Die letzten echten Helden: Revolverlegenden
„Papa, erzählst Du mir noch eine Geschichte?“ Mein Sohn Tom blickt mir dabei verschüchtert in die Augen, obwohl ich seinen engelsgleichen Gesichtsausdruck gar nicht mehr vernehmen dürfte. Ich habe das Kinderzimmer zuvor extra so abgedunkelt, dass selbst Mr. Mondmann persönlich mit seinem fadenscheinigen aber durchaus zweckgebundenen Licht die zarte Haut eines immer noch wachen Kriegers der Hinnenberger Straße 5a nicht mehr zu streicheln vermag. Diese Aufgabe übernimmt dafür die Energiesparlampe aus dem Flur, die mit ihrer gefühlten dreihundertundsechzigtausend Watt Birne durch noch so jede kleine Ritze strahlt, auch wenn diese mit Silikon und Sista Acryl-Fugendichter komplett abgedichtet ist, und dabei seltsamerweise Urin im Dunkeln leuchten lässt wie ultraviolettes Licht. Den Fakt, dass die Flurpalme komischerweise immer genau dann fluoreszierend leuchtete, wenn ich mit den Jungs nachts vom Saufen kam, hat meine geliebte Ehefrau Madelaine zum Glück noch nicht untersucht.
Warum ich das Licht dann überhaupt anschalte? Weil ich mir sonst mit platzierter Genauigkeit den kleinen rechten Zeh wahlweise an der Tür, am Tisch, am Kinderbett oder einer Kombination dieser drei knallen werde. Inzwischen so oft vorgekommen, dass selbst mein Hausarzt meinte, dass es meiner Lebensqualität keinen Abbruch verschaffe, würde man den kleinen rechten Zeh einfach amputieren. Man müsse halt ein paar Abzüge machen, wenn man Energie sparen möchte...
Wie dem auch sei - ich bin müde, genervt, hungrig, muss schon den ganzen Tag ein Stoffwechselendprodukt aus den Lenden pressen und habe definitiv keine Lust auch nur noch ein Abenteuer von Emil und seinen bekackten Detektiven zu lesen. Aber, und das glaubt mir jetzt wahrscheinlich keiner, ich bin nebenher auch ein guter Papa. „Komm schon, in knapp vierzig Jahren liest er dir aus der Zeitung vor, während du im Zimmer den Pfleger fragst, ob der nächste Zug auch nach Warschau fährt“, denke ich mir dann immer.
Tom bettelt nicht oft. Aber wenn er bettelt, dann meint er es ernst. „Welche Geschichte möchtest du denn hören?“, frage ich leicht genervt, während ich ihn mit seiner mit Raketen verzierten Bettdecke zudecke. „Eine neue Geschichte... eine, die ich noch nicht kenne!“, antwortet er. Innerlich gebe ich mir eine schallende Bro-Fist, dass der Ermittler heute Sendepause bekommt und gehe die Reihe seiner Kinderbücher durch. Alles alte Märchenwälzer, verstaubte Malbücher, schlecht inszenierte Polizeigeschichten, schlaffe Ritter mit immer demselben Plot oder trockene Literatur zur Lebensweise des Micropachycephalosaurus hongtuyanensis. Und während ich mich so umschaue, fragt Tom: „Welches Buch hast du denn früher gerne gelesen, Papa?“
Echte Helden haben keine Namen
Stellt dir diese Frage ein sechsjähriges Kind, kommt man schon einmal schnell ins Grübeln. Nur langsam öffnet sich der Nebel der Vergangenheit, man vergisst so vieles so schnell, dass man gar keine Chance bekommt, sich wieder daran zu erinnern. Natürlich gab es zu meiner Zeit Helden. Diese hatten keine Superkräfte, sondern waren noch gestandene Männer, die im Einsatz mit Mut und selbstlosen Zielen - ok, außer es ging um Frauen - zu wahren Helden wurden. Aber wie hießen sie nochmal? Nicht, dass es mich interessiert, aber als guter Papa lässt mich die Frage nicht los. Doch ich glaube, mein Lieblingsbuch habe ich irgendwo in einer Kiste noch aufbewahrt... „Du willst wissen, welche Geschichte ich früher gelesen habe? Warte kurz, Papa holt das Buch.“
