Als Hominisation (auch Anthropogenese, selten Anthropogenie) wird die evolutive Herausbildung des Merkmalsgefüges bezeichnet, das für den anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) charakteristisch ist.
Im Verlauf der Hominisation haben sich sowohl seine körperlichen Eigenschaften als auch seine geistigen Fähigkeiten herausgebildet. Hierzu gehören insbesondere der aufrechte Gang, das Gebiss mit verkürztem, parabolischem Zahnbogen und kleinen Eckzähnen sowie der späte Eintritt der Geschlechtsreife; ferner die Vergrößerung des Gehirns und die hiermit verbundenen kulturellen und sozialen Fähigkeiten, die heute lebende Menschen und deren Vorfahren von den anderen Menschenaffen unterscheiden.
Anhand von Fossilfunden und molekularbiologischen Datierungen wird der Beginn der Hominisation in die Zeit vor 7 bis 5 Millionen Jahren datiert, als sich die Entwicklungslinie der Schimpansen von der zum Menschen führenden Entwicklungslinie der Hominini trennte.
Auch in der Gegenwart ist die Evolution des Menschen nicht zum Stillstand gekommen.
Anatomische Besonderheiten und Verhalten
Die folgenden Merkmale unterscheiden, dem US-amerikanischen Anatomen C. Owen Lovejoy zufolge, den anatomisch modernen Menschen (den Homo sapiens) von den anderen Arten der Menschenaffen: der aufrechte Gang, ein großer Neocortex (ein Bereich der Großhirnrinde), verkleinerte Schneidezähne und Eckzähne, ein einzigartiges sexuelles und reproduktives Verhalten sowie materielle Kultur. Chris Stringer verwies ferner auf einen großen, rundlichen Schädel (bedingt durch das stark gewölbte Scheitelbein), allenfalls sehr kleine Überaugenwülste und einen Knochenvorsprung (das Kinn) am Unterkiefer.
Leslie Aiello nannte 2014 folgende Merkmale: „großer, gradliniger Oberkörper, verlängerte Beine, großes Gehirn, verringerter Sexualdimorphismus, verstärkter Fleischkonsum, einzigartige Merkmale der Lebensgeschichte (z. B. verlängerte Embryonal- und Fötalphase sowie Langlebigkeit), ferner Herstellung von Werkzeugen und gesteigerte soziale Kooperation.“ Große genetische und morphologische Unterschiede im Vergleich mit Schimpansen weist ferner die Haut auf.
Eines der ältesten menschenähnlichen anatomischen Merkmale ist die Gestalt des Amboss im Mittelohr, die bereits für Australopithecus africanus und Paranthropus robustus belegt ist und sich vermutlich schon bei deren letztem gemeinsamen Vorfahren von der Gestalt des Amboss bei den Schimpansen unterschied. Die Brustwirbelsäule bestand bereits beim 3,3 Millionen Jahre alten Fossil DIK 1-1, einem jugendlichen Australopithecus afarensis, wie bei den meisten späteren Hominini aus 12 Wirbeln und nicht, wie bei den meisten Schimpansen, aus 13 Wirbeln.
Ein Vergleich von Skelettfunden des frühen Homo aus unterschiedlichen Regionen Afrikas und Georgiens – ohne Berücksichtigung ihrer Zuordnung zu bestimmten Arten – ergab Hinweise auf erhebliche regionale Größen- und Gewichtsunterschiede (siehe Tabelle).
Fundort und Alter | Körpergröße | Körpergewicht |
---|---|---|
Koobi Fora, jünger als 1,7 mya | 157 – 178 cm | 60 – 81 kg |
Südafrikanische Höhlen, 1,8 bis 1,4 mya | 136 – 159 cm | 32 – 62 kg |
Olduvai-Schlucht, 1,75 mya | 134 – 162 cm | 38 – 65 kg |
Dmanissi, 1,8 mya | 147 – 153 cm | 46 – 53 kg |
Koobi Fora, älter als 1,8 mya | 148 – 168 cm | 39 – 68 kg |
Ungeklärt ist bislang die Frage, warum sich die zum Menschen führende Entwicklungslinie von jener getrennt hat, die zu den Schimpansen führte. Der polnische Humanbiologe Bogusław Pawłowski bezeichnete dies als „eines der größten Rätsel der menschlichen Evolution“.
