Das Supertalent
Das Supertalent ist eine Reality-Show, in der es darum geht, unter dem Vorwand der Talentsuche eine besondere Person mit einem schweren Schicksal zu finden.
Worum geht es eigentlich?
Man fragt sich, was genau „Supertalent“ zum Sendungsgegenstand hat, gibt es doch viele prominente Beispiele, deren Titel eher ablenken, gar konträr zu dem stehen, was sie marktschreierisch zu versprechen drohen.
Eines der prominentesten Beispiele ist „Wetten dass …?“, wo es ja gerade am wenigsten um irgendwelche Wetten geht: Sie sind vom einstigen Rahmenprogramm mittlerweile in Nischen heiterer Bedeutungslosigkeit gequetscht worden und haben nur noch eine Alibifunktion, während der Focus auf Körperkontakt und Smalltalk mit ehemaligen Supertalenten mit dünner Moderation und blondem Maskottchen, eingebettet in Life-Acts, liegt.
Eine genauere Betrachtung der ehemaligen Gewinner und des neuen Erfolgs-Flagschiffs mit geringem Tiefgang schlechthin zeigt, dass es hier nicht etwa auf eine geballte Ladung der seltenen Ware „Begabung“ geht, sondern allein um sensationelle Bemitleidenswürdigkeit, Trauerbegleitung und Verständnis heischender Tränenproduktion - idealerweise als Rudelverhalten - geht.
Daher greift man gern auf das TV-erprobte Duo „Kind und Tier“ zurück, nicht ohne mit raffinierten psychologischen Tricks wie der beiläufigen zehnminütigen Erwähnung im Trailer auf eine Behinderung, asoziale Verhältnisse, Arbeitslosigkeit des Kandidaten oder alles zusammen hinzuweisen.
Das Morbid-faszinierende ist eben, dass hier kein richtiges "Supertalent" gesucht wird, ja noch nicht einmal gewollt ist. Es wird die Unterdurchschnittlichkeit zum Talent erkoren. In jeder deutschen Großstadt gibt es pro Woche in einem Irish Pub beim Liederabend mehr Amateure, die besser Mucke machen können, als die Gewinner beim "Supertalent". Es gibt in jedem Wanderzirkus einen Hund, der besser Seilhüpfen vollführt, als der Gewinnerköter beim "Supertalent". Ein Kandidat beim "Supertalent", der aus dem Stand drei Meter hochspringt, dabei die Kreiszahl auf die ersten 50 Ziffern rückwärts aufsagt und nach der Landung einen funktionierenden Plan für die Lösung des Welthungers präsentiert, hätte bei folgender Begebenheit beim "Supertalent" keine Chance zu gewinnen: Er stellt sich nämlich so vor:
"Ich bin Dr. Richard Martin, promovierter Mathematiker, verheiratet, 2 Kinder, kerngesund, alle Angehörigen leben noch, wohlhabend und rundum glücklich!"
Ein Sprung über den eigenen Schuldenberg, das fast fehlerfreie Aufsagen des Geburtsdatums sowie ein sich nichtreimendes Gedicht über den Welthunger hätte bei folgender Aussage deutlich bessere Aussichten auf Erfolg beim "Supertalent":
"Ich bin Michaela Gumbinski, ehemals Michael Gumbinski, Transvestit, arbeitslos, hoch verschuldet, Mutter, Vater, Onkel, eigentlich alle tot, Hund ist krank, Goldfisch hat Husten, singe in der Fußgängerzone für Weltfrieden und Geld und brauche dringend Spenden für die Behandlung einer tödlichen Krankheit!"
Das Perfide, ja schon fast Ekelhafte an der Sendung ist: Obwohl sie offensichtlich für ein einfaches, dummes und denkfaules Publikum gemacht ist, will sie den Zuschauer durch plumpe, bigotte Zurschaustellung durch höchstens normalbegabte soziale Randexistenzen zu dem Ruck verleiten, man habe durch die Wahl der kostenpflichtigen Nummer zum Voting etwas Gutes getan.
Die Jury
Bohlen als das bärbeißige Aushängeschild verkörpert geistige Armut aber die ehrliche und offene Kaltherzigkeit eines Hafennuttenschinders, gepaart mit einem guten Schuss Erfolglosigkeit eines heutigen Pop-Dinos, nicht wegen der Raubkopien, sondern weil seine Werke heutzutage niemand mehr freiwillig hört.
