Als Indogermanen oder Indoeuropäer werden nach linguistischem Verständnis die Sprecher der heutzutage rekonstruierbaren indogermanischen Ursprache bezeichnet – es handelt sich also nicht um „Germanen“, die Bezeichnung ist vielmehr ein Klammerbegriff, gebildet aus den Namen der beiden zur Zeit der Entdeckung am weitesten auseinander wohnenden bekannten Sprechergruppen.
Die „ursprünglichen Indogermanen“ sollten nicht als Ethnie oder Kultur angesehen werden, da sie allein durch eine von der Wissenschaft rekonstruierte Sprache definiert werden. Die historisch fassbaren Völker wiederum, die verschiedene indogermanische Folgesprachen sprechen, werden in der Literatur als Nachfahren einer Bevölkerung angesehen, die die Sprache von einwandernden Gruppen lediglich übernahm. Hierbei seien dann auch von den verdrängten Altsprachen Bruchstücke als Substrate in den indogermanischen Sprachen erhalten geblieben. Gleichwohl lassen sich aus den Gemeinsamkeiten dieser Folgesprachen gewisse Rückschlüsse auf die Lebensweise der Proto-Indoeuropäer sowie ihre räumliche und zeitliche Verbreitung ziehen. Dies hat zu einer Reihe von Spekulationen geführt, mit welcher archäologisch nachweisbaren Kultur sie identisch sein könnten. Favorisiert wird dabei im Allgemeinen eine Herkunft aus den Steppengebieten nördlich von Schwarzem und Kaspischem Meer. Eine einmütig akzeptierte Zuordnung gibt es bislang aber nicht. Teilweise wird sogar bestritten, dass eine solche mit den Mitteln der Indogermanistik überhaupt möglich ist.
Viele Wissenschaftler nehmen für das Urindogermanische etwa den Zeitraum zwischen 4000 und 3000 v. Chr. an. Eine Begründung ergibt sich aus den Techniken, beispielsweise des Wagenbaues, die im gemeinsamen Wortschatz ihren Niederschlag gefunden haben.
Die indogermanische Ursprache
Ende des 18. Jahrhunderts wies der britische Indologe und Jurist William Jones darauf hin, dass viele Sprachen in Europa und Asien einander so ähnlich sind, dass sie eine gemeinsame Wurzel haben müssen.
Zu der so entdeckten indogermanischen Sprachfamilie gehören in Europa alle germanischen, slawischen, baltischen, keltischen und italischen Sprachen sowie Albanisch und Griechisch. Außerhalb Europas gehören dazu Armenisch, die indoarischen und die indoiranischen sowie die Nuristani-Sprachen. Ausgestorben sind die anatolischen, illyrischen und tocharischen Sprachen.
Seit der Entdeckung der Verwandtschaft zwischen den indogermanischen Sprachen sind Linguisten bemüht, die zugrundeliegende gemeinsame Sprache zu rekonstruieren. Diese wird traditionell als indogermanische Ursprache bezeichnet, obwohl natürlich auch sie Vorläufer gehabt haben muss. Welche Sprachen die vorindoeuropäischen Populationen sprachen, bleibt uns verborgen. Hinweise geben vereinzelt die Hydronomie und in Südosteuropa Ortsnamen bzw. deren Endungen (z. B. -assos).
Als Begründer der indogermanischen Sprachwissenschaft gilt Franz Bopp mit seinem 1816 erschienenen Werk Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Mit dem darin vorgestellten Konjugationssystem erbrachte Bopp den methodischen Beweis für die von William Jones postulierte Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen. Die ersten Versuche, die hypothetische indogermanische Ursprache zu rekonstruieren, unternahm dann August Schleicher Mitte des 19. Jahrhunderts. Er zog dabei außer den noch gesprochenen indogermanischen Sprachen auch schriftlich belegte ausgestorbene Sprachen hinzu und erstellte einen der ersten Stammbäume, der die angenommene Verwandtschaft der Sprachen untereinander darstellte. Auf Schleicher geht auch die Konvention zurück, rekonstruierte Sprachformen mit Sternchen zu versehen. Aus der indogermanischen Sprachwissenschaft entwickelte sich die Vergleichende Sprachwissenschaft, die auch auf andere Sprachfamilien angewandt wird.
Der deutsch-finnische Sprachwissenschaftler Harald Haarmann geht davon aus, dass es auch einen Sprachaustausch zwischen der proto-uralischen Sprache und der indogermanischen Ursprache gegeben hat. So ließen sich sowohl im Wortschatz als auch in der Grammatik konvergente Elemente rekonstruieren, etwa lexikalische Wortstammformen, grundlegende grammatische Strukturen und verschiedene Pronominalstämme. Ein solcher Austausch (Sprachbund) kann durch direkte Nah- oder Fernkontakte zwischen Vertretern der finno-ugrischen Völker und Proto-Indoeuropäern erfolgt sein, wobei man unter Fernkontakten Beziehungen versteht, die nicht durch räumliche Nähe in der unmittelbaren Heimat erfolgen, sondern z. B. durch Handelsbeziehungen oder politische Gesandtschaften. Möglich ist jedoch auch ein indirekter Sprachaustausch durch verwandte Dialekte oder auch eine weitere Sprache, die als „Vermittler“ zwischen den beiden Sprachen stand. Haarmann nimmt jedoch an, dass die Urheimat der Proto-Uralier nördlich des urindogermanischen Siedlungsraums (gemäß der Kurgan-Hypothese) lag und damit ein direkter Austausch stattgefunden hat.
Indogermanisch vs. Indoeuropäisch
Die Bezeichnungen indogermanisch und indoeuropäisch sind in der Anwendung deckungsgleich und werden im deutschsprachigen Raum häufig synonym verwendet. Sie drücken aus, dass das Verbreitungsgebiet dieser Sprachen von Indien bis Europa, bzw. konkreter bis nach Island reicht, wo eine germanische Sprache gesprochen wird. Die keltischen Sprachen waren damals noch nicht als zur Sprachfamilie zugehörig eingestuft; die anatolischen und die beiden tocharischen Sprachen konnten erst im 20. Jahrhundert nach ihrer Entdeckung und Entzifferung als zugehörig erkannt werden. Den Begriff langues indo-germaniques prägte der dänisch-französische Geograf Conrad Malte-Brun 1810, während die Bezeichnung Indo-European languages 1813 von Thomas Young eingeführt wurde. Der deutsche Begriff indogermanisch wurde erstmals von Heinrich Julius Klaproth gebraucht, ein sich zwar im deutschen Sprachraum bald durchsetzender Begriff, der jedoch von Franz Bopp vermieden wurde. Er bevorzugte ab 1833 die Bezeichnung indo-europäisch.
