Eine Spitzkehre ist eine Bahnanlage, die dazu dient, unter möglichst geringem technischem Aufwand und mit wenig Platzbedarf einen Höhenunterschied zu überwinden. Sie besteht aus mindestens einem Stumpfgleis, wohin zwei Gleise einer steigungsreichen Eisenbahnstrecke über eine Weiche zusammenlaufen. Im Stumpfgleis nimmt der Zug einen Fahrtrichtungswechsel vor. Dient eine solche Spitzkehre zugleich als Kopfbahnhof, wird die Anlage auch als Spitzkehrenbahnhof bezeichnet.

Bau

Spitzkehren werden angelegt, wenn es auf Grund der Topologie der Strecke nicht möglich oder zu teuer ist, den Höhenunterschied mit Kehrschleifen oder Kehrtunneln zu überwinden. Spitzkehren stellen die einfachste Bauform dar, mit der eine Eisenbahnlinie durch Wegverlängerung eine Steigung überwinden kann. Folgen mehrere Spitzkehren nacheinander, kann eine Eisenbahnstrecke im Zick-Zack auch große Höhenunterschiede bewältigen.

Betrieb

Die Änderung der Fahrtrichtung kann bei lokbespannten Zügen durch Lokwechsel oder Umsetzen der Lok über ein zweites Gleis erfolgen. Alternativ können die Züge geschoben werden, um nach einer weiteren Spitzkehre oder nach Umsetzen der Lok in einem folgenden Bahnhof wieder gezogen zu werden. Spitzkehren behindern – gleich wie Kopfbahnhöfe – durch den Fahrtrichtungswechsel den Betrieb und verringern die Kapazität einer Strecke. Deshalb existieren sie heute nur noch auf wenig befahrenen Strecken.

Bei einigen Steilstrecken wurde an deren Anfang und Ende eine Spitzkehre angelegt, damit die Lok bei bergwärts fahrenden Zügen ohne zusätzliche Rangierfahrt auf der betrieblich sichereren Talseite des Zuges zu stehen kam und den Zug bergwärts schieben konnte. Talwärts fahrende Züge mussten dann allerdings an beiden Enden der Steilstrecke eine Rangierfahrt ausführen.

Durch den heutigen Einsatz von Wendezügen oder Triebzügen müssen bei Spitzkehren keine Lokomotiven umgesetzt werden, so dass beispielsweise im Bahnhof Chambrelien an der Strecke Neuenburg–La Chaux-de-Fonds nur noch ein Aufenthalt von zwei Minuten eingeplant ist. Im Bahnhof Michaelstein der Rübelandbahn wird mit zwei Lokomotiven – je eine vorne und hinten am Zug – der Halt verkürzt und die Betriebsführung durch Rückfallweichen vereinfacht.

Vergleich Spitzkehre – Kehrtunnel / Kreiskehrviadukt

Im Bau sind Kehrtunnel, Kreiskehrtunnel (auch Spiraltunnel genannt) oder Kreiskehrviadukte erheblich teurer als eine Spitzkehre. Sie können aber viel einfacher und ohne Zeitverlust betrieben werden, weil die Fahrtrichtung nicht gewechselt werden muss. Daher sind Spitzkehren zur Überwindung von Höhenunterschieden nicht so verbreitet wie die beiden anderen Methoden.

Spitzkehren nach Staat

Europa

Deutschland, Spitzkehrenbahnhöfe in Betrieb

Baden-Württemberg
  • Stuttgart Hauptbahnhof. Der Kopfbahnhof liegt so, dass eine der drei Zulaufstrecken mit 1:100 abfällt (nach Bad Cannstatt), während die beiden anderen (nach Vaihingen und Feuerbach) mit 1:52 beziehungsweise 1:80 ansteigen. Es wäre ohne Überschreitung der zulässigen Steigungswerte nicht möglich, für den Durchgangsverkehr Verbindungskurven von Bad Cannstatt nach Feuerbach oder Vaihingen anzulegen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Stuttgart Hbf von allen anderen großen Kopfbahnhöfen Deutschlands. Wenige Kilometer entfernt führt die Bahnstrecke Stuttgart-Untertürkheim–Kornwestheim am Hauptbahnhof vorbei.
Bayern
Nordrhein-Westfalen
Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Thüringen

