Volksfahrräder
Die lautstarke Forderung nach sogenannten Volksfahrrädern ist ein sächsisches Phänomen. Der rätselhafte Ruf, der offenbar ein Begehren nach preisgünstigen Massenprodukten für den Individualverkehr mit positiver Ökobilanz ausdrückt, wurde im Zuge politischer Protestdemonstrationen zuletzt immer häufiger laut.
Was steckt dahinter?
Werden die Sachsen jetzt doch noch umweltbewusste Klimaretter? Haben sie die Kraftmeierei mit ihren Škodas und BMWs schon satt?
Merkwürdigerweise scheint in Sachsen das Verlangen nach erschwinglichen Rädern mit bestimmtem Einheitsstandard deutlich stärker zu sein, als im Rest der Republik. Dabei hat doch das Missmanagement der Bahn bundesweit die Fahrgäste eher in gesegnete Großstädter und gearschte Provinzler geteilt und nicht etwa in die abgehängten Sachsen und den coolen Rest! Das Verlangen nach kostenlosem Nahverkehr auf den eigenen zwei Rädern scheint auch stärker zu sein, als sämtliche politischen Forderungen der besorgten Sachsenbürger zusammen. Denn sobald auf einer Protestveranstaltung, einem Spaziergang oder einem Asylantenheimbesuch ein Spitzenpolitiker entdeckt wird, sind sofort alle ernsthaften politischen Themen vergessen und der Pöbel verlangt plötzlich nur noch nach seinem Spielzeug. Und zwar im unüberhörbaren Sprechchor.
Was ist da los? Spinnen die?
Es muss mit einer Konditionierung in der damaligen DDR zu tun haben. Das vermuten zumindest namhafte Soziologiestudenten. Wenn es damals mal so richtig Kacke lief, hat man dem Volk einfach an einem zentralen Ort irgendein begehrtes Westprodukt aus der Ramschkiste eines bundesdeutschen Havariegroßhändlers zu überteuerten Preisen angeboten. Man konnte gemeinsam in der Schlange stehen, sich unterhalten und hatte die Hoffnung auf etwas schönes. Nebenbei wurde man mal wieder daran erinnert, wofür man arbeiten geht. Schon waren alle bösen Gedanken für eine Weile verflogen. Das ist eine bewährte Taktik aus der Kindererziehung. Frei nach dem Motto: „Deine Katze schläft jetzt ganz lange, komm wir gehen ein großes Eis essen!“
Und nun?
Die Bundesregierung hat mittlerweile eine Studie in Auftrag gegeben, die mithilfe von Telefonbefragungen die Vorlieben der Sachsen bezüglich ihrer Drahtesel herausfinden soll. Am Ende dieser Bemühungen soll laut geheimer interner Quellen ein extra für Sachsen entwickeltes einheitliches [math]\mathfrak{Volks}[/math] [math]\mathfrak{fahrrad}[/math] (TM) stehen. Wie aus nicht weiter genannten Quellen verlautbar wurde, versuchen die Verantwortlichen mit den erhobenen Daten, einen Hersteller zu finden, der bereit ist, sich der Herausforderung zu stellen. Wann mit den ersten der insgesamt 4 Millionen sächsischen Volksfahrräder zu rechnen ist, konnte bisher nicht in Erfahrung gebracht werden. Allerdings wird die Angelegenheit äußerst ernst genommen.
Schließlich will die Bundesregierung sich nicht vorwerfen lassen, dass sie nicht auf die Sorgen und Wünsche aller ihrer Bürger eingeht. Wie unverständlich diese auch sein mögen, man muss die Belange Aller ernst nehmen. Und auch, wenn man nicht allen helfen kann, so muss man doch wenigstens ein Zeichen setzen.
Dennoch bleiben die meisten angesichts der unerwarteten und vor allem unerwartet unpolitischen Forderung ratlos zurück und fragen sich: Geht es den Sachsen eigentlich zu gut, dass die keine anderen Sorgen haben? Wollen sie die Pekinger aus dem Guiness-Buch radeln? Natürlich sind sie mit einer geringen Zahl an Flüchtlingen weniger Anpassungsschwierigkeiten ausgesetzt als Bewohner von beispielsweise NRW oder Berlin. Und natürlich zeigt die relativ hohe Arbeitslosigkeit auch, dass man dort wohl genug Zeit hat, sich in Ruhe andere Probleme und Begehrlichkeiten auszudenken.
Naja, die Regierung in Berlin wird's freuen: Genügsame Sachsen, die leicht zufrieden zu stellen sind.
So lobt man sich das! Weiter so, bescheidene Sachsen! Weiter so!