das klang nach einem Auftrag für ihn, aber zunächst musste er sich ein Bild von der Situation machen und setzte sich in die Dorfkneipe...
Er hörte allerlei davon, dass die Frauen hier Satansanbeterinnen seien, und ihm einmal im Monat ihr Blut opfern. Er hörte von Frauenquoten,
die jetzt sogar in Märchen vorgeschrieben sein sollen, ja, er hörte sogar von Chickennuggets, die nicht nach Hühnchen schmeckten.
Es war wie bei einem Redaktionsmeeting der Bildzeitung...
Über den Drachen jedoch, bekam er keine Informationen.
Er entschied sich dafür, beim Dorfvorsteher über die Gegebenheiten nachzuforschen und ging zum Rathaus auf dem Marktplatz.
Am Rathaus selbst war ein abgeschlagener Pferdekopf befestigt, sehr geschmacklos, doch der Jüngling wusste wie er damit umzugehen hatte:
"Fallada, Fallada, lass dein Haar herunter"
Der Pferdekopf antwortete in seltsam jugendlichen Jargon: "Yo, falsches Märchen"
Er ließ verwirrt von dem Pferdekopf ab und trat an die Tür um zu Klopfen. Eine Tür, schwarz wie Ebenholz mit einer Klinke, weiß wie Schnee...
"Papa! Hör auf ständig fremde Märchen einzubauen!"
"Nagut, nagut", lache ich. "Wo waren wir stehen geblieben..."
Der Jüngling betrat also das Rathaus und der Dorfvorsteher, ein älterer Herr, gab ihm freundlich die Hand und bat ihn sich zu setzen.
"Guten Tag mein Herr, wie kann ich ihnen behilflich sein?"
"Ich möchte mehr über den Drachen erfahren, der hier die Gegend unsicher macht!"
Der Dorfvorsteher rief laut Richtung Küche: "Berta, hörst du? Der junge Mann will über dich reden!" Lachend drehte er sich wieder um.
"Genug gescherzt, ihr meint den Drachen am anderen Ende des Flusses? Das ist der blutige Baron... Niemand weiß, wo er her kommt,
aber er haust schon seit Jahren in einer Höhle direkt am Fluss. Dieser Drache verschlingt Männer wie... Vegetarier Lauch! Lasst die
Finger davon, tut euch selbst den Gefallen!"
Der Jüngling allerdings hatte sich längst entschieden: Er würde den Drachen besiegen und dafür ein hohes Preisgeld kassieren.
So zog er los, in Richtung Höhle, um sich dem bösen Wesen zu stellen. Unterwegs nahm er einem kleinen Jungen ein Schwert ab, welches jener
aus einem Stein gezogen hatte und dabei etwas von "König von England" gefaselt hatte.
Die Höhle kam nach einem Höllenmarsch in Sichtweite und
der Jüngling wusste zwar nicht, was ihn erwarten würde, doch sicherlich würde es an Angst und Schrecken keinen Mangel geben! Er starrte minutenlang
gebannt auf die Höhle und seine Unruhe wuchs. Die Zeit stand still. Es gab nur noch den Jüngling und sein Ziel, nur noch Angst und Mut.
Er fasste sich ein Herz und trat auf die Höhle zu. Jetzt war seine Chance, seine einzige, den Drachen zu besiegen und den Arkenstein zurück zu erobern!
Die Höhle roch modrig, und nass, ein wenig nach Schwefel und war dunkler als die finsterste Nacht. Der Jüngling jedoch, schien davon unberührt,
nahezu gleichmütig, denn er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Er schritt tiefer hinein und er spürte, wie er näher kam an den Quell'
des Unheils! Schwefelgeruch raubte ihm fast den Atem, seine Nackenhaare standen senkrecht und seine Ohren vernahmen ein tiefes Grollen, dass jetzt
zum Berühren nah erschien...
Und dann erblickte er ein Wesen, schauerlich und doch interessant, unheilvoll und doch wunderbar,
hässlich wie die Nacht und doch zugleich wunderschön!
Seine Krallen an den Füßen waren ungestutzt, rissig und brüchig. Ein dichter Pelz ummantelte die schmalen Beine und wurde gegipfelt in einer unterhosenähnlichen Tracht, die der Jüngling bisher nur bei seiner Großmutter gesehen hatte. Auch am Oberkörper schien das Wesen mit Stoff bedeckt, welcher in einer unansehnlichen Halskrause am Hals zusammenlief, darunter ein Körper der unförmig schokoladengequollen war. Das Gesicht war noch erschreckender als der Rest: Buschige Augenbrauen, verquollene Augen, riesige Tränensäcke, ein sanfter Oberlippenbart und die Haare sahen aus wie ein Vogelnest, welches sogar Vögeln zu unordentlich war!
Und doch, da war etwas... ein Glitzern in des Drachen Augen.
Es ließ den Jüngling nicht mehr los, nein, es ließ ein neues Ziel in ihm aufflammen.
Er musste den weichen, sanften und wunderschönen Kern des Drachen an die Oberfläche bringen, nur wie?
Wie losgelöst rannte er auf den Drachen zu, das Schwert fest in der rechten Hand gepackt und bereit zum Angriff. Zuerst schlug er dem Vieh auf die
Krallen, das überschüssige Horn fiel ab und sanfte Pfoten kamen zum Vorschein. Dann drückte er den Drachen zu Boden, und entriss ihm die überschüssigen
Haare auf Gesicht und Beinen. Der Drachen schrie und wehrte sich, doch eine atemberaubende Kraft hatte den Jüngling gepackt. Ein Kampf, den zu beschreiben
ganze Berge von Papier notwendig wären, mit dem Ausgang, das des Drachen Hülle zerbarst.
Ganz verdattert stand der Jüngling nun vor dem entkernten Wesen. Es war... wunderschön! Sie war wunderschön! Vor ihm stand eine bildhübsche Frau,
deren Antlitz die Sängerknaben des ganzen Landes gerne besungen hätten.
"Ich bin Prinzessin Isabelle und danke, dass du mich aus meinem tiefen Loch geholt hast! Ich brauchte dringend etwas Pediküre, Maniküre, Bodywaxing,
Haircutting, Splisskur [...]!"
Der Jüngling verstand kein Wort von dem was sie sprach, es war als spräche sie eine andere Sprache. Doch dann ging sie auf ihn zu und küsste ihn
und das war etwas, das jeder auf der Welt versteht.
In derselben Nacht noch nahm der Jüngling die Prinzessin zur Frau.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...
Ida liegt bereits tief schlummernd in meinen Armen, als ich mit meinen Gedanken in die Realität zurückkehre. "Es war eine wundervolle Geschichte!", sagt da eine leise Stimme in meinem Rücken. Ich drehe mich um und erblicke die wunderschönste Frau, die ich je gesehen habe. In einen Bademantel gehüllt steht da Isabella, mit Haut wie Seide, eindrucksvoll glänzendem Haar und einem liebevollen Lächeln auf dem Gesicht. Ich lege die Kleine in ihr Bett und schleiche mich leise aus dem Zimmer. Vor der Tür beugt sich Isabelle vor und gibt mir einen tiefen Kuss und beim Lösen blicke ich in ein tiefes Glitzern in den Augen und muss unwillkürlich lächeln.