Hercules (HWV 60) (auch: „Herakles“) ist ein englischsprachiges Oratorium in drei Akten von Georg Friedrich Händel. Von Händel selbst wurde es als A New Musical Drama angekündigt und steht damit ähnlich wie Semele in der Nähe der Oper.
Entstehung und Rezeption
Es war nicht ungewöhnlich, wenn Händel ein Oratorium in wenigen Wochen komponierte. Beim Hercules fällt aber auf, dass er dies gleich mit zweien nacheinander tat. Am 19. Juli 1744 begann er mit der Komposition und stellte den ersten Akt am 30. Juli, den zweiten am 11. August fertig. Insgesamt muss er mit dem Werk am 21. August fertig gewesen sein, denn an diesem Tag schrieb er einen Brief an Charles Jennens, den Librettisten des Belshazzar, in dem er um Übersendung des dritten Aktes bat. Offenbar hatte Jennens mit dem Tempo des Komponisten nicht Schritt halten können und erst den Text für die beiden ersten Akte gedichtet. Ohne auf den dritten zu warten, machte sich Händel schon am 23. August an die Komposition des Belshazzar.
Die Uraufführung des Hercules fand am 5. Januar 1745 im King’s Theatre am Londoner Haymarket statt und war ein verheerender Flop. Händel musste die Spielsaison abbrechen und veröffentlichte am 17. Januar eine Ankündigung im Daily Advertiser, dass den Subskribenten das Geld für die restlichen Konzerte zurückgezahlt werde. Schon am nächsten Tag wandten sich einige an die Öffentlichkeit mit der Bitte, die Rückzahlung „with Justice to the Character of the Nation, and the Merit of the Man“ abzulehnen.
Offenbar schlossen sich viele Subskribenten dieser großzügigen Geste an, denn wenige Tage später kündigte Händel an, die Saison so weit wie möglich fortzusetzen. Insgesamt wurden 16 der angesetzten 24 Konzerte gegeben; neben Vorstellungen von Samson, Saul, Joseph and his Brethren und Messiah wurde am 27. März erstmals Belshazzar aufgeführt.
Hercules dagegen blieb zu Händels Lebzeiten ein wenig populäres Werk. Nur 1749 und 1752 wurde es unter seiner Leitung für zwei bzw. eine Aufführung wiederaufgenommen. Während seine biblischen Oratorien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert in Großbritannien zum Standardrepertoire gehörten, wurde den weltlichen Dramen wenig Beachtung zuteil. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrten sich die Aufführungen.
Im 20. Jahrhundert hat man allmählich entdeckt, dass Händels Komposition auch als Oper spielbar ist. Erstmals am 4. März 1925 kam es in Münster zu einer szenischen Aufführung unter der Regie von Hanns Niedecken-Gebhard – Bewegungschor Kurt Jooss, Bühnenbild Hein Heckroth. Diese Art der Aufführung hat sich in jüngster Zeit durchgesetzt, so unter William Christie und Luc Bondy (Paris 2004, Wien 2005, New York und London 2006) oder 2005 bei den Händel-Festspielen Halle unter Alessandro De Marchi und Fred Berndt.
Bei den Olympischen Spielen 1936 wurde Hercules (Herakles) am 14. und 16. August 1936 mit 2500 Teilnehmern auf der Dietrich-Eckart-Freilichtbühne (Berliner Waldbühne) als kultureller Beitrag Berlins mit elf Chören und zwei Sinfonieorchestern aufgeführt, die SA-Wachstandarte bildete einen Bewegungschor, die NS-Frauenschaft stellte weitere Chöre, die musikalische Leitung hatte Fritz Stein. „Zur „Baßverstärkung“ wurde neben dem Cembalo ein Trautonium (Oskar Sala) verwandt.“.
