Das Dezimalsystem (von mittellateinisch decimalis, zu lateinisch decem „Zehn“), auch Positionszahlensystem mit der Basis zehn (10) genannt, ist das Standardsystem zur Bezeichnung ganzer und nicht-ganzer Zahlen. Es ist die Erweiterung des hinduistisch-arabischen Zahlensystems auf nicht-ganze Zahlen. Die Art der Bezeichnung von Zahlen im Dezimalsystem wird oft als Dezimalschreibweise bezeichnet. Ein Zahlensystem, das als Basis die Zahl Zehn (10) verwendet, kann auch als Zehnersystem oder dekadisches System bezeichnet werden.

In der Regel wird darunter speziell das Stellenwertsystem zur Basis 10 verstanden, das in der indischen Zahlschrift entwickelt, durch arabische Vermittlung an die europäischen Länder weitergegeben wurde und heute weltweit als ein internationaler Standard etabliert ist.

Als Dezimalsysteme bezeichnet man jedoch auch Zahlensysteme auf der Basis 10 ohne Stellenwertsystem, die zum Teil in Verbindung mit quinären, vigesimalen oder anders basierten Zahlensystemen, den Zahlwörtern vieler natürlicher Sprachen und älteren Zahlschriften zugrunde liegen.

Anthropologisch wird die Entstehung von Dezimalsystemen – und Quinärsystemen – mit den 5 Fingern der zwei menschlichen Hände in Verbindung gebracht. Diese dienten als Zähl- und Rechenhilfe (Fingerrechnen). Gestützt wird diese Erklärung durch Zahlwörter für 5 („Hand“) und 10 („zwei Hände“) in einigen Sprachen.

Dezimales Stellenwertsystem

Ziffern

Im Dezimalsystem verwendet man die zehn arabischen Ziffern

0 (Null), 1 (Eins), 2 (Zwei), 3 (Drei), 4 (Vier), 5 (Fünf), 6 (Sechs), 7 (Sieben), 8 (Acht), 9 (Neun),

die als Dezimalziffern bezeichnet werden.

Die europäischen Zeichen für diese Ziffern stammen aus dem Maghreb und haben nicht die Form, die im Nahen Osten verwendet wird. Auch indische Schriften verwenden andere Zeichen.

Definition

Eine Dezimalzahl wird im deutschen Sprachraum meistens in der Form

aufgeschrieben; daneben existieren je nach Verwendungszweck und Ort noch weitere Schreibweisen. Dabei ist jedes eine der oben genannten Ziffern. Jede Ziffer hat einen Ziffernwert und je nach Position einen Stellenwert. Der Ziffernwert liegt in der konventionellen Zählreihenfolge. Der Index legt den Stellenwert fest, dieser ist die Zehnerpotenz . Die Ziffern werden ohne Trennzeichen hintereinander geschrieben, wobei die höchstwertige Stelle mit der Ziffer ganz links und die niederwertigeren Stellen mit den Ziffern bis in absteigender Reihenfolge rechts davon stehen. Zur Darstellung von rationalen Zahlen mit endlicher Entwicklung folgen dann, nach einem trennenden Komma, die Ziffern bis . Im englischen Sprachraum wird statt des Kommas ein Punkt verwendet.

Der Wert der Dezimalzahl ergibt sich also durch Summierung dieser Ziffern, welche vorher jeweils mit ihrem Stellenwert multipliziert werden; zusätzlich ist das Vorzeichen voranzustellen; ein fehlendes Vorzeichen bedeutet ein Plus:

.

Diese Darstellung nennt man auch Dezimalbruch-Entwicklung.

Beispiel:

Mit aufgelösten Potenzen ergibt sich:

Dezimalbruchentwicklung (periodische Dezimalzahlen in Brüche umformen)

Mit Hilfe der Dezimalbruchentwicklung kann man jeder reellen Zahl eine Folge von Ziffern zuordnen. Jeder endliche Teil dieser Folge definiert einen Dezimalbruch, der eine Näherung der reellen Zahl ist. Man erhält die reelle Zahl selbst, wenn man von den endlichen Summen der Teile zur unendlichen Reihe über alle Ziffern übergeht.

