Die Einteilung der Viren in Sys­te­matiken ist kontinuier­licher Gegen­stand der For­schung. So existieren neben- und nach­einander ver­schie­dene Virus­klas­sifi­kationen sowie die offi­zielle Virus-Taxo­nomie des Inter­national Com­mit­tee on Taxo­nomy of Viruses (ICTV). Die hier be­han­delte Grup­pe ist als Taxon durch neue For­schungen ob­solet ge­wor­den oder aus an­deren Grün­den nicht Teil der offi­ziel­len Virus-Taxo­nomie.

Als Bakteriophagen oder kurz Phagen (Singular Phage, der; von altgriechisch βακτήριον baktérion ‚Stäbchen‘ und φαγεῖν phageín ‚fressen‘) bezeichnet man herkömmlicherweise verschiedene Gruppen von Viren, die auf Bakterien als Wirtszellen spezialisiert sind, d. h. Bakterienviren. Herkömmlicherweise werden die Bakterienviren (Bakteriophagen) entsprechend ihrer Wirtsspezifität in verschiedene Gruppen klassifiziert, zum Beispiel in Coli-, Staphylokokken-, Diphtherie- oder Salmonella-Bakteriophagen (oder -viren). Mit einer geschätzten Anzahl von 1030 Virionen im gesamten Meerwasser sind Bakterienviren häufiger als jede Art zellulärer Lebewesen und bilden zusammen mit Viren der Archaeen und Protisten (mikrobiellen Eukaryoten) das sogenannte Virioplankton, zu ihnen zählen insbesondere viele Cyanophagen (Viren der Cyanobakterien).

Traditionell wurden (und werden) auch die Viren der Archaeen (Archaeenviren, en. archaeal viruses, archaeoviruses) gelegentlich noch als Phagen oder Bakteriophagen bezeichnet, eine Reminiszenz an die frühen 1970er Jahre ist, als Archaeen noch nicht von Bakterien unterschieden wurden. Seinerzeit wurden besonders Viren mit charakteristischer Kopf-Schwanz-Struktur (Caudoviren, heute Klasse Caudoviricetes) erforscht. Diese infizieren zum Teil Bakterien und zum Teil Archaeen, und man bezeichnete sie kurz als „Phagen“. Zudem wurden die Archaeen anfänglich noch als „Archaebakterien“ bezeichnet, weshalb die Archaeenviren sich zunächst weiterhin als „Bakteriophagen“ bezeichnen ließen.

Viren (d. h. die Viruspartikel) besitzen keinen eigenen Stoffwechsel, sondern „leihen“ diesen und Teile des Replikationsmechanimus von ihren Wirten „aus“, um sich genetisch mittels ihrer DNS (oder RNS) zu vermehren („replizieren“). Sie werden daher (von den meisten Autoren) nicht als Lebewesen (im eigentlichen Sinne) angesehen, aber von einigen Wissenschaftlern als „dem Leben nahe“ bezeichnet. Die meisten Bakterienviren (insbesondere die Caudoviren) besitzen, wie zelluläre Organismen, ein dsDNA-Genom (linear oder zirkulär), es gibt aber auch Beispiele für andere Genomorganisationen (ssDNA, und RNA).

Geschichte

Die Wirkung von Bakterienviren („Phagen“) wurde im Jahr 1917 von dem Frankokanadier Félix Hubert d’Hérelle erstmals beschrieben. Zwar hatte der Engländer Frederick Twort bereits zwei Jahre zuvor an Staphylokokken-Kulturen Zersetzungsprozesse beobachtet, die auf die Einwirkung von Bakteriophagen zurückzuführen sind, jedoch wurde seine Veröffentlichung praktisch nicht beachtet. D’Hérelle gilt somit neben Frederick Twort als einer der Entdecker der Bakteriophagen, den sogenannten „Bakterienfressern“. Ihren Namen verdanken sie d’Hérelle. Parallel zu d’Hérelle postulierte der deutsche Mikrobiologe Philalethes Kuhn aufgrund von Beobachtungen der Veränderungen von Bakterienkulturen unter bestimmten Bedingungen die Existenz von Bakterienparasiten. Er bezeichnete diese als Pettenkoferien und sah die von d’Hérelle beschriebene „unsichtbare, dem Ruhrbazillus entgegenwirkende Mikrobe“ als Sonderfall dieser Parasiten an. Wie sich später herausstellte, beruhten seine Beobachtungen jedoch nicht auf der Existenz eines Bakterienparasiten, sondern lediglich auf Formveränderungen der von ihm untersuchten Bakterien.