Ich setze meine Sonnenbrille auf, husche an der Energiesparlampe vorbei ins Wohnzimmer und krame oben in den alten Büchern. „Suchst du etwas Bestimmtes?“, fragt Madelaine. „Alles ok, ich komme zurecht. Suche etwas Wichtiges.“ Sie mustert mich merkwürdig, zuckt mit den Schultern und meint: „Deine Eier hast du schon kurz nach der Hochzeit verloren gehabt. Die findest du nicht mehr. Ach, und bring doch bitte noch den Müll nach draußen, ja?“ Ich wäre ihr versehentlich fast mit hinterher gelaufen und hätte ihr das Bügeleisen beinahe um die Ohren geprügelt, um sie abschließend im Combo-Break mit faulen Eiern zu bewerfen. Aber dazu fehlen mir dann doch die Eier.
Aber plötzlich - ganz unten - sehe ich einen braunen Lederumschlag. Ich weiß sofort, dass ich es gefunden habe.
Natürlich bin ich etwas gestresst und genervt, aber es kommen auch wieder bessere Tage. Und so wie ich meinen Sohn kenne, schläft er bis zur Hälfte der Erzählung eh ein. Es war quasi ein Duell zwischen ihm und mir, auch wenn er es nicht weiß - ein Showdown, wenn man so will. Entweder er oder ich! In der nächsten halben Stunde schläft jemand. Müsste ich wetten, ich würde 'nen Fuffi und meinen Arsch geben, dass ich es bin.
„Welches Buch hast du geholt?“, unterbricht Tom meinen Gedankengang.
„Tjaha. Das hat Papa früher gelesen. Gut aufgepasst: Es heißt "Der letzte Held: _______". Nanu?“
„Was?“, fragt mein Sohn verwundert. Zurecht, denn der Name auf dem Ledercover wurde deutlich sichtbar mit einem Messer unkenntlich gemacht.
„Nichts! Das Buch ist schon etwas älter. Also, spitz die Ohren...“ Lustlos und doch etwas neugierig schlage ich die erste Seite auf.
Es war plötzlich still geworden, niemand im Saloon rührte noch einen einzigen Finger. Der leichte Westwind wirbelte den Sand von den Straßen auf, der durch die glühend heiße Mittagssonne in der Luft sichtbar wurde. Im Eingang erkannte man nur die Silhouette, aber sie war bekannt. Nein, mehr noch. Der Mann hinter dieser Silhouette war eine verdammte Legende. Sein Name? Ein Donnerhall! Sein Aussehen? Unbeschreiblich! Souverän ging er in Richtung Tresen, während er sich beim Laufen eine Zigarre anzündete. Geheimnisvolles Mauscheln an den Tischen im Saloon. Wo vorher noch die Gläser auf die Tischen knallten, der Revolver geputzt oder laut gelacht wurde, da ist jetzt der Hund begraben.
„Kriegt euch wieder ein, ihr Luschen!“, rief der launige, kräftige Barkeeper und unterbrach dabei die Stille. „Er trinkt nur seinen Whiskey, niemand hat vor, euch Weicheiern Blei in die Hohlbirne zu knallen.“ Gillis war nicht nur Barkeeper, sondern auch Besitzer des Saloons und bekannt für seine grobe Kaltschnäuzigkeit. Er hatte schon viele kommen und gehen sehen, die meisten davon waren aber bereits verstorben. Er jedoch stand tagein tagaus immer an demselben Fleck und bekam dennoch jede Neuigkeit aus allen Ecken und Enden dieser Welt mit.