Die deutschsprachige Philologie verwendet dennoch traditionell den Begriff indogermanisch. Vor allem an den Hochschulen wird fast ausschließlich von Indogermanischer Sprachwissenschaft oder von der Vergleichenden (historischen) Sprachwissenschaft gesprochen, während außerhalb des deutschen Sprachraums die Bezeichnung indoeuropäisch (englisch Indo-European, französisch indo-européen, spanisch protoindoeuropeo) gebräuchlich ist.
Kultur
Der Wortschatz der rekonstruierten proto-indoeuropäischen Sprache gibt Hinweise auf die Lebensweise ihrer Sprecher. So belegen zum Beispiel weitgehend gemeinsame Worte für Silber, Gold und vor allem Bronze, dass die Indogermanen diese Metalle bereits verarbeiteten, jedoch noch kein Eisen. Auch die Wörter Pflug, Rad, Wagen, Achse, Deichsel und Joch haben in den indogermanischen Sprachen eine gemeinsame Wurzel, was bedeutet, dass die Sprecher des Indogermanischen Ackerbau betrieben und Wagen benutzt haben müssen. Es gibt auch sprachliche Hinweise auf eine Domestizierung des Pferdes (*h₁ék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *h₁ek̑ ‚schnell‘ wurde zu *h₁ék̑-wo-, z. B. in lat. equus ‚Pferd‘), aber es ist umstritten, ob die Indogermanen bereits Reiter waren. Dem Argument, dass es kein gemeinsames Wort für Reiten gibt, steht die Tatsache gegenüber, dass eine größere Ausbreitung ohne Reitpferde kaum vorstellbar ist. Viele verschiedene Ausdrücke für „gehen“ beweisen schließlich auch nicht, dass die Indogermanen etwa nicht gehen konnten.
Wildpferde kamen vor der Indogermanisierung in Europa nur regional vor, während sie in Steppengebieten große Herden bildeten. Dort hat der Archäologe David Anthony an Pferdezähnen aus Dereivka in der Ukraine Abnutzungsspuren entdeckt, die auf die Benutzung einer Trense zum Reiten schließen lassen. Das ist ein eindeutiger Beleg, dass dieses Pferd zum Reiten genutzt wurde. Letztlich wurde dieser Pferdezahn jedoch auf ein Alter von 410 bis 200 Jahren datiert. Anthony hat jedoch zahlreiche weitere Belege zusammengetragen, die darauf schließen lassen, dass die Indoeuropäer vor ca. 4700 Jahren das Reiten entwickelten, ohne dass allerdings ein sicherer Beweis dafür gefunden wurde.
Gemäß ihrem Wortschatz müssen die Indogermanen sowohl Ackerbau wie Viehzucht, genauer Pastoralismus, betrieben haben, wobei die Viehzucht wohl die größere Rolle spielte. Denn die indogermanische Ursprache enthält viele Begriffe aus der Milch- und Viehwirtschaft (Milch, Butter, Wolle, Webtechnik) dem nur die Bezeichnung für eine einzige, bisher nicht identifizierte Getreidesorte gegenübersteht. Manche Forscher gehen deshalb sogar von einer halbnomadischen Lebensweise aus. Vor allem hielten die Indogermanen wohl Schafe (Nom.Sg. *h₃éw -i -s, z. B. in lat. ovis ‚Schaf‘), aus deren Wolle sie Kleidung herstellten, und Rinder (Nom.Sg. *gʷṓw -s). Die soziale Stellung eines Mannes maß sich vermutlich daran, wie viel Vieh (*pék̑-u; -u-Stamm zur Wurzel *pek̑ ‚rupfen‘) er besaß. So ist im Lateinischen das Wort für Geld (pecūnia) verwandt mit dem Wort für Vieh (pecū). Auch das deutsche Wort Vieh und das englische fee (Gebühr) haben eine gemeinsame Wurzel. Rinder scheinen auch in Religion und Mythologie eine Rolle gespielt zu haben.
Das Gesellschaftssystem war wohl patrilinear organisiert. Es gibt Hinweise auf sakrale Königtümer, in welchem der Stammesführer gleichzeitig die Rolle eines hohen Priesters einnahm. Außerdem scheinen Sklaven gehalten worden zu sein. Der französische Religionswissenschaftler Georges Dumézil vertritt die Ansicht, dass die Gesellschaft ähnlich wie bei vielen späteren Kulturen mit indogermanischer Sprache dreigeteilt war, in den Klerus, eine Kriegerklasse und einfache Bauern.
Auch aus der Religion der späteren Kulturen mit indogermanischer Sprache lassen sich Schlüsse auf die religiösen Praktiken der Indogermanen schließen (siehe auch Indogermanische Religion). Demnach hatten sie einen polytheistischen Götterhimmel, in der ein Himmelsvater (*diwós ph2tḗr) eine zentrale Rolle einnahm. Im Mittelpunkt der religiösen Praktiken standen vermutlich Opfer-Riten, welche durch eine Priester-Kaste vollzogen wurde. Einflussreiche Anführer könnten bereits – wie später in zahlreichen Kulturen mit indoeuropäischer Sprache – mit ihrem Eigentum, vielleicht sogar mit bestimmten Familienmitgliedern, wie ihren Frauen, beigesetzt worden sein.
Aus diesen Hinweisen wird im Allgemeinen geschlossen, dass die Sprecher der indogermanischen Ursprache eine bronzezeitliche Kultur im 4. Jahrtausend v. Chr. darstellten. Die Trennung in verschiedene Sprachgruppen erfolgte vermutlich zwischen 3400 und 3000 v. Chr.