D’Hérelle stellte sich den Bakteriophagen als ein „ultravisibles, korpuskulares Lebewesen“ vor, das in einer Grundform existiere und sich an verschiedene Wirte, also Bakterien anpasse. Tatsächlich sind Bakteriophagen nach heutigem Wissensstand hochspezialisierte Viren, die an einen spezifischen Wirt gebunden sind. Auch wenn in diesem Kontext von Wirten die Rede ist, sind nach heutiger Definition Bakteriophagen, da sie als Viren keine Lebewesen sind, keine Parasiten. Die ersten Phagen, die untersucht wurden, waren sieben Phagen des Bakteriums Escherichia coli. Sie wurden von Max Delbrück in der Reihenfolge ihrer Entdeckung als Typ (englisch Type) 1 (T1), Typ 2 (T2) und so weiter benannt. Die aktuelle taxonomische Einordnung dieser Phagenstämme nach ICTV mit Spezies und Familie ist wie folgt:

Diese sieben Escherichia-Phagen (echte Bakterienviren) werden manchmal unter der Sammelbezeichnung „T-Phagen“ (englisch T phages) zusammengefasst, was aber keine Verwandtschaftsgruppe (Taxon) darstellt. Stattdessen werden diese Viren vom ICTV (mit Stand Januar 2021) nach einigen Verschiebungen den oben angegebenen Familien zugeordnet. Lediglich die Vertreter mit gerader Typ-Nummer (T-even phages) erwiesen sich zufällig als nahe miteinander verwandt, so dass für vom ICTV eine Spezies als Taxon eingerichtet wurde. Die Typen mit ungerader Nummer (T-odd/T-uneven phages) bilden jedoch kein Taxon. Allerdings ist allen diesen Phagentypen ein Kopf-Schwanz-Aufbau gemeinsam, weshalb sie früher in einer morphologisch begründeten Ordnung Caudovirales zusammengefasst wurden, welche die drei Morphotypen Myo-, Sipho- und Podoviren zunächst jeweils als taxonomische Familien umfasste. Diese ursprüngliche Ordnung wurde inzwischen aufgrund der genomischen Diversität zur Klasse Caudoviricetes hochgestuft. Von anderen Autoren wurde die Gepflogenheit bei der Benennung anderer Caudoviren teilweise weitergeführt (z. B. „T12“, Vorschlag, ohne Familienzuordnung).

Aufbau

Die Gestalt der Bakterienviren mit Kopf-Schwanz-Struktur (Caudoviren, Klasse Caudoviricetes) wurde vorwiegend an den Bakteriophagen der T-Reihe (T-Serie) von Escherichia coli aufgeklärt. Der Bakteriophage T2 besteht aus einem polyedrischen Kopf von 100 nm Länge, an dem ein etwa gleich langer Schwanz sitzt. Viren werden taxonomisch in erster Linie nach ihrem Genom-Aufbau, und nachrangig nach ihrer Morphologie und ihrem Wirt eingeteilt. So unterscheidet man DNA-Viren mit einzelsträngiger DNA, sogenannte ssDNA-Viren (von engl. single-stranded), und solche mit doppelsträngiger DNA, sogenannte dsDNA-Viren (von engl. double-stranded). Die hier exemplarisch behandelten Escherichia coli-Viren der T-Reihe werden zu letzterer Gruppe gezählt.