Van der Vaart ist nicht nur als innenarchitektonisch raffiniertes Entree zwischen zwei dominierenden männlichen Säulen oder als wohltuendes Pendant zu Darnells Feminität zu verstehen, sondern stellt auch den Typus "ambivalenter Moderatoren-Mischtyp ohne aktuelle Anstellung" dar. So verkörpert sie einerseits eine strahlende Schönheit im Kontrast zu ihrer Krebserkrankung und einen raschen Aufstieg im Moderatoren-Business, weil ihr außer der Erotikbranche nichts anderes übrigblieb, um trotz Talentfreiheit prominent zu werden.
Bruce Darnell ist eine Hommage an all die Menschen im Publikum, die genauso wie er Probleme haben, einfache Sachverhalte in Worte zu fassen. So ist er nicht nur Eyecatcher, sondern buhlt auch unverhohlen mit bescheidenen sprachlichen Mitteln um die Sympathie des Zuschauers, wenngleich er auch manchmal mit ungelenken Bewegungen nachhelfen muss. Er ersetzt aber mit der Kraft seiner Tränendrüsen und dem großen Herzen eines ausgemergelten Catwalkläufers schon gleich die ersten fünf Reihen eines Emo-Konzertes und lässt den aufmerksamen Zuschauer sich immer und immer wieder die Frage stellen: "Spricht er noch oder weint er schon?" - wenn dieser nicht selber kritiklos heult.
Drei Juroren, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, geben ihre mehr oder weniger amüsanten Urteile zu den Darbietungen ab. Von redaktioneller Seite wird darauf geachtet, dass für jeden Juror speziell ausgewählte Supertalent-Aspiranten zum Einsatz kommen. Für Dieter Bohlen südländisch wirkende Tussen und 12-Jährige Mädchen, die singen wie Whitney Houston, für Bruce Darnell der Männer-Striptease und für Sylvie van der Vaart die dressierten Kleinstkinder ohne jede erkennbare Begabung.
Der erste Gewinner
So gewann den ersten Wettbewerb 2008 auch ein nach einem Unfall schwer gehbehinderter verhaltensgestörter arbeitsloser, erbärmlich Mundharmonika spielender Endvierziger, dessen Talentlosigkeit sogar den sonst so harten Dieter Bohlen zu Tränen rührte. RTL wusste jedoch bereits im Vorfeld, dass außer singenden Sägen und geblasenen Kämmen nichts mehr die Weinseligkeit, die Spontaner-Selbstmord-Quote und die vorweihnachtliche Spendenpromiskuität fördert als eine Mundharmonika und dahinterstehende arme Schweine. Da sich für die ersten beiden Instrumente kein Proband fand, stand das Votum vor dem Finale fest und der Plattenvertrag wurde unterzeichnet.
Selbst ein an kreisrundem Haarausfall leidender scheinselbständiger Kugelfetischist konnte nichts mehr gegen dessen Handicaps ausrichten und wurde auf den zweiten Platz verwiesen und das obwohl er als bekennender "Kontaktperversionist" bereits seit seiner Pubertät in überfüllten Straßenbahnen auf Tuchfühlung ging und die Auftritte damals schon ausgiebig mit kleinen metallischen Kugeln probte, die er seiner Schwester unhygienisch stahl. Kein Psychiater hatte ihm je helfen können.
Dritter wurde ein tanzender Floh, der seit seiner Geburt seine Zurückgebliebenheit mit spastischen Bewegungen auszugleichen versuchte. Damit er durch die streng riechende Eingangskontrolle des Senders kam, wurde er von einem altruistischen Ehepaar adoptiert, frisiert und in sogenannte "geile Klamotten" gesteckt, um menschenähnlich zu wirken. Als er sich als sechsbeiniges Etwas geoutet hatte, war es zu spät, ihn herauszuschmeißen. Immerhin fanden die Zuschauer es lustiger, so etwas auf der Bühne zucken zu sehen, als es am eigenen Hals hängen zu haben.
Zukünftige Kandidaten und Gewinner
Die nächste Gewinnerin
Roswitha K. aus P., ein deutsches Waisenkind aus Rumänien, bläst nicht nur herzzerreißend auf dem Kamm, nein, sie hat auch Leukämie und braucht eine Knochenmarkspende von ihrer verschollenen Zwillingsschwester Hannelore. Im Vorfinale wird sie ihre Schwester nach 25 Jahren zum ersten Mal wiedersehen und schon im Finale geheilt dem lieben Gott ein Ave Maria auf dem Kamm blasen können! Roswitha & Hannelore werden nach Roswithas Sieg als Duo mit Kammblasen und Waschbrett-Percussion beim Fest der Volksmusik Karriere machen.