Formal wird mit also der Wert der Reihe bezeichnet.

Man sagt, dass die Dezimalbruchentwicklung abbricht, wenn die Ziffernfolge ab einer gewissen Stelle nur noch aus Nullen besteht, die dargestellte reelle Zahl also selbst schon ein Dezimalbruch ist. Insbesondere bei allen irrationalen Zahlen bricht die Ziffernfolge nicht ab; es liegt eine unendliche Dezimalbruchentwicklung vor.

Zur Umformung periodischer Dezimalbruchentwicklungen verwendet man die Beziehungen:

.

Diese Identitäten ergeben sich aus den Rechenregeln für geometrische Reihen, wonach für gilt. Im ersten Beispiel wählt man und beginnt die Summation erst beim ersten Folgenglied.

Beispiele:

Die Periode wird jeweils in den Zähler übernommen. Im Nenner stehen so viele Neunen, wie die Periode Stellen hat. Gegebenenfalls sollte der entstandene Bruch noch gekürzt werden.

Etwas komplizierter ist die Rechnung, wenn die Periode nicht unmittelbar auf das Komma folgt:

Beispiele:

1. Schritt: man multipliziere die Ausgangszahl mit einer Zehnerpotenz so, dass genau eine Periode (im Beispiel die 32) vor dem Komma steht:
2. Schritt: dann multipliziert man die Ausgangszahl mit einer Zehnerpotenz so, dass die Perioden genau hinter dem Komma beginnen:
3. Schritt: man subtrahiere die beiden durch Schritt 1 und 2 entstandenen Zeilen voneinander: (die Perioden hinter dem Komma fallen dadurch weg)
(Zeile 1)
(Zeile 2)
(Zeile 1 minus Zeile 2)
4. Schritt: umstellen
Ergebnis:

Doppeldeutigkeit der Darstellung

Eine Eigenschaft der Dezimalbruchentwicklung (und allgemein jeder -adischen Entwicklung) ist, dass viele rationale Zahlen zwei unterschiedliche Dezimalbruchentwicklungen besitzen. Wie oben beschrieben, kann man umformen und zu der Aussage

gelangen, siehe den Artikel 0,999…. Im dezimalen Fall spricht man von einem Neuner-Ende und im -adischen von einem -Ende.

Die Identität zeigt, dass viele rationale Zahlen (nämlich alle mit endlicher Dezimalbruchentwicklung mit Ausnahme der 0) auf zwei verschiedene Weisen darstellbar sind: entweder als endlicher Dezimalbruch mit Periode 0, oder als unendlicher mit Periode 9. Durch Verbieten einer der beiden Periodenarten kann man Eindeutigkeit der Darstellung erzwingen.

Formel

Für periodische Dezimalbrüche mit einer Null vor dem Komma lässt sich folgende Formel aufstellen:

Dabei ist die rationale Zahl, ihr Zähler, ihr Nenner, die Zahl vor Beginn der Periode (als Ganzzahl), die Anzahl der Ziffern vor Beginn der Periode, die Ziffernfolge der Periode (als Ganzzahl) und die Länge der Periode.

Die Anwendung dieser Formel soll anhand des letzten Beispiels demonstriert werden:

Periode

In der Mathematik bezeichnet man als Periode eines Dezimalbruchs eine Ziffernfolge, die sich nach dem Komma immer wieder wiederholt. Alle rationalen Zahlen, und nur diese, haben eine periodische Dezimalbruchentwicklung.