Die oben bereits erwähnten T-Phagen (wie z. B. die Gattung Tequattrovirus mit der Spezies Escherichia-Virus T4) zeichnen sich zusammen mit anderen Mitgliedern der Klasse Caudoviricetes gegenüber sonstigen Bakteriophagen durch einen relativ komplexen Aufbau mit „Kopf-Schwanz-Struktur“ aus: Grundlegend setzen sie sich aus einer Grundplatte (9), einem Einspritzapparat (Injektionsapparat oder Schwanz, 2) und einem Kopf (1), bestehend aus dem so genannten Kapsid (4) und der darin enthaltenen Nukleinsäure (Genom, 3), zusammen. Die Module Kopf und Einspritzapparat/Schwanz sind durch einen Hals (Collar, 5) verbunden. Die Grundplatte (die wie Kapsid und Injektionsapparat aus Proteinen aufgebaut ist) ist mit Schwanzfibern (7) und Spikes (8) besetzt, die der Adsorption auf der Wirtszellwand dienen. Der Injektionsapparat besteht aus einem dünnen Rohr (Schwanzrohr, 6), durch das die Phagen-Nukleinsäure (3) in die Wirtszelle injiziert wird. Das Rohr wird von einer kontraktilen Schwanzscheide umhüllt, die sich während der Injektion zusammenzieht. Das Kapsid ist mit ikosaedrischer Symmetrie aus 152 Kapsomeren aufgebaut und enthält die DNA des Phagen. Aufgrund dieses Aufbaus zählen die Phagen der Gattung Tequattrovirus (Morphotyp Myoviren) zu den strukturell komplexesten Viren.

Phagen mit einzelsträngiger DNA sind dagegen meist klein, sphärisch und schwanzlos (Microviridae) oder filamentös (Tubulavirales). Die ebenfalls auftretenden RNA-Phagen bestehen meist (soweit bis zu diesem Zeitpunkt beschrieben) aus einer Proteinhülle, die ein einsträngiges RNA-Molekül umschließt. Der Durchmesser dieser Phagen beträgt etwa 25 nm, sie gehören also zu den kleinsten Phagen.

Vermehrung

Viren benötigen mangels eines eigenen Stoffwechsels zur Reproduktion einen Wirt, im Falle der Bakteriophagen eine geeignete, lebende Bakterienzelle. Die Reproduktion lässt sich in fünf Phasen gliedern:

  • Adsorption an spezifische Zellwandrezeptoren: Bei der Adsorption koppeln die Enden der Schwanzfasern an passende Moleküle (Rezeptoren) der Oberfläche des Bakteriums.
  • Injektion der Phagen-Nukleinsäure in die Wirtszelle: Die phageneigene Nukleinsäure, DNA bzw. RNA, gelangt in das Bakterium. Die nun funktionslosen Proteine der leeren Phagenhülle bleiben außen auf der Oberfläche des Bakteriums zurück.
  • Latenzphase: Während dieser Phase lassen sich im Bakterium keine Phagen nachweisen. Nun beginnt die Transkription des Virusgenoms, die Translation der viralen mRNA und die Replikation der Virusnukleinsäure. Dieser Vorgang dauert maximal einige Stunden.
  • Produktionsphase: Nachdem die Phagengene in einer festgelegten Reihenfolge aktiv geworden sind, werden alle Virusbestandteile, Hüllproteine und Schwanzfasern, gebildet.
  • Reifephase: In dieser Phase der Morphogenese erfolgt der Zusammenbau (assembly) zu reifen Phagenpartikeln. Zunächst wird ein Kopfteil, das Kapsid, gebildet. Die Proteine im Innern dienen als Platzhalter und werden später durch die Phagen-Nukleinsäure, die in das Kapsid eindringt, ersetzt. Dabei nehmen die Nukleinsäure-Fäden, gleich einem Wollknäuel, eine platzsparende Form an.
  • Freisetzung: Die fertigen Viruspartikel werden durch enzymatische Auflösung der Wirtszelle befreit. Das Lysozym, welches von dem umprogrammierten Bakterium gebildet wurde, löst die bakterielle Mureinzellwand auf. Die Zelle platzt, und etwa 200 infektiöse Phagen werden frei.

