Eine lineare Gleichung ist eine mathematische Bestimmungsgleichung, in der ausschließlich Linearkombinationen der Unbekannten vorkommen. Kennzeichnend ist für eine lineare Gleichung also, dass jede Unbekannte nur in der ersten Potenz steht, also nicht beispielsweise quadriert vorkommt (siehe quadratische Gleichung). Typischerweise sind die Unbekannten einer linearen Gleichung Skalare, meist reelle Zahlen. Im einfachsten Fall einer skalaren Unbekannten besitzt eine lineare Gleichung die Form

,

wobei und Konstanten sind. Es gibt aber auch lineare Gleichungen mit mehreren Unbekannten und mit anderen mathematischen Objekten als Unbekannten, beispielsweise Folgen (lineare Differenzengleichungen), Vektoren (lineare Gleichungssysteme) oder Funktionen (lineare Differentialgleichungen). Im allgemeinen Fall besitzt eine lineare Gleichung die Form

,

wobei eine lineare Abbildung ist.

Homogene lineare Gleichungen sind spezielle lineare Gleichungen, bei denen der konstante Term der Gleichung gleich null ist. Die Lösungen einer homogenen linearen Gleichung bilden einen Untervektorraum des Vektorraums der Unbekannten und besitzen damit besondere Eigenschaften wie die Gültigkeit des Superpositionsprinzips. Die Lösungen einer inhomogenen linearen Gleichung bilden hingegen einen affinen Unterraum, so lässt sich jede Lösung einer inhomogenen linearen Gleichung als Summe der Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung und einer Partikulärlösung darstellen. Der Lösungsraum einer linearen Gleichung kann über den Kern und den Kokern der linearen Abbildung charakterisiert werden.

Lineare Gleichungen und deren Lösungen werden insbesondere in der linearen Algebra und der linearen Funktionalanalysis studiert, sie spielen aber auch in der Zahlentheorie eine Rolle.

Skalare lineare Gleichungen

Häufig sind die Unbekannten bei linearen Gleichungen Skalare (meist reelle oder komplexe Zahlen). Solche lineare Gleichungen sind dann spezielle algebraische Gleichungen vom Grad 1.

Lineare Gleichungen mit einer Unbekannten

Eine skalare Gleichung mit einer Unbekannten heißt linear, wenn sie durch Äquivalenzumformungen (siehe Lösen von Gleichungen) in die Form

gebracht werden kann. Hierbei sind und Konstanten, die nicht von abhängen.

Falls , so hat die Gleichung genau eine Lösung. Diese kann bestimmt werden, indem auf beiden Seiten durch geteilt wird:

Falls und sind, besitzt die Gleichung keine Lösung. Falls und sind, gibt es unendlich viele Lösungen, weil dann nämlich jedes die Gleichung erfüllt.

Beispiele

Die Lösung der linearen Gleichung

erhält man, indem man beide Seiten durch 3 dividiert, sodass auf der linken Seite nur noch die Unbekannte übrig bleibt:

.

Die lineare Gleichung

besitzt keine Lösung, während die lineare Gleichung

für jedes erfüllt wird.

Lineare Gleichungen mit zwei Unbekannten

Eine skalare Gleichung mit zwei Unbekannten und heißt linear, wenn sie durch Äquivalenzumformungen in die Form

gebracht werden kann, wobei , und Konstanten sind. Die Lösungen bilden Geraden im zweidimensionalen Raum, sofern nicht sowohl als auch gilt. Man spricht dann auch von der Koordinatenform einer Geradengleichung. Andernfalls ist die Lösungsmenge entweder der ganze zweidimensionale Raum oder leer .

Die Lösung einer solchen Gleichung wird oft in Parameterdarstellung angegeben. Hierzu löst man die Gleichung nach einer der Unbekannten auf, beispielsweise , was, sofern ,

ergibt, und fasst die andere Unbekannte als freien Parameter auf. Damit kann man die Lösung als

  und    mit  

schreiben. Auf diese Weise wird sichtbar, dass, obwohl die Gleichung zwei Unbekannte enthält, der Lösungsraum nur eindimensional ist, also lediglich von einem Parameter abhängt. Die Parameterdarstellung selbst ist nicht eindeutig. Ist , kann man die Gleichung auch nach auflösen und als freien Parameter wählen. Auch andere Parametrisierungen sind möglich, dennoch wird durch sie die gleiche Lösungsmenge beschrieben.