Beispiele:

Rein periodische: (nach dem Komma beginnt sofort die Periode)
1/3 = 0,33333...
1/7 = 0,142857142857...
1/9 = 0,11111...
Gemischt periodische: (nach dem Komma kommt erst noch eine Vorperiode, bevor die Periode beginnt)
2/55 = 0,036363636... (Vorperiode 0; Periodenlänge 2)
1/30 = 0,03333... (Vorperiode 0; Periodenlänge 1)
1/6 = 0,16666... (Vorperiode 1; Periodenlänge 1)
134078/9900 = 13,543232... (die Vorperiode ist 54; Periodenlänge ist 2)

Auch endliche Dezimalbrüche zählen zu den periodischen Dezimalbrüchen; nach Einfügung unendlich vieler Nullen ist zum Beispiel 0,12 = 0,12000...

Echte (nicht-abbrechende) Perioden treten im Dezimalsystem genau dann auf, wenn sich der Nenner des zugrunde liegenden Bruches nicht ausschließlich durch die Primfaktoren 2 und 5 (die Primfaktoren der Zahl 10) erzeugen lässt.

Ist der Nenner eine von 2 und 5 verschiedene Primzahl, so ist die Periodenlänge eines Bruches ein Teiler von , da 10 dann eine prime Restklasse und damit ist. Die genaue Länge der Periode von (und von allen Brüchen mit ) ist die kleinste natürliche Zahl , bei der in der Primfaktorzerlegung von vorkommt.

Beispiel zur Periodenlänge 6: (106 − 1) = 999.999:

999.999 = 3 · 3 · 3 · 7 · 11 · 13 · 37,
1/7 = 0,142857142857…,
2/7 = 0,285714285714…,
1/13 = 0,076923076923…,
3/13 = 0,230769230769…,
6/13 = 0,461538461538…,
7/13 = 0,538461538461….
Die Beispiele wurden gewählt, um aufzuzeigen, dass bei gleichem Primzahlnenner die Perioden (Ziffernfolgen) für verschiedene Zähler als reine Links-Rechts-Verschiebungen von wenigen Ziffernfolgen vorkommen können – beim Nenner 7 ist es wegen eine einzige, beim Nenner 13 sind es wegen deren zwei.

Sowohl 1/7 als auch 1/13 haben eine Periodenlänge von 6, weil 7 und 13 in der Primfaktorzerlegung von erst ab vorkommen. 1/37 hat jedoch eine Periodenlänge von nur 3, weil bereits (103 − 1) = 999 = 3 · 3 · 3 · 37 ein Vielfaches von 37 ist.

Ist der Nenner keine Primzahl, so ergibt sich die Periodenlänge als die kleinste Zahl , für die der Nenner ein Teiler von ist; eventuelle Primfaktoren 2 und 5 des Nenners bleiben dabei unberücksichtigt.

Beispiele:

1/185 = 1/(5·37) hat die gleiche Periodenlänge wie 1/37, nämlich 3.
1/143 = 1/(11·13) hat die Periodenlänge 6, weil 999.999 = 3 · 3 · 3 · 7 · 143 · 37 (siehe oben)
1/260 = 1/(2·2·5·13) hat die gleiche Periodenlänge wie 1/13, also 6.

Um die Periodenlänge effizient zu bestimmen, kann die Bestimmung der Primfaktorzerlegungen der rasch wachsenden Zahlenfolge 9, 99, 999, 9999 usw. vermieden werden, indem die äquivalente Beziehung genutzt wird, also wiederholtes Multiplizieren (angefangen bei 1) mit 10 modulo des gegebenen Nenners , bis dies wieder 1 ergibt. Zum Beispiel für :

also hat 1/91 im Dezimalsystem die Periodenlänge 6.

Notation

Für periodische Dezimalbruchentwicklungen ist eine Schreibweise üblich, bei der der sich periodisch wiederholende Teil der Nachkommastellen durch einen Überstrich markiert wird. Beispiele sind

,
.

