Unter dem Begriff Christlicher Fundamentalismus werden vorwiegend solche Denkrichtungen im Christentum verstanden, die sich ausdrücklich auf die Bibel als Fundament (Bibeltreue) und wörtlich inspiriertes Wort Gottes berufen. Unter dem Begriff kann auch kirchlicher Struktur-Fundamentalismus verstanden werden, vor allem mit Bezug zur katholischen Kirche.

Nicht behandelt wird in diesem Artikel der Fundamentalismus von christlichen Sondergruppen, zum Beispiel der des Mormonentums oder der Zeugen Jehovas.

Grundsätzliches

Im Zentrum des christlichen Fundamentalismus steht „der Glaube an die absolute Irrtumslosigkeit der Bibel auf allen Gebieten (also nicht nur auf dem Gebiet der Religion, sondern auch in den Bereichen Geographie, Geschichte und Biologie)“. Vertreter sehen die Grundlagen des Glaubens als etwas Gegebenes an, das nicht durch vernunftgeleitete Auseinandersetzung entdeckt oder entwickelt werden müsse, sondern das bekannt und zu verkünden sei.

Meist stimmen Anhänger des christlichen Fundamentalismus mit konservativen, als biblisch verstandenen Werten bezüglich der Treue überein, was auch auf die Sexualethik seine Auswirkung hat, so etwa auf das Verständnis von Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe oder von Abtreibung. Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden von den christlichen Fundamentalisten wie von den Evangelikalen entschieden abgelehnt (vom Allianz-Evangelikalismus sind auch differenzierende Stellungnahmen bekannt).

Die Evolutionstheorie wird in der Regel abgelehnt. Die Gegenmodelle sind auch als Kreationismus oder Intelligent Design bekannt.

Es gibt christlichen Fundamentalismus unterschiedlicher konfessioneller Ausprägung, unterscheidbar nach seiner Herkunft, seiner Entwicklung oder nach den jeweils für unverzichtbar erklärten Lehren. Charakteristisch für den konfessionell ausgeprägten Fundamentalismus ist die Abgrenzung gegenüber allen Strömungen, die die eigene Lehre nicht vollständig teilen – auch gegenüber anderen christlich-fundamentalistischen Gruppen. Das Außenbild und die Wahrnehmung des christlichen Fundamentalismus in der Fachliteratur und in der Presse ist sehr vielgestaltig.

Der Begriff Fundamentalismus ist nur selten eine Eigenbezeichnung. Meistens handelt es sich um die Sichtweise von Kritikern und Gegnern. So verstehen sich protestantische Fundamentalisten selber als bibeltreu.

Protestantischer Fundamentalismus

Der Protestantismus in den USA geriet nach dem Sezessionskrieg in eine Krise. Als Reaktion darauf wurden neue Ideen entwickelt, um mit den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen zurechtzukommen. Daraus ist der protestantische Fundamentalismus entstanden. Der Ursprung des Fundamentalismus-Begriffes liegt bei amerikanischen Zeitungsredaktionen und ihrer Wahrnehmung konservativ-protestantischer Kreise. Bereits 1878 wurde an der Niagara Creed-Konferenz von konservativ-protestantischen Theologen die göttliche Inspiration und damit verbundene Irrtumsfreiheit der Bibel bekannt und bekräftigt. Eigentlicher Auslöser war die zwischen 1910 und 1915 erschienene Schriftenserie The Fundamentals. Die beiden Brüder Lyman (1840–1923) und Milton Stewart (1838–1923) waren nach einer Predigt in der Moody Memorial Church in Chicago, die gegen die zunehmende Kritik an der Bibel unter protestantischen Geistlichen gerichtet war, bewegt und wollten etwas dagegen tun. Von diesen Schriften wurden über drei Millionen Exemplare verteilt. Autoren waren verschiedene amerikanische Geistliche und der Schweizer Theologe Frédéric Bettex (1837–1915). In den Schriften wurden die Grundlehren des Apostolischen Glaubensbekenntnisses aus dem 5. Jahrhundert verteidigt, zu denen alle Kirchen weltweit über 1500 Jahre lang gestanden hätten. Die Schriften grenzten sich zudem gegen die Evolutionstheorie und verschiedene Sekten ab. Propagiert wurde auch der Dispensationalismus.