Libretto
Das Libretto wurde von Thomas Broughton geschrieben. Es basiert auf der Tragödie Die Trachinierinnen von Sophokles und auf den Metamorphosen von Ovid. Gegenüber den Vorlagen wurde die Handlung in einigen Punkten verändert. So gibt es bei Broughton – im Gegensatz zu Sophokles – keine Anzeichen für Herkules’ Untreue. Dejaniras Eifersucht gründet also nicht in Herkules’ Verhalten, sondern in ihrem eigenen Wahn. Dean hat darauf hingewiesen, dass sich diese Verwandtschaft mit Shakespeares Dramen in textlichen Zitaten z. B. im Chor über die Eifersucht („Jealousy! Infernal pest“) wiederfindet. Die Figur der Iole ist weitgehend von Broughton erfunden, bei Sophokles bleibt sie die ganze Zeit über stumm.
Personen
Die Besetzung wurde bei der Uraufführung von folgenden Sängern gesungen:
- Herkules: Henry Theodore Reinhold (Bass)
- Dejanira, Gemahlin des Herkules: Miss Robinson (Mezzosopran)
- Iole, Tochter des Königs von Oechalia: Elisabeth Duparc, genannt „La Francesina“ (Sopran)
- Hyllus, Sohn des Herkules: John Beard (Tenor)
- Lichas, ein Diener Dejaniras: von Gustavus Waltz gesprochen, da Susanna Maria Cibber (Alt) erkrankt war
Handlung
Erster Akt
Palast in Trachis, Tessalien. Lichas bemitleidet seine Herrin Dejanira, weil sie über Herkules’ Schicksal klagt und sich um seine Kriegsfahrt ängstigt. Er bittet Jupiter, den Helden zu schützen und ihn zu seiner Gattin zurückzuführen („No longer fate relentless frown“). Dejanira klagt über die Abwesenheit Herkules’ („The world, when day’s career is run“). Lichas versucht erfolglos, sie zu trösten. Hyllos berichtet von einem Opferdienst, um das Los des Helden zu erfahren. Dabei sah der Priester Herkules tot dahingestreckt („I feel, I feel the god, he swells my breast“). Dejanira hofft nur noch, im Tod mit ihm vereinigt zu sein („There in myrtle shades reclined“).
Hyllos verspricht, sich aufzumachen, um Herkules’ Schicksal zu erforschen und ihn zurückzubringen, oder selbst unterzugehen („Where congealed the northern streams“). Der Chor ermuntert ihn zu dieser Ruhmestat („O filial piety“). Lichas verkündet, dass Herkules nach seinem Siegeszug gegen Oechalia heimgekehrt sei. Er hat König Eurytos getötet und bringt einen Gefangenenzug mit sich. Dejanira atmet erleichtert auf („Begone, my fears“).
Platz vor dem Palast. Prinzessin Iole, Tochter von Eurytos, wurde von Herkules mit nach Trachis gebracht und beklagt den Tod des Vaters („My father“). Herkules will das Kriegshandwerk aufgeben und sein Alter in Liebe und Glück an der Seite Dejaniras verbringen („The god of battle quits the bloody field“). Der Chor beschließt den Akt mit einem Jubelgesang („Crown with festal pomp the day“).
Zweiter Akt
Ein Gemach. Iole beneidet Dejanira, die von der Welt entrückt glücklich leben könne („How blest the maid“). Dejanira tritt ein, von Gram aufgebracht („When beauty sorrow’s livery wears“). Sie wirft Iole vor, dass Herkules durch ihre Schönheit verführt bei Eurytos um Ioles Hand angehalten habe. Weil er abgewiesen worden sei, habe er Oechalia aus Rache zerstört und Iole als Beute mit sich genommen. Iole versichert, dass es für Eifersucht keinen Grund gebe („Ah, think what ills the jealous prove“). Der Chor kommentiert, wie leicht Eifersucht aus einem Truggebilde entstehen kann („Jealousy! Infernal pest“).
Hyllos hat sich in Iole verliebt, sie aber kann die Liebe gegenüber dem Sohn des Mörders ihres Vaters nicht erwidern. Hyllos erklärt, dass Götter schon aus Liebe aus dem Olymp herabgestiegen seien („From celestial seats descending“). Der Chor bestätigt, dass die ganze Welt durch die Gesetze der Liebe beherrscht werde („Wanton gods of amorous fires“).