Aufgrund technischer Einschränkungen existieren auch andere Konventionen. So kann der Überstrich vorangestellt, eine typografische Hervorhebung (fett, kursiv, unterstrichen) des periodischen Teils gewählt oder dieser in Klammern gesetzt werden:

1/6 = 0,1¯6 = 0,16 = 0,16 = 0,16 = 0,1(6)
1/7 = 0,¯142857 = 0,142857 = 0,142857 = 0,142857 = 0,(142857)

Nicht-periodische Ziffernfolge

Wie im Artikel Stellenwertsystem erläutert, besitzen irrationale Zahlen (auch) im Dezimalsystem eine unendliche, nicht-periodische Nachkommaziffern-Folge. Irrationale Zahlen können also nicht durch eine endliche und nicht durch eine periodische Ziffernfolge dargestellt werden. Man kann sich zwar mit endlichen (oder periodischen) Dezimalbrüchen beliebig annähern, jedoch ist eine solche endliche Darstellung niemals exakt. Es ist also nur mithilfe zusätzlicher Symbole möglich, irrationale Zahlen durch endliche Darstellungen anzugeben.

Beispiele solcher Symbole sind Wurzelzeichen, wie , Buchstaben wie für die Kreiszahl oder für die Eulersche Zahl, sowie mathematische Ausdrücke wie unendliche Reihen oder Grenzwerte.

Umrechnung in andere Stellenwertsysteme

Methoden zur Umrechnung von und in das Dezimalsystem werden im Artikel zum Stellenwertsystem und in Artikeln zu anderen Stellenwertsystemen beschrieben: Dualsystem, Ternärsystem, Oktalsystem, Duodezimalsystem, Hexadezimalsystem.

Geschichte

Einer der ältesten Hinweise auf das Dezimalsystem prähistorischer Kulturen findet sich in einem Hortfund von Oberding aus der frühen Bronzezeit (um 1650 v. Chr.) mit 791 weitgehend standardisierten Spangenbarren aus Kupfer aus dem Salzburger Land und der Slowakei. Die Mehrzahl dieser Barren war in Gruppen zu 10 mal 10 Bündeln abgelegt worden.

Dezimale Zahlensysteme – noch ohne Stellenwertsystem und ohne Darstellung der Null – lagen im Altertum unter anderem den Zahlschriften der Ägypter, Minoer, Griechen und Römer zugrunde. Es handelte sich dabei um additive Zahlschriften, mit denen beim Rechnen Zahlen zwar als Gedächtnisstütze niedergeschrieben, aber arithmetische Operationen im Wesentlichen nicht schriftlich durchgeführt werden konnten: Diese waren vielmehr mit Kopfrechnen oder mit anderen Hilfsmitteln wie den Rechensteinen (griech. psephoi, lat. calculi, im Spätmittelalter auch Rechenpfennige oder franz. jetons genannt) auf dem Rechnen auf Linien und möglicherweise mit Fingerrechnen zu leisten.

Den in römischer und mittelalterlicher Zeit verbreiteten, in etwas anderer Form auch in der arabischen Welt gebrauchten Fingerzahlen lag ein dezimales System für die Darstellung der Zahlen 1 bis 9999 zugrunde, ohne Zeichen für Null, und mit einem Positionssystem eigener Art. Hierbei wurden durch genau festgelegte Fingerstellungen auf der linken Hand mit kleinem, Ring- und Mittelfinger die Einer 1 bis 9 und mit Zeigefinger und Daumen die Zehner 10 bis 90 dargestellt, während auf der rechten Hand die Hunderter mit Daumen und Zeigefinger spiegelbildlich zu den Zehnern und die Tausender mit den drei übrigen Fingern spiegelbildlich zu den Einern dargestellt wurden. Diese Fingerzahlen sollen nicht nur zum Zählen und zum Merken von Zahlen, sondern auch zum Rechnen verwendet worden sein; die zeitgenössischen Schriftquellen beschränken sich jedoch auf die Beschreibung der Fingerhaltungen und geben keine nähere Auskunft über die damit durchführbaren rechnerischen Operationen.

