Virus der Bornaschen Krankheit

3D-Modell Bornavirus

Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Riboviria
Reich: Orthornavirae
Phylum: Negarnaviricota
Subphylum: Haploviricotina
Klasse: Monjiviricetes
Ordnung: Mononegavirales
Familie: Bornaviridae
Gattung: Orthobornavirus
Art: Orthobornavirus bornaense
Unterart: Borna disease virus 1
Taxonomische Merkmale
Genom: (−)ssRNA
Baltimore: Gruppe 5
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
Borna disease virus 1
Kurzbezeichnung
BoDV-1
Links
NCBI Taxonomy: 1714621 (BoDV-1)
NCBI Reference: U04608 (BoDV-1)
ViralZone (Expasy, SIB): 279 (Gattung)
ICTV Taxon History: 201851553 (Spezies)

Das Virus der Borna’schen Krankheit (englisch Borna disease virus 1, BoDV-1, früher abgekürzt BDV; Spezies: Orthobornavirus bornaense) ist ein behülltes Virus mit einem Erbgut aus negativsträngiger, nichtsegmentierter RNA – ss(–)RNA – in der Gattung Orthobornavirus (früher Bornavirus) und damit zur Familie Bornaviridae gehörig. BoDV-1 ist das erste beschriebene Virus der Familie. Sein nächster Verwandter ist das zur selben Spezies gehörende Borna disease virus 2 (BoDV-2). Inzwischen sind weitere Orthobornaviren bei verschiedenen Säugetieren, Vögeln und Schlangen entdeckt worden, darunter das Bunthörnchen-Bornavirus (englisch variegated squirrel bornavirus 1, VSBV-1, Spezies: Orthobornavirus sciuri).

BoDV-1 ist der Erreger der Borna’schen Krankheit, einer oftmals tödlichen neurologischen Erkrankung bei Pferden, Schafen, Neuweltkameliden und anderen Haussäugetieren. Bei selten auftretenden Infektionen des Menschen kann es ebenfalls eine schwere Enzephalitis mit zumeist tödlichem Ausgang hervorrufen. Der einzige bisher bekannte Reservoirwirt des BoDV-1 ist die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon), die selbst nicht an der Infektion erkrankt.

Merkmale

In die Hülle der Viruspartikel (Virionen) ist das Glykoprotein (G) eingelagert. Dieses Protein vermittelt die Bindung des Virus an die Wirtszelle und bewerkstelligt auch den Verschmelzungsvorgang (Fusion) mit der Membran der Zielzelle. Auf der Innenseite der Hülle befindet sich das Matrixprotein (M). Ferner befindet sich im Virusinneren das RNA-Genom, das mit dem Phosphoprotein (P), dem Nukleoprotein (N), der viralen Polymerase (L) und einem kleinen Protein X (p10) verbunden (assoziiert) ist. Eine Besonderheit der Bornaviren ist, dass Transkription und Genomreplikation, anders als bei den übrigen Vertretern der Mononegavirales, im Zellkern ablaufen. Das Virus nutzt die dortige Spleißmaschinerie um durch Alternatives Spleißen aus einem Vorläufertranskript drei verschiedene mRNAs zur Synthese der Proteine M, L und G herzustellen.

Geschichte

Die hitzige Kopfkrankheit der Pferde, die durch das Bornavirus ausgelöst wird, wurde erstmals 1885 bei Kavalleriepferden in der Region der sächsischen Stadt Borna beschrieben – die Pferde eines ganzen Regiments waren an einer bisher unbekannten Krankheit zugrunde gegangen. Diese Stadt ist auch namensgebend für das Virus. Ernst Joest und Kurt Degen entdeckten 1909 die sogenannten Joest-Degen’schen-Kerneinschlusskörperchen, welche bei Vorhandensein auch heute noch als Hinweis auf die Borna’sche Krankheit dienen. Der Gießener Virologe Wilhelm Zwick vermutete bereits 1924 ein Virus als Ursache für die Erkrankung.

Borna’sche Krankheit bei Tieren

Die Borna’sche Krankheit (früher mitunter Polioenzephalomyelitis enzootica equorum genannt) befällt vor allem Pferde, Schafe und Neuweltkameliden, grundsätzlich sind jedoch auch viele andere Säugetierarten empfänglich.