Aufrechter Gang
Anhand der Skelettmerkmale zahlreicher Fossilfunde konnte belegt werden, dass sich der aufrechte, zweibeinige Gang (Bipedie) in der Familie der Menschenaffen deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns. C. Owen Lovejoy bezeichnete 1988 den Übergang zum aufrechten Gang als die augenfälligste Veränderung der Anatomie, die man in der gesamten Evolutionsbiologie bisher nachgewiesen habe.
Richard Leakey zufolge ist diese Veränderung derart einzigartig, „dass wir berechtigt sind, alle Arten von zweibeinigen Menschenaffen als menschlich [human] zu bezeichnen.“ Eine so weitgehende Festlegung ist allerdings in Fachkreisen umstritten, da nicht alle Fossilfunde von zumindest zeitweise aufrecht gehenden, menschenaffen-ähnlichen Individuen der unmittelbaren Vorfahrenreihe des Menschen zuzuordnen sind und sich der aufrechte Gang demnach mehrfach unabhängig voneinander im Formenkreis der Menschenaffen entwickelt zu haben scheint.
Möglich war dies, weil bereits im mittleren Miozän – vor rund 10 Millionen Jahren – bei den Vorfahren der Menschenaffen die zuvor arborikal-quadrupede (vorwärts geneigt und vierbeinig über Ästen schreitende) Fortbewegungsweise in eine suspensorische (unter den Ästen hangelnde) Fortbewegungsweise übergegangen war, was eine allmählich fortschreitende Umgestaltung von Armen, Beinen und Rumpfskelett zur Voraussetzung hatte. Diese Umgestaltung, die bei vielen Primaten-Arten des Miozäns nachweisbar ist, gilt wiederum als bedeutende Voranpassung für den späteren Übergang zu einer bodenlebenden, zweibeinig-aufrechten Fortbewegungsweise. Die markantesten Veränderungen am Fuß betrafen Bau und Zusammenspiel der Zehen- und Mittelfußknochen, die ursprünglich ein Greiforgan waren.
Aus dem Knochenbau von Fossilien wie „Little Foot“ und „Lucy“ konnte abgeleitet werden, dass schon die Individuen der Gattung Australopithecus über größere Strecken hinweg aufrecht gehen konnten. Bestätigt wurde diese Interpretation 1979, als in Laetoli 3,6 Millionen Jahre alte fossile Fußspuren von Australopithecus afarensis entdeckt wurden, die dessen bipede Fortbewegungsweise konserviert hatten. Umstritten blieb jedoch, ob Australopithecus afarensis – vergleichbar einem Schimpansen – mit ständig angebeugtem Kniegelenk und Hüftgelenk lief oder wie der anatomisch moderne Mensch energetisch günstiger mit durchgedrücktem Knie. Erst im Jahr 2010 erbrachte ein biomechanisches Experiment den Nachweis, dass die versteinerten Fußspuren ein Abdruckprofil konserviert haben, das weitgehend dem der heute lebenden Menschen gleicht: Beim aufrechten Gehen ist die Abdrucktiefe von Zehen und Ferse annähernd gleich; beim Schimpansen-artigen Gehen drücken sich die Zehen tiefer in den Boden als die Ferse. Demnach hat sich ein – hinsichtlich der Bewegungsabläufe und der Energieeffizienz – menschenähnlicher aufrechter Gang bereits lange vor dem Entstehen der Gattung Homo entwickelt; gleichwohl sind individuelle ontogenetische Anpassungen des Fußes infolge häufigen Kletterns auch beim anatomisch modernen Menschen noch nachweisbar. Vor rund zwei Millionen Jahren existierten in Südafrika zudem neben den aufrecht gehenden Arten nah verwandte Arten, deren Knochenbau in erster Linie eine Anpassung ans Klettern zeigt.