„Setz dich, alter Haudegen. Ich mach' dir wie immer deinen Whiskey fertig.“
„Sein Name war...?“, fragt mich mein Sohn. Verdutzt schaue ich mir die Seite an. „Unglaublich!“, denke ich mir und blättere hastig durch die Seiten. Irgendjemand hatte mit einem schwarzen Stift alle Stellen geschwärzt, an denen sein Name vorkommt. „Tom, jemand wollte Papa wohl ärgern. Man kann den Namen nicht mehr lesen.“ Ärgerlich, ich bin mir sicher, dass das damals doch mein Lieblingsbuch war. Aus welchem Grund auch immer. Irgendjemand musste mir früher einen üblen Streich gespielt haben. Ist ja nicht so, als ob ich nicht eh schon genervt wäre, aber so etwas vermiest mir die Laune dann endgültig. War ja auch nicht der Beliebteste in der Klasse, nachdem ich der Lehrerin erzählt hatte, dass die anderen in der Pause so komische Wörter wie "Geile Hupen" und "Hottes Gefährt" sagten und ihr dabei heimlich hinterher schauten. Dachte, die reden über ihr Auto?! Ich war auch einmal unschuldig. Aber das Schwärzen hat bestimmt der dicke Klaus gemacht, der mit seiner Mondfresse jedes Sonnenlicht verschreckt hat. Blödes Pissgesicht! „Schatz, vergiss nicht, den Müll noch rauszutragen!“, hallt es aus dem Badezimmer, in der sich Madelaine gerade für die Nacht zurecht macht.
Mann, eigentlich will ich nur noch ins Bett. Doch Tom liegt mit fragendem Gesichtausdruck da und wartet auf eine Antwort. Ich hole Luft und lese weiter...
Baron: „Immer dasselbe mit diesem Pack. Diese Generation von Feiglingen. Vor wem haben die denn noch alle Angst? Vor einem Mann mit Revolver?“
Gillis lachte kurz: „Ein bisschen kann ich sie schon verstehen, nachdem du beim letzten Mal dem Viehhändler dort am Tisch einfach so eine Kugel in den Kopf gejagt hast, weil du dachtest, er hätte 'Jesse James' gerufen.“
Baron: „Ich muss stets wachsam sein, der Junge lauert mir auf.“
Gillis: „Entspann' dich, Baron! Der Viehhändler rief vor Glück 'Yippie Yey', da er den Handel seines Lebens abgeschlossen hatte. Du bist aus diesem Alter draußen. Jeder hat höchsten Respekt vor dem, was du erreicht hast. Jesse ist nicht daran interessiert, dich zu töten. Genieß' endlich die Ruhe, die du ab jetzt haben kannst. Mach dir ein schönes Leben auf dem Land. Der Krieg ist vorbei, du hast deine Narben davongetragen. Es wird Zeit, einen Gang zurückzuschalten.“
„Aber Papa“, unterbrach mich Tom gelangweilt, „Piraten im Wilden Westen? Das ist unlogisch!“
„Das ist überhaupt nicht unlogisch - das sind echte Männer, die erleben echte Abenteuer, nicht so wie die Affen heute... 'Der Ritter, der Kuchen backen wollte, aber kein Laden war offen!'. Willst du jetzt eine Geschichte hören, oder nicht?“ Mein Sohn seufzt. Kurz räuspere ich mich und lese weiter...
Draußen vor der Tür ankerte ein Piratenschiff - mitten auf dem Land. „Ahoi, ihr Leichtmatrrosen!“, schrie eine raue Stimme vom Bug des Schiffes. „Ihrr werrdet mirr sagen, wo ihrr eurren Schatz verrsteckt habt und meine widerrwärrtige Crew wirrd eurrem aaaarrmen Städchen nichts tun!“ Stille.