Auslöser der kritischen Betrachtung durch die Presse war die Bekämpfung der Evolutionstheorie. Dazu hat wesentlich der Scopes-Prozess von 1925 beigetragen. Als Folge dieses Prozesses war die Mehrheit der auflagenstarken Presse gegen die christlichen Positionen gerichtet. Dadurch wurde die Entflechtung zwischen konservativen und liberalen Christen gefördert.

Sowohl die protestantisch-fundamentalistisch wie auch die evangelikal geprägten Kirchen lehnen die liberale Theologie ab. Gute und sinnvolle Teilerkenntnisse der historisch-kritischen Methode werden besonders in der evangelikalen Tradition jedoch unangetastet gelassen, zum Beispiel Ergebnisse aus der formalen Textkritik an der Bibel.

„Mit Recht hat der Fundamentalismus darauf hingewiesen, dass die historische Kritik den biblischen Text nicht vor der Usurpation durch den Ausleger bewahrt hat, obwohl genau das ihre ureigenste Intention war.“

Peter Zimmerling

Im deutschsprachigen Europa wurde die fundamentalistische Bewegung im Unterschied zu den USA nie stark. Dort ist die Geschichte anders verlaufen: Zwischen der pietistischen Bewegung und der neo-evangelikalen Bewegung gibt es viele verschiedene Zwischenformen. Der Neo-Calvinismus ist marginal, in seinen Bekenntnissen und Praktiken heterogen und von den anderen beiden Richtungen nur um Nuancen unterscheidbar.

Nach den Angaben der Autoren William MacDonald und Dean Sherman ist der Übergang zum Fundamentalismus auch bei der Charismatischen Bewegung bzw. Neocharismatischen Bewegung, je nach Hintergrund der Gruppe oder Gemeinde, fließend. Letztere betreiben umstrittene Praktiken wie „Geistheilungen“: Gläubigen wird suggeriert, dass der Geistliche in der Lage sei, Krankheiten durch Handauflegen oder Ähnliches zu heilen. Die brasilianische Sekte Deus é Amor wirbt beispielsweise mit Abbildungen von leeren Rollstühlen und suggeriert damit, dass durch ihre Hilfe Gelähmte wieder laufen lernen. In Afrika geben Prediger wie Chris Oyakhilome und T. B. Joshua gegenüber ihrer Anhängerschaft vor, durch Gottes Hilfe Krankheiten wie AIDS heilen zu können.

Verbreitet ist außerdem das von C. Peter Wagner entworfene Konzept der „Geistlichen Kriegsführung“, in welchem behauptet wird, dass die Welt durch „Dämonen“ besetzt sei und durch christliches Handeln gereinigt werden müsse. Als „dämonisch“ werden dabei oft den Veranstaltern politisch missliebige Orte, Handlungen oder Weltanschauungen gewählt. „Viele Gebetsinitiativen versprechen sich gesellschaftliche Veränderungen durch geistliches Bezwingen der Mächte, die ‚Böses‘ verursachen (zum Beispiel Homosexualität, Abtreibung, auch Pluralismus und Humanismus) und ein ‚In-Existenz-Beten‘ der von Gott gewollten Ordnung.“ Trotz der militanten Rhetorik handelt es sich bei der geistlichen Kriegsführung aber um friedliche Märsche oder Gebete, nicht um gewalttätige Ausschreitungen.

Ein Merkmal des radikalen Flügels des protestantischen Fundamentalismus ist die doppelte Trennung: Fundamentalisten lehnen nicht nur jede Zusammenarbeit mit Menschen ab, die aus ihrer Sicht falsche Lehren vertreten, sie lehnen auch die Zusammenarbeit mit aus ihrer Sicht rechtgläubigen Menschen ab, die ihrerseits mit Vertretern einer falschen Lehre zusammenarbeiten. Diese Rigidität führte später zur organisatorischen Entflechtung von separatistischen Fundamentalisten und gemäßigten Evangelikalen, die theologisch aber genauso in apostolischer Tradition im Sinne des apostolischen Glaubensbekenntnisses stehen.