Ältester fossiler Beleg für einen von seiner Funktion her dem Menschen vergleichbaren Fuß ist ein vollständig erhaltener, 3,2 Millionen Jahre alter Mittelfußknochen von Australopithecus afarensis aus Hadar (Sammlungsnummer AL 333-160), dessen Merkmale sowohl das Vorhandensein eines Längsgewölbes als auch eines Quergewölbes erkennen lassen. Wie die gerade, nicht-gebogene Form des Knochens und noch erkennbare Ansatzstellen der Muskeln belegen, war seinerzeit der Übergang von einem für das Klettern im Geäst optimierten Greiffuß mit leicht gebogenem Mittelfußknochen zu einem als „Stoßdämpfer“ beim aufrechten Laufen fungierenden Fußgewölbe bereits weit fortgeschritten.
Einen weiteren direkten Beweis für eine Form der aufrechten, zweibeinigen Fortbewegungsweise, die im Wesentlichen mit der heute lebender Menschen vergleichbar ist, liefern ferner bei Laetoli freigelegte, 1,51 bis 1,53 Millionen Jahre alte und Homo erectus zugeschriebene Fußspuren. Den Analysen zufolge waren die Zehen relativ kurz, der große Zeh war – anders als bei Affen und noch beim 4,4 Millionen Jahre alten Fossil Ardi – parallel zu den anderen Zehen ausgerichtet; die Füße waren wie bei den heute lebenden Menschen ein wenig nach oben gewölbt. Beim Laufen verlagerte sich das Gewicht von der Ferse zum Ballen. Aus den Abständen der Fußabdrücke sowie aus ihrer Größe und Tiefe schlossen die Forscher, dass die Erzeuger der Spuren eine ähnliche Körpergröße und ein ähnliches Gewicht wie die heutigen Menschen besaßen.
Ungeklärt ist hingegen bisher, ob die unter Primaten einzigartige Befähigung des Menschen zum Ausdauerlaufen – beispielsweise zum Bewältigen eines Marathonlaufs – eine bloße Begleiterscheinung der Befähigung zum aufrechten Gehen ist oder ob sie sich infolge eines gesonderten Selektionsdrucks entwickelte.
Historisches
Schon Darwin hatte den aufrechten Gang des Menschen als „eines seiner auffallendsten Merkmale“ bezeichnet und über die Gründe seines Entstehens bei den „Urerzeuger[n] des Menschen“ zugleich spekuliert: „Sie würden dadurch besser im Stande gewesen sein, sich mit Steinen und Keulen zu vertheidigen oder ihre Beute anzugreifen oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen.“ Die Befreiung der Hände von der Mithilfe beim Laufen und die damit verbundene Möglichkeit zum Werkzeuggebrauch wurde danach auch von anderen Forschern als der primäre Selektionsfaktor für das Entstehen der Bipedie angesehen. Erst in jüngerer Zeit und nach der Entdeckung zusätzlicher homininer Fossilien wurde es zur Gewissheit, dass der aufrechte Gang mindestens 1,5 Millionen Jahre früher belegt ist als der Gebrauch von Werkzeugen. Zugleich ging aus paläoökologischen und paläoklimatologischen Befunden hervor, dass das Auftreten der anatomischen Merkmale für aufrechtes Gehen streng korreliert mit einem kälteren und trockeneren Klima und der Ausbreitung von offenen Savannen in Afrika. Vermutet wird daher, dass die von Darwin als „Urerzeuger des Menschen“ bezeichneten Homininen neue Strategien entwickelten, um weiterhin Nahrung zu finden, weswegen sie auch größere Strecken am Boden zurücklegen mussten.
Zum Entstehen des aufrechten Ganges gibt es zahlreiche weitere Hypothesen, die einander nicht unbedingt ausschließen.
Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen
Nach Auffassung eines Forscherteams um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham und Robin Crompton von der Universität Liverpool könnte sich der aufrechte Gang bereits bei den noch überwiegend auf Bäumen lebenden Vorfahren des Menschen entwickelt haben, um auf diese Weise zum Beispiel die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Die Forscher hatten ein Jahr lang Orang-Utans auf Sumatra beobachtet und 2007 darüber berichtet. Diese Menschenaffen verbringen ihr ganzes Leben auf Bäumen und könnten daher als ein Modell dafür gelten, wie unsere Vorfahren vor mehreren Millionen Jahren gelebt haben. Die Analyse von rund 3000 Bewegungen ergab, dass die Orang-Utans sich auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen fortbewegen, sich dabei mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten und mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mitteldicken Zweigen lassen sie sich dagegen eher hängen, sehr dicke Äste werden im Vierfüßler-Gang gemeistert. Dieser Argumentation zufolge wären die frühen Vorfahren das Menschen bereits in einer Epoche, als sie noch überwiegend auf Bäumen lebten, zumindest zeitweise auf zwei Beinen unterwegs gewesen. Erst später, als viele afrikanische Regenwälder während einer Trockenperiode nach und nach verschwanden, hätten sie mit dem „Umzug“ auf den Boden reagiert, wo sie den aufrechten Gang weiter entwickelten und schließlich perfektionierten. Die andere evolutive Linie, die zu den heutigen Schimpansen und Gorillas führte, habe hingegen einen Vierfüßer-Gang auf den Handknöcheln (den sogenannten Knöchelgang) entwickelt, um in den ausgedünnten Wäldern rasch von einem Baum zum nächsten gelangen zu können.
Unterstützt wird diese Hypothese durch die Tatsache, dass einige Homininifunde aus Gegenden stammen, die zu ihren Lebzeiten eindeutig bewaldet waren. Dies gilt zum Beispiel für den im Jahr 2000 entdeckten Orrorin und für Australopithecus-Funde wie „Lucy“. Gestützt wird diese Hypothese ferner durch genaue Analysen des 4,4 Millionen Jahre alten Skeletts Ardi von Ardipithecus ramidus. Friedemann Schrenk beschrieb dessen Fortbewegungsweise so: „Spannend ist die Konstruktion von Ardis Fuß. Er war so gebaut, dass sie grazil auf den Zweigen spazieren konnte. Sie hangelte sich also nicht an ihnen entlang, wie das Schimpansen tun.“ Ein Vergleich der Handgelenk-Knochen von Schimpansen und Gorillas ergab zudem, dass deren Knöchelgang sich unabhängig voneinander entwickelte, dass deren letzter gemeinsamer Vorfahre also noch nicht diese Laufhaltung aufwies. Hieraus wurde abgeleitet, dass die Hominini ebenfalls nicht von Vorfahren mit Knöchelgang abstammen. Auch der 2019 publizierte Fund von Danuvius guggenmosi wurde als Bestätigung dieser Hypothese interpretiert.
Auch Beobachtungen an frei lebenden Schimpansen in Tansania wurden 2022 dahingehend interpretiert, dass sich die Fähigkeit zur zweibeinigen Fortbewegung bereits bei Baumbewohnern herausgebildet habe.
Hypothese vom Zusammenhang von aufrechtem Gang und Nahrungsaufnahme
Eine Hypothese zum Entstehen des aufrechten Ganges infolge der Nahrungsaufnahme in einer bestimmten Haltung („postural feeding hypothesis“) wurde vom Paläoanthropologen Kevin D. Hunt von der Indiana University ins Gespräch gebracht. Diese Theorie macht geltend, dass Schimpansen bei der Nahrungsaufnahme regelmäßig zweibeinig seien. Auf dem Boden würden sie nach oben greifen, um an Früchte zu gelangen, die von kleineren Bäumen hingen, und auf den Bäumen würde die Fähigkeit zur zeitweiligen Bipedie beim Greifen nach einem über ihnen befindlichen Ast genutzt. Diese zweibeinigen Bewegungen entwickelten sich der Theorie zufolge zu häufigeren Gewohnheiten.
Hunts Hypothese kann zwar als Vorläufer zur Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen beschrieben werden, sie wurde jedoch 2009 durch die Analysen des Körperbaus von Ardipithecus ramidus „falsifiziert“, wie C. Owen Lovejoy ausdrücklich anmerkte.