Vorstellungen zu Herkunft und Ausbreitung der indogermanischen Sprache
Die Gemeinsamkeiten der bekannten indogermanischen Sprachen setzen gemeinsame linguistische Vorstufen voraus, Sprecher, die diese gesprochen haben, sowie einen Kommunikationsraum, in dem – unter der zunächst noch beschränkten Mobilität – diese Sprache der gegenseitigen Verständigung diente. Dieses Ausprägungsgebiet wird gemeinhin als „Urheimat“ bezeichnet. Nach all unserem Wissen konnte sich diese wie auch andere Sprachen nur durch stetigen Einfluss von Menschen mit entsprechender Macht, Prestige und innerem Zusammenhalt ausgebreitet haben. Jede wie auch immer geartete Ursprungshypothese muss sich also auf Zeiten und Räume beziehen, von denen wir mehr oder weniger Kenntnisse nur durch die Archäologie und neuerdings durch die Gentechnik besitzen. Keine der Ursprungshypothesen konnte sich bisher völlig durchsetzen. Daher werden sie im Folgenden einzeln vorgestellt.
Die verschiedenen Hypothesen unterscheiden sich bereits beim Versuch, die Urindogermanen zeitlich zu fassen. Beim Jungpaläolithikum (Otte) angefangen, lägen die Ursprünge in Nordafrika. Späteste Annahmen datieren die Ausbreitung der Indogermanen nach Europa in das Neolithikum oder in die regional unterschiedlich beginnende Bronzezeit (in Mitteleuropa ca. 2500 v. Chr.).
Räumlich deuten gemeinsame Pflanzennamen in den indogermanischen Sprachen auf gemäßigte Breiten hin. Die meisten Ansätze verorten sie in den Steppengebieten nördlich von Schwarzem und Kaspischem Meer. Immer wieder wurden jedoch auch andere Regionen diskutiert. Dabei spielten oft auch nationalistische Argumente eine Rolle. So wurde etwa in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch im Iran versucht, die „Urheimat“ der „Arier“ (im Sinne von Urindogermanen) im eigenen Einflussbereich zu lokalisieren. Auch abseits solcher rein ideologisch geprägten Argumentation warnen die Sprachwissenschaftler jedoch, dass ein Zusammenhang zwischen einer rekonstruierten Ursprache wie der indogermanischen und einer Kultur prinzipiell hypothetisch ist. Selbst wenn Sprecher einer linguistisch rekonstruierten Sprache mit einer archäologisch nachgewiesenen Kultur in Verbindung gebracht werden könnten, könne daraus nicht geschlossen werden, dass diese Sprechergemeinschaft ein Volk gewesen sei oder ihre Sprache sich auf die eine Kultur begrenzt habe.
Methodik
Die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und die Sprachtypologie erschließen durch Vergleich verwandter Sprachen sogenannte Ursprachen (Protosprachen).
Für archäologische Kulturen gilt ähnliches wie für Protosprachen: Zahlreiche Indogermanisten versuchten, durch Analyse der manchen indogermanischen Sprachen gemeinsamen Pflanzen- und Tierbezeichnungen, die demnach Bestandteil der indogermanischen Ursprache sind, die Urheimat ihrer Träger zu ermitteln. Diese Ansätze stehen wegen der häufigen Bedeutungswechsel in der Kritik. Allerdings weisen die gemeinsamen Pflanzen- und Tiernamen auf mittlere bzw. gemäßigte Breiten und aufgrund von Lehnwörtern auf frühe Kontakte mit Sprechern uralischer und altaischer Sprachen hin.
Diese Überlegungen und Sprachanalysen weisen in der heute mehrheitlich vertretenen Kurgan-Hypothese als Ausbreitungszentrum auf ein Gebiet in Südrussland, auf Viehhirten, die nicht mehr Jäger und Sammler waren und – analog zu entsprechenden Begriffen in der indoeuropäischen Grundsprache – vermutlich einen rudimentären Ackerbau betrieben.
Gemeinsame indogermanische Bezeichnungen des Ackerbaus, wie z. B. Pflug, als auch des Transports wie Rad, Wagen und Joch legen nahe, dass die indogermanischen Stämme sich erst nach Übernahme des Wagentransports (zunächst von Ochsen gezogen) ausbreiteten. Danach können sie nicht die Träger der ersten Ackerbaukulturen gewesen sein, die im Alt-Neolithikum von Kleinasien nach Europa wanderten, sondern erst relativ späte (ca. 3600–2600 v. Chr.) Migranten. Diese frühmetallzeitliche Periode brachte, wie bereits vorher die Landwirtschaft, eine größere Umwälzung mit sich. Archäologen ordnen die Funde zu Fund-Horizonten. Horizonte mit ausreichend umfangreicher Datenlage werden Kulturen genannt. Eine so genannte „Kultur“ wird durch typische Funde, zumeist der Keramik, definiert (Leitfunde). Eine Gleichsetzung archäologischer Kulturen mit ethnischen Einheiten, Sippen oder Völkern ist jedoch in der Regel unmöglich, auch wenn das im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in Deutschland besonders von Gustaf Kossinna, versucht wurde.
Sprachwissenschaftler, die eine Protosprache beschreiben, versuchen oft, archäologische Evidenzen für diese Protosprache zu finden, und mitunter (aber seltener) versuchen Archäologen, die eine Kultur beschreiben, in Ermangelung historischer Daten sprachwissenschaftliche Evidenzen zu finden. Dies ändert nichts daran, dass ein Zusammenhang zwischen Protosprachen und Kulturen prinzipiell hypothetisch ist, so dass zwar allgemein von Gesellschaften gesprochen werden kann und die Sprechergemeinschaft der linguistisch rekonstruierten Protosprache ganz oder teilweise Träger der betreffenden archäologischen Kultur gewesen sein könnte, wohingegen jedoch nicht mit Bestimmtheit behauptet werden kann, diese Gesellschaften seien ein Volk gewesen oder ihre Sprache wäre auf die Kulturebene begrenzt gewesen.
Cavalli-Sforza fand durch Studien Parallelen zwischen dem genetischen Verwandtschaftsgrad verschiedener Völker und den von ihnen gesprochenen Sprachen.
Die im Folgenden beschriebenen Hypothesen beruhen – jede für sich – auf völlig verschiedenen Annahmen. Manche Hypothesen schließen sich, obwohl sie sich zu widersprechen scheinen, nicht unbedingt gegenseitig aus.
