Nach einem Terrorangriff der Hamas auf Israel aus dem Gazastreifen heraus begann am 9. Oktober 2023 eine totale israelische Blockade des Gazastreifens. Israel verhängte dabei ein Einfuhrverbot für alle Waren nach Gaza, einschließlich Lebensmitteln, und stellte auch vorübergehend die Wasser- und Elektrizitätsversorgung ein.
Vorgeschichte
Die Gaza-Blockade durch Israel geht auf die 1990er Jahre zurück und wurde nach der Machtübernahme der Hamas in Gaza 2006/07 intensiviert. Israel errichtete dafür eine Sperranlage um den Gazastreifen. Dabei versuchte Israel, die Einfuhr von militärischen oder militärisch nutzbaren Gütern zu unterbinden. Ein weiteres Ziel war es, die wirtschaftliche Entwicklung in Gaza zu sabotieren – gemäß der Devise „kein Wohlstand, keine wirtschaftliche Entwicklung, aber auch keine humanitäre Krise“ in Gaza unter der Hamas. Auch Ägypten errichtete 2008 eine Mauer an seiner Grenze zum Gazastreifen. Die Blockade wurde allerdings durch Tunnelsysteme zum Zweck des Schmuggels von Waren und Waffen umgangen.
Am 7. Oktober 2023 überquerten Kämpfer der palästinensischen Hamas und anderer militanter und bewaffneter Gruppen die Sperranlage zwischen dem Gazastreifen und Israel per Land, Wasser und Luft und töteten mehr als 1.200 israelische Zivilisten in den umliegenden Orten im Süden Israels.
Allein bei einem Massaker auf einem Musikfestival bei Reʿim am 7. Oktober wurden mindestens 260 Personen getötet. Einzelne Stimmen gemahnten an den Holocaust mit der Feststellung, insgesamt wurden an diesem Tag so viele Juden getötet wie an keinem Tag seit dem Holocaust mehr. Außerdem wurden tausende Raketen vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Als Reaktion auf den Angriff verkündete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu den Kriegszustand und ließ Reservisten mobilisieren.
Umsetzung der Blockade
Nach dem Beginn des Angriffs auf sein Staatsgebiet stellte Israel am 7. Oktober die Strom- und Energieversorgung des Gazastreifens ein. Die vollständige Blockade des Gazastreifens wurde am 9. Oktober 2023 vom israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant angekündigt. Er verkündete eine „totale Belagerung“ und gab zu Protokoll:
„Kein Strom, kein Essen, kein Sprit, alles ist abgeriegelt. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend.“
Der israelische Energieminister Israel Katz erklärte, er habe angeordnet, auch die Wasserversorgung des Gazastreifens mit sofortiger Wirkung zu unterbrechen:
„Humanitäre Hilfe für Gaza? Kein elektrischer Schalter wird angeschaltet, kein Wasserhahn aufgedreht, kein Tanklastwagen wird hineinfahren, bis die entführten Israelis wieder zu Hause sind. Ein humanitärer Schritt als Antwort auf einen humanitären Schritt. Und niemand soll uns Moral predigen.“
Israelische Panzer und Drohnen wurden mit der Bewachung von Öffnungen im Grenzzaun zwischen dem Gazastreifen und Israel und der Durchsetzung der Blockade beauftragt.
Israel begann zahlreiche Ziele im Gazastreifen zu bombardieren und Truppen und militärisches Gerät an seiner Grenze zum Gazastreifen zu konzentrieren. Israel bombardierte auch den Grenzübergang des Gazastreifens mit Ägypten bei der Ortschaft Rafah. Am 10. Oktober wurde der Grenzübergang von Ägypten auf „unbestimmte Zeit“ geschlossen.
Am 11. Oktober musste das einzige Kraftwerk des Gazastreifens aufgrund von Treibstoffmangel abgestellt werden.
Ägypten weigerte sich am 12. Oktober, seine Grenzen für palästinensische Flüchtlinge zu öffnen, zeigte sich aber laut dem ägyptischen Außenminister Samih Schukri bereit, humanitäre Hilfe zu leisten. Die Türkei hatte laut Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit Hilfslieferungen begonnen, ohne nähere Angaben zu machen. Am selben Tag machte der israelische Energieminister Katz die Freilassung der israelischen Geiseln zur Bedingung für die Aufhebung der Blockade.