Die Vermehrung verläuft bei einigen Phagenarten nicht immer nach dem oben beschriebenen, lytischen Schema ab. Bei temperenten Phagen unterscheidet man zwischen lysogenen und lytischen Vermehrungszyklen beziehungsweise Infektionszyklen. Bei einem lysogenen Zyklus wird die DNA des Phagen in das Chromosom des Bakteriums eingebaut, wodurch ein Prophage entsteht. Bei jeder folgenden Zellteilung werden die Gene des Phagen und die des Bakteriums gemeinsam verdoppelt und weitergegeben. Dieser Zyklus kann später in den lytischen Zyklus münden.

Riesenphagen

Doppelstrang-DNA-Phagen mit einer Genomgröße von mehr als 540 kbp werden als Megaphagen bezeichnet, kleinere mit mehr als 200 kbp als Jumbo-Phagen. Die Autoren hatten 2018/2019 Fäkalien von Menschen in Bangladesch und Tansania sowie von Pavianen in Afrika und Schweinen in Dänemark untersucht. Die Proben enthielten Bakterien der Gattung Prevotella (Prevotellaceae), die von einer Reihe von dsDNA-Megaphagen infiziert waren, die von den Autoren „Lak-Phagen“ (nach dem Ort Laksam Upazila, Bangladesch) genannt wurden. Die gefundenen Phagen wurden (vorläufig) als Lak-A1, Lak-A2, Lak-B1 bis Lak-B9 und Lak-C1 bezeichnet. Es könnte eine lose phylogenetische Beziehung zum „Sphingomonas-Phagen PAU“ (dieser Riesenphage infiziert Bakterien der Spezies Sphingomonas paucimobilis, Sphingomonadaceae) vom Morphotyp der Myoviren bestehen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass „Lak-Phagen“ „weit verbreitete, aber bisher übersehene Mitglieder des Darm-Mikrobioms“ sind.

Im Februar 2020 veröffentlichten Basem Al-Shayeb und Kollegen eine Analyse, die diese Untersuchungen fortführt. Darin ziehen sie die Grenze für Megaphagen bei 500 kbp (was offenbar Basenpaare im doppelsträngigen Fall und Basen oder Nukleotide in einzelsträngigen Fall bedeutet). Die Autoren ziehen es aber vor, alle Phagen mit mehr als 200 kbp (also Jumbo-Phagen und Megaphagen) als „englisch huge phages“ (hier mit Riesenphagen übersetzt) zusammengefasst zu betrachten. Die Autoren identifizierten unter dieser Gruppe eine Reihe von zehn Kladen, für die sie folgende Namen vorschlugen: „Kabirphage“, „Mahaphage“ (darunter die Gruppe der „Lak-Phagen“), „Biggiephage“ (nicht zu verwechseln mit der vorgeschlagenen Spezies Biggie virus), „Dakhmphage“, „Kyodaiphage“, „Kaempephage“, „Jabbarphage“, „Enormephage“, „Judaphage“ und „Whopperphage“ (alle Namen beziehen sich auf „riesig“ oder engl. „huge“ in den verschiedenen Sprachen der Autoren). Durch ihre Metagenomanalysen verschiedener Proben konnten sie 351 dsDNA-Phagensequenzen identifizieren, davon nur drei unter 200 kbp. Das größte Genom hatte eine Länge von 735 kbp (ein Mahaphage, was offenbar neuer Rekord ist; der vorherige lag bei 596 kbp); gewöhnliche Nicht-Riesenphagen haben im Mittel lediglich 52 kbp. Einige Riesenphagen scheinen einen vom Standard abweichenden genetischen Code zu benutzen, in dem das Stop-Codon UAG für eine Aminosäure kodiert. Die Wirte sind (meist) Bakterien der Firmicutes oder der Proteobacteria, aber auch – so bei den Mitgliedern der Mahaphage-Gruppe mit den „Lak-Phagen“ – der Bacteroidetes. Das Genom kodiert neben den phageüblichen Proteinen für tRNAs. Die Phagen interagieren darüber hinaus im CRISPR/Cas-System (siehe CRISPR, CRISPR/Cas-Methode, Genom-Editierung): Alle bedeutenden Typen des Systems waren vertreten, die meisten Phagen schienen aber Cas-Proteine des Wirts zu benutzen, um sich selbst zu schützen. Darüber hinaus schienen die Phagen das CRISPR-Immunsystem der Wirte darin zu unterstützen, konkurrierende Phagen abzuwehren. Manche Pseudomonas-infizierende Phagen kodieren auch für Anti-CRISPRs (Acrs) und Proteine, die ein Zellkern-ähnliches Kompartiment bilden, in dem der Phage sein Genom unabhängiger vom Wirt replizieren kann (siehe Viroplasma). Die Autoren sehen ihre Arbeit als einen weiteren Beleg für die weltweite Verbreitung der Riesenphagen. Sie fanden Belege, dass die Phagen zwischen verschiedenen Wirten und Ökosystemen wanderten, was eine Bedeutung für die Verbreitung von Toxin- und Antibiotikaresistenz-Genen hat. Ihre CRISPR-Werkzeuge könnten sich in Zukunft nutzen lassen, um die „Genschere“ CRISPR/Cas zu verbessern und ihre Funktionalität zu erweitern.