„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist _______. Es wäre mir eine Ehre, wenn auch Sie Ihren Namen zunächst einmal nennen.“
„Aber mit dem allergrößten Vergnügen: Ich bin Blackbeard, der grausamste Pirat! Herr der sieben Weltmeere und der Mann mit den meisten Frauen!“
„Interessant! Wir haben aber keinen Schatz in unserer Stadt.“
„Arrr! Lüg' nicht! Wirr wissen genaauu, dass ihrr in eurrem Goldrrausch jede Menge verrborrrgenerr Schätze errbeutet habt!“
„Okay, wenn ihr diese Schätze haben wollt, dann musst du, Blackbeard, dich mit mir duellieren. In einem Showdown! Das ist die Weise, wie wir Männer das hier unter uns regeln!“ Blackbeard zeigte sich kritisch, doch aufgrund seiner langen Reiseerfahrung wusste er, worauf er sich einließ. „Also gut“, lächelte der Pirat, „lass uns beginnen!“
_______ wandte sich um zu Gillis, der mittlerweise ebenfalls vor die Tür kam, und fragte ihn: „Beginnen...? Aber womit denn?“ Gillis verdrehte die Augen.
Blackbeard aber ließ sich diese Frechheit nicht gefallen und spurtete hinterher: „Hey, Opa! So warr das nicht abgemacht!“ Der Baron, vom Wort „Opa“ nicht sonderlich begeistert, drehte sofort ab und rannte - während die Hose noch am Boden hing -, wieder zurück zur Straße und es kam wie es kommen musste, die beiden knallten frontal gegeneinander und fielen um. „WER BIST DU?“, schrie _______ Blackbeard an. „Aaaaarrr, willst du mich verrarschen, alterrr Mann?“
„Nenn' mich nicht alterr Mann!“ Und während das so weiterging, kratzen die Leute und auch Blackbeards Crew sich den Kopf. Einer der Revolverhelden lächelte verschämt den fies guckenden Piraten aus Blackbeards Crew an: „Hehe... he... Im Saloon drüben gibt's übrigens auch Spirituosen. Gleich geht's weiter... hoffe ich. Das macht der immer so. Ist doch lustig! Ist das nicht lustig? Nicht lustig? Nein? He... he. Ach, vergiss es. Hier, kriegst'n Tabak!“ Auf einmal ein riesen Lärm vom Deck des Schiffes, eine gewaltige TNT-Explosion und im schwarzen Rauch eine schlanke Silhouette. „Ich hab' die goldene Krone!“, schrie sie. „Dann wirf sie runter“, rief eine andere neben dem Schiff. Blackbeard und seine Crew schauten völlig entgeistert zu ihrem Schiff: „AAAAAARRR! UNMÖGLICH! IHR HABT MICH ABGELENKT! JEMAND KLAUT MEINEN WERRTVOLLEN GOLDSCHATZ!“
3 Fäuste und ein Haken für ein Halleluja
„ICH BIN NICHT JESSE, DU SENILER OPA!!!!“, schrie Blackbeard mit aller Kraft, die ihm seine Stimme gab, _______ ins Gesicht. „NENN MICH NICHT OPA!“ Und bevor der Streit zu eskalieren begann, warf sich der Pirat verzweifelt auf den Boden. „Arrr. Es hilft alles nichts! Meine goldene, so werrrtvolle, unbezahlbarre Krrrooone meines Vaterrrs ist so oderrr soo verschwunden!“ Stille machte sich breit. „Nein, noch nicht ganz!“ Der Baron sah in die Luft, während epische Musik im Hintergrund sich breit machte. „Nichts ist verloren. Wir beide haben ein gemeinsames Ziel! Ich will Jesse zur Strecke bringen, du möchtest deine Krone wiederhaben. Gemeinsam können wir das schaffen.“ Blackbeard zeigte sich nicht uneinsichtig, warf jedoch ein: „Aberr sie sind überr alle Berrge verschwunden?! Wie sollen wirr die noch finden?“ „Ganz einfach“, antwortete _______ und hob einen Stofffetzen vom Boden auf. „Das hier hat Jesse an seinem Revers getragen, als du ihn am Haken hattest. Es ist das Symbol der westlichen Goldmine Bonanza. Dort müssen sie sein und ihr Lager haben. Wenn wir eine Union bilden, werden wir die Krone zurückholen und Jesse dingfest machen. Danach... könnte auch ich mich endlich zur Ruhe setzen.“ Die Leute in der Stadt verließen die Straße, teilweise kopfschüttelnd, teilweise beeindruckt von dem, was zu sehen war. Blackbeard, immer noch mit _______ an einer Handschelle, jedoch, ging den Deal ein: „Abgemacht! Und jedes Gold, was wirr finden, gehörrrt mirrr!“ Ein kräftiger Männerhandschlag besiegelte die Abmachung.