Beispiel

Die Lösungsmenge für die lineare Gleichung

ist durch Auflösen nach als

  und    mit  

gegeben. Den Funktionsgraph der beschriebenen Gerade erhält man dann über die Geradengleichung

.

Lineare Gleichungen mit mehreren Unbekannten

Allgemein heißt eine skalare Gleichung mit Unbekannten linear, wenn sie durch Äquivalenzumformungen in die Form

gebracht werden kann, wobei und Konstanten sind. Es dürfen also ausschließlich Linearkombinationen der Unbekannten auftreten. Die Lösungen solcher Gleichungen sind im Allgemeinen -dimensionale Teilmengen (Hyperebenen) des zugehörigen -dimensionalen Raums. Falls ist die Lösungsmenge entweder der ganze -dimensionale Raum oder leer .

Die Parameterdarstellung der Lösungsmenge erhält man im allgemeinen Fall wiederum dadurch, dass man die Gleichung nach einer der Unbekannten, beispielsweise wenn , auflöst,

,

und die anderen Unbekannten als freie Parameter bis auffasst. Damit ist die Lösungsmenge gegeben als

  mit  .

Dadurch, dass Parameter frei wählbar sind, ist der Lösungsraum -dimensional. Auch hier ist die Parameterdarstellung nicht eindeutig, man kann die Gleichung auch nach einer der anderen Unbekannten, sofern der zugehörige Koeffizient ungleich Null ist, auflösen oder eine andere Parametrisierung wählen.

Beispiel

Die Lösungsmenge der linearen Gleichung mit drei Unbekannten

ist eine Ebene im dreidimensionalen Raum mit Darstellung

  mit  .

Allgemeine lineare Gleichungen

Lineare Abbildungen

Allgemein werden lineare Gleichungen über lineare Abbildungen definiert. Eine Gleichung der Form

heißt dabei linear, wenn eine lineare Abbildung ist und wenn unabhängig von ist. Die Abbildung bildet dabei von einem Vektorraum in einen Vektorraum ab, wobei und sind. Beide Vektorräume sind dabei über einem gemeinsamen Körper definiert. Eine Abbildung ist linear, wenn für Konstanten

gilt.

Beispiel

Ist und , dann ist ein reeller Vektor und eine reelle Zahl. Wählt man nun für die lineare Abbildung

mit konstantem Vektor , wobei das Standardskalarprodukt der beiden Vektoren ist, dann erhält man die lineare Vektorgleichung

,

die äquivalent zur obigen skalaren linearen Gleichung mit Unbekannten ist. Die Linearität von folgt dabei direkt aus der Linearität der Skalarmultiplikation

.

Homogenität

Eine lineare Gleichung heißt homogen, falls ist, also wenn sie die Form

hat, andernfalls heißt eine lineare Gleichung inhomogen. Homogene lineare Gleichungen besitzen mindestens den Nullvektor

als Lösung, da

gilt. Umgekehrt werden inhomogene lineare Gleichungen nie durch die triviale Lösung erfüllt.

Beispiel

Die Lösung der homogenen linearen Gleichung mit zwei Unbekannten und

ist eine Gerade im zweidimensionalen Raum, die durch den Nullpunkt geht. Die Lösung der inhomogenen Gleichung

ist eine dazu parallele Gerade, die aber nicht den Nullpunkt enthält.

Superposition

Homogene lineare Gleichungen besitzen die Superpositionseigenschaft: Seien und zwei Lösungen einer homogenen linearen Gleichung, dann ist auch eine Lösung dieser Gleichung. Allgemein gilt sogar, dass alle Linearkombinationen von Lösungen einer homogenen linearen Gleichung mit Konstanten und diese Gleichung lösen, da

gilt. Durch die Einbeziehung von und der Superpositionseigenschaft bilden die Lösungen einer homogenen linearen Gleichung einen Untervektorraum von .

Weiterhin lässt sich die Lösung einer inhomogenen Gleichung als Summe der Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung und einer Partikulärlösung darstellen: Sei eine konkrete Lösung einer inhomogenen linearen Gleichung und sei die allgemeine Lösung des zugehörigen homogenen Problems, dann ist die allgemeine Lösung der inhomogenen Gleichung, da

gilt. Die Lösungen einer inhomogenen linearen Gleichung bilden damit einen affinen Unterraum über dem Vektorraum der zugehörigen homogenen Gleichung.