Ein weiterer Riesenphage ist der Megasphaera-Phage A9 (alias Huge Phage A9), nicht zu verwechseln mit dem Brochothrix-Phagen A9 (Spezies Brochothrix-Virus A9, Herelleviridae).

Schwanzlose Phagen

Lange Zeit hat die Forschung nur Mitglieder der Ordnung Caudovirales betrachtet, deren Vertreter Phagen (Bakterien- und Archaeenviren) mit Kopf-Schwanz-Struktur sind. Erst in letzter Zeit sind „schwanzlose“ Phagen Gegenstand von Forschungsarbeiten geworden. Einige Vertreter sind:

crAssphagen und Gubaphagen

Camarillo-Guerrero, Almeida et al. beschreiben 2019/2020 die Ergebnisse ihrer Metagenomanalysen der menschlichen Darmflora hinsichtlich Bakteriophagen. Sie machen dabei eine neue Klade aus, genannt „Gubaphagen“ (englisch Gut Bacteroidales phage, Gubaphage clade) (mit zwei Gattungen: G1 – infiziert Bacteroides, und G2 – infiziert Parabacteroides [en]), die nach den crAssphagen (offiziell Ordnung Crassvirales) mit ca. zehn Gattungen (en. crAsslike phages, aufgrund ihres Podoviren-Morphotyps ursprünglich vorgeschlagene Mitglieder der früheren Familie Podoviridae (ehemalige Ordnung Caudovirales), mit ca. zehn Gattungen) die zweithäufigsten Viren (d. h. Bakteriophagen) in dieser Umgebung darstellen. Die Merkmale der Gubaphagen erinnern dabei an die von „p-crAssphage“. Die Gubaphagen sind wegen ihrer Ähnlichkeit mit den crAssphagen wahrscheinlich ebenfalls Mitglieder der Crassvirales (oder jedenfalls der Caudoviricetes).

Anwendungsgebiete

Phagen haben in Medizin, Biologie, Agrarwissenschaften, vor allem im Bereich der Gentechnik, ein breites Anwendungsspektrum gefunden. So verwendet man Phagen in der Medizin aufgrund ihrer Wirtsspezifität zur Bestimmung von bakteriellen Erregern. Dieses Verfahren nennt man Lysotypie. Aufgrund der immer häufiger auftretenden multiplen Antibiotikaresistenzen wird zurzeit intensiv an der Anwendung von Bakteriophagen als Antibiotika-Ersatz in der Humanmedizin (siehe: Phagentherapie) geforscht. Probleme ergeben sich hierbei durch die geringe Stabilität von Phagen im Körper, da sie in recht kurzer Zeit durch Fresszellen als Fremdkörper beseitigt werden. Diese Anwendung von Phagen zur Therapie bakterieller Infektionen entdeckte Felix d’Hérelle (s. o.) lange vor Entdeckung des Penicillins und der Antibiotika. Später wurde die Phagentherapie jedoch mit der Einführung der Chemotherapie per Antibiotika als unpraktisch erachtet und geriet in Vergessenheit. D’Hérelle gründete 1934 zusammen mit dem georgischen Mikrobiologen Georgi Eliava in der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik das Eliava-Institut für Phagenforschung, welches heute noch besteht. Heute wird dort sowie am Ludwik-Hirszfeld-Institut für Immunologie und Experimentelle Therapie in Breslau (Teil der Polnischen Akademie der Wissenschaften) die Phagentherapie bei ansonsten therapieresistenten bakteriellen Infektionen durchgeführt. In Deutschland ist die Anwendung zu therapeutischen Zwecken bisher nicht zulässig.