„Zunächst“, meinte Blackbeard, „müssen wirr aberr diese lästigen Handschellen loswerrden.“
„Wir haben den Schlüssel aber nicht“, erwiderte der Baron.
„Das weiß ich. Aberr man kann auch anderrs Schlösserr knacken. Ich habe schon viele Schatztruhen geöffnet, eine Handschelle wirrd das gerringste Problem sein. Wirr müssen nurr nudeln!“
„Wie bitte?“
„Nudeln! Noch nie ein Schloss aufgenudelt? So heißt das! Ein Schloss nudeln!“
„Nein. Diesen Begriff habe ich noch nie gehört. Wie funktioniert das?“
„Zunächst brrauchen wirr einen harrten langen Stab, den wirr in die Spalte hierr nudeln können. Hast du was da?“
„Mein Revolver wäre zu dick. Ich habe hier ein kleines, dünnes Stück Rohr. Hilft das?“
„Jaaa, das müsste funktionierren. Jetzt musst du den harrten Stahl schön langsam von oben nach unten immer in den Schlitz nudeln. Und immer schnellerrr... schnellerrr... jaa... so ist's gut. Nudel die Öffnung! Arrrrr... was ist jetzt?“
„Der Stahl ist gebrochen. Er ist zu weich.“
„Aaaah, verflucht sei dieses Schloss! Es ist zu harrt, ein Diamantschloss bekommen wirr doch nurr mit dem Schlüssel auf.“
Und so geschah es, dass die beiden Männer sich aufmachten zur westlichen Goldmine Bonanza, zusammengekettet an einem Diamantschloss.
Blackbeard hatte seiner Crew befohlen, bis zum nächsten Sonnenaufgang das Schiff wieder fahrtüchtig zu machen, welches durch die Explosion einigen Schaden erlitten hatte. Sie ritten beide zusammen auf einem alten Esel durch die trockene Einöde, die die volle Macht der Sonne abbekam und nicht ein schattiges Plätzchen bot. Dennoch, die beiden standen ihren Mann. Tapfer, doch leicht erschöpft erreichten sie zu Beginn der Abenddämmerung die Goldmine Bonanza.