Der Fuchsdompteur
Der zweite Platz wird an den Fuchsdompteur aus Wanne-Eickel gehen, der seine Anstellung, seine genitale Gesundheit und damit auch seine Partnerin wegen seiner Leidenschaft, Füchse zu domptieren, verloren hatte.
Der mittlerweile 65jährige Hobbyjäger führt auf bizarre Art und Weise nicht nur das Meisterstück dar, zwei vor kurzem angefahrene Füchse, die bisher eben nur an Autos gewöhnt waren, trotz ihrer Ungeselligkeit in einer Nummer zu vereinen. Überdies werden sich beide Tiere PARALLEL zerfleischen und ihre Körper fachgerecht zur Weiterverarbeitung in der Pelzindustrie vorbereiten.
Das ghanaesische Fußgängerzonen-Instrument
Der Fluch der Gigantomanie des Senders für mediale Massenproduktion äußert sich nicht nur in großartiger Anspruchslosigkeit durch das Gesetz der großen Zahl, hinter dem ein Individuum als armes Würstchen zu verschwinden droht. Es erschwert schon beim drohenden Eintritt des allerdings hochgekochten Darbieters die Verifizierung von irgendwie talentierten bzw. untalentierten Bewerbern im Einheitsbrei des Anforderungsprofils.
Kritiker bemängeln daher fehlende Kreativität auch bei der Vorabvergabe der zu besetzenden Endplatzierungen, missachten aber die außerordentliche Phantasie der Redakteure, die regelmäßig auch bei stereotypen Schicksalen eine spektakuläre Aura schaffen. So wie bei der aus Ghana stammenden Anna. W. aus K. als 22fache Mutter einer 26köpfigen Rasselbande mit 28 verschiedenen Vätern (die zwei Überhangmandate stammen aus vaterschaftsrechtlichen Streitereien), die für den dritten Platz vorgesehen ist.
Da sie bei ihrer Flucht aus Afrika eine noch weitaus größere Familie zurücklassen musste, ist sie verpflichtet, einen Großteil der 7000.- € Kindergeld und Sozialhilfe nach ebendort zu schicken und steht hierzulande mittellos da. Bisher war sie daher gezwungen, mit ihrer Familie als menschliches Xylophon aufzutreten.
Dabei werden die Kinder der Größe nach geordnet aufgestellt und die Mutter nimmt erhöht auf einem Podest (das normalerweise ein Kind bildet) Platz. Dann schlägt sie mit einer langen Bratwurst in der Melodie zu „Süßer die Glocken nie klingen“ (normalerweise mit einem Kind, das eine neutrale Intonation besitzt), auf die jeweils nach spezifisch abzugebendem Laut zu treffenden Kinder. Dabei darf kein Ton danebengehen, es darf nicht gelacht und die Bratwurst während der Musik nicht abgebissen werden. Es sei denn, das abgebissene Stück wird nach Afrika geschickt.
Pussy – das niederbayrische Humpelstielchen
Für den vierten Platz ist das gerade der Säuglingsmilch entwöhnte Katzenkind „Pussy“ vorgesehen. Sie war seit ihrer Geburt ein Problemkätzchen, da es von ihrer Mutter nicht angenommen worden war und in letzter Sekunde vor ihr gerettet werden musste. Dann stellte sich heraus, dass es unter einer Milch- und Eiweißallergie litt und mit teurer Spezialmilch ernährt werden musste.
In der kurzen Zeit seines Lebens wurde eine auffällige metaphysische Beziehung zwischen Menschenglück und Katzenpech festgestellt. In der „Adoptivfamilie“, auf deren Hof es lebt, gilt es daher als „Glückbringerchen“, weil es immer einen besonderen Glücksfall zu bejubeln gibt, wenn das Kätzchen gerade wieder einmal Pech hatte. Als es nämlich von drei Pitbulls – nacheinander – angegriffen worden war, konnte die Großmutter von einem metastasierenden Lebertumor geheilt werden, der Vater gewann 5 Richtige plus Zusatzzahl im Lotto und der Stiefsohn die lange ersehnte Freundin.
Die Betreuerin in Gestalt der kleinen blinden Annika wurde von einem bekannten Sender des öffentlichen Rechts mit einer spektakulären Wette abgewiesen, nach der das Kätzchen einbeinig auf einem in 100 Meter Höhe angebrachten Seil balancierend einem auf dem Boden befindlichen, fest installierten Pitbull zwischen die Augen kacken kann. Fällt das Kätzchen runter, ist die Wette zwar verloren, aber RTL hat viel Sendezeit mit Background-Nachrichten über die kranke Oma, den verhurten und versoffenen Lottogewinn des Familienvaters und die psychiatrische Behandlung der Zoopädophilie des Stiefsohns gewonnen und vielleicht auch im Lotto. Auf den richtigen Geschmack zu tippen, ist ja eine Spezialität des Senders.