Die Anwendungen in der Lebensmittelproduktion sind vielfältig; so kommt beispielsweise ein Sprühnebel aus Phagen beim Verpacken von Würstchen oder dem Aufschneiden von Käseaufschnitt zum Einsatz.

In der Gentechnik werden temperente Phagen als Vektoren (z. B. der Phage λ) benutzt. Hierzu werden Phagen so präpariert, dass ihrem Genom die Gene, welche die Virulenz hervorrufen, entnommen und durch Gene ersetzt werden, die für gentechnische Belange interessant sind, so beispielsweise Gene, die zur Insulinproduktion benötigt werden. Diese veränderten Phagen werden nun mit geeigneten Bakterien, zum Beispiel E. coli, in Kontakt gebracht. Nach einer Überprüfung, ob das gewünschte Gen in die Erbsubstanz des Bakteriengenoms integriert wurde (man bedient sich hierzu genexprimierter Antibiotikaresistenzen, die an die zu klonierenden Wunschgene angeschlossen werden), können die modifizierten Bakterienzellen weiterkultiviert werden und das in diesem Falle produzierte Insulin isoliert werden. Ähnlich werden Phagen in der Agrartechnik zur Transduktion bestimmter Gene in Nutzpflanzen eingesetzt. Eine wichtige Anwendung in der Biochemie ist das Phagen-Display zur Identifikation von Bindungspartnern, z. B. bei der Isolierung neuer Wirkstoffe.

Einfacher als die Nutzung von Phagen ist jedoch die Transformation freier DNA, die heutzutage überwiegend zum Transfer in die Bakterienzellen verwendet wird.

Phagen und deren Bestandteile werden für die Entfernung von mikrobiellen Verunreinigungen in Lebensmitteln (z. B. per affinitätsmagnetische Separation) sowie mit Endotoxinen kontaminierten Laborproben verwendet. Des Weiteren ergeben sich humandiagnostische Anwendungen, vor allem im klinischen Bereich zur Dekolonisierung von pathogenen Krankenhauskeimen wie MRSA. Durch Proteindesign lassen sich die Phagenproteine zum jeweiligen Anwendungszweck optimieren.

Möglicher wirtschaftlicher Schaden

Bakteriophagen können überall dort Schaden anrichten, wo bakterielle Prozesse dem Menschen dienen und erwünscht sind. Infektion von Milchsäurebakterien (LAB) durch Phagen aus Rohmilch ist die häufigste Ursache für verringerte oder fehlende Enzymaktivität in Starterkulturen für die Käse- oder Dickmilchproduktion.

Klassifikation

Prokaryoten infizierende Viren (Bakterien- und Archaeenviren; der Begriff „Bakteriophagen“ umfasst herkömmlich auch Viren der Archaeen, da diese ursprünglich nicht von den Bakterien unterschieden wurden) bilden keine geschlossene Verwandtschaftsgruppe (Taxon). Für viele Gruppen dieser Viren finden sich noch informelle Bezeichnungen nach ihren Wirten (s. o.), z. B. Cyanophagen (Cyanobakterien), Coliphagen (Colibakterium E. coli) und stellen meist ebenfalls keine Verwandtschaftsgruppen dar. Eine weitere Besonderheit sind Satellitenviren, deren Helferviren Bakteriophagen sind; diese werden gelegentlich Satellitenphagen genannt. Ein Beispiel ist „Escherichia-Phage P4“ (Caudoviricetes), der den Coliphagen P2 (Caudoviricetes: Peduoviridae, Gattung Peduovirus) als Helfervirus benötigt.