Klinische Symptome sind Verhaltensänderungen, Bewegungsstörungen und eine Beeinträchtigung der Sensibilität und des Sensoriums wie: Absondern von der Herde, Depression, Leerkauen, gesenkte Kopfhaltung, Zähne knirschen, z. T. gesteigerter Bewegungsdrang, z. T. Aggressivität gegen andere, z. T. große Schreckhaftigkeit, herabgesetzte Teilnahme an der Umgebung, Spasmen und Speicheln. Im Endstadium Festliegen mit Ruderbewegungen, Fieberschübe. In einem großen Teil der Fälle tritt der Tod des Tieres nach einigen Tagen bis wenigen Wochen ein.

Tödliche Enzephalitiden bei Menschen

Im Jahr 2018 wurden BoDV-1-Infektionen erstmals auch beim Menschen nachgewiesen. Drei Infizierte steckten sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer Organtransplantation vom selben Spender an, zwei davon verstarben im weiteren Verlauf an einer Hirnentzündung. Eine BoDV-1-Infektion durch eine Organtransplantation scheint jedoch eine sehr seltene Ausnahme darzustellen. Bei allen anderen seither identifizierten Fällen erfolgte die Infektion nicht im Zusammenhang mit einer Organtransplantation. Inzwischen wurden 24 bestätigte Fälle von BoDV-1-Infektionen bei Menschen aus den Jahren 1996 bis 2021 in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert. Die Zahl der insgesamt bisher diagnostizierten Fälle liegt deutschlandweit bei mehr als 40. Fast alle dieser Patienten starben. Alle Fälle traten in bekannten Verbreitungsgebieten des Virus auf; die meisten in Bayern, einzelne jedoch auch in Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Laut Bayerischem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erkrankten 2021 deutschlandweit sieben Menschen, davon fünf aus Bayern. Der Fall eines siebenjährigen Jungen aus Maitenbeth im bayrischen Landkreis Mühldorf am Inn, der Anfang August 2022 an einer BoDV-1-Infektion starb, erregte internationales Aufsehen, nachdem ein drei Jahre zuvor in demselben Ort verstorbenes Kind ebenfalls Opfer einer BoDV-1-Infektion geworden war. Im August 2022 verstarb eine Frau aus dem Landkreis Rottal-Inn an dem Virus. Dies ist der zweite Fall, da bereits 2016 eine andere Frau aus demselben Landkreis an der Infektion erlegen war.

Früher vermuteten einige Mediziner auch eine Beteiligung des Virus an psychiatrischen Erkrankungen des Menschen, vor allem im Zusammenhang mit der bipolaren Störung und der Schizophrenie. Diese beruhten vor allem auf dem vermeintlichen Nachweis von gegen Bornaviren gerichteten Antikörpern, Bornavirus-Antigen oder BoDV-1-spezifischer RNA im Blut der Patienten. Ein Beweis für die Korrektheit dieser Ergebnisse konnte jedoch nicht erbracht werden. Eine unabhängige Bestätigung durch andere Arbeitsgruppen gelang nicht und insbesondere die Nachweise von RNA durch Polymerase-Ketten-Reaktionen (PCR) konnten als Laborkontaminationen identifiziert werden. Nach Einschätzung der Gesellschaft für Virologie aus dem Jahr 2008 zur damaligen Datenlage beruhte „die Behauptung, dass BDV ein humanpathogenes Agens ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer Fehleinschätzung von Daten und ist durch wissenschaftliche Experimente nicht belegt“.

Übertragungswege und Verbreitung

Die Feldspitzmaus ist der bisher einzige bekannte Reservoirwirt des BoDV-1. Infizierte Tiere scheiden das Virus über Kot, Urin, Speichel und die Haut aus, wodurch es nicht nur auf weitere Artgenossen, sondern auch auf andere Säuger wie Pferde, Schafe, Alpakas und Menschen übertragen werden kann. Über die genauen Übertragungswege ist bisher nur wenig bekannt. Sowohl der direkte Kontakt mit einer infizierten Spitzmaus als auch der mit ihren Ausscheidungen gelten als mögliche Infektionsquellen. Ähnlich wie weitere Mitglieder der Familie Bornaviridae wird auch BoDV-1 vermutlich nur sehr ineffizient übertragen, so dass Infektionen bei Mensch und Tier selbst in Risikogebieten selten sind.

Im Gegensatz zur Feldspitzmaus scheiden infizierte Nicht-Reservoirwirte (Pferd, Schaf, Alpaka, Mensch etc.) das Virus nach heutigem Kenntnisstand nicht auf natürliche Weise aus. Aufgrund der fehlenden Anpassung an diese Wirtsspezies bleibt das BoDV-1 fast ausschließlich auf das zentrale Nervensystem beschränkt, was eine Sackgasse für das Virus darstellt. Der einzige bestätigte Fall einer Mensch-zu-Mensch-Transmission des BoDV-1 ist der einer Übertragung durch Organtransplantation von einem infizierten Spender auf drei Organempfänger.

Da Haustiere und Menschen nicht zu seiner Verbreitung beitragen können, ist das BoDV-1 auf seinen Reservoirwirt angewiesen, der eine sehr territoriale und wenig mobile Lebensweise besitzt. Das Verbreitungsgebiet des Virus ist aufgrund dessen sehr begrenzt. Nach heutigem Kenntnisstand beschränkt es sich im Wesentlichen auf die östliche Hälfte Süddeutschlands (große Teile Bayerns sowie Teile von Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg) und kleinere Vorkommen in der Schweiz (Graubünden und St. Gallen), Liechtenstein und Österreich (Vorarlberg und Oberösterreich). Vereinzelte Infektionsfälle bei Tieren außerhalb dieser bekannten Endemiegebiete sind vermutlich auf Ansteckungen während vorheriger Aufenthalte in den Endemiegebieten zurückzuführen.

Meldepflicht

Für den direkten Nachweis humanpathogener Bornaviren, also auch für das BoDV-1, beim Menschen besteht nach § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Deutschland eine namentliche Meldepflicht. Der direkte Nachweis von Bornavirus-Infektionen bei Säugetieren ist in Deutschland ebenfalls meldepflichtig 1 in Verbindung mit der Anlage der Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten und der Falldefinition).

Literatur

  • S. Modrow, D. Falke, U. Truyen: Molekulare Virologie. 2. Auflage. Heidelberg/ Berlin 2003, ISBN 3-8274-1086-X.
  • Katrin Breitenborn: Bornavirus – Kontroverse um Humanpathogenität. In: Deutsches Ärzteblatt. Nr. 104, 2007, S. 1365–1368 aerzteblatt.de (PDF; 187 kB).

Einzelnachweise

  1. ICTV Master Species List 2018b.v2. MSL #34, März 2019.
  2. ICTV: ICTV Taxonomy history: Akabane orthobunyavirus, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
  3. 1 2 Bornaviridae - Bornaviridae - Negative-sense RNA Viruses - ICTV. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 2. Juni 2021; abgerufen am 31. Mai 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  4. 1 2 3 Hans Helmut Niller, Klemens Angstwurm, Dennis Rubbenstroth, Kore Schlottau, Arnt Ebinger, Sebastian Giese u. a.: Zoonotic spillover infections with Borna disease virus 1 leading to fatal human encephalitis, 1999–2019: an epidemiological investigation. In: The Lancet Infectious Diseases. Band 20, Nr. 4, 1. April 2020, S. 467–477, doi:10.1016/S1473-3099(19)30546-8.
  5. R. Dürrwald, J. Kolodziejek, H. Weissenböck, N. Nowotny: The bicolored white-toothed shrew Crocidura leucodon (HERMANN 1780) is an indigenous host of mammalian Borna disease virus. In: PloS one. Band 9, Nr. 4, 2014, ISSN 1932-6203, S. e93659, doi:10.1371/journal.pone.0093659, PMID 24699636, PMC 3974811 (freier Volltext).
  6. 1 2 Drei Todesfälle in Deutschland: Bornavirus für Menschen doch gefährlich. In: FOCUS Online. Abgerufen am 27. März 2018.
  7. 1 2 Humane Infektionen mit dem Borna Disease Virus (BoDV-1). In: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 10. Robert Koch-Institut, 8. März 2018 (rki.de [PDF; abgerufen am 27. März 2018]).
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  33. Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten (TKrMeldpflV 1983) – Verordnung über meldepflichtige Tierkrankheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Februar 2011 (BGBl. I S. 252), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 8. Juli 2020 (BGBl. I S. 1604) geändert worden ist
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