Die Verlierer
Viele wahre Talente mit oder ohne jeden Mitleidsfaktor verpassten den Einzug ins Finale nur um Haaresbreite. Unter ihnen mehrere (leider) recht ansehnliche OpernsängerInnen mit Festanstellung im öffentlichen Dienst, ein ausgebildetes Artisten-Paar, gesund und mit festem Wohnsitz, eine polnische Volksmusikkapelle, die zwar Migrationshintergrund, Karies, Familien- und Alkoholprobleme aufwies, sich aber schon im Vorfeld als ungeeignet für den deutschen Markt erwiesen hatte. Nicht zu vergessen der traditionelle mongolische Höömii-Sänger, der in seiner Heimat als der Heino des Kehlkopfgesanges Verehrung genießt, hier aber leider nicht viel weiter kam, als der Säugling Nico-Lennart, der auf Kommando ein Bäuerchen machen konnte. Immerhin rührte letzterer die Jury zu Tränen: Sylvie zu Tränen der Rührung, Bohlen zu Tränen des Entsetzens, Darnells Tränen galten noch der vorherigen Darbietung. Auch der klingonische Drehorgelspieler, der Dauerkandidat bei DSDS, Menderes Wannabe Jackson, und der Kunst-Flatulist Mr. Methan konnten bisher das Finale nicht erreichen, versuchen es aber weiter!
Ausblick
Der Junge Mann mit der Mundharmonika
Nach 1 Million verkauften CDs, der Anschaffung eines Mercedes-Kleinbusses, eines Einfamilienhauses und eines Pay-TV-Abos läutete gleich nach dem Lieferanten für die neue Küche der Pleitegeier in Form einer gewaltigen Stornierung.
So hatte man sich freilich im Stillen schon gewundert, warum die Geldgeber neben der Spende bereit gewesen waren, dafür eine schmalztriefende CD entgegenzunehmen. Nein, es stellte sich heraus, dass die Million Platten aus einer einzigen Bestellung eines Plattenladens stammte, die ein Computerwurm namens Ex@!67.Worm|DOS automatisch aus allen Emails - auch denen aus dem Papierkorb - generiert hatte.
Der Traum war schnell zu Ende: Auto und Haus mussten zu einem Ramschpreis verkauft werden, um den aus der Bestellung generierten Kredit bedienen zu können. Einzig das Pay-TV konnte er behalten und RTL schaut er ja nicht mehr so gerne. Eigentlich ist aber alles sonst wie früher: er sitzt schrecklich Mundharmonika spielend in der Fußgängerzone, schaut wie ein in die Hoden getretener Dalmatiner aus der Wäsche und trägt den Kappenschirm im 45°-Winkel zur enttäuschten Miene. Einzig seine Schulden sind größer als je zuvor.
Rien ne va plus!
Leider wurde der sonst auf enganliegende, gern auch verschwitzte Stoffe spezialisierte Kontaktjongleur nachträglich des Dopings überführt. Untersuchungen führten nämlich zu dem Ergebnis, dass er seit seiner Geburt unter menschlichem Magnetismus leidet.
Vermutlich führte ein Anruf aus Insiderkreisen - vielleicht sogar sein früherer Arbeitgeber, ein Schrotthändler, bei dem er einen 400-Euro-Job ausübte - zum Misstrauen des Senders. Seitdem werden solche unrechtmäßigen Vorteile konsequent kontrolliert, um zu verhindern, dass Leute mit fotografischem Gedächtnis Erinnerungsspiele bestreiten oder Leute, die eine ausgebildete Sangesstimme haben, singen, damit jeder die gleiche Chance hat, ein Supertalent zu sein/werden.
Kalvus blieb von seinem Ruhm aus der Staffel eine traurige Berühmtheit, durch die er immerhin über ein Kontaktanzeigenmagazin Privatauftritte zu Geburtstagsfeiern, Jubiläen oder Urnenbeerdigungen zu akquirieren versteht.
Paralyse
Über das Aftershow-Leben des kleinen entsprungenen Parasiten ist nur wenig bekannt geworden. Natürlich will niemand für ihn gestimmt haben, so wie niemand Käseblätter beim Zahnarzt liest. Bei späteren Beschulungsversuchen sollen extra aus Kamerun DDT-Fässer eingeführt worden sein, um sich der Plage an plötzlich zuckenden, herumspringenden kleinen Plagegeistern, die auch ins Fernsehen wollten, Herr zu werden.
Siehe auch: