Christliche Werte wird als Begriff auf Wertvorstellungen angewendet, denen ein Bezug zum Christentum zugeschrieben wird.
Dies kann im Rahmen der theologischen Ethik begründet werden; damit ist dann auch die Forderung verbunden, dass der christliche Glaube die Grundlage für soziales Handeln und soziale Normen bilden sollte. Teilweise wird eine kulturelle Tradition dieser Werte konstatiert. Das Wort christlich wird auch in der politischen Rhetorik als Schlagwort gebraucht.
Da im Christentum wie in allen Religionen unterschiedliche theologische, ethische und exegetische Schwerpunktsetzungen vorhanden sind, gibt es auch mehrere ethische, moralische und religiöse Aspekte eines im christlichen Glauben verankerten oder in diesen integrierbaren Werteverständnisses und Unterschiede bei deren Interpretation. Darüber hinaus unterliegen die Werte der kirchlichen Organisationen selbst dem Wertewandel. Ein allgemein akzeptiertes, in heutiger Terminologie konkretisiertes Verzeichnis christlicher Werte ist daher schwer realisierbar.
Biblische Wertvorstellungen und Normen
Maßgebliche Grundlage für die theologische Ethik ist der Text der Bibel, insbesondere das Neue Testament. Im Zusammenhang mit „christlichen Werten“ werden insbesondere die folgenden biblischen Gebote und Textstellen genannt:
- Die alttestamentlichen Zehn Gebote, etwa in Ex 20,2–17
- das Doppelgebot der Nächstenliebe und Gottesliebe, etwa in Mk 12,29–31
- die Bergpredigt, ab Mt 5,1
Gegenstand der theologischen Ethik ist es, im Rahmen der biblischen Exegese aus dem Bibeltext Wertvorstellungen abzuleiten bzw. bestimmte Wertvorstellungen anhand des Bibeltextes zu begründen. Manche christliche Fundamentalisten und Evangelikale halten diesen Schritt für evident und beanspruchen für sich sogenannte Bibeltreue. Die Bibel sei als Anleitung für moralisches Handeln wörtlich zu nehmen, christliche Werte seien biblische Werte. Andere betrachten Jesus als persönliches Vorbild und fragen sich bei ethischen Konflikten „Was würde Jesus tun?“ Dazwischen gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen, welche Werte sich aus dem christlichen Glauben ergeben.
Beispielsweise werden mit dem fünften Gebot (Du sollst nicht morden) unterschiedlichste Wertvorstellungen begründet, vom Pazifismus bis zum Lebensrecht oder dem Verbot der Todesstrafe. Inwiefern es sich dabei um allgemein verbindliche christliche Werte handelt, oder ob Ausnahmen zulässig sind, ist Gegenstand zahlreicher Wertediskussionen.
Verzeichnisse christlicher Werte
Christliche Werte im Sinne eines Verzeichnisses von moralischen und religiösen Vorschriften existieren etwa in Form der Katechismen der christlichen Kirchen.
Häufig genannte und als christliche Werte bezeichnete Tugendbegriffe sind etwa:
- Glaube, Liebe, Hoffnung (göttliche Tugenden)
- Barmherzigkeit
- Gerechtigkeit und Recht (Psalm 33, 5 „Gott liebt die Gerechtigkeit und das Recht.“)
Gottesbezug
In zahlreichen Diskussionen über die Bedeutung des Christentums für Staat und Gesellschaft wird mit dem Schlagwort christliche Werte ein Gottesbezug gefordert.
Mit der Begründung seines Menschenbildes im Gottesglauben unterscheidet sich das christliche Wertesystem wesentlich von anderen Wertesystemen. So steht etwa bei Humanismus und Buddhismus der einzelne leidensfähige und mitfühlende Mensch im Zentrum des Wertesystems, der zur Autonomie befähigt ist. Der Diözesanbischof Kurt Krenn: „Die sogenannten autonomen Werte, die wir aus unserem Menschsein deduzieren, sind keine christlichen Werte.“
Aus dem christlichen Menschenbild ergibt sich die politische Forderung, den Glauben an Gott und Christus auch in Gesetzen als zentralen Wert der Gesellschaftsordnung zu verankern. So bewertete Papst Benedikt XVI. etwa den fehlenden Gottesbezug in der EU-Verfassung als „einmalige Form der Apostasie“, Europa scheine „mehr und mehr die Existenz universeller und absoluter Werte in Frage zu stellen“, doch „Christliche Werte sind grundlegend für das Überleben unserer Nationen und Gesellschaften“. Aber auch bei den Diskussionen um Schulgebet, Kruzifix-Beschluss und Religionsunterricht wird das Schlagwort christliche Werte in diesem Sinne verwendet, oder wenn die Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, ihre Partei werde „keinen Gedanken daran verschwenden, das C aus unserem Namen zu streichen.“
Die Gegenposition findet sich in den Werten der Aufklärung, die eine Trennung von Religion und Staat anstreben, und den Werten des Liberalismus, insbesondere der Religionsfreiheit, wobei die Trennung von Staat und Kirche und das Prinzip der Glaubensfreiheit auch schon zu den Grundforderungen der reformatorischen Täuferbewegung zählte und auch heute noch konstituierendes Prinzip vieler evangelischer Freikirchen wie der Mennoniten und Baptisten ist.
