Diverses:Percussion für die Pueri Cantores
Das geht nur in der Kölner Philharmonie: Erstmals am 05.01.2013 gaben die Sängerknaben des Pueri Cantores ein Konzert in Kombination mit einer außergewöhnlichen Percussion. Begleitet wurden sie von einer Handvoll Performance-Künstlern auf dem über der Philharmonie liegenden, akustisch unzureichend entkoppelten Heinrich-Böller-Platz. Zwei der Künstler mit schweren Stiefeln und als Security kostümiert stehen konzentriert zwischen den um den Platz herum drapierten Warnschildern. Die anderen Künstler sind ein bunter Haufen Bekloppter, die aus allen Ecken Deutschlands angereist sind.
Auftakt: Außer Takt
Im Saal herrscht absolute Stille, das Publikum wartet auf den ersten Ton. Der Ton kommt als dumpfer, lauter Schlag vom gezielt in die Mitte des Platzes geworfenen Polenböller: BRENGGGGGGG klingt es unten. Die Sängerknaben wanken in einer synchronen Gemeinschaftszuckung. Einige verpassen ihren Einsatz, singen durcheinander und andere singen das falsche Weihnachtslied. Anschließend das Getrappel der in die Mitte eilenden Security. Akustisch ist dieses Element durchaus passend; dennoch wirkt es gekünstelt, denn was sollen die Wachmänner bitteschön nach der Explosion an der Quelle des Auftakts? Andererseits passt es intellektuell zu diesen beiden Gorillas.
Erster Akt: Strike
Quasi aus dem Nichts erscheint eine von einem der außen Platzierten gekonnt geworfene Bowlingkugel, die auf den Rillen der Platz-Pflasterung ein schönes RRRRRRRRT erzeugt. Der Dirigent rollt mit den Augen, als würde er der Kugel den richtigen Drall mitgeben wollen. Tatsächlich stieben die beiden Wachen in entgegengesetze Richtungen auseinander, um dem Knöchelschlag der heranrollenden Kugel auszuweichen. Beide verlieren das Gleichgewicht und klatschen mit den Handflächen auf den Boden. Das helle und durchaus laute Geräusch auf dem Platz spiegelt sich im Saal als kaum hörbares ticklditick wieder. Strike! Eine Maglite schlägt auf, rollt davon und erzeugt ein TOCKrrrrrr. Der Chor hat sich inzwischen auf die Percussion eingelassen und folgt deren Rhythmus.
Zweiter Akt: Glücksspirale
Aus allen Richtungen gleichzeitig laufen die Störer auf den Platz, zweimal um die noch immer verdutzt auf dem Boden liegenden Wachen herum und verschwinden ebenso schnell wieder im Nichts der Dunkelheit. Das spiralförmig zusammen- und wieder auseinanderlaufende Getrappel erzeugt in den Köpfen des Publikums die Illusion eines göttlichen Jojos. Der Dirigent kaut nervös auf dem Taktstock.
Dritter Akt: Tiere und Wetter
Die Wachen stehen lautlos auf, rennen in die vermeintliche Fluchtrichtung der Störer. Diese haben die Wachen jedoch getäuscht und marschieren aus einer anderen Richtung kommend im Gleichschritt auf den Platz. Die Wachmänner suchen noch. Fast dreißig Sekunden lang hält das grollende Wummern des zum Schwingen angeregten Betons an, bis die Wachen heraneilen und einen neuen Ton anstimmen. Die ganze Performance-Truppe rennt Haken schlagend wild durcheinander vor den Wachen davon. Brechenden Zweigen gleich fallen einige der Warnschilder um. Die Dreierkombination aus dem abschwellenden leisen Donner der getäuschten Wachen, dem gewaltigen Grummeln des Gleichschritts und dem anschließenden wilden Getrappel ist die gelungene akustische Darstellung einer durch ein Gewitter aufgeschreckten Pferdeherde. Das unartikulierte Gequietsche der Sänger bildet den Kontrast dazu. Als Ganzes ist dieses Kapitel eine angenehm disharmonische Ohrenweide (– man beachte den vermutlich beabsichtigten Spannungsbogen zu den zuvor friedlich weidenden Pferden). Eine unbeteiligte ältere Dame mit Rollkoffer zieht, zuvor unbemerkt, ungestört den Schlussstrich unter diesen Akt und entschwindet, wie eine Fata Morgana wirkend, Richtung Bahnhof. Durch die Dame abgelenkt entgeht den Wachen, wohin sich die lustigen Gesellen zurückziehen.
Vierter Akt: Rumpelstilzchen
Einer der Wachmänner bekommt Schaum vor dem Mund, möchte die Dame verfolgen und wenigstens post-akustisch zu Boden werfen. Der andere kann ihn gerade noch aufhalten. Statt zum ungleichen Ringkampf entschließt er sich zu einem Auftritt als gut gespieltes Rumpelstilzchen. Ungehemmt und mit Tränen in den Augen stampft er wütend auf das Philharmoniedach TONKTONKTONKTONKTONK. Das Publikum - erst Recht die Sänger - fürchten sich davor, dass der Wächter gleich durch ein Loch im Boden (bzw. Dach - je nach Standpunkt) stürzt und sich das Genick bricht. Das Knacken möchte hier keiner hören. Es bleibt aus. Das Stampf-Stakkato schwillt ab TONKtonktonk..., der Wachmann beruhigt sich scheinbar. Doch seine nicht abgeflaute Wut wird schnell wieder größer - er ärgert sich über seinen eigenen albernen Auftritt und bedauert, dass sein Kollege ihn von der Jagd abgehalten hat. Dieser bekommt eine wuchtige rechte Gerade, geht dumpf zu Boden. Im Saal herrscht wieder völlige Stille. Zart klingelnd hört man nun die fünf ausgespuckten Zähne.
Epilog: Wie ich über die Kölner Philharmonie rannte
Ich erinnerte mich an meine kleine Schwester: Kaum waren wir damals mit der Familie an der Kasse im Ägyptischen Museum Hildesheim vorbei, bekam die 3-jährige große Augen, flitzte auf das Podest mit den großen Amphoren zu, rannte ein paar mal im Zickzack um die wertvollen Ausstellungsstücke herum und reihte sich wieder brav zwischen uns ein. Für uns stolperte die Zeit. Auf Ähnliches war ich gefasst, bevor wir mit unserer unangemeldeten akustischen Bereicherung für die Sängerknaben begannen. Die Wachen sahen gefährlich aus. Zur Körperverletzung waren sie nicht befugt und ich hoffte auf die Verwirrung durch die schiere Anzahl der Verrückten - aber ganz sicher war ich mir nicht. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich erinnerte mich daran, dass es nicht gut um meine Kondition bestellt war. Den Polenböller hatte ich dabei, aber geworfen hat ihn ein anderer. Bowlen kann ich auch nicht; Respekt für diesen Wurf! Der Marsch im Gleichschritt gab mir ein erhabenes Gefühl. Eigentlich verachte ich das Militärische, aber hier handelte es sich um konzentrierten Nonsens. Hoch erhobenen Hauptes und breit grinsend stolzierte ich über das Philharmoniedach. Ich glaube, den anderen ging es genauso. Und das Fang-mich-doch-Spiel mit den Wachen hat einfach nur Spaß gemacht. Die Wachen taten mir sogar etwas leid, aber das war es wert. Ach ja: Nur, weil ich doof auf die Taschenlampe latschte, bekam mich wegen des Strauchelns die Wache nicht zu fassen.
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