Kurgan-Hypothese
Die schon Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Sprachwissenschaftlern (Linguisten) geäußerte Vermutung, die Urheimat der indogermanischen Sprachen befinde sich in den Steppen nördlich und nordöstlich des Schwarzen Meers, wird auch heute noch von der Mehrheit der Sprachwissenschaftler favorisiert und gilt seit der Widerlegung der Hypothesen Renfrews (s. u.) auch in der Ethnologie zunehmend wieder als Standard. Die Urindogermanen könnten demnach auf Grund vorhandener Wörter als eine patriarchal organisierte halbnomadische Gesellschaft angesehen werden, die den Pflug kannte, das Pferd nutzte und mit einiger Sicherheit nicht am Meer beheimatet war. Archäologen versuchten, dies mit Hilfe archäologischer Indizien zu überprüfen. Die während des Neolithikums und der frühen Bronzezeit in Südrussland, der Ukraine und Moldawien existierenden Kulturen nördlich und östlich des Schwarzen Meeres und an der Wolga wurden von der litauisch-amerikanischen Archäologin Marija Gimbutas 1956 nach der charakteristischen Bestattungsweise in Grabhügeln (Kurgan) zur sogenannten Kurgankultur zusammengefasst.
Dieser Kurgan-Hypothese zufolge lebten die Indogermanen im 5. vorchristlichen Jahrtausend als kriegerisches Hirtenvolk in Südrussland. Sie domestizierten das Pferd (Sredny-Stog-Kultur um 4000 v. Chr.), gegen 3500 v. Chr. erfanden oder übernahmen sie das Fuhrwerk (Wörter für Rad, Achse, Deichsel, Geschirr, Nabe stehen dafür), und betrieben Vieh- und Weidewirtschaft mit Schafen und Rindern. Gemäß dieser Hypothese sind sie zwischen 4400 und 2200 v. Chr. in mehreren Wellen west-, süd- und ostwärts gezogen. Die Träger der Schnurkeramik bildeten demnach eine dieser Auswanderungswellen des Kurganvolkes, die sich z. B. bis ins westliche Mitteleuropa ausbreiteten und sich mit der dort ansässigen Bevölkerung vermischten. Schon lange vor Marija Gimbutas galt vielen Archäologen die Ende des 4. Jahrtausends verbreitete Streitaxt als Kennzeichen einer indoeuropäischen Invasion.
Mit ihrer Kurgan-Hypothese erklärt Marija Gimbutas gesellschaftliche Umbrüche, die nach ihrer Meinung im 3. Jahrtausend die neolithische Gesellschaft Mittel- und Südeuropas erschütterten: im Norden wich die Kollektivbestattung in Megalithgräbern der Einzelbestattung, beim Grabinventar tauchen andere Beigaben auf (Waffen, Schmuck usw.), Schmuckformen und Verzierungen bei der Keramik wandeln sich. In Griechenland findet sich um 2200 v. Chr. ein ausgedehnter Brandhorizont, der mit dem Einbruch von indoeuropäischen Protogriechen in Verbindung gebracht wird, die sich bis etwa 1600 v. Chr. mit der mittelmeerischen Vorbevölkerung vermischen – ein Prozess, aus dem die frühen Griechen und die mykenische Kultur hervorgehen, die um 1600 v. Chr. einsetzt. Auch Troja erlebt um 2200 v. Chr. eine Brandkatastrophe, wenig später werden im mittleren Kleinasien die Hethiter fassbar.
Zusammenfassend postuliert die Kurgan-Hypothese einen raschen gesellschaftlichen Umbruch, dem die älteren, seit dem 7. Jahrtausend fassbaren neolithischen Kulturen in weiten Teilen Europas zum Opfer fielen. Die sozial nicht geschichteten und vermutlich matrilinearen Bauernkulturen wurden von einer patriarchalischen und feudal gegliederten indogermanischen Erobererschicht überlagert, die aufgrund ihrer kriegerischen und technologischen Überlegenheit und trotz beträchtlicher zahlenmäßiger Unterlegenheit ihre Sprache und Gesellschaftsstruktur durchsetzte.
Die Hypothese von Marija Gimbutas, die wegen der Gleichsetzung der südrussischen Kurgankultur mit den Indoeuropäern und der von ihr postulierten sozialen Struktur der nichtindoeuropäischen Vorbevölkerung (Alteuropa) zeitweise stark in die Kritik geraten war, passt im Gegensatz zu Renfrews Annahme am besten zum sprachlichen Befund, wonach die Indoeuropäer nicht zu Beginn des Neolithikums nach Europa kamen, sondern erst in relativ später Zeit im 3. Jahrtausend v. Chr. nach Westen vorstießen. Mit diesen vermuteten Wanderungen breitet sich auch das Pferd wieder nach Westen aus. Allerdings stehen Beweise für frühe Reitpferde im Westen noch aus: Die Fuhrwerke wurden noch lange von Ochsen gezogen.
Eine 2015 veröffentlichte genetische Studie von Forschern der Harvard Medical School in Boston stützt Gimbutas Theorie. Die Forscher wiesen zwei Einwanderungswellen nach Europa nach. Zuerst kamen zwischen 6000 und 5000 v. Chr. die ersten Ackerbauern über Anatolien aus dem Nahen Osten. Dabei erwiesen sich Funde aus Spanien, vornehmlich der Linienbandkeramiker in Deutschland und ihren Vorläufern der Starčevo-Kultur (von Serbien bis Ungarn) als sehr eng verwandt. Nach 4000 v. Chr. muss es dann eine massive Einwanderung aus den südrussischen Steppen gegeben haben. Denn die Forscher stellten fest, dass die DNA der untersuchten, zentraleuropäischen Schnurkeramiker zu 75 Prozent mit der von Angehörigen der Jamnaja-Kultur übereinstimmt, einer Nachfolge-Kultur des Kurganvolkes. Eine etwa zeitgleich, aber unabhängig erstellte dänische Studie weist in dieselbe Richtung. Auch der italienische Genetiker Luigi Luca Cavalli-Sforza ging schon früher von einer Anatolien-Expansion und einer späteren Auswanderungswelle aus, glaubte aber, die Anatolien-Auswanderer könnten ebenfalls eine indogermanische Sprache gesprochen haben.