Christdemokratie
In verschiedenen europäischen Ländern gibt es Parteien, die sich in ihrer Programmatik auf christliche Werte beziehen, etwa die Union pour un Mouvement Populaire in Frankreich oder die Unione dei Democratici Cristiani e Democratici di Centro in Italien. In Deutschland sehen sich CDU und CSU in dieser Tradition, aber auch Kleinparteien wie die PBC, das Zentrum oder die von ihr abgespaltene Christliche Mitte.
Die deutsche Christdemokratie vereint nach eigener Aussage christliche, wertkonservative und liberale Wertvorstellungen. So beziehen sich CDU und CSU ausweislich ihrer Grundsatz- und Parteiprogramme auf ein „christliches Menschenbild“ als Orientierungsmaßstab. Christliche Werte beinhalten für die CDU nach Eigendarstellung die Wertschätzung der Familie als Grundlage der Gesellschaft sowie die soziale Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft (christliche Soziallehre), die sich wirtschaftspolitisch im Modell der Sozialen Marktwirtschaft manifestiert.
In einem Diskussionspapier gibt die CDU-Wertekommission eine ausführliche religiöse Begründung ihres christlichen Menschenbildes, die eine Verbindung zwischen den liberalen Menschenrechten und dem christlichen Glauben herstellen soll.
Einige wirtschaftsliberale Gruppierungen innerhalb der Christdemokratie verknüpfen mit diesen christlichen Werten „ein klares Bekenntnis zum Vorrang des privaten Unternehmertums vor der Übernahme von Aufgaben durch die Stadt“ (bzw. den Staat). Diese Haltung kommt auch im Diskussionspapier der Wertekommission der CDU zum Ausdruck: „in erster Linie sind es in einer Sozialen Marktwirtschaft die Unternehmer, die die neuen Arbeitsplätze schaffen. [...] Von staatlicher Seite sollte die Regulierungsdichte abgebaut, Überregulierung vermieden werden.“
Häufig werden christliche Werte von der CDU in Verbindung zum Abendland gesetzt. Dies geschieht meist in einem Kontext der Abgrenzung, entweder von kommunistischen Wertvorstellungen (als zum Zeitpunkt des Kalten Kriegs Osteuropa kommunistisch dominiert war) oder in jüngerer Zeit von „islamischen Wertvorstellungen“ des Morgenlands.
In Teilen der CDU gilt das Bekenntnis zu christlichen Werten als nicht mehr zeitgemäß, etwa weil sich die Partei unter Angela Merkel programmatisch von christlichen Werten der 50er- und 60er-Jahre entfernt habe, oder weil das Christentum nicht mehr den politischen oder religiösen Hintergrund vieler Mitglieder der Partei in den neuen Bundesländern widerspiegelt.
Familienwerte
In manchen Diskussionen steht das politische Schlagwort christliche Werte weniger für spezifisch christliche Glaubensinhalte, sondern allgemeiner für konservative Wertvorstellungen, insbesondere für ein traditionelles Verständnis von Familie und Geschlechterrollen.
In diesem Sinne kann sich etwa der Muslim Bülent Arslan mit den christlichen Werten seiner Partei einverstanden erklären: „Und wenn man sich die Werte ansieht, die im CDU-Grundsatzprogramm enthalten sind, dann sind das alles Werte, die man als aufgeklärter Muslim auch im Islam wieder finden kann: Gerechtigkeit, Freiheit, die Bedeutung der Familie beispielsweise …“
Siehe auch
Literatur
- Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Jg. 23 (1987), ISSN 0588-9804, Heft 3: Werte und Tugenden im Wandel.
- Matthias Drescher: Die Zukunft unserer Moral. Wie die Nächstenliebe entstanden ist und wieso sie den christlichen Glauben überlebt. Tectum Verlag, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8288-4275-5.