„Arrr, wie geht's jetzt weiterrr? Sicherr, das Jesse hierr ist?“, fragte Blackbeard. Der Baron schlug eine Decke kleine Decke auf den Boden aus: „Zunächst einmal... brauche ich ein wenig Schlaaaaf...“ Und kaum hatte _______ das ausgesprochen, begann er auch schon zu schnarchen. Das gefiel dem wilden Piraten natürlich überhaupt nicht und mit einem kräftigen Tritt in den Allerwertesten wachte _______ wieder auf. „Okay! Wir teilen uns auf. Ich geh durch den südlichen Eingang und du infiltrierst den nördlichen Eingang. Wir treffen im Zentrum wahrscheinlich dann gemeinsam auf Jesse. Dort wird auch die Krone sein und ich kann ihn dann endgültig fangen.“ Ein erneuter Tritt, dieses Mal in die Kronjuwelen des Barons, unterbrach den Redefluss abermals: „Aaaaaarr! Du blöderrr Opa, wie sollen wirr uns denn aufteilen, wenn wirr an den Händen zusammengefesselt sind?!?!?!“ „Ach ja, hab' ich vergessen... Na gut, dann marschieren wir einfach vorne rein!“ Blackbeard schüttelte den Kopf und winselte aufgelöst: „Ich bin verrrlorren!“
Langsam, Schritt für Schritt, schlichen die beiden Männer in die Goldmine. Überall verliefen Schienen, die für Güterwaggons auf dem Boden angebracht waren. „Folgen wir den Schienen...“, begann _______, „...dann kommen wir sicher ins Zentrum.“ Doch schon bald geschah es, dass es mehrere Abzweigungen gab. „Und jetzt?“, fragte Bleackbeard mit etwas Hoffnungslosigkeit verbunden. „Hm. Wir können uns ja aufteil...“ Der Baron konnte die Worte nicht einmal aussprechen, da hatte er den nächsten Tritt in seine schlaffen Eier bekommen! „Ich entscheide, wo wirr langgehen. Und ich wähle den rrrechten Weg!“ „Rrrrechter Weg?“, fragte der Baron kritisch. „Das klingt für mich sehr nach Nationalsozialismus.“ Okay, nein, das sagte er nicht. Aber was sagte er nochmal? Keine Ahnung. Auf jeden Fall entschieden sie sich doch für die Mitte. Der Weg führte an vielen Gruben vorbei bis zu einer Tür. „Hörrst du das? Das sind Stimmen!“, flüsterte Blackbeard. „Die hörst du auch? Lustig, ich dachte, ich bin der einzige, der sie hört. Heute morgen, als ich aufstand, sagten die Stimmen mir immer und immer wieder, ich sei verrückt. Dabei bin ich das ja gar nicht. Verrückt, oder?“ „Arrr, nein, das meine ich nicht, du dummerrr Saftsack. Ich meine da, aus derr Kammer hinten.“ Blackbeard hatte Recht. Aus den hinteren Gewölben hörte man laute Stimmen und Gelächter.
Der Baron hörte nicht auf die Worte seines Gegenübers: „Zunächst einmal will ich die Schlüssel für das Schloss!“ Erstaunt kommt Jesse ein paar Schritte näher: „Ihr seid... immer noch gefesselt?“, und bricht in schallerndes Gelächter aus. „Leute, macht den Güterzug fertig, wir hauen ab.“ Sofort sprangen die Männer auf und bereiteten die Schienen vor zur Abfahrt. Dann drehte sich Jesse wieder zu den beiden: „Ihr seid die Handschellen immer noch nicht losgeworden?!“ „Nein!“, antwortete der Baron. „Wir haben sogar genudelt, so fest es ging!“ „Ihr habt... was?“, fragte Jesse erstaunt. „Wir haben so richtig genudelt. Das tun doch alle richtigen Kerle. Aber mein Rohr war einfach nicht hart genug!“ Blackbeard schreitet dazwischen:„Ähhhm... ähhh... ähähähäh... was errr damit sagen will, ist: Her mit dem Schlüssel!“ Doch Jesse lachte nur und sprang auf einen der fahrenden Güterzüge auf. „Auf Nimmerwiedersehen, ihr Luschen!“ Doch der Baron lief jetzt zur Hochform auf und sprang von der Kante in die Tiefe, zog Blackbeard dadurch natürlich mit. Der, wenig begeistert, fuchtelte in der Luft herum wie ein angeschossenes Einhorn mit Flügeln. An einem Vorsprung riss er den Arm hoch - die Kette der Handschellen verfing sich dort und riss ab. Somit waren die beiden frei. Der Sturz wurde dadurch sogar abgefedert, so dass sie sicher auf den Füßen landeten. Jesse jedoch war schon auf halber Strecke in den Tunnel. „Guterrr Plan, aberr err entkommt uns!“ „Nicht so voreilig!“, meinte _______ souverän und zog seinen Revolver. „Nein! Wenn du ihn jetzt umbringst, kommen wirr nicht mehrr an die Schätze! Er wird trotzdem auf dem Güterzug verschwinden!“ „Ich ziele nicht... auf Jesse!“, negierte der Baron die Aussage des Piraten und feuerte seine Kugel aus dem Revolver ab.