Die Anatolien-Hypothese
Der britische Archäologe Colin Renfrew setzt die Indogermanen mit den neolithischen (jungsteinzeitlichen) Bauern gleich, welche die Landwirtschaft ab 7000 v. Chr. sowohl über den Balkan, als auch den Westmediterranen Raum nach Mittel- und Nordeuropa brachten. Die These erscheint zunächst dadurch überzeugend, dass diese Wirtschaftsweise auch eine ökonomische Überlegenheit darstellte. Renfrews Theorie geht von einem zu frühen Auftreten des Urindogermanischen in Europa aus, da die rekonstruierte Grundsprache in ihrer sprachlichen Tiefenschicht Wörter für Dinge enthält, die erst seit dem 4.–3. Jahrtausend v. Chr. in Europa gefunden wurden, wie z. B. Joch, Rad und Wagen.
Die Anatolien-Hypothese postuliert den Kulturtransfer, vor allem für Sprachen, Ackerbau und Viehzucht nach Europa durch Einwanderung aus Anatolien. Im engeren Sinne wird darunter die Ausbreitung einer indogermanischen Ursprache von Anatolien her nach Europa durch und mit der jungsteinzeitlichen Revolution gesehen.
Die modifizierte Hypothese integriert vor allem neueste Erkenntnisse zur Genetik europäischer Populationen (Ausbreitung von Haplogruppen);
- ab 6.500 v. Chr. sei die neolithische Expansion aus Anatolien über die Balkanhalbinsel (Starčevo-Kultur, Körös-Cris-Kultur) bis zur mitteleuropäischen Bandkeramik erfolgt;
- gegen 5.000 v. Chr. sei mit der Ausbreitung kupferzeitlicher Kulturen eine Dreiteilung indogermanischer Sprachen auf dem Balkan erfolgt, mit Aufspaltung in einen nordwesteuropäischen Zweig (Donauraum) und einen östlichen Steppenzweig (Vorfahren der Tocharer).
- erst nach 3000 v. Chr. sei die Aufspaltung der Sprachfamilien vom Proto-Indogermanischen (Griechisch, Armenisch, Albanisch, Indo-Iranisch, Baltisch-Slawisch) erfolgt.
Weitere Argumente finden sich unter Indogermanische Sprachen.
Die Süd-Kaukasus/Armenien-Hypothese
Die Sprachwissenschaftler Tamas Gamqrelidse und Wjatscheslaw Wsewolodowitsch Iwanow sahen dagegen im Rahmen der Glottaltheorie den Raum südlich des Kaukasus als Ausgangsgebiet der indogermanischen Sprache und einer von hier aus in mehrere Richtungen erfolgenden indoeuropäischen Wanderung an. Diese habe zunächst ostwärts um das Kaspische Meer herumgeführt, wo sie ihre tocharische bzw. nordindische Abspaltung erfahren habe, und dann westwärts in den nordpontischen Raum.
Die linguistische Uminterpretation der Entwicklung der indogermanischen Sprachen und die auf weitgehenden semantischen Uminterpretationen beruhende Süd-Kaukasus/Armenien-Hypothese wurde von Indogermanisten weitestgehend abgelehnt. Auf die vorgebrachte Kritik reagierte Gamkrelidse im Jahr 2010 mit einer aktualisierten Hypothese. Sie wurde unter anderem von Allan Bomhard aufgenommen.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Schwarzmeer-Überschwemmungs-Hypothese. Diese wurde 1996 von William Ryan und Walter C. Pitman, beides Geologen an der Columbia University, in einem populären Artikel der New York Times vorgestellt. Laut dieser These lebten die Proto-Indoeuropäer in unmittelbarer Umgebung des prähistorischen Schwarzen Meers und verließen ihre Heimat nach einer gigantischen Flutkatastrophe.
Die Armenien- und Anatolien-Hypothese unterstützen sich teilweise gegenseitig.
Alteuropa-Hypothese
Die von Hans Krahe begründete und von Wolfgang P. Schmid weiterentwickelte „Alteuropa-Theorie“ stützt sich auf die Untersuchung alter Gewässernamen. Sie geht davon aus, dass sich Gewässernamen gegenüber Umbenennungen als besonders resistent erwiesen haben und damit eine sehr alte Sprachschicht repräsentieren. Dabei bedienen sich die Forscher einer Unterdisziplin der Sprachforschung, der sogenannten Onomastik (Namenforschung). Die Göttinger Schule der Gewässernamenkunde (Hydronymie, letzter Vertreter: Jürgen Udolph) nimmt ein sogenanntes „alteuropäisches“ sprachliches Kontinuum an.
Mitteleuropa-Hypothesen
Anhänger dieser Richtung gehen im Gefolge Gustaf Kossinnas davon aus, dass die Indogermanen auf die mesolithische Bevölkerung Mitteleuropas zurückgehen und somit die Urbevölkerung bilden. Nach ihrer Auffassung erstreckte sich der dafür infrage kommende Raum zwischen Weser, Ostsee, Ostpolen und Karpaten. Etwa um 4000 v. Chr. hätten diese Frühindogermanen die Trichterbecherkultur ausgebildet und ca. 2500 v. Chr. ihre Wanderungen auf den Balkan, nach Vorderasien und Indien angetreten. Eine Invasion aus dem asiatischen oder südrussischen Raum hätte es danach nicht gegeben.
Ab dem späten 19. Jahrhundert vertraten zahlreiche mitteleuropäische Wissenschaftler diese Ansicht, vor allem solche, die als Nationalisten und Pangermanisten eine indogermanische Zuwanderung aus den Steppengebieten Südrusslands aus ideologischen Gründen ablehnten. Neben solchen Wissenschaftlern, die der protonazistischen Ideologie vom „nordischen Herrenmenschen“ nahestanden, gab es Indogermanisten und Prähistoriker, die die Mitteleuropa-Hypothese aus rein wissenschaftlichen Erwägungen favorisierten (z. B. Julius Pokorny, Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, Ernst Meyer u. a.). Ihre größte Blütezeit erlebten die Mitteleuropatheorien jedoch in den 1930er- und 1940er-Jahren im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassenlehre.
Nach 1945 wurden und werden jegliche Mitteleuropatheorien zur Herkunft der Indogermanen aufgrund ihrer vormaligen prominenten nationalistischen und rassistischen Instrumentalisierung bzw. Inspiration mehrheitlich abgelehnt. Gleichzeitig geriet jedoch die gesamte Indogermanistikforschung im deutschen Sprachraum in der Folge in Verruf, da bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs der hiesige popularistische öffentliche Diskurs ein halbes Jahrhundert lang die Indogermanistik durch Verortung der Urheimat in Mitteleuropa zur Grundlage einer nordischen Herrenmenschenideologie gemacht hatte.