Die Auftrennung von radikalen, oft calvinistisch geprägten Fundamentalisten und gemäßigten Evangelikalen hatte auch innerkirchliche Folgen. Die beiden Richtungen entflochten sich in den USA, teilweise auch anderswo, in einem über Jahrzehnte dauernden Prozess in unterschiedliche Kirchen und Kirchenbünde. Die christlichen Fundamentalisten in den USA gründeten 1941 den nationalen Dachverband ACCC, die Evangelikalen 1942 den Dachverband NAE. Die Fundamentalisten hatten das Motto „keine Zusammenarbeit und keine Kompromisse“, die Evangelikalen „Zusammenarbeit ohne Kompromisse“ in wichtigen Lehrfragen.

Die Fundamentalisten sind kirchlich hierarchischer gegliedert, die Evangelikalen haben einen starken innerkirchlichen Pluralismus mit demokratisch geprägtem Laien-Priestertum und freier Meinungsäußerung, wobei es alle denkbaren Zwischenformen gibt. Die calvinistisch geprägten Christen innerhalb der radikalen Fundamentalisten der USA bezeichnen die Evangelikalen als Arminianer und ordnen sie aus ihrer Sicht damit der gleichen großen Denkfamilie zu, zu der auch die theologisch Liberalen gehören. Ein Beispiel: Die Zusammenarbeit des bekannten evangelikalen Evangelisten Billy Graham mit Katholiken, Orthodoxen und Vertretern der theologisch liberal geprägten Mainstream Churches hat zur Entflechtung zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen beigetragen.

Konfliktlinien innerhalb des protestantischen Fundamentalismus entstehen entlang unterschiedlicher sozialer und wirtschaftlicher Hintergründe der Beteiligten, unterschiedlicher Glaubens- und Gottesdienstkulturen und Gesangstraditionen, die an meistens nebensächlichen theologischen Fragen kondensieren und zur Spaltung im Streit zwischen fundamentalistischen Gemeinden führen können. Die meisten Gemeindeabspaltungen sind jedoch friedlicher, organischer Natur und haben ihren Grund in arbeitsökonomischer Arbeitsteilung. Dies äußert sich etwa in Gründungen von Filialgemeinden, die ab einer gewissen Größe in die Unabhängigkeit entlassen werden und im – falls existenten – betreffenden Kirchenbund als eigenes Mitglied aufgenommen werden.

Zwischen radikalen Fundamentalisten, gemäßigten Evangelikalen und theologischen Liberalen gibt es in Bezug auf das Bibelverständnis Unterschiede, was sich in der entsprechenden Literatur breit niederschlägt: Für die Fundamentalisten ist die Bibel irrtumslos, für die Evangelikalen von Gott inspiriert und absolut vertrauenswürdig und für die Liberalen ein Buch, das Gottes Wort bezeugt.

In der protestantischen Literatur werden oft theologische und konfessionsgeschichtliche Gründe angeführt, um die fundamentalistische Bewegung von anderen Strömungen abzugrenzen. Es gibt jedoch auch religionsspezifische sozialpsychologische Argumente, um die Abgrenzung zum Fundamentalismus zu orten:

„Die meisten fundamentalistischen Gruppen haben dagegen in ihrer Gemeindeleitung einen ganz konkreten Über-Vater, dessen Ansicht für die Gruppe verbindlich ist. Oft ist dessen Verhalten – durchaus auch im positiven Sinne des Wortes – patriarchalisch. Es ist darum für die Mitglieder einer solchen Gruppe schwer, zu eigener Mündigkeit, zu einer unabhängigen Gottesbeziehung zu finden, wie sie dem Neuen Testament entspricht.“

Peter Zimmerling

Soziologisch hat der radikale christliche Fundamentalismus manchmal strikte, unverrückbare Kriterien, um die Christen von den Ungläubigen zu unterscheiden. Manchmal wird die Kleidung betont (Frauen mit langen Röcken), in manchen Gruppen mit Kopfbedeckung in der Kirche, Männer nur mit oder nur ohne Bart. Daneben gibt es geschriebene und ungeschriebene Regeln, was als weltlich definiertes Tun zu unterlassen ist (beispielsweise bei extremen Fundamentalisten Verbot von Kino, Tanz, Kartenspiel, Make-up, Alkohol, Rauschmittel, Konsum von weltlicher Musik, Fernsehen und anderen Medien, in seltenen Fällen sogar der Erwerb höherer Bildung). Diese Regeln können sich von Gruppe zu Gruppe stark unterscheiden und sich in einer Gemeinde im Laufe der Zeit auch wieder ändern.