Auf den Rechenbrettern des griechisch-römischen Altertums und des christlichen Mittelalters stand (demgegenüber) für die Darstellung ganzer Zahlen ein vollwertiges dezimales Stellenwertsystem zur Verfügung, indem für eine gegebene Zahl die Anzahl ihrer Einer, Zehner, Hunderter usw. durch Rechensteine in entsprechenden vertikalen Dezimalspalten dargestellt wurde. Auf dem antiken Abakus geschah dies durch Ablegen oder Anschieben einer entsprechenden Anzahl von Calculi in der jeweiligen Dezimalspalte, wobei zusätzlich eine Fünferbündelung praktiziert wurde, indem je fünf Einheiten durch einen einzelnen Calculus in einem seitlichen oder oberen Sonderbereich der Dezimalspalte repräsentiert wurden. Auf dem Klosterabakus des Frühmittelalters, der häufig mit Gerbert von Aurillac verbunden wird und vom 10. bis 12. Jahrhundert in Gebrauch war, wurde stattdessen die Anzahl der Einheiten in der jeweiligen Dezimalspalte nur durch einen einzelnen Stein dargestellt, der mit einer Zahl von 1 bis 9 beziffert war. Obwohl ein Rechenstein mit einer aus dem Arabischen stammenden Ziffer für Null (mittellateinisch cifra) zur Verfügung stand, wurde er beim abazistischen Rechnen für einen anderen Zweck verwendet – das war eine im 10. bis 12. Jahrhundert auf dem Gerbertschen Abakus gebräuchliche Rechenmethode. Das spätere Mittelalter und die Frühe Neuzeit kehrte wieder zur Verwendung unbezifferter Rechensteine zurück, welche die Spalten – nunmehr horizontal gezogenen Linien – entweder für dezimales Rechnen mit ganzen Zahlen an der Basiszahl 10 (mit Fünferbündelung), oder für das Finanzrechnen an den aus dem karolingischen Münzwesen (1 Pfund = 20 Schilling = 240 Pfennig) ererbten monetären Grundeinheiten verwendete. Auf den antiken wie auf den mittelalterlichen Varianten dieses Hilfsmittels erfolgte die Darstellung des Wertes Null jeweils durch Freilassen der betreffenden Dezimalspalte bzw. Linie, so auch auf dem Abakus. Mithilfe der antiken und mittelalterlichen Rechenbretter ließen sich Addition und Subtraktion erheblich vereinfachen, während sie für Multiplikation und Division wenig geeignet waren oder verhältnismäßig komplizierte Operationen erforderten, die besonders für den Klosterabakus in mittelalterlichen Traktaten beschrieben wurden und in ihrer Schwierigkeit berüchtigt waren.

Eine Zahlschrift mit vollwertigem Stellenwertsystem, bei dem auch die Position des Zahlzeichens dessen Wert bestimmt, entwickelten zuerst die Babylonier auf der Basis 60 und ergänzten es vermutlich schon vor dem 4. Jahrhundert vor Chr. auch um ein eigenes Zeichen für Null. Eine Zahlschrift mit Stellenwertsystem auf der Basis 10, aber noch ohne Zeichen für die Null, entstand in China vermutlich bereits einige Jahrhunderte vor der Zeitenwende (in Einzelheiten bezeugt seit dem 2. Jahrhundert vor Chr.), wahrscheinlich mithilfe von Rechenstäbchen auf einer schachbrettartig eingeteilten chinesischen Variante des Abakus, und wurde erst unter indischem Einfluss seit dem 8. Jahrhundert auch um ein Zeichen für Null ergänzt.