Taten sprechen mehr als Worte
„Arrrr, es warr ein guterrr Plan am Ende“, meinte Blackbeard grinsend, als er dem Baron zum Abschied die Hand gab. Wieder war die Kleinstadt dabei, als die Piraten den Anker lichteten. Dieses Mal jedoch ohne Feindseligkeiten. „Du hast deinen Teil derrr Abmachung eingehalten! Du hast dafürr gesorrgt, dass ich meine Krrone wiederbekomme! Dafürr bin ich dirr etwas schuldig! Denn dieserr Jesse... ist nun überr alle Berrge.“ „Ich habe bewusst auf die Krone gezielt, als er auf den Tunnel zufuhr. Da er auf dem letzten Waggon saß, würde die Krone zwangsläufig auf die Schienen fallen. Jesse ist kein Mann, der sich versteckt. Ich werde ihn finden... Für mich ist noch längst nicht Schluss.“ Alle applaudieren. „Ich werrde dirr in meinem Logbuch ein Kapitel widmen. Und wirr werrden uns wiedersehen.“ „Da bin ich mir sicher. Und zum Abschluss stoßen wir auf unsere neue Männerfreundschaft an!“ Gillis brachte den beiden zwei gefüllte Gläser mit Whiskey und Blackbeard erhob sein Glas: „Auf den Baron, _______.“ Dies tat der Baron ihm gleich: „Und auf den Piraten Blackbeard,... wie war dein Name gleich?“ Blackbeard grinste: „Namen, mein Frrreund, sind verrgänglich. Namen können nichts veränderrrn. Jederr kann die Taten tun, die err sich vorrstellt. Die Taten aber... die veränderrn!“ Die Gläser stießen an.
Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen! Das Schwärzen der Namen... DAS WAR ICH! Ich habe den wahren Namen des Barons zensiert, weil ich beim Lesen immer MEINEN Namen eingesetzt habe, so dass ich der Held und große Mann war. Deshalb war es auch immer mein Lieblingsbuch. Die verschollenen Erinnerungen... sind auf einen Schlag wieder da.
„Papa? Bist du auch ein Held?“, fragt Tom, der aus dem leichten Schlaf wieder erwacht und sich zu mir dreht.
Just in diesem Moment knallt Madelaine durch die Tür: „Ich habe dir jetzt mindestens zehn Mal gesagt, dass du den Müll raustellen sollst! Mach jetzt!“ Sie wartet ungeduldig vor der Tür.
Ich schließe das Buch, streichle meinem Sohn durch sein Haar und zwinkere ihm zu: „Ja. Papa mag vielleicht kein großer Held sein, aber Papa weiß was es bedeutet, ein echter Mann zu sein. Die Taten zählen, Tom. Merk' dir das.“ Ich decke ihn wieder zu, lege das Buch neben seinem Bett auf den Nachttisch und verlasse leise das Zimmer. Ich ziehe die Tür des Kinderzimmers hinter mir in den Riegel und nehme Madelaine an die Hand: „Komm“, sage ich zu ihr und geleite sie zurück ins Wohnzimmer. Etwas verwirrt sieht sie aus, aber sie läuft mit in ihrem Nachthemd. Ich führe sie zum Eingangsflur, öffne die Tür und stell mich mit ihr raus. Ich lasse die Hand los und laufe ein paar Schritte zurück zu unserer Eingangstür. Madelaine schaut mich leicht verwirrt, leicht überrascht an und fragt: „Was... machst du da?“
„Ich stelle den Müll raus!“