Ernst Wollweber (* 29. Oktober 1898 in Münden; † 3. Mai 1967 in Ost-Berlin) war ein deutscher Politiker. Von 1953 bis 1957 leitete er das Staatssekretariat bzw. das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR (MfS).

Leben

Ernst Wollweber wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Hannoversch-Münden in der Burgstraße auf. Er war das drittjüngste von sechs Geschwistern. Bittere Not zwang die Kinder zur Mithilfe im Haushalt und zum selbständigen Handeln. Wollweber besaß ein Naturtalent: Er konnte überzeugend reden und war Anführer der Arbeiterjugend in seiner Heimatstadt. Als Sohn eines Tischlers geboren, heuerte Wollweber nach der Volksschule mit 15 Jahren bei Flößern auf der Weser als Schiffsjunge an. Von 1916 bis 1918 diente er in der U-Boot-Abteilung der Kaiserlichen Marine.

Weimarer Republik

Während der Novemberrevolution nahm Wollweber am Kieler Matrosenaufstand teil, wurde Vorsitzender des Soldatenrates des U-Boot-Kreuzerverbandes und als solcher Mitglied des Kieler Gesamtsoldatenrates. 1919 trat er in die KPD ein. Gegen die im Waffenstillstandsabkommen vorgesehene Auslieferung der deutschen Hochseeflotte an Großbritannien versuchte Wollweber die handstreichartige Besetzung der wichtigsten Kriegsschiffe und deren Auslieferung an Sowjetrußland zu organisieren, der Plan scheiterte jedoch im Januar 1919.

Wollweber nahm an den Märzkämpfen in Mitteldeutschland 1921 teil, wurde politischer Sekretär des KPD-Bezirks Hessen-Waldeck und Mitglied des Zentralausschusses der KPD. Von August bis Oktober 1922 nahm Wollweber an der 1. Reichsparteischulung der KPD in Berlin teil. Ab Juli 1923 leitete er die KPD-Militärorganisation von Hessen-Waldeck und Thüringen. Er besuchte die Erste Militärschule in Moskau und wurde Verbindungsmann zur Sabotageabteilung der Roten Armee.

1924 wurde Wollweber wegen seiner Teilnahme an den Märzkämpfen wegen Hochverrats angeklagt und bis 1926 inhaftiert. Von 1928 bis 1932 war er Mitglied des Preußischen Landtages und danach, ab November 1932 bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933, Mitglied des Reichstages. Seit 1932 war er Reichsleiter des „Einheitsverbands der Seeleute, Hafenarbeiter und Binnenschiffer“ in Hamburg, ebenso seit 1932 Leiter der Org.-Abteilung des Zentralkomitees der KPD und Mitglied des Sekretariats des Exekutivkomitees der International Union of Seamen and Harbour Workers (ISH), ab 1933 Sekretär der ISH in Kopenhagen.

Aktivität im Ausland

1934 wechselte er nach Leningrad und übernahm die Leitung des Internationalen Seemannsklubs, einer Spezialabteilung des NKWD. In dessen Auftrag beteiligte er sich am Aufbau einer Organisation, welche weltweite Sabotage an Schiffen faschistischer Staaten verübte.

Während des Spanischen Bürgerkrieges organisierte Wollweber 1937 Waffenlieferungen an die republikanische Regierung (Organisation „Bernhard“, auch „Wollweber-Organisation“ genannt). Eigene Sabotagearbeit leistete er vor allem in Skandinavien, hier wurde er im Mai 1940 in Schweden verhaftet. Um die Auslieferung als Spion an Hitlerdeutschland zu vermeiden, leistete er zunächst sechs Monate Zuchthausarbeit (im schwedischen Strafrecht straffarbete). Im Anschluss wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach Erhalt der sowjetischen Staatsbürgerschaft im November 1944 beantragte er seine Ausreise. Er hielt sich zur Kur in Kislowodsk und danach in Moskau auf.