Umgekehrt gilt entsprechend: Sind und zwei Lösungen einer inhomogenen linearen Gleichung, dann löst die zugehörige homogene Gleichung, da

gilt.

Beispiel

Eine konkrete Lösung der inhomogenen Gleichung

ist

.

Sind nun die Lösungen der zugehörigen homogenen Gleichung

,

also alle mit , dann wird die inhomogene Gleichung allgemein gelöst durch

  mit  .

Dimension des Lösungsraums

Der Lösungsraum einer homogenen linearen Gleichung wird als Kern der linearen Abbildung bezeichnet, seine Dimension nennt man auch Defekt. Aufgrund des Rangsatzes gilt für die Dimension des Lösungsraums einer endlich-dimensionalen homogenen linearen Gleichung

.

Dabei ist der Rang der Abbildung, also die Dimension seines Bildes. Das Bild einer Abbildung ist die Menge der Werte, die für annehmen kann.

Aufgrund der Superpositionseigenschaft ist die Dimension des Lösungsraums einer inhomogenen linearen Gleichung gleich der der zugehörigen homogenen Gleichung, sofern eine Partikulärlösung existiert. Dies ist genau dann der Fall, wenn die rechte Seite im Bild der Abbildung liegt, also gilt. Der Kokern der linearen Abbildung beschreibt gerade den Raum der Bedingungen, die die rechte Seite einer linearen Gleichung erfüllen muss, damit die Gleichung lösbar ist. Seine Dimension ist

.

Beispiele

Wählt man als Vektorräume und sowie als lineare Abbildung

,

wobei zumindest einer der Koeffizienten ungleich Null sei, dann ist das Bild von der ganze Raum und somit

.

Der Lösungsraum der homogenen linearen Gleichung hat also Dimension 2 und ist eine Ebene im dreidimensionalen Raum. Auch der Lösungsraum der inhomogenen Gleichung ist hier eine Ebene, da die Gleichung, wenn beispielsweise ist, die Partikulärlösung besitzt. Der Kokern hat hier Dimension 0, die Gleichung ist also für beliebiges lösbar.

Wählt man stattdessen

,

dann werden alle Vektoren aus auf die Null abgebildet und es gilt

.

Der Lösungsraum der zugehörigen homogenen linearen Gleichung ist also der gesamte dreidimensionale Raum. Der Lösungsraum der inhomogenen Gleichung ist in diesem Fall leer, da die Gleichung nur für eine Lösung besitzt. Der Kokern hat Dimension 1.

Wichtige Typen linearer Gleichungen

Lineare diophantische Gleichungen

Wählt man Vektorräume und über den ganzen Zahlen und

mit konstantem Koeffizientenvektor , erhält man die linearen diophantischen Gleichungen

,

von denen ganzzahlige Lösungen gesucht werden. Lineare diophantische Gleichungen besitzen Lösungen, wenn der größte gemeinsame Teiler der Koeffizienten bis ein Teiler der rechten Seite ist, also wenn

gilt. Die Lösungen können dann durch Kombination der Lösungen der homogenen Gleichung mit einer Partikulärlösung, die mit dem erweiterten euklidischen Algorithmus gefunden werden kann, angegeben werden.

Lineare Vektorgleichungen

Wählt man die Vektorräume und sowie

wobei eine reelle -Matrix ist, erhält man die lineare Vektorgleichung

mit rechter Seite und unbekanntem Vektor , die gerade ein lineares Gleichungssystem darstellt. Ein lineares Gleichungssystem entsteht also durch Zusammenfassen von mehreren skalaren linearen Gleichungen mit ein oder mehreren Unbekannten zu einer Einheit. Die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems ist dann die Schnittmenge der Lösungen der einzelnen Gleichungen. Ein lineares Gleichungssystem ist genau dann lösbar, wenn der Rang der Koeffizientenmatrix gleich dem Rang der erweiterten Koeffizientenmatrix ist. Lineare Gleichungssysteme können beispielsweise mit Hilfe des gaußschen Eliminationsverfahrens gelöst werden.