In jüngerer Zeit vertritt der Archäologe Alexander Häusler (2003) wieder die Meinung, dass die indogermanischen Sprachträger zur autochthonen Bevölkerung Europas zählen und dort ohne größere Invasionen oder Migrationen von außerhalb seit dem Mesolithikum ansässig waren. Die weite Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen erklärt er lediglich durch Kulturkontakte.
Alte DNA
Seit 2015 kann genetisches Material aus archäologisch gewonnenen menschlichen Knochenfunden aus ganz Europa (Kleinasien, Mitteleuropa, Russland westlich des Ural, Spanien und England) in größerer Zahl ausgewertet werden. Das Ergebnis ist, dass die Ancient-DNA-Forscher heute davon ausgehen, dass die Menschen der frühneolithischen Kultur der Bandkeramik von ihrer genetischen Herkunft her zu mehr als 90 Prozent von einer mediterranen Ursprungsbevölkerung in Kleinasien abstammten, dass die mittelneolithischen Kulturen entstanden, indem sich die untergehenden Bandkeramiker mit „einheimischen“ westlichen Jäger-Sammler-Völkern vermischten, so dass der Anteil der Menschen mit genetischer Herkunft aus dem europäischen Mesolithikum auf bis zu 17 % anwuchs, und dass die spätneolithischen Kulturen der Schnurkeramiker und Glockenbecher durch massive Zuwanderung aus dem Nordschwarzmeer-Gebiet entstanden, die sich mit den Menschen der mittelneolithischen Kulturen Mitteleuropas vermischten. Das Urvolk der Indogermanen entstand, wie David Reich 2017 in einem Vortrag äußerte, durch Vermischung osteuropäischer Jäger und Sammler mit frühneolithischen Bauern des Iran. In seiner 2018 erschienenen Veröffentlichung schrieb er „Die Heimat der Bevölkerung, die erstmals Indogermanisch sprach, liegt wahrscheinlich im heutigen Iran oder Armenien“. Mit diesen Erkenntnissen kann jedoch kein Beweis zur tatsächlichen Herkunft der indogermanischen Sprache erbracht werden. Eine im Ergebnis ähnliche Meinung vertritt der Paläogenetiker Johannes Krause. Diese Meinung entspricht im Ergebnis in etwa der Armenien-Hypothese.
Die Ausbreitung des Indoeuropäischen
Intensiv diskutiert wird auch, wie sich Sprache und Kultur der Indoeuropäer im späteren indoeuropäischen bzw. indoarischen Sprachraum ausgebreitet haben (Sprachkontakt). Die Vorstellungen reichen von einer Invasion der Indoeuropäer nach Europa und Indien über eine allmähliche Infiltration und Vermischung bis hin zur reinen Weitergabe von Sprache und kulturellen Errungenschaften ohne nennenswerten genetischen Austausch. Harald Haarmann zieht bezüglich der Entstehungsmechanismen einen Vergleich zu der Ausbildung von neuzeitlichen Kreolsprachen. Colin Renfrew sieht die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen im Zusammenhang mit der Eliteherrschaft, die mit der Entwicklung komplexer Gesellschaften auftrat. Dabei ergreift eine kleine Gruppe besonders befähigter Individuen (wobei die Art der Befähigung nicht näher bestimmt ist) durch Okkupation die gesellschaftlich-ökonomische sowie militärische Macht in einer Region. Durch diese Machtstellung wird die von dieser kleinen Gruppe gesprochene Sprache aufgewertet, so dass die beherrschte Bevölkerung mit ihrer eigenen Sprache (Substratsprache) sich genötigt sieht, diese Sprache anzunehmen oder ihr zumindest im Alltag den Vorzug zu geben.
Gemäß der Kurgan-Hypothese von Marija Gimbutas sind die Indogermanen zwischen 4400 und 2200 v. Chr. in mehreren Wellen west-, süd- und ostwärts gezogen. Als Auslöser sieht sie eine lange Dürre, die moderne Geologen erst jüngst durch das Ende des bis dahin unbekannten ostmediterranen Monsuns von 7000 bis etwa 4500 v. Chr. erklären konnten.
Eine dieser Wellen waren demnach die Träger der Schnurkeramik- bzw. Streitaxtkultur, die sich mit Ausnahme Westfrankreichs und der Iberischen Halbinsel in ganz Europa ausbreiteten und mit der ansässigen Bevölkerung vermischten. Dabei wurden die seit dem 7. Jahrtausend fassbaren neolithischen, sozial nicht oder wenig geschichteten und möglicherweise matrilinearen Bauernkulturen von einer patriarchalischen und feudal gegliederten indogermanischen Erobererschicht überlagert, die aufgrund ihrer kriegerischen und technischen Überlegenheit und trotz beträchtlicher zahlenmäßiger Unterlegenheit ihre Sprache und Gesellschaftsstruktur durchsetzte. Der US-amerikanische Anthropologe David W. Anthony betont ausdrücklich, es habe sich nicht um eine koordinierte militärische Invasion gehandelt, sondern um die Einwanderung von Stämmen, die die alteuropäische Bevölkerung aufgrund ihrer militärischen und ökonomischen Überlegenheit in ein Klientelverhältnis gezwungen und somit von sich abhängig gemacht hätten.
Im Norden wich in dieser Zeit die Kollektivbestattung in Megalithgräbern der Einzelbestattung, wobei man in den Gräbern Hocker und Ockereinstreuungen findet, wie sie in Steppengräbern Südrusslands und Zentralasiens gebräuchlich waren. Beim Grabinventar tauchten Streit- und Bootäxte auf sowie schnurverzierte Keramik und andere Beigaben, die auf eine Herkunft aus Südosteuropa schließen lassen. Auch Schmuckformen und Verzierungen der Keramik wandelten sich. Die frühesten Datierungen schnurkeramischer Gräber stammen derzeit aus dem 29. vorchristlichen Jahrhundert aus Kleinpolen. Etwa um 2300 v. Chr. setzt mit der Aunjetitzer Kultur die Bronzezeit in Europa ein. In Griechenland findet sich um 2200 v. Chr. ein ausgedehnter Brandhorizont, der mit dem Einbruch von indoeuropäischen Proto-Griechen in Verbindung gebracht wird, die sich mit der mittelmeerischen Vorbevölkerung vermischten – ein Prozess, aus dem die frühen Griechen bzw. Achaier und die mykenische Kultur hervorgingen. Auch Troja erlebte um 2200 v. Chr. eine Brandkatastrophe, wenig später wurden im mittleren Kleinasien die Hethiter fassbar.