DDR

Wollweber kehrte im März 1946 nach Deutschland in die Sowjetische Besatzungszone zurück und wurde im Mai desselben Jahres Mitglied der neu gegründeten SED. Im Jahr 1947 stieg Wollweber vom stellvertretenden Leiter zum Leiter der Generaldirektion Schiffahrt auf. Am 17. November 1950 wurde er von Minister Hans Reingruber als neuernannter Staatssekretär des Ministeriums für Verkehr in sein Amt eingeführt. Am 30. April 1953 wurde Wollweber vom Ministerrat zum Staatssekretär für das Staatssekretariat für Schifffahrt ernannt und am 25. Juni 1953 vom Präsidenten der Volkskammer Johannes Dieckmann vereidigt. Gerüchten zufolge soll er zwischen 1950 und 1953 als Staatssekretär im Verkehrsministerium im Auftrag der Sowjetunion die Wollweber-Organisation neu aufgebaut haben.

Im Juli 1953 übernahm Wollweber im Range eines Staatssekretärs die Leitung des MfS unter gleichzeitiger Ernennung zum Stellvertreter des Ministers des Innern und richtete sein Hauptaugenmerk auf westliche Geheimdienste, vor allem die Organisation Gehlen und später den Bundesnachrichtendienst (BND). In zahlreichen Reden stellte er Erfolge beim Enttarnen und Verurteilen vermeintlicher Spione heraus, nicht zuletzt um das Staatssekretariat wieder zum Ministerium aufgewertet zu sehen. Sein Vorgänger Wilhelm Zaisser hatte vergeblich versucht, den diktatorisch regierenden ZK-Vorsitzenden Walter Ulbricht zu entmachten und den 1952 beschlossenen Aufbau des Sozialismus zu stoppen, der am 17. Juni 1953 zum Aufstand geführt hatte. Dafür war er gestürzt worden, und weil seine Behörde den Aufstand weder vereitelt noch auch nur vorhergesehen hatte, wurde das MfS für zwei Jahre zu einem Staatssekretariat herabgestuft. 1954 erhielt Wollweber den im selben Jahr gestifteten Vaterländischen Verdienstorden der DDR. Von 1954 bis 1958 war er außerdem Mitglied der Volkskammer und des Zentralkomitees der SED. Wollweber erklärte am 31. Oktober 1957 „krankheitsbedingt auf eigenen Wunsch“ seinen Rücktritt. Nachfolger wurde sein Stellvertreter Erich Mielke.

Im Januar 1958 ließ Ulbricht gegen Wollweber ein Parteiverfahren wegen „Verstößen gegen das Parteistatut“ einleiten und das ZK der SED schloss ihn zusammen mit Karl Schirdewan wegen „Fraktionstätigkeit“ aus. Er erhielt eine „strenge Parteirüge“ und musste sein Mandat für die Volkskammer niederlegen; er vereinsamte privat und wurde zur Unperson. Bild und Name Wollwebers verschwanden aus den Werken zur Parteigeschichte, zur Geschichte der DDR und über den antifaschistischen Widerstandskampf. Interne Darstellungen zur Geschichte des MfS nannten ihn, wie auch seinen Vorgänger Zaisser, nicht. Er lebte bis Anfang der 1960er Jahre zurückgezogen in seiner großen Wohnung in der Ost-Berliner Stalinallee 110 und schrieb an einer Autobiografie, die mit dem Jahr 1947 abbrach. Wollweber, nach seinem Sturz von Lebensgefährtin und Adoptivtochter verlassen, heiratete 1960 eine 27 Jahre jüngere Frau. Das Paar zog nach Berlin-Hirschgarten. Seinen Tod am 3. Mai 1967 meldete die SED-Kreisleitung Berlin-Köpenick im Zentralorgan Neues Deutschland mit einwöchiger Verspätung in einer Neun-Zeilen-Notiz. Einzelheiten zu Wollwebers Urnenbeisetzung legte das Sekretariat des Politbüros der SED fest. Sie fand in der Gräberanlage „Pergolenweg“ des Zentralfriedhofs Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg unter Beteiligung einer Ehrenwache des MfS statt.

Wollweber hatte 1964 eine scharfe Abrechnung mit Ulbricht verfasst und seine Frau gebeten, sie dereinst einem neuen Parteichef zu übergeben. So gelangte das Manuskript 1971 an Erich Honecker, der es verschwinden ließ. Überliefert ist eine von Frau Wollweber versteckt aufbewahrte Kopie.

Literatur

  • Anonym, vermutlich Fritz Otto Karl Zietlow: Vom Höllenmaschinisten zum Staatssekretär. Freiheit-Aktion der Jugend, Bonn 1954. Die Freiheit-Aktion der Jugend war eine klandestine Organisation des Gesamtdeutschen Ministeriums.
  • Bernd-Rainer Barth, Michael F. Scholz: Wollweber, Ernst. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Lars Borgersrud: Die Wollweber-Organisation und Norwegen. Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 2001, ISBN 3-320-01993-7
  • Jan von Flocken, Michael F. Scholz: Ernst Wollweber. Saboteur – Minister – Unperson. Aufbau-Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-351-02419-3.
  • Martin A. Lee: The Beast Reawakens. Little, Brown and Company, New York 1997, ISBN 0-316-51959-6.
  • Ronald Payne, Christopher Dobson: Who’s Who in Espionage. St. Martin’s Press, New York 1984, ISBN 0-312-87432-4.
  • Jan Valtin: Tagebuch der Hölle. Aus dem Amerikanischen von Werner Krauss. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1957 (heute als Lizenzausgabe in Komet MA-Service und Verlagsgesellschaft mbH, Frechen). In den USA bereits 1941 als Out of the Night veröffentlicht. „Valtin schildert sein Leben, dabei auch seinen GPU-Vorgesetzten Ernst Wollweber.“
  • Wollweber, Ernst, in: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München : Saur 1980, S. 834f.
Commons: Ernst Wollweber – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jan v. Flocken, Michael F. Scholz: Ernst Wollweber - Saboteur, Minister, Unperson, Aufbau-Verlag, Berlin 1994, S. 7–12
  2. Flocken, Scholz: Ernst Wollweber. 1994, S. 20.
  3. Flocken, Scholz: Ernst Wollweber. 1994, S. 30.
  4. Neues Deutschland, 18. November 1950, S. 2.
  5. Neue Maßnahmen zur reibungslosen Versorgung. In: Berliner Zeitung, 1. Mai 1953, S. 2.
  6. Neue Minister vereidigt. In: Berliner Zeitung, 26. Juni 1953, S. 2.
  7. The net that covers the world. Central Intelligence Agency, 30. Mai 1974, archiviert vom Original am 5. November 2010; abgerufen am 29. November 2010.
  8. Volkskammer bestätigte neuberufene Minister. In: Neues Deutschland, 1. August 1953, S. 1.
  9. Der jahrzehntelange Leiter des BND und ehemalige Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen schreibt in seinem 1971 erschienenen Memoiren Der Dienst über Wollweber: „Als international berüchtigter Berufsrevolutionär und Sabotage-Experte gehörte Wollweber bis zu seinem bitteren Ende zweifellos zu den farbigsten und skrupellosesten Figuren in der Spitze des Ulbricht-Regimes. Weder sein Vorgänger Wilhelm Zaisser, der sich auf seinen Einsatz auf rotspanischer Seite berufen konnte, noch sein Nachfolger Erich Mielke vermochten Wollweber diesen Ruf streitig machen. Gegen ihn blieb selbst der heute noch amtierende General Mielke, der sich noch immer rühmt, die Polizeihauptleute Anlauf und Lenk auf dem Berliner Bülowplatz eigenhändig erschossen zu haben, ein Mann der zweiten Garnitur.“
  10. 1954: Rede Ernst Wollweber (2). Archiviert vom Original; abgerufen am 12. Mai 2023 (Archivradio, Originalton Wollweber über Industriespionage im Osten).
  11. Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens in Gold. In: Neues Deutschland, 7. Oktober 1954, S. 4.
  12. Zu Wollwebers letzten Jahren siehe Jan von Flocken, Michael F. Scholz: Ernst Wollweber. Saboteur – Minister – Unperson. Aufbau-Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-351-02419-3, S. 205–210.
  13. Ehre ihrem Andenken. In: Neues Deutschland, 10. Mai 1967, S. 8; online.
  14. Ehre ihrem Andenken. In: Neues Deutschland, 13. Juni 1967, S. 8; online.
  15. Klaus Körner: Broschüren im Kalten Krieg. Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 6.2 Februar 2012.
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