Ein Merkmal fundamentalistischer christlicher Gruppen ist die grundsätzliche Ablehnung der Ökumene und manchmal auch anderer Formen der Zusammenarbeit mit anderen christlichen Richtungen.

Martin Riesebrodt unterscheidet verschiedene Phasen in der Entwicklung des protestantischen Fundamentalismus in den USA: den religiösen Disput 1900–1918, Einflussnahme auf staatliche Institutionen 1918–1925, Rückzug und Niedergang nach dem Scopes-Prozess 1925–1930, Reorganisation 1930–1940, institutionelle Abgrenzung 1940–1970 und neue Mobilisierung ab Ende 1960er Jahre aufgrund der neuen Möglichkeiten in den Massenmedien.

Der Ökumenische Rat der Kirchen wird als zu liberal und linksgerichtet abgelehnt. Eine Organisation der radikal-protestantischen Fundamentalisten ist der International Council of Christian Churches (ICCC), gegründet 1948. Jedoch gibt es im deutschen Sprachraum keine Kirchen oder Gemeinden, die Mitglied des ICCC sind. Der ICCC hat aufgrund seines starken Separatismus in der evangelikalen Bewegung keine breite Anerkennung erlangt.

Während diese Gruppierungen friedlich und höchstens in theologischen Diskussionen rhetorisch deutlich auftreten, gibt es in den USA kleine rechtsextreme Gruppen wie Aryan Nations und die Christian-Identity-Bewegung. Sie haben mit dem traditionellen protestantisch-konservativen Fundamentalismus nichts zu tun. Es handelt sich um rechtsextreme Sondergruppen, die, wie bei solchen Gruppen üblich, verschiedene ideologische Hintergründe zu einer eigenen Weltanschauung vermischen und so auch christliche Versatzstücke, unter Missachtung der biblischen Ursprungs- und Bedeutungseinbettung, als Begründungsmuster hineinnehmen.

Eine wichtige Denkrichtung innerhalb des christlichen Fundamentalismus ist der Dominionismus, der die Bedeutung des Staates verringern will und eine politische Reformation auf der Basis der alttestamentlichen Gesetze fordert, die auch zur Relativierung eines Teils von heute mehrheitlich akzeptierten Rahmenbedingungen führen kann, etwa die Aufhebung von öffentlich-rechtlich anerkannten Formen des menschlichen Zusammenlebens außerhalb der klassischen Ehe.

Eine besondere Bedeutung haben pentecostale fundamentalistische Bewegungen in Brasilien erlangt, wie die Igreja Universal do Reino de Deus oder Deus é Amor. Vor allem in den Armenvierteln finden diese als Wirtschaftsunternehmen aufgebauten Gruppen willige Anhänger. Die Führer der Organisationen geben sich als Wunderheiler, die u. a. vorgeben, Tote wieder aufstehen zu lassen. Es bestehen Verbindungen in die Politik (zum Beispiel über den Partido Social Cristão) und ins organisierte Verbrechen. Viele Pastoren sind ehemalige Bandenmitglieder, die sich ihrer Verbrechen rühmen und behaupten, durch Gottes Hilfe von diesem Leben abgekommen zu sein:

„Jawohl – wie von den Dämonen gefordert, habe ich mit meiner Frau unseren sechs Monate alten Sohn getötet, in der Pfanne gebraten, sein Fleisch gegessen – so viele barbarische Verbrechen habe ich begangen, ich war schon in der Hölle!“

Pastor Salles

Katholischer Fundamentalismus

Der Begriff eines „katholischen Fundamentalismus“ – 1985 erstmals akademisch in einer US-amerikanischen Schrift gebraucht von Gabriel Daly – wird laut Martin Kirschner, wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Dogmatik der Universität Tübingen, theologisch sowie innerkirchlich eher abgelehnt. So hält der Theologe Wolfgang Beinert die Formulierung für eine „contradictio in adiecto“ und bezeichnet Fundamentalismus in jedweder Form als strukturell häretisch.

Gleichwohl finden sich Elemente des religiösen Fundamentalismus im Katholizismus wieder. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts waren das vor allem der Antimodernismus, die Ablehnung der historisch-kritischen Methode sowie der Integralismus, der in der Bildung eines abgeschotteten Milieus mündete. Infolge des 2. Vatikanums bildeten sich traditionalistische Gruppen „innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche, welche weitreichende Strukturgemeinschaften mit dem […] protestantischen Fundamentalismus aufweisen.“ Kennzeichnend dafür sind die Absolutsetzung eines Teiles der kirchlichen Lehre und eine ahistorische Auffassung der Quellen des Glaubens (Schrift, Lehramt und Tradition). Der katholische Fundamentaltheologe Klaus Kienzler sieht die Ursache im katholisch geprägten Fundamentalismus in den Modernitätskrisen seiner Kirche und dem Ideal einer Societas perfecta, aus der etwa die Enzykliken Syllabus errorum bzw. Quanta Cura oder Pascendi hervorgingen und deren innerkirchliche Konflikte auch durch das Zweite Vatikanische Konzil nicht befriedet wurden. Es seien trotz theologischer Unterschiede zum Protestantismus „die gleichen fundamentalistischen Gefahren und Tendenzen auszumachen wie fundamentalistisches Schriftverständnis, Traditionalismus, Moralismus etc.“

Aus klerikaler Sicht warnte der Grazer Bischof Kapellari in diesem Zusammenhang vor einem laizistischen und religiösen Fundamentalismus; letztere Vertreter sehen im „Aggiornamento“ eine „Selbsttäuschung der Christenheit, die sich ihrer säkularistischen Auslaugung und des daraus entspringenden ethischen Verfalls der Gesellschaft nur nicht bewusst sei“. Es bedürfe einer „großen Hellsichtigkeit, um im Einzelfall die Geister zu unterscheiden“. Jedoch würde das Wort „Fundamentalismus“ heute oft sehr leichtfertig „als eine Keule gegen religiöse Menschen verwendet, die ihren Glauben ernst nehmen“. Ebenso warnte der Basler Bischof Kurt Koch, jetzt Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, davor, in einer aus seiner Sicht zunehmend polarisierten Kirche „überall die Fundamentalismuskeule zu werfen“, anstatt sich „auf die Suche nach gemeinsamer Wahrheit [zu] machen“.

Orthodoxer Fundamentalismus

Ein kleiner Teil der Athos-Mönche vertritt einen orthodoxen Fundamentalismus, der Begegnungen und Gespräche von Vertretern der Orthodoxie mit dem Papst, anderen Vertretern westlicher Kirchen oder den altorientalischen Kirchen vehement bis militant ablehnt, wobei aber die Lautstärke dieser Gruppe sehr viel größer ist als ihre tatsächliche Bedeutung.

Orthodoxe Fundamentalisten sind auch ein Teil der diversen, teils selbsternannten orthodoxen Episcopi Vagantes (irregulären Bischöfe) und ihrer Anhänger. Einige dieser Fundamentalisten sind Konvertiten aus westlichen Ländern.

Dagegen sind Gruppen wie die griechischen Altkalendarier, die russischen Raskolniken und Teile der Russischen Auslandskirche eher als extrem konservativ denn als fundamentalistisch zu bezeichnen, wenngleich es Überschneidungen gibt.

Typisches Kennzeichen des orthodoxen Fundamentalismus ist ins Extrem übersteigerter und absolut gesetzter Traditionalismus.

Christlicher Fundamentalismus in Medien und Politik

Säkulare Medien und Politiker verwenden den Ausdruck „christlicher Fundamentalismus“ oft ungenau definiert und beziehen ihn auch auf Gruppen, die im theologischen Sinn nicht zum christlichen Fundamentalismus gehören. Oft werden dabei Kriterien verwendet, die nicht nur auf christliche Fundamentalisten, sondern ebenso auf breitere Kreise im konservativen Christentum zutreffen, so zum Beispiel die Befürwortung traditioneller Familienwerte, Vertretung einer Form von Kreationismus oder die Ablehnung von Gender-Mainstreaming, Schwangerschaftsabbrüchen sowie praktizierter Homosexualität.

Homosexualität beispielsweise wird von christlichen Fundamentalisten wie von den meisten konservativen Christen entschieden abgelehnt. Manche Politiker und säkulare Medien rechnen deshalb die Ex-Gay-Bewegung, welche vor allem Hilfe zu der umstrittenen Umorientierung von einer homosexuellen zu einer heterosexuellen Orientierung anbietet, zum christlich-fundamentalistischen Umfeld.

Eine mit dem christlichen Fundamentalismus oft verwechselte Bewegung ist die amerikanische christliche Rechte, die konservatives Christentum mit Kapitalismus, traditionellen Familienwerten, Waffenbesitz und Amerika als dem Gelobten Land kombiniert und diese Werte politisch vertritt, wobei in der heutigen Politik insbesondere Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und staatliche Regulierungen wie zum Beispiel eine staatliche Krankenversicherung abgelehnt werden.

Die Religiöse Rechte ist ein beträchtlicher Teil der republikanischen Wählerschaft und setzt sich hauptsächlich aus Evangelikalen, Katholiken und Mormonen zusammen, die auch zusammenarbeiten wie beispielsweise bei der Manhattan Declaration, und ist daher nur teilweise dem religiösen Fundamentalismus zuzuordnen. Christliche Fundamentalisten in den USA wählen mehrheitlich republikanisch, bei den Evangelikalen ist die politische Ausrichtung breiter gefächert.

Siehe auch

Literatur

  • Ernest R. Sandeen: The Roots of Fundamentalism. British & American Millenarianism. University of Chicago Press, Chicago 1970, ISBN 0-226-73468-4.
  • George M. Marsden: Fundamentalism and American Culture. The Shaping of Twentieth-Century Evangelicalism 1870–1925. Oxford University Press, New York 1980, ISBN 0-19-530047-5.
  • James Barr: Fundamentalismus. Christian Kaiser Verlag, München 1981, ISBN 3-459-01336-2.
  • Bruce Bawer: Stealing Jesus. How Fundamentalism Betrays Christianity. Crown, New York 1997, ISBN 0-517-70682-2.
  • Wolfgang Beinert: „Katholischer“ Fundamentalismus. Häretische Gruppen in der Kirche? Pustet, Regensburg 1991, ISBN 3-7917-1286-1.
  • Erich Geldbach: Protestantischer Fundamentalismus in den USA und Deutschland. Ökumenische Studien 21, Lit, Münster [u. a.] 2001, ISBN 3-8258-5776-X.
  • Stephan Holthaus: Fundamentalismus in Deutschland. Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts. 2. Auflage. Verlag für Kultur und Wiss., Bonn 2003, ISBN 3-932829-85-9.
  • Reinhard Hempelmann: Sind Evangelikalismus und Fundamentalismus identisch? In: Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Jg. 69 (2006), Nr. 1, ISSN 0721-2402, S. 4–15.
  • Geiko Müller-Fahrenholz: Zwischen Fundamentalismus und Beliebigkeit. Ein sozialpsychologischer Kommentar. In: epd-Dokumentation, Nr. 22/2006, ISSN 1619-5809, S. 6–10.
  • Michael Hochgeschwender: Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-458-71005-9.
  • Oda Lambrecht, Christian Baars: Mission Gottesreich. Fundamentalistische Christen in Deutschland. 2., aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Christoph Links Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-512-6. Vgl. hierzu die Kritik von Thomas Schirrmacher: „Mission Gottesreich“, oder: Die Kriminalisierung der Evangelikalen (2009)
  • Raúl Páramo-Ortega: Fundamentalisten sind immer die Anderen. Freud im Zeitalter des Fundamentalismus. Erweiterte Fassung 2008. 2008, Abstract.
  • Matthias Petzoldt: Wo ist das Christentum inhärent fundamentalistisch? Thesen und Erläuterungen. In: Tim Unger (Hrsg.): Fundamentalismus und Toleranz. Lutherisches Verlagshaus, Hannover 2009, ISBN 978-3-7859-0985-0, S. 226–251.
  • Hansjörg Hemminger: Mit der Bibel gegen die Evolution. Evolution und intelligentes Design als Themen des protestantischen Fundamentalismus. In: Bernd Janowski, Friedrich Schweitzer, Christoph Schwöbel (Hrsg.): Schöpfungsglaube vor der Herausforderung des Kreationismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Neukirchen-Vluyn 2010, ISBN 978-3-7887-2350-7, S. 9–26.
  • Thomas Schirrmacher: Fundamentalismus: Wenn Religion zur Gefahr wird. SCM Hänssler, Holzgerlingen 2010, ISBN 978-3-7751-5203-7.
  • Christoph Schwöbel: Vertauschte Fundamente. In: Zeitzeichen, Jg. 12 (2011), Nr. 9, ISSN 1616-4164, S. 15.
  • Gisa Bauer: Fundamentalismus in den evangelischen Landeskirchen in Deutschland. In: Una Sancta, Jg. 69 (2014), Nr. 1, ISSN 0342-1465, S. 63–72.
  • Wilhelm Eppler (Hrsg.): Fundamentalismus als religionspädagogische Herausforderung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8471-0419-3.
  • Christoph Urban: Fundamentalismus. Ein Abgrenzungsbegriff in religionspolitischen Debatten. Springer VS, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-27328-6 (zugl. Dissertation, Ruhr-Universität Bochum 2019).

Einzelnachweise

  1. Kurt Remele: Katholischer Fundamentalismus. In: Clemens Six, Martin Riesebrodt, Siegfried Haas (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. StudienVerlag, Innsbruck u. a. 2004, ISBN 3-7065-4071-1, S. 53–68, hier: S. 55.
  2. James Barr: Fundamentalismus. In: Evangelisches Kirchenlexikon. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986, Band 3, Sp. 1404.
  3. Schweizerische Evangelische Allianz, Wilf Gasser (Autor): Zwischen Annahme und Veränderung – Christlicher Glaube und gleichgeschlechtliche Orientierung. Ein Arbeitspapier der Schweizerischen Evangelischen Allianz; sea dokumentation arbeitspapier Nr. 93; Zürich, 2009; zuletzt abgerufen am 20. Mai 2012 (pdf; 220 kB).
  4. Philipp Flammer: Lernen im protestantischen Fundamentalismus der USA von 1930 bis 1950. Verein Infosekta, Zürich 1995, S. 4 (pdf, 396 kB, abgerufen am 20. Mai 2012).
  5. David Jäggi: Fundamentalismus contra „Neo-Orthodoxie“. Francis Schaeffers theologische Prägung, sein Anliegen und die daraus resultierende Kritik an der Lehre von Karl Barth. Logos, Berlin 2013, ISBN 978-3-8325-3430-1, S. 48.
  6. The Fundamentals, A Testimony to the Truth, Vol. I–XII, Testimony Publishing Company Chicago s. a.
  7. Martin Riesebrodt: Protestantischer Fundamentalismus in den USA. (Memento vom 5. Februar 2016 im Internet Archive) Information Nr. 102, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1987, S. 2 (pdf, 140 kB, abgerufen am 20. Mai 2012).
  8. Stephan Holthaus: Fundamentalismus in Deutschland: Der Kampf um die Bibel im Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 1993.
  9. Philipp Flammer: Lernen im protestantischen Fundamentalismus der USA von 1930 bis 1950. Verein Infosekta, Zürich 1995, S. 8 (pdf, 396 kB, abgerufen am 13. März 2012).
  10. Peter Zimmerling: Protestantischer Fundamentalismus als gelebter Glaube. In: Hansjörg Hemminger (Hrsg.): Fundamentalismus in der verweltlichten Kultur. Quell, Stuttgart 1991, ISBN 3-7918-1908-9, S. 113.
  11. Dean Sherman: Geistliche Kampfführung – Wie Christen siegreich leben. Wuppertal 1991.
  12. William MacDonald: Achte auf den Unterschied. Dillenburg 1975, S. 54 ff.
  13. Handbuch Weltanschauungen, religiöse Gemeinschaften, Freikirchen. Gütersloh 2015, S. 233.
  14. Eckhard J. Schnabel: Sind Evangelikale Fundamentalisten? R. Brockhaus, Wuppertal/Zürich 1995.
  15. Iain Murray: Evangelicalism divided. A Record of Crucial Change in the Years of 1950 to 2000. Banner of Truth, Edinburgh 2000.
  16. Philipp Flammer: Lernen im protestantischen Fundamentalismus der USA von 1930 bis 1950. Verein Infosekta, Zürich 1995, S. 10 (pdf, 396 kB, abgerufen am: 13. März 2012).
  17. Gregory Marsden: Fundamentalism and American Culture. Oxford University Press, 2006, S. XXXIV.
  18. Evangelisch-Soziale Parteigruppe ESP (Hrsg.): Evangelikalismus und Fundamentalismus in den USA. Wetzikon 1993–2001.
  19. Peter Zimmerling: Protestantischer Fundamentalismus als gelebter Glaube. In: Hansjörg Hemminger (Hrsg.): Fundamentalismus in der verweltlichten Kultur. Quell, Stuttgart 1991, ISBN 3-7918-1908-9, S. 103.