Am Morgen des 13. Oktobers riefen die israelischen Streitkräfte 1,1 Millionen Menschen im Norden des Gazastreifens dazu auf, das Gebiet innerhalb von 24 Stunden in Richtung Süden zu verlassen. Einer Stellungnahme der Vereinten Nationen zufolge ist eine solche Evakuierung „ohne verheerende humanitäre Konsequenzen unmöglich“. Laut Berichten aus dem Norden des Gazastreifens wurden Zivilisten an der Flucht in den Süden durch die Hamas gehindert.
Am 14. Oktober stellte Israel das Internet im Gazastreifen ab. Dies war die einzige verbliebene Verbindung zur Außenwelt gewesen. Durch Luftangriffe ist die Kommunikationsinfrastruktur in Gaza stark beschädigt.
Am 15. Oktober sprach UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini angesichts des mangels an Strom, Lebensmitteln und Wasser durch die israelischen Blockade von einer „beispiellosen menschlichen Katastrophe“ im Gazastreifen. „Kein Tropfen Wasser, kein Weizenkorn, kein Liter Treibstoff ist in den vergangenen acht Tagen in den Gazastreifen gelassen worden.“ Larrazini beschrieb Belagerung Gaza in ihrer aktuellen Form als „nichts anderes als kollektive Bestrafung“ und forderte die Öffnung eines humanitären Korridors. Der israelische Energieminister Israel Katz gab bekannt, dass die Wasserversorgung in Teilen des südlichen Gazastreifens wiederhergestellt werde. Premierminister Netanyahu habe dies in Absprache mit US-Präsident Joe Biden entschieden. Ägyptische Sicherheitsquellen erklärten laut der Nachrichtenagentur dpa, es liefen Vorbereitungen für die Einfuhr von humanitären Hilfslieferungen über den Grenzübergang Rafah.
Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung
Laut Fabrizio Carboni, Regionaldirektor Naher und Mittlerer Osten für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, hat die Blockade maßgebliche Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung in Gaza, wobei die alltägliche Versorgung grundlegens zum Erliegen kommt:
„Gaza ohne Strom bedeutet Spitäler ohne Strom: Dies gefährdet das Leben von Neugeborenen in Brutkästen und älteren Patientinnen und Patienten mit künstlicher Sauerstoffzufuhr. Dialysebehandlungen werden unterbrochen, Röntgenuntersuchungen sind nicht mehr möglich. Ohne Strom besteht die Gefahr, dass die Spitäler zu Leichenhäusern werden. Für die Familien in Gaza ist es bereits heute schwer, sauberes Trinkwasser zu erhalten. Kein Vater und keine Mutter möchte gezwungen sein, dem durstigen Kind schmutziges Wasser zu trinken geben zu müssen.“
Völkerrechtliche Beurteilung
Die totale Blockade des dichtbesiedelten Gazastreifens, in dem über zwei Millionen Menschen leben, löste Befürchtungen einer eintretenden humanitären Notlage in Gaza aus. Ohne Wasser und Strom ist z. B. die Versorgung von Kriegsverletzten nicht mehr zu gewährleisten, Wasser und Lebensmittel waren im Gazastreifen bereits zuvor knapp.
Die Vereinten Nationen kritisierten die Blockade als Verstoß gegen geltendes Völker- und Kriegsrecht und Verletzung der Menschenrechte. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sagte: „Die Verhängung von Belagerungen, die das Leben von Zivilisten gefährden, indem sie ihnen überlebenswichtige Güter vorenthalten, ist nach dem humanitären Völkerrecht verboten“.
Ebenso erklärte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, am 10. Oktober 2023, dass die Kürzung von Wasser, Strom und Lebensmitteln für eine große Zahl von Zivilisten gegen internationales Recht verstoße.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete die Blockade als Kriegsverbrechen und illegale Kollektivstrafe.
UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini beschrieb die Belagerung Gaza in ihrer aktuellen Form als „nichts anderes als kollektive Bestrafung“.