Ein anderes Gemach. Dejanira wirft Herkules vor, dass sein Ruhm verdunkelt worden sei. Er versteht sie nicht und erklärt, dass sein Name immer ruhmvoll sein werde („Alcides’ name in latest story“). Sie beschuldigt ihn, den die ihm von Hera aufgetragenen Arbeiten nicht unterwerfen konnten, nun von der Liebe zu einem gefangenen Mädchen besiegt worden zu sein („Resign thy club and lion’s spoils“). Herkules bestreitet den Vorwurf kurz, geht dann aber zu einem Dankopferfest davon.
Dejanira fühlt sich in ihrer Eifersucht bestätigt („Cease ruler of the day to rise“) und kommt auf eine Idee: von Nessos hat sie ein Kleid, das von dessen Blut gefärbt wurde, als Herkules ihn tödlich verwundete. Nessos beteuerte, dass sie mit diesem Kleid Herkules’ Herz zurückgewinnen könne. Sie beauftragt Lichas, Herkules das Gewand als Geschenk zu bringen. Anschließend entschuldigt sie sich bei Iole für ihren Argwohn und tröstet sie, dass sie sich für ihre Freilassung ausspreche. Beide stimmen ein Duett an („Joys of freedom“). Der Chor beendet den Akt mit dem Wunsch einer Versöhnung des Paars („Love and hymen, hand in hand“).
Dritter Akt
Lichas kommt klagend zu den Trachiern und erzählt von dem Geschehen beim Opferfest. Als er Herkules dort das von Lichas überreichte Gewand anzog, vergiftete es den Helden, der nun im Todeskampf liegt („O scene of unexampled woe“). Der Chor ist erschrocken, dass der Rächer der Menschheit nicht mehr ist („Tyrants now no more shall dread“).
Tempel des Jupiter. Herkules verflucht Dejanira, die er für seine Qualen verantwortlich macht („O Jove! what land is this“). Er bittet Hyllus, ihm auf dem Berg Oeta einen Scheiterhaufen zu errichten, von dem er in den Olymp aufsteigen will. Hyllus wünscht, dass die Nachricht von Herkules’ Tod nicht in Oechalia kund werde („Let not fame the tidings spread“).
Palast. Dejanira erkennt, dass sie Nessos’ Rache an Herkules vollzogen hat („Where shall I fly?“). Als Iole hinzukommt, beschuldigt Dejanira sie, merkt dann aber, dass sie selbst schuld an dem Unglück hat. Iole hat Mitleid mit ihr („My breast with tender pity swells“).
Ein Priester berichtet die Verbrennung von Herkules’ Leichnam auf dem Oeta, wo ein Adler seine Seele in den Götterkreis erhoben habe. An Iole gibt er Jupiters Wunsch weiter, dass sie Hyllus heiraten möge. Sie willigt ein und stimmt mit Hyllos ein Duett an („O prince, whose virtues all admire“). Der Chor preist noch einmal den Helden Herkules („To him your grateful notes of praise belong“).
Literatur
- Winton Dean: Handel’s Dramatic Oratorios and Masques. Clarendon, Oxford 1989, ISBN 0-19-816184-0 (Originalausgabe: Oxford University Press, Oxford 1959).
- Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten. Ein Kompendium. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-27815-2.
- Albert Scheibler, Julia Evdokimova: Georg Friedrich Händel. Oratorien-Führer. Edition Köln, Lohmar 1993, ISBN 3-928010-04-2.
Weblinks
- Partitur von Herakles (Händel-Werkausgabe, hrsg. v. Friedrich Chrysander, Leipzig 1859)
Einzelnachweise
- ↑ Hans Joachim Marx: Händels Oratorien, Oden und Serenaten. Ein Kompendium. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998, ISBN 3-525-27815-2, S. 96