Die Indoarischen sowie baltischen Sprachen haben besonders altertümliche Bestandteile der urindogermanischen Sprache.
In Asien wird die ab 2000 v. Chr. nachgewiesene Andronowo-Kultur zwischen Uralfluss und Jenissei als möglicher Ort gesehen, wo sich aus dem Urindogermanischen eine proto-indoiranische Sprache bildete. Von dort könnte sich dann eine weitere Ausbreitung in den heutigen Iran und das heutige Indien ergeben haben. Eine weitere Ausbreitung gab es in den Altai und nach Tuwa. Neue genetische Forschungen deuten darauf hin, dass die Menschen der dortigen Afanasjewo-Kultur die ersten Sprecher der tocharischen Sprache gewesen sein könnten.
Die bereits vorgestellten paläogenetischen Befunde scheinen den vorstehenden Theorien zu widersprechen. So lassen sich seit dem Mesolithikum in Europa zwei massive Einwanderungswellen feststellen. Vor ca. 8000 Jahren wanderten Ackerbauern aus Anatolien nach Europa ein, die die mesolithische Bevölkerung zunächst weitgehend ersetzte und in Randgebiete abdrängte, von wo aus jene dann wieder zurückdrang und sich mit den Ackerbauern vermischte. Etwa vor 5600 Jahren trafen in der pontisch-kaspischen Steppe Einwanderer aus dem iranischen Raum mit Einwanderern aus Nordeurasien zusammen und vermischten sich. Diese Mischbevölkerung wanderte vor 4800 Jahren in ein offenbar nahezu menschenleeres und seit 5000 Jahren vor der Jetztzeit fundfreies Europa. Als hypothetische Ursache für die Entvölkerung wird eine Seuche, etwa die Pest, angenommen.
Siehe auch
Literatur
Sprachwissenschaftlich
- David W. Anthony, Don Ringe: The Indo-European Homeland from Linguistic and Archaeological Perspectives. In: Annual Review of Linguistics. Heft 1, 2015, S. 199–219, doi:10.1146/annurev-linguist-030514-124812 (englisch).
- Will Chang, Chundra Cathcart, David Hall und Andrew Garrett: Ancestry-constrained phylogenetic analysis supports the Indo-European steppe hypothesis. In: Language. Band 91, Heft 1 (2015), S. 194–244 (linguisticsociety.org PDF, englisch).
- Asya Pereltsvaig, Martin W. Lewis: The Indo-European Controversy. Facts and Fallacies in Historical Linguistics. Cambridge University Press, Cambridge 2015 (englisch).
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- Ernst Kausen: Die indogermanischen Sprachen. Von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2012, ISBN 978-3-87548-612-4.
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Archäologisch
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- Alexander Häusler: Über alte und neue Hypothesen zum Ursprung und zur Verbreitung der Indogermanen. In: Fennoscandia archaeologica. XXI, 2004, S. 23–36 (sarks.fi PDF).
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- Marija Gimbutas: Die Ethnogenese der europäischen Indogermanen. Institut für Sprachwissenschaft, Innsbruck 1992, ISBN 3-85124-625-X.
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Historisch
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- Bernard Sergent: Les Indo-Européens. Payot, Paris 2005.
- Jean-Paul Demoule: Mais où sont passés les Indo-Européens? Aux origines du mythe de l’Occident (= La Librairie du XXIe siècle.) Seuil, Paris 2014, ISBN 978-2-02-029691-5.
Religionswissenschaftlich
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- J. Ries (Hrsg.): L’uomo indoeuropeo e il sacro. Mailand 1991.
Genetisch
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- Luigi Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. 1999, ISBN 3-423-33061-9.
- Alberto Piazza, Luigi Cavalli Sforza: Diffusion of genes and languages in human evolution. In: Angelo Cangelosi, Andrew D.M. Smith, Kenny Smith (Hrsg.): The Evolution of Language. Proceedings of the 6th International Conference (EVOLANG6), Rome, Italy, 12–15. April 2006. World Scientific, Hackensack NJ u. a. 2006, ISBN 981-256-656-2, S. 255–266, groups.lis.illinois.edu, abgerufen am 21. November 2013.
- Bryan Sykes: The seven daughters of Eve. Bantam Press, London u. a. 2001, ISBN 0-593-04757-5.
- Spencer Wells: The Journey of Man. A Genetic Odyssey. Princeton University Press, Princeton NJ 2002, ISBN 0-691-11532-X.
- Haak, Wolfgang et al. (u. a. David W. Anthony, David Reich): Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe. Nature, 11. Juni 2015, https://www.academia.edu/28416535/Haak_et_al_2015_Massive_migration_from_the_steppe_was_a_source_for_Indo-European_languages_in_Europe
Allgemein
- Harald Haarmann: Auf den Spuren der Indoeuropäer. Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68824-9.
- Hans J. Holm: The new Arboretum of Indo-European ‚Trees‘. Can new Algorithms reveal the Phylogeny and even Prehistory of IE? In Journal of Quantitative Linguistics 14–2, 2007, S. 167–214. (englisch; linguistische, archäologische, und mathematische Auseinandersetzung mit den derzeitigen Stammbaumkonstruktionen).
- Hans J. Holm: Steppe homeland of Indo-Europeans favored by a Bayesian approach with revised data and processing. In: Glottometrics 37, 2017, S. 54–81 (PDF Volltext)
- Augustin Speyer: Versuch zur Syntax im Protoindoeuropäischen. In: Elisabeth Rieken, Paul Widmer (Hrsg.): Pragmatische Kategorien. Form, Funktion und Diachronie. Akten der Arbeitstagung der Indogermanischen Gesellschaft vom 24. bis 26. September 2007 in Marburg. Reichert, Wiesbaden, S. 287–305.