- Georg Fohrer, Ernst Ludwig Dietrich, Werner Georg Kümmel, Wolfgang Trillhaas: Artikel Sittlichkeit, III.-VI. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 6. 3. A, S. 66–92 (Überblicke zu alttestamentlichen, jüdischen, neutestamentlichen und christlichen sittlichen Auffassungen im historischen Wandel).
- Franz Furger: Christliche Sozialethik in pluraler Gesellschaft (Schriften des Instituts für christliche Sozialwissenschaften; Band 38). LIT Verlag, Münster 1997, ISBN 3-8258-3527-8, S. 165ff.
- Eberhard Jüngel: Wertlose Wahrheit. Christliche Wahrheitserfahrung im Streit gegen die „Tyrannei der Werte“. In: Ders.: Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens (Theologische Erörterungen; Band 3). Chr. Kaiser, München 1990, ISBN 3-459-01866-6, S. 90–109.
- Wolfgang Kluxen: Christliche Werte in einer pluralistischen Gesellschaft. In: Hermann Flothkötter, Bernhard Nacke (Hrsg.): Zeichen der Zeit (Wissenschaftliche Orientierungslinien und christlicher Glaube in heutiger Zeit; Band 3). Verlag Regensberg, Münster 1990, ISBN 3-7923-0594-1, S. 153–166.
- Christof Mandry, Dietmar Mieth: Europa als Wertegemeinschaft. In: Walter Fürst, Joachim Drumm, Wolfgang M. Schröder (Hrsg.): Ideen für Europa. Christliche Perspektiven der Europapolitik. Lit Verlag, Münster 2004, ISBN 3-8258-7609-8, S. 121–145.
- Michael Mertes: Haben christliche Werte in Deutschland noch eine Zukunft? In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Jg. 76 (2006), Heft 1, S. 21–32 ISSN 0044-2372 (Bericht demoskopischer Befunde und Erklärung des zugrundegelegten Begriffs von „Werten“).
- G. R. Schmidt: Was sind „christliche Werte“? In: Reinhold Mokrosch (Hrsg.): Christliche Werterziehung angesichts des Wertwandels. Symposion des Fachgebietes Evangelische Theologie. Universität, Osnabrück 1987, ISBN 3-923486-05-6, S. 75–106.
- Christoph Stückelberger, Frank Mathwig: Grundwerte. Eine theologisch-ethische Orientierung. TVZ, Zürich 2007, ISBN 978-3-290-17378-4.
- Folke Werner: Vom Wert der Werte. Die Tauglichkeit des Wertbegriffs als Orientierung gebende Kategorie menschlicher Lebensführung; eine Studie aus evangelischer Perspektive (Entwürfe zur christlichen Gesellschaftswissenschaft; Band 13). Lit Verlag, Münster 2002, ISBN 3-8258-5594-5 (zugl. Dissertation, Universität Münster 2001).
Einzelnachweise
- ↑ Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn: Der Liberalismus ist das politische Übel unserer Zeit. In: Michaela Schlögl (Hrsg.) Woran glaubt, wer glaubt? 16 Gespräche über Gott und die Welt. Paul Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-04937-1, Wien 1999, S. 117–129 (online)
- ↑ Süddeutsche Zeitung, 24. März 2007, Papst: EU vergisst christliche Wurzeln
- ↑ Die Welt, 13. September 2008 Papst stellt sich hinter Sarkozys „positiven Laizismus“
- ↑ Artikel in der Hamburger Morgenpost von 11. Juni 2005 (Memento vom 1. Juli 2012 im Webarchiv archive.today)
- ↑ Grundsatzprogramm der CDU Archivlink (Memento vom 22. Januar 2009 im Internet Archive)
- ↑ Wertekommission der CDU Deutschlands: Christliche Werte – Die neue Aktualität des christlichen Menschenbildes. 11. Dezember 2001 (PDF (Memento vom 3. November 2010 im Internet Archive))
- ↑ So der CDU-Vorsitzender von Mainz-Neustadt, Karsten Lange, zitiert nach „Abendländisches Menschenbild: Chef der Neustadt-CDU Lange fordert ein stärkeres konservatives Profil“ in Mainzer Rhein-Zeitung von 12. Januar 2009, S. 16.
- ↑ Christliche Werte:Die neue Aktualität des christlichen Menschenbildes (Memento vom 3. November 2010 im Internet Archive) (PDF-Datei; 162 kB), S. 15.
- ↑ RELIGION: Unchristliche CDU? In: Der Spiegel. Nr. 51, 2009 (online).
- ↑ Peter Philipp: Als Muslim in der CDU. Interview mit Bülent Arslan auf Qantara.de, am 23. Oktober 2004.