In Indien selbst sind die Anfänge des positionellen Dezimalsystems mit Zeichen für die Null nicht sicher zu bestimmen. Die ältere Brahmi-Zahlschrift, die vom 3. bis zum 8. Jahrhundert in Gebrauch war, verwendete ein dezimales System mit Ansätzen zu positioneller Schreibung, aber noch ohne Zeichen für Null. Die älteste indische Form der heutigen indo-arabischen Ziffern, mit aus der Brahmi-Zahlschrift herzuleitenden Zeichen für 1 bis 9 und einem Punkt oder kleinen Kreis für Null, ist durch sicher datierbare epigraphische Zeugnisse zuerst außerhalb Indiens seit dem 7. Jh. in Südostasien als indischer Export und in Indien selbst seit dem 9. Jahrhundert zu belegen; man nimmt jedoch an, dass die Verwendung dieses Ziffernsystems in Indien bereits im 5. Jahrhundert begann. Das gleiche positionelle Dezimalsystem mit Zeichen für Null lag auch dem in etwa gleichzeitigen gelehrten Zahlwortsystem indischer Astronomen zugrunde, in dem umschreibende Ausdrücke wie „Anfang“ (1), „Augen“ (2), „die drei Zeitstufen“ (3) für die Zahlen 1 bis 9 und „Himmel“, „Leere“, „Punkt“ oder andere Wörter für Null gemäß ihrem dezimalen Stellenwert als sprachliche Umschreibung mehrstelliger Zahlen gereiht wurden. Als frühes Zeugnis einer solchen positionellen Setzung von in diesem Fall weitgehend unmetaphorischen sprachlichen Zahlenbezeichnungen gilt bereits das 458 in Prakrit verfasste Lokavibhaga, das allerdings nur in einer späteren Sanskritübersetzung erhalten ist. Voll ausgebildet findet sich das umschreibende Zahlwortsystem dann bei Bhaskara I. (7. Jh.).

Von den Arabern und den von ihnen arabisierten Völkern wurde für die Schreibung von Zahlen zunächst das dezimale additive System der alphabetischen griechischen Zahlschrift, anfangs vermittelt durch hebräisches und syrisches Vorbild, übernommen und auf die 28 Buchstaben des arabischen Alphabets übertragen. Spätestens seit dem 8. Jahrhundert wurden jedoch zuerst im arabischen Orient und im Verlauf des 9. Jahrhunderts dann auch in Nordafrika und Al-Andalus die indischen Ziffern und darauf beruhenden Rechenmethoden bekannt. Die früheste Erwähnung findet sich im 7. Jahrhundert durch den syrischen Bischof Severus Sebokht, der das indische System ausdrücklich lobt. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung in der arabischen und der westlichen Welt spielte Muhammad ibn Musa al-Chwarizmi, der die neuen Ziffern nicht nur in seinen mathematischen Werken verwendete, sondern um 825 auch eine nur in lateinischer Übertragung erhaltene Einführung Kitāb al-Dschamʿ wa-l-tafrīq bi-ḥisāb al-Hind („Über das Rechnen mit indischen Ziffern“) mit einer für den Anfänger geeigneten Beschreibung des Ziffernsystems und der darauf beruhenden schriftlichen Grundrechenarten verfasste.

Im 10./11. Jahrhundert waren im lateinischen Westen bereits westarabische oder daraus abgeleitete Ziffern (apices genannt) auf den Rechensteinen des Klosterabacus aufgetaucht. Sie wurden aber nicht auch darüber hinaus als Zahlschrift oder sogar für schriftliches Rechnen verwendet. Zusammen mit dem Klosterabacus gerieten sie wieder in Vergessenheit. Al-Chwarizmi verhalf seit dem 12. Jahrhundert in lateinischen Bearbeitungen und daran anknüpfenden volkssprachlichen Traktaten dem indischen Ziffernrechnen zum Durchbruch. Deren Anfangsworte Dixit Algorismi bewirkten, dass „Algorismus“, die lateinische Wiedergabe seines Namens, sich weithin als Name dieser neuen Rechenkunst etablierte. Besonders in Italien, wo Leonardo Fibonacci es in seinem Liber abbaci auch aus eigener, in Nordafrika erworbener Kenntnis bekannt machte, konnte das indische Ziffernrechnen seit dem 13. Jahrhundert den Abacus (mit unbezifferten Rechensteinen) im Finanzwesen und kaufmännischen Bereich nahezu vollständig verdrängen und sogar dessen Namen (abbaco) annehmen. In übrigen Ländern wurde es zwar zum Gegenstand des wissenschaftlichen und kaufmännischen Unterrichts, besaß bis zur Frühen Neuzeit aber im Rechnen auf Linien einen übermächtigen Konkurrenten. Auch als einfache Zahlschrift für die praktischen Zwecke des Niederschreibens von Zahlen und des Nummerierens, für die kein Stellenwertsystem benötigt wird, konnten sich die indo-arabischen Ziffern erst seit der frühen Neuzeit allmählich gegen die römischen Zahlen durchsetzen.