- Martin Kuckenburg: Auf den Spuren der Indoeuropäer. In: Abenteuer Archäologie. Spektrum der Wissenschaft Verlag-Ges., Heidelberg 2006, 2, S. 48 ff. ISSN 1612-9954 (gute aktuelle Einführung)
- J. P. Mallory, D. Q. Adams: The Oxford Introduction to Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European World. Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 0-19-929668-5.
- Reinhard Schmoeckel: Die Indoeuropäer. Aufbruch aus der Vorgeschichte (= Bastei-Lübbe-Taschenbuch. 64162). Bastei-Lübbe, Bergisch Gladbach 1999, ISBN 3-404-64162-0 (jeder Abschnitt ist hier in ein illustrierendes belletristisches und ein konkret wissenschaftliches Kapitel aufgeteilt).
- Konstantin G. Krasuchin: Studien zu den Beziehungen zwischen protoindoeuropäischen Verben und Nomina. In: Benjamin W. v. Fortson, Elisbeth Rieken, Paul Widmer (Hrsg.): Indogermanische Forschungen. Band 101, ISSN 1613-0405, S. 47–72.
Zeitschriften
Weblinks
- International PCP Workgroup: The Paleolithic Continuity Paradigm for the Origins of Indo-European Languages
- Hans J. Holm: Eine mögliche Urheimat der indogermanischen Sprechergemeinschaft, mit Stammbaum und Ausbreitungskarte, Stand 2007
- Hypothetische Richtungen der Migration von Sprachfamilien und archäologischen Kulturen in Europa während der Jungsteinzeit und der Kupferzeit (französisch)
Einzelnachweise
- ↑ Harald Haarmann: Auf den Spuren der Indoeuropäer: Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68824-9, S. 43–44.
- ↑ Conrad Malte-Brun: Précis de la géographie universelle. Band 2. Fr. Buisson, Paris 1810, S. 577–581 (Google Book); siehe zur Herkunft des Begriffs auch Fred R. Shapiro: On the Origin of the Term 'Indo-Germanic'. In: Historiographia Linguistica. International Journal of the History of Linguistics. Band 8, 1981, S. 166.
- ↑ Thomas Young: Adelung's General History of Languages. In: Quarterly Review. Band 10 Nr. 19, 1813, S. 250–292, hier: S. 255 f. 264 f.; Harald Haarmann: Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen. C. H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-60682-3, S. 9.
- ↑ Heinrich Julius Klaproth: Asia polyglotta. Paris 1823, S. 42–44. 62. 74 f. 82 und öfter; siehe auch Gustav Meyer: Von wem stammt die Bezeichnung Indogermanen? In: Indogermanische Forschungen. Band 2, 1893, S. 125–130 (Digitalisat).
- ↑ Vergleiche etwa Wilhelm von Humboldt: Über den Dualis. Verlag der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1828, S. 16 Anm. 1 (Digitalisat).
- ↑ Franz Bopp: Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen. Band 1. 1. Auflage. Bei Ferdinand Dümmler, Berlin 1833, (Google Books) S. 1199: in dem indo-europäischen Sprachstamm. S. 1410 in den Indo-Europäischen Sprachen, doch S. 1021: zur indogermanischen Causalbildung. 2. Auflage. als Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Send, Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen und Deutschen. Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung, Berlin 1857, S. XXIV (Google Books).
- ↑ David W. Anthony, Dorcas R. Brown: The origins of horseback riding. In: Antiquity. Band 65, 1991, S. 22–38.
- ↑ David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language. Preinceton 2001, S. 215.
- ↑ David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language. Preinceton 2001, S. 216–224.
- ↑ Benjamin W. Fortson: Indo-European Language and Culture. An Introduction. Blackwell Publishing, Malden 2004, ISBN 1-4051-0316-7, S. 58 f.
- ↑ Harald Haarmann: Weltgeschichte der Sprachen. Von der Frühzeit des Menschen bis zur Gegenwart. München 2006.
- ↑ Harald Haarmann: Weltgeschichte der Sprachen. Von der Frühzeit des Menschen bis zur Gegenwart. München 2006.
- ↑ Marija Alseikaitė Gimbutas: The Prehistory of Eastern Europe. Part I: Mesolithic, Neolithic and Copper Age Cultures in Russia and the Baltic Area. Peabody Museum, Cambridge, Massachusetts 1956.
- ↑ Marija Gimbutas: Culture Change in Europe at the Start of the Second Millennium B.C. A Contribution to the Indo-European Problem. In: A.F.C. Wallace (Hrsg.): Selected Papers of the Fifth International Congress of Anthropological and Ethnological Sciences. Philadelphia, September 1–9, 1956. University of Philadelphia Press, Philadelphia 1960, S. 540–552.
- ↑ Bridget Drinka: Phylogenetic and areal models of Indo-European relatedness: The role of contact in reconstruction. Journal of Language Contact Volume 6: Issue 2, 379–410 brill.com
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- ↑ Thomas V. Gamkrelidze, Vjacheslav V. Ivanov: Indo-European and the Indo-Europeans. Übersetzt von Johanna Nichols. Zwei Bände. Mouton, de Gruyter, Berlin/New York 1995; Thomas W. Gamkrelidse, Wjatscheslaw Iwanow: Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. In: Spektrum der Wissenschaft. Heft 1, 2000, S. 50–57.
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- ↑ Allan R. Bomhard: The glottalic model of Proto-Indo-European consonantism: re-igniting the dialog. In: Slovo a slovesnost. Band 77, Nummer 4, 2016, number 4, S. 371–391 (Abstract).
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- ↑ Harald Haarmann: Auf den Spuren der Indoeuropäer. Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen. C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68824-9, S. 127 f.
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- ↑ Subgrouping of Main Indo-European Language Branches according to SLRD-Method (Holm 2007) Map
- ↑ Christine Keyser, Caroline Bouakaze, Eric Crubézy, Valery G. Nikolaev, Daniel Montagnon, Tatiana Reis, Bertrand Ludes: Ancient DNA provides new insights into the history of south Siberian Kurgan people. Human Genetics. In: Human Genetics. Band 126, Nr. 3, September 2009, ISSN 0340-6717, S. 395–410, doi:10.1007/s00439-009-0683-0.
- ↑ Johannes Krause mit Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 114 ff.
- ↑ Johannes Krause mit Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 120.
- ↑ Geoffrey Sampson: Say something in Proto-Indo-European. (Memento vom 23. Februar 2017 im Internet Archive)