  20. John F. MacArthur: Wenn Salz kraftlos wird. Die Evangelikalen im Zeitalter juckender Ohren. Christliche Literatur-Verbreitung, Bielefeld 1996.
  21. Michael de Semlyen: Alle Wege führen nach Rom. Evangelikale – wohin? Reformatorischer Verlag, Beese 1993.
  22. Martin Riesebrodt: Protestantischer Fundamentalismus in den USA. (Memento vom 5. Februar 2016 im Internet Archive) Information Nr. 102. Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1987, S. 6 (PDF, 140 kB, abgerufen am 20. Mai 2012).
  23. Klaus Hart: Brasiliens Sekte Deus é Amor.
  24. Wolfgang Behnk: Mit dem Plastikschwert gegen Dämonen – Brasilianische Pfingstbewegung. (Stand: März 2007)
  25. Klaus Hart: Brasiliens Sekte Deus é Amor.
  26. Gabriel Daly: Catholicism and Modernity. Band 53, 1985, S. 773–796 (= Journal of the American Academy of Religion), vgl. Fußnote in Richard Faber, Frank Unger: Populismus in Geschichte und Gegenwart. Königshausen & Neumann, 2008, S. 190.
  27. Einen Überblick des derzeitigen Forschungsstandes gibt: Martin Kirschner: Gotteszeugnis in der Spätmoderne. Theologische und sozialwissenschaftliche Reflexionen zur Sozialgestalt der katholischen Kirche. Echter, Würzburg 2006, S. 130–138.
  28. Wolfgang Beinert: „Katholischer“ Fundamentalismus. Häretische Gruppen in der Kirche? Pustet, Regensburg 1991, S. 73.
  29. vgl. Wolfgang Beinert: „Katholischer“ Fundamentalismus. Häretische Gruppen in der Kirche? Pustet, Regensburg 1991, S. 81: „Es ist nicht zu sehen, wie sich Fundamentalismus in jedweder Form und Katholizität miteinander vereinbaren lassen. Der Fundamentalismus ist objektiv betrachtet eine strukturelle Häresie.“
  30. Martin Kirschner: Gotteszeugnis in der Spätmoderne. Theologische und sozialwissenschaftliche Reflexionen zur Sozialgestalt der katholischen Kirche. Echter, Würzburg 2006, S. 135.
  31. Klaus Kienzler: Der religiöse Fundamentalismus: Christentum, Judentum, Islam. C. H. Beck, 2007, S. 50 ff. (online in Googlebooks; abgerufen am 22. September 2017).
  32. Egon Kapellari: Europas christliche Identität. Christliche Mitte statt laizistischem und religiösem Fundamentalismus. In: Sonntagsblatt für Steiermark, Nr. 14 vom 2. April 2006, S. 16 (Online).
  33. Urban Fink-Wagner: 60 Jahre Kurt Koch, 15 Jahre Basler Bischof. Interview mit Bischof Dr. Kurt Koch in der Schweizerischen Kirchenzeitung 10/2010, ISSN 1420-5041
  34. Vgl. zum Beispiel Was ist evangelikaler Fundamentalismus?
  35. Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln) […] und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Antihomosexuelle Seminare und pseudowissenschaftliche Therapieangebote religiöser Fundamentalisten, 12. Januar 2008, (online (PDF-Datei; 86 kB), abgerufen am 7. September 2011)
  36. Leonie Seifert: Diskriminierung Schwulenhetze, streng wissenschaftlich; in: Die Zeit vom 11. August 2009. abgerufen am 7. September 2011.
  37. Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V.: Konversionstherapien; Webseite der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche, abgerufen am 7. September 2011.
  38. Rechts und fromm, Artikel vom 7. Oktober 2004 von Susan Neiman auf Zeit Online
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