Siehe auch

Literatur

  • John D. Barrow: Warum die Welt mathematisch ist / John D. Barrow. Aus dem Engl. und mit einem Nachwort von Herbert Mehrtens. Campus-Verl., Frankfurt/Main 1993, ISBN 3-593-34956-6.
  • Georges Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen. Mit Tab. und Zeichn. des Autors. Parkland-Verl., Köln 1998, ISBN 3-88059-956-4.
  • Karl Menninger: Zahlwort und Ziffer. Bd. 2. Zahlschrift und Rechnen. Vandenhoeck & Ruprecht, 1958.
  • John M. Pullan: The History of the Abacus. Hutchinson, London 1968.
Wiktionary: Dezimalsystem – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Louis Charles Karpinski: Die Geschichte der Arithmetik. Hrsg.: Rand McNally und Co. Chicago 1925, S. 200 ff.
  2. Lam Lay Yong, Ang Tian Se: Fleeting Footsteps: Tracing The Conception Of Arithmetic And Algebra In Ancient China (Revised Edition). World Scientific, Singapur 2004.
  3. Harald Haarmann: Weltgeschichte der Zahlen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56250-1, S. 29.
  4. Folge A051626 in OEIS
  5. Harald Krause, Sabrina Kutscher u. a.: Europas größter Spangenbarrenhort: Der frühbronzezeitliche Kupferschatz von Oberding. In: Matthias Wemhoff, Michael M. Rind: Bewegte Zeiten: Archäologie in Deutschland. Berlin, Petersberg 2018, S. 167 ff.
  6. J. Stolz: Erste Nachweise des Dezimalsystems? Der frühbronzezeitliche Spangenbarrenhort von Oberding. In: Restauro. Zeitschrift für Konservierung und Restaurierung, 8. Jahrgang 2017, S. 14–19.
  7. Menninger: Zahlwort und Ziffer (1958), II, S. 3ff.; Karl-August Wirth, Art. Fingerzahlen. In: Otto Schmidt (Hrsg.): Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Band VIII, Metzler Verlag, Stuttgart 1987, Sp. 1229–1310; Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 87.
  8. Menninger: Zahlwort und Ziffer (1958), II, S. 104ff.; Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 136ff.; Pullan, History of the Abacus (1968), S. 16ff.
  9. Menninger: Zahlwort und Ziffer (1958), S. 131ff; Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 530ff.; Werner Bergmann: Innovationen im Quadrivium des 10. und 11. Jahrhunderts. Studien zur Einführung von Astrolab und Abacus im lateinischen Mittelalter, Steiner Verlag, Stuttgart 1985 (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 26), S. 57ff., S. 174ff.
  10. „*cifra, f.“ In: Mittellateinisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities. Januar 2023, abgerufen am 20. Mai 2023.
  11. Alfred Nagl: Die Rechenpfennige und die operative Arithmetik. In: Numismatische Zeitschrift 19 (1887), S. 309–368; Menninger: Zahlwort und Ziffer (1958), II, S. 140ff.; Pullan: History of the Abacus (1968), passim
  12. Francis P. Barnard: The Casting-Counter and the Counting-Board. A Chapter in the History of Numismatics and Early Arithmetic, Clarendon Press, Oxford 1916; Menninger: Zahlwort und Ziffer (1958), II, S. 152ff., S. 165, S. 178, S. 182f.; Pullan: History of the Abacus (1968), S. 52ff.; Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 146ff.
  13. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 411ff., S. 420.
  14. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 428ff., S. 511ff.
  15. Ifrah. Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 504ff.
  16. Ifrah. Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 486ff.
  17. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 498ff.
  18. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 493ff.
  19. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 499f.
  20. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 307ff.
  21. Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen (1998), S. 533ff.
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