Lineare Differenzengleichungen

Wählt man die Vektorräume als Folgenräume und,

erhält man die lineare Differenzengleichung -ter Ordnung

  für  ,

wobei die Unbekannte eine Folge ist und sowie Koeffizienten sind, die zwar von abhängen dürfen, aber unabhängig von den Gliedern der gesuchten Folge sein müssen. Die Lösung einer Differenzengleichung hängt von den Startwerten ab und ist dann eindeutig definiert. Lineare Differenzengleichungen können durch Kombination der Lösung der homogenen Gleichung, die mit Hilfe der charakteristischen Gleichung gefunden werden kann, mit einer Partikulärlösung explizit gelöst werden.

Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen

Wählt man die Vektorräume und als Funktionenräume mit stetig differenzierbaren Funktionen und , erhält man durch Wahl von als linearen gewöhnlichen Differentialoperator -ter Ordnung

die lineare gewöhnliche Differentialgleichung

,

wobei die Koeffizientenfunktionen und die rechte Seite zwar von , aber nicht von der gesuchten Funktion und deren Ableitungen abhängen dürfen. Ist eine vektorwertige Funktion, spricht man von einem linearen Differentialgleichungssystem. Die Existenz und Eindeutigkeit der Lösung gewöhnlicher Differentialgleichungen erster Ordnung gibt der Satz von Picard-Lindelöf. Die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung kann über das zugehörige Fundamentalsystem angegeben werden, eine Partikulärlösung kann beispielsweise mittels der Variation der Konstanten gefunden werden.

Lineare partielle Differentialgleichungen

Sind die Vektorräume und ebenfalls Funktionenräume, wobei und stetig differenzierbare Funktionen mehrerer Veränderlicher sind, erhält man durch Wahl von als linearen partiellen Differentialoperator -ter Ordnung

die lineare partielle Differentialgleichung

,

wobei , und sind. Wiederum dürfen die Koeffizientenfunktionen und die rechte Seite zwar von den Koordinaten bis , aber nicht von der gesuchten Funktion und deren partiellen Ableitungen abhängen. Damit die Lösung einer partiellen Differentialgleichung eindeutig bestimmt ist, müssen Anfangs- und/oder Randbedingungen vorgegeben werden. Zur Lösung linearer partieller Differentialgleichungen gibt es verschiedene Ansätze, beispielsweise Fundamentallösungen, die Methode der Charakteristiken oder der Separationsansatz.

Lineare Integralgleichungen

Sind die Vektorräume und Funktionenräume ausreichender Integrierbarkeit, erhält man durch Wahl von als linearen Integraloperator

mit Integralkern und konstantem Vorfaktor die lineare Integralgleichung

,

die im allgemeinen Fall eine Volterra-Integralgleichung 2. Art darstellt. Sind beide Integrationsgrenzen fest, so handelt es sich um eine Fredholm-Integralgleichung. Ist , spricht man von einer Integralgleichung 1. Art.

Weitere lineare Operatorgleichungen

Beispiele für weitere lineare Operatorgleichungen mit Funktionen als Unbekannten sind:

Siehe auch

Literatur

  • Hans Wilhelm Alt: Lineare Funktionalanalysis. Eine anwendungsorientierte Einführung. 5. Auflage. Springer-Verlag, 2008, ISBN 3-540-34186-2.
  • Bernd Aulbach: Gewöhnliche Differenzialgleichungen. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2004, ISBN 3-8274-1492-X.
  • Albrecht Beutelspacher: Lineare Algebra. Eine Einführung in die Wissenschaft der Vektoren, Abbildungen und Matrizen. 7. Auflage. Vieweg, 2009, ISBN 3-528-66508-4.
  • Peter Bundschuh: Einführung in die Zahlentheorie. 6. Auflage. Springer-Verlag, 2010, ISBN 3-540-76490-9.
  • Gerd Fischer: Lineare Algebra. Eine Einführung für Studienanfänger. 17. Auflage. Vieweg Verlag, 2009, ISBN 3-8348-0996-9.
  • Günter Gramlich: Lineare Algebra. Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, 2003, ISBN 3-446-22122-0.
  • Jürgen Jost: Partielle Differentialgleichungen. Elliptische (und parabolische) Gleichungen. 1. Auflage. Springer-Verlag, 2009, ISBN 3-540-64222-6.
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