Der israelische Genozidforscher Raz Segal schrieb in einem Beitrag für die Jewish Currents, dass die Erklärung der Blockade und die Verweigerung von Wasser und Nahrung für die Zivilbevölkerung den Tatbestand von Artikel 2 der UN-Völkermordskonvention erfülle, demnach die „vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“ als Völkermord einzustufen ist.
Siehe auch
Einzelnachweise
- 1 2 Ist die Gaza-Blockade rechtmäßig? In: Die Welt. 19. November 2011, abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ Ägypten baut Mauer an der Grenze zum Gaza-Streifen. In: tagesschau.de-Archiv. 6. März 2008, abgerufen am 11. Oktober 2023 (deutsch).
- ↑ deutschlandfunk.de: Militärsprecher - Zahl der Toten in Israel steigt auf 1200. Abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ „Tödlichster Angriff auf Juden seit dem Holocaust“: Diplomaten benennen das Ausmaß der Hamas-Attacke. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 11. Oktober 2023]).
- ↑ RedaktionsNetzwerk Deutschland: Israels Präsident Herzog: So viele Juden an einem Tag getötet wie seit dem Holocaust nicht mehr. 9. Oktober 2023, abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ tagesschau.de: Massaker in Israel: "Sie gingen von Baum zu Baum und schossen". Abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ Israel drafts 300,000 reservists as it goes on the offensive. In: Reuters. 9. Oktober 2023 (reuters.com [abgerufen am 11. Oktober 2023]).
- ↑ „Menschliche Tiere“: Israel kündigt „komplette Belagerung“ von Gaza an. In: Puls 24. Abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ Israel verkündet totale Blockade des Gazastreifens nach Hamas-Angriff. In: Der Spiegel. 9. Oktober 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 11. Oktober 2023]).
- ↑ Newsblog: Israel warnt Israelis und Juden weltweit vor „Tag der Wut“ der Hamas am Freitag In: Berliner Zeitung
- ↑ Nicola Slawson: First Thing: no power, water or fuel for Gaza until hostages are freed, Israel says. In: The Guardian. 12. Oktober 2023.
- ↑ Israel announces ‘total’ blockade on Gaza. In: Al Jazeera. Abgerufen am 11. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ n-tv NACHRICHTEN: Israels Panzer sammeln sich an Gaza-Grenze. Abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ Rafah crossing between Gaza and Egypt disrupted by Israeli air raids. In: Al Jazeera. Abgerufen am 11. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ Thaer Mansour ــ Egypt- Cairo: Egypt ‘indefinitely' closes Rafah border with Gaza. 10. Oktober 2023, abgerufen am 11. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ Hamas-Israel: Einziges Kraftwerk in Gaza stellt Produktion ein. In: Der Spiegel. 11. Oktober 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 11. Oktober 2023]).
- ↑ Egypt says Israel seeks to empty Gaza, rejects corridors for civilians. In: Al Jazeera. Abgerufen am 13. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ Amanda Macias, Ruxandra Iordache: Israel calls for evacuation of 1.1 million Palestinians in Gaza; at least 27 Americans killed. In: CNBC. Abgerufen am 14. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ bbc, London, meldet am 13. Okt. (englisch bbc.com) “Israel is telling everyone in north Gaza - about 1.1 million people - to relocate to the south of the Strip in the next 24 hours, according to the UN A Israel Defense Forces spokesman said the military knew it would take longer than that to move everyone but blamed Hamas for telling people to ignore the order. Israel has massed hundreds of thousands of soldiers on the border ahead of an expected ground offensive into the densely populated enclave. The UN called on Israel to withdraw the order, warning of “devastating humanitarian consequences”. Hamas kidnapped at least 150 people and took them into Gaza during deadly attacks on Israel at the weekend that killed 1,300 people.” 13. Oktober 2023.