Klassifikation nach Baltimore

Nach der Baltimore-Klassifikation lassen sich Phagen-Familien (inkl. Archaeenviren) anhand des Aufbaus ihres Genoms wie folgt gruppieren:

  • dsDNA-Phagen:

Taxonomische Klassifizierung nach ICTV

In der Systematik der Virus-Taxonomie nach dem International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) finden sich Phagen in folgenden taxonomischen Gruppen:

Taxonomie der prokaryotischen Viren (Bakterien- und Archaeen-Viren) nach ICTV
RealmKlasse/OrdnungFamilie/UnterfamilieMorphologieGenomBeispiele
RiboviriaLevivirales Leviviridaeunbehüllt, isometrischssRNA, linearMS2,
Mindivirales Cystoviridaebehüllt, sphärischdsRNA, segmentiertPhi6
VaridnaviriaBelfryvirales Turriviridaebehüllt, isometrischdsDNA, linearSTIV1
Halopanivirales Sphaerolipoviridaebehüllt, isometrischdsDNA, linearPhage SH1
Kalamavirales Tectiviridaeunbehüllt, isometrischdsDNA, linearPRD1
Vinavirales Corticoviridaeunbehüllt, isometrischdsDNA, zirkulärPM2
DuplodnaviriaCaudoviricetes Ackermannviridaeunbehüllt, kontraktiler Schwanz (Myoviren)dsDNA, linearϕMAM1
Autographiviridaeunbehüllt, kontraktiler Schwanz (Podoviren)dsDNA, linearAcinetobacter-Phage P2
Straboviridaeunbehüllt, kontraktiler Schwanz (Myoviren)dsDNA, linearT4
Peduoviridaeunbehüllt, kontraktiler Schwanz (Myoviren)dsDNA, linearColiphage P2
nicht zugeordnetunbehüllt, kontraktiler Schwanz (Myoviren)dsDNA, linearMu, P1
Drexlerviridaeunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (lang) (Siphoviren)dsDNA, linearλ
Hendrixvirinaeunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (lang) (Siphoviren)dsDNA, linearHK97
Demerecviridaeunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (lang) (Siphoviren)dsDNA, linearT5
nicht zugeordnetunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (lang) (Siphoviren)dsDNA, linearN15
Autographiviridaeunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (kurz) (Podoviren)dsDNA, linearT7, T3
Salasmaviridaeunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (kurz) (Podoviren)dsDNA, linearΦ29
nicht zugeordnetunbehüllt, nichtkontraktiler Schwanz (lang) (Podoviren)dsDNA, linearP22
MonodnaviriaHaloruvirales Pleolipoviridaebehüllt, pleomorphssDNA, zirkulär / dsDNA, zirkulär / dsDNA linearHHPV1, HRPV1
Petitvirales Microviridaeunbehüllt, isometrischssDNA, zirkulärΦX174
Tubulavirales Inoviridaeunbehüllt, filamentösssDNA, (meist) zirkulärM13, CTXφ
AdnaviriaLigamenvirales Lipothrixviridaebehüllt, stabförmigdsDNA, linearAFV1
Rudiviridaeunbehüllt, stabförmigdsDNA, linearSIRV1
PrimaviralesTristromaviridaebehüllt, stabförmigdsDNA, linearTTSV1
nicht zugeordnetnicht zugeordnet Ampullaviridaebehüllt, flaschenförmigdsDNA, linearABV
Bicaudaviridaeunbehüllt, zitronenförmigdsDNA, zirkulärATV
Clavaviridaeunbehüllt, stabförmigdsDNA, zirkulärAPBV1
FinnlakeviridaedsDNAFLiP
Fuselloviridaeunbehüllt, zitronenförmigdsDNA, zirkulärSSV1
Globuloviridaebehüllt, isometrischdsDNA, linearPSV
Guttaviridaeunbehüllt, ovoiddsDNA, zirkulärSNDV, APOV1
Plasmaviridaebehüllt, pleomorphdsDNA, zirkulärL2-Phage
Portogloboviridaebehüllt, isometrischdsDNA, zirkulärSPV1
Spiraviridaeunbehüllt, stabförmigssDNA, zirkulãrACV

Die Mitglieder der Familie Picobirnaviridae (Ordnung Durnavirales) scheinen ebenfalls Bakterien zu infizieren, keine Säugetiere.

Eine weitere vorgeschlagene Phagenfamilie sind die „Autolykiviridae“ (dsDNA).