Deutschland, Spitzkehrenbahnhöfe außer Betrieb

Baden-Württemberg
Bayern
  • Spitzkehre im Bahnhof Schillingsfürst der Bahnstrecke Steinach bei Rothenburg–Dombühl
  • Spitzkehre der Maintalbahn bei Fahrten zwischen Miltenberg Hauptbahnhof und Wertheim. Hier diente die Spitzkehre nicht dazu, einen Höhenunterschied zu überwinden, sondern um aus einer engen Talsituation mit Zwangspunkten, die zudem die Brücke über den Main vorgab, in den Bahnhof einfahren zu können.
  • Spitzkehre der Hafenbahn Kitzingen. Diese befand sich am südlichsten Punkt der Gleisanlagen und war offenbar nur zum Wenden der Züge auf minimaler Fläche gebaut worden. Nennenswerte Steigungen weist die ehemalige Position jedenfalls auf beiden Seiten nicht auf.
Hessen
Niedersachsen
Nordrhein-Westfalen
Rheinland-Pfalz
Schleswig-Holstein
  • Spitzkehre auf dem ehemaligen Industriegelände Flensburg-Südstadt
Thüringen

Schweiz

Spitzkehrenbahnhöfe in Betrieb
Ehemalige Spitzkehrenbahnhöfe
Verbindungen mit Spitzkehren
Ehemalige Verbindungen mit Spitzkehren

Bosnien und Herzegowina

Dänemark

Italien

  • Beim Bau der Grödner Bahn in Südtirol (KlausenPlan, 1915–1916) wurde in St. Christina eine Spitzkehre angelegt. Die endgültige Trasse sah hier einen Kehrtunnel vor. Mit der Spitzkehre konnte die Bahn vor der Fertigstellung des Kehrtunnels in Betrieb genommen werden. Nach Fertigstellung des Tunnels wurde die Spitzkehre wieder abgebaut.
  • Bei der ehemaligen Dolomitenbahn wurde in Calalzo (Calalzo Stazione) ein Spitzkehrenbahnhof errichtet, welcher jedoch in späteren Jahren durch den Bau einer Verbindungskurve ergänzt bzw. ersetzt wurde.
  • Zwischen den Bahnhöfen Palau und Palau Marina an der Bahnstrecke Sassari–Palau.
  • Auf der Bahnstrecke Menaggio–Porlezza zwischen den Bahnhöfen Menaggio und Grandola.
  • Fabrica di Roma, Verbindungsspitzkehre zwischen der Bahnstrecke Roma Flaminio–Viterbo und Bahnstrecke Civitavecchia-Orte
  • Rovasenda, Verbindungsspitzkehre zwischen der Bahnstrecke Biella–Novara und Bahnstrecke Santhià–Arona
  • Kurz vor dem Endpunkt auf dem eingestellten Teilstück der Strecke Cecina–Volterra

Polen

  • bei der Eulengebirgsbahn, die ihren Scheitelpunkt mit 513 m Seehöhe im Bahnhof Silberberg Festung hatte, und der Spitzkehre im Kopfbahnhof Volpersdorf. Auf dem 6,6 km langen Abschnitt bis Neudorf war eine Zahnstange System Abt eingebaut.

Schweden

Slowakei

Tschechien

Afrika

Tansania

  • Die Sigi-Bahn wies eine vierfache Spitzkehre auf. Die Bahn existiert nicht mehr.
  • Die Usambarabahn wies zwischen Pongwe und Ngommi / Muheza eine Doppelspitzkehre auf. Sie wurde durch eine geänderte Trassierung ersetzt.

Südafrika

Amerika

Argentinien

Der von Salta aus fahrende Touristenzug tren a las nubes muss auf seinem Weg nach San Antonio del los Cobres zwei Spitzkehren befahren. Ohne sie wären die Höhenunterschiede der Strecke nicht zu bewältigen. Die Eisenbahnstrecke weist außer der natürlichen Schönheit der Landschaft noch weitere bahntechnische Raffinessen wie Wendeschleifen und Viadukte auf.

Ecuador

Die Zugverbindung von Riobamba (2.754 m) über die Anden nach Simbambe (1.806 m) enthält das Steilstück der Teufelsnase (span. Nariz del Diablo). Auf diesem Streckenabschnitt, der als steilste Bahnstrecke der Welt gilt, werden rund 400 Höhenmeter in einem Spitzkehrenpaar bewältigt.

Peru

Die Steigung auf der touristisch wichtigen Bahn zwischen Cusco und Machu Picchu wird ausschließlich durch Spitzkehren überwunden, wodurch die Fahrt auf der nur 120 km langen Strecke fünf Stunden dauert.

Züge des Ferrocarril Central Andino überwinden auf der Strecke LimaLa OroyaHuancayo die Steigung von Lima hinauf zum höchsten Punkt bei Galera (4871 m) mithilfe von insgesamt 6 Spitzkehren.

USA

Asien

China

Entlang der sogenannten Jing-Bao-Linie von Peking nach Zhangjiakou gibt es in Qinglongqiao zwei voneinander unabhängige Spitzkehren direkt unterhalb der Chinesischen Mauer, da jedes Gleis der zweigleisigen Strecke seinen Spitzkehrenbahnhof auf einer gegenüberliegenden Talseite hat.

Indien

Im Verlauf der Darjeeling Himalayan Railway in Indien gibt es neben drei Kreiskehrschleifen sechs Spitzkehren. Die Strecke ist aufgrund ihrer baulichen Besonderheiten von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen worden.

Japan

Im Verlauf der Hakone-Tozan-Linie in Japan befinden sich Spitzkehren in Deyama, Ōhiradai und Kami-Ōhiradai.

Auf der Hōhi-Hauptlinie befinden sich 2 Spitzkehren, davon eine als Spitzkehrenbahnhof Tateno (立野駅 Tateno-eki) in der Nähe des Ortes Minamiaso (南阿蘇村 Minamiaso-mura).

Bei der Werkseisenbahn der Tateyama-Sabō-Erosionsschutzanlagen gab es bis zu 42 Spitzkehren.

Korea

Zwischen den Bahnhöfen Heungjeon und Nahanjeong an der Yeonggong-Bahnstrecke in Südkorea bestand bis 2009 eine – inzwischen durch einen Tunnel ersetzte – Spitzkehre.

Libanon

Die Libanonbahn von Damaskus nach Beirut wies im Zuge der Überquerung des Libanongebirges zwei Spitzkehren auf.

Myanmar

Im Verlauf der Bahnstrecke Mandalay–Lashio befinden sich vier Spitzkehren ungefähr 20 km östlich von Mandalay bei dem Haltepunkt Sedaw. An derselben Strecke weiter östlich befindet sich der Goteik-Viadukt.

Pakistan

Entlang der Bahnstrecke über den Chaiber-Pass befinden sich kurz hintereinander zwei Spitzkehren, der Zug wird zwischen beiden bergwärts geschoben.

Taiwan

In Chiayi im Süden der Insel auf den Alishan

Türkei

Mehrere Spitzkehren und Kehrschleifen im Bereich der ehemaligen 600-mm Schmalspurbahn die bis zur Fertigstellung der Bagdadbahn im Bereich der Kilikischen Pforte zwischen Belemedik und Kiralan/Kuscular als Bau- und Militärbahn im Rollbockverkehr betrieben wurde.

Ozeanien

Australien

Neuseeland

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Eisenbahn Zeitschrift, EZ-Special 3, 100 Jahre Rhätische Bahn, Komet Verlag, Köniz 1989, S. 15.
  2. Hans G. Wägli: Schienennetz Schweiz und Bahnprofil Schweiz CH+. AS Verlag, Zürich, 2010, ISBN 978-3-909111-74-9
  3. Zeitreise - Kartenwerke. Auf der Webseite des Bundesamts für Landestopografie.
  4. rvo: Strecke Lemvig-Lemvig havn. In: IBSE-Telegramm 247 (Juni 2011), S. 4.
  5. Im Teufelszug, SZ, 30. März 2015
  6. Recorrido – Ferrocarril Central Andino S.A. Abgerufen am 14. Januar 2014.
  7. Toy Train Story Darjeeling Himalayan Railway. Darjeeling Tourismus, abgerufen am 14. Januar 2014.
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