- ↑ Der Spiegel: Jordaniens König warnt vor gewaltsamer Vertreibung von Palästinensern. (Kein arabisches Land beherbergt so viele Geflüchtete aus Palästina wie Jordanien. Nun fürchtet König Abdullah II. vor einer Kettenreaktion. An Nachbar Israel geht eine konkrete Forderung. – Der Kampf zwischen Israel und den Hamas-Terroristen treibt Tausende Menschen innerhalb des Gazastreifens zur Flucht. Am Morgen forderte zudem das israelische Militär alle Menschen in Gaza-Stadt auf, in den dünn besiedelten Süden des Küstenabschnitts zu flüchten. Jordaniens König Abdullah II. warnte nun Israel vor dem Versuch, Palästinenserinnen und Palästinenser gewaltsam zu vertreiben. In Amman hatte er sich mit US-Außenminister Antony Blinken getroffen. Israel dürfe nicht versuchen, die Menschen aus ihren Gebieten zu vertreiben, auch nicht innerhalb des Gazastreifens, heißt es in einem vom jordanischen Königshaus veröffentlichten Statement. Eine »Verschärfung der Flüchtlingsfrage« und ein »Überschwappen« der Krise auf die Nachbarländer müsse zwingend verhindert werden. König Abdullah warnte auch davor, die Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens »kollektiv« zu bestrafen. Alle Seiten, gemeint sind Israel wie die Hamas, müssten den Schutz unschuldiger Zivilisten im Einklang mit dem Völkerrecht gewährleisten.) 13. Okt. 2023
- ↑ UN Calls Israel Order to Evacuate 1.1 Million in Gaza Impossible. In: Bloomberg.com. 13. Oktober 2023 (bloomberg.com [abgerufen am 13. Oktober 2023]).
- ↑ Israel drängt Zivilisten zur Flucht aus dem Norden Gazas, Hamas hält sie auf. In: Der Spiegel. 13. Oktober 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 13. Oktober 2023]).
- ↑ Alex Nguyen: Israel to Cut Internet in Gaza, Gives Hospital Just Hours to Evacuate. 13. Oktober 2023, abgerufen am 14. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ AP and ToI Staff: Internet connectivity in Gaza below 20%, analyst says. Abgerufen am 14. Oktober 2023 (amerikanisches Englisch).
- ↑ UNRWA Commisioner-General Philippe Lazzarini remarks on the situation in the Gaza Strip UNRWA, 15. Oktober 2023 (englisch), abgerufen am 15. Oktober 2023.
- ↑ liveblog Nach Großangriff auf Israel ++ Rakete trifft Hauptquartier von UN-Friedensmission ++. Abgerufen am 16. Oktober 2023.
- ↑ Erklärung von Fabrizio Carboni, Regionaldirektor Naher und Mittlerer Osten für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz: Israel und die besetzten Gebiete: Spitäler laufen Gefahr, ohne Strom zu Leichenhäusern zu werden; Geiseln müssen unverzüglich freigelassen werden - IKRK
- ↑ Gaza hospitals risk turning into morgues without electricity; hostages must be released immediately – ICRC statement - United Nations
- ↑ Vor Israels Blockade: Gazastreifen droht humanitäre Katastrophe. 9. Oktober 2023, abgerufen am 11. Oktober 2023.
- ↑ UN Human Rights Chief urges States to defuse “powder keg” situation in Israel and OPT, as incalculable suffering, massive death tolls take hold. In: OHCHR. 10. Oktober 2023, abgerufen am 12. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ Nach Hamas-Angriff: UN kritisieren Israels Gaza-Blockade. In: ZDF. 10. Oktober 2023, abgerufen am 12. Oktober 2023.
- ↑ Israel is acting against international law, says Borrell Top diplomat’s comments mark strongest condemnation by EU yet of Israel’s actions in Gaza. – Politico
- ↑ EU's Borrell: Israeli moves in Gaza break international law - Reuters
- ↑ Israel/Palestine: Devastating Civilian Toll as Parties Flout Legal Obligations. Human Rights Watch, 9. Oktober 2023, abgerufen am 13. Oktober 2023 (englisch).
- ↑ UNRWA Commisioner-General Philippe Lazzarini remarks on the situation in the Gaza Strip UNRWA, 15. Oktober 2023 (englisch), abgerufen am 15. Oktober 2023.
- ↑ A Textbook Case of Genocide (jewishcurrents.org), 13. Oktober 2023, abgerufen am 14. Oktober 2023.