Literatur

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  • Nancy Trun, Janine Trempy: Bacteriophage. In: Nancy Jo Trun, J. E. Trempy, Janine Trempy: Fundamental Bacterial Genetics. Blackwell, Oxford 2003, ISBN 0-632-04448-9; blackwellpublishing.com (PDF; 263 kB).
  • Górski A, Weber-Dabrowska B: The potential role of endogenous bacteriophages in controlling invading pathogens. In: Cellular and Molecular Life Sciences. Band 62. Jahrgang, Nr. 5, März 2005, S. 511–519, doi:10.1007/s00018-004-4403-6, PMID 15747058 (englisch).
  • Forest Rohwer, Merry Youle, Heather Maughan, Nao Hisakawa, Leah L Pantéa: Life in our phage world: a centennial field guide to the Earth’s most diverse inhabitants. Wholon, San Diego (CA) 2014, ISBN 978-0-9904943-0-0.
  • Hans Günther Schlegel, Georg Fuchs (Hrsg.): Allgemeine Mikrobiologie. 8. Auflage. Thieme, Stuttgart 2006, ISBN 3-13-444608-1.
  • Jong-Geol Kim, So-Jeong Kim, Virginija Cvirkaite-Krupovic, Mart Krupovic et al.: Spindle-shaped viruses infect marine ammoniaoxidizing thaumarchaea. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. (PNAS) Band 116, Nr. 31, Juli 2019, Artikel 201905682, doi:10.1073/pnas.1905682116 (Volltext als PDF; auf: researchgate.net).
Wiktionary: Bakteriophage – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Bakteriophagen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  3. SIB: Viruses infecting bacteria. Auf: ViralZone.
  4. Mart Krupovic, Anja Spang, Simonetta Gribaldo, Patrick Forterre, Christa Schleper: A thaumarchaeal provirus testifies for an ancient association of tailed viruses with archaea. In: Biochemical Society Transactions. Band 39, Nr. 1, Januar 2011, S. 82-88, doi:10.1042/BST0390082, PMID 21265751.
  5. Karin Mölling: Supermacht des Lebens. Reisen in die erstaunliche Welt der Viren. 1. Auflage, Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-66969-9.
  6. F. d’Hérelle: Sur un microbe invisible antagoniste des bacilles dysentériques. In: l'Académie des Sciences. Nr. 165, Gauthier-Villars, Paris 1917, S. 373–375.
  7. Richard Lucius, Brigitte Loos-Frank, Richard P. Lane: Biologie von Parasiten. 3., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-662-54862-2, S. 4 (google.de [abgerufen am 17. März 2019]).
  8. T-Phages. NCBI.
  9. Rolf Sauermost, Doris Freudig et al.: T-Phagen.Lexikon der Biologie. Auf: Spektrum.de, abgerufen am 31. Januar 2021. Die Familienzuordnungen entsprechen nicht mehr den aktuellen Stand nach ICTV.
  10. L. McKane, J. J. Ferretti: Phage-host interactions and the production of type A streptococcal exotoxin in group A streptococci. In: Infection and Immunity. Band 34. Jahrgang, Nr. 3, Dezember 1981, S. 915–919, PMID 7037644, PMC 350956 (freier Volltext) (englisch).
  11. Victor Krylov, Maria Bourkaltseva, Elena Pleteneva, Olga Shaburova, Sergey Krylov, Alexander Karaulov, Sergey Zhavoronok, Oxana Svitich, Vitaly Zverev; Julie Thomas, Lindsay Black (Hrsg.): Phage phiKZ—The First of Giants. In: Viruses. Band 13, Nr. 2, 20. Januar 2021, Sonderausgabe: Giant or Jumbo Phages. S. 149, doi:10.3390/v13020149.
  12. 1 2 Audra E. Devoto, Joanne M. Santini et al.: Megaphages infect Prevotella and variants are widespread in gut microbiomes. In: Nature Microbiology. Band 4, 28. Januar 2019, S. 693–700, doi:10.1038/s41564-018-0338-9, insbes. Tbl. 1 und Supplementary Fig. 11 (PDF; 9,2 MB).
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