Savannen-Hypothese
Als Savannen-Hypothese wurde die Annahme bezeichnet, die Evolution der Bipedie sei bei den Menschenaffen vor rund 7 bis 8 Millionen Jahren dadurch in Gang gekommen, dass die damals noch in Wäldern lebenden Arten ihren Lebensraum in offene, baumlose Savannen verlegt und dort zum aufrechten Gehen gefunden hätten; schon Jean-Baptiste de Lamarck (1744–1829) hatte dies vermutet. Diese Hypothese gilt heute aufgrund zahlreicher Fossilfunde als widerlegt, da die frühesten aufrecht gehenden und daher zu den Hominini gestellten Gattungen wie Sahelanthropus und Orrorin keine reinen Savannen-Bewohner waren, sondern in Galeriewäldern lebten. Auch Ardipithecus ramidus lebte in einer Umwelt, die „Habitate aus geschlossenem Waldland und aufgelockertem Baumbestand umfasste.“
Als unerheblich für das Entstehen des aufrechten Gangs gilt daher heute auch das thermoregulatorische Modell, das der Zoologe und Evolutionsbiologe Peter Wheeler von der Liverpool John Moores University ab 1983 ins Gespräch gebracht hatte. Er hatte unter anderem argumentiert, die Bipedie habe sich entwickelt, weil diese Körperhaltung das Gehirn beim Aufenthalt in der offenen Savanne vor Überhitzung geschützt habe: Je höher der Körper eines Menschenaffen sich über den Boden erhoben habe, desto eher sei er höheren, kühlenden Windgeschwindigkeiten ausgesetzt gewesen.
Gleichwohl gehen Forscher davon aus, dass der aufrechte Gang im vor 4 Millionen Jahren nachgewiesenermaßen heißen afrikanischen Lebensraum der Hominini auch aus klimatischen Gründen vermutlich vorteilhaft war und dass die von Wheeler in den 1980er- und 1990er-Jahren herausgestellten thermoregulatorischen Aspekte zum weitgehenden Verlust der Körperbehaarung beitrugen.
Verhaltenshypothese
Der Anatom C. Owen Lovejoy leitete 1981 die Bipedie aus dem Sozialverhalten der frühen männlichen Menschenaffen ab. Seine Hypothese besagte, dass die Bipedie infolge einer monogamen Lebensweise entstanden sei: Die Männchen jener Menschenaffen-Arten, die sich zu den frühen Hominini fortentwickelten, seien monogam geworden und hätten tagsüber ihre Familien alleingelassen, um nach Nahrung zu suchen. Diese Nahrung hätten sie zu ihrer Familie tragen müssen, und die effektivste Fortbewegungsweise sei in dieser Situation das zweibeinige Laufen gewesen. Lovejoys Hypothese, die mangels fossiler Überlieferung nicht unmittelbar durch paläoanthropologische Befunde zu belegen ist, rief umgehend massive Kritik hervor. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass monogame Primaten in der Regel keinen Sexualdimorphismus aufweisen; männliche Exemplare von Australopithecus afarensis besaßen jedoch fast das doppelte Gewicht von Weibchen – dies sei ein Merkmal, das man bei polygamen Arten erwarten würde. Ferner seien monogame Primaten stark territorial, lebten also nicht in größeren sozialen Verbänden; fossile Hinweise zeigten jedoch, dass Australopithecus afarensis in Gruppen lebte.
2009 widerrief C. Owen Lovejoy seine Hypothese unter Verweis auf die Funde von Ardipithecus ramidus in Hadar (Äthiopien): „Seit der Zeit Darwins standen zumeist die heute lebenden afrikanischen Menschenaffen Pate, wenn die frühe Evolution des Menschen rekonstruiert wurde. Diese Modelle veranschaulichen grundlegende menschliche Verhaltensweisen als Steigerung von Verhaltensweisen, die man bei Schimpansen und/oder Gorillas beobachten kann (zum Beispiel aufrechte Haltung bei der Nahrungsaufnahme, männliches Dominanzverhalten, Werkzeuggebrauch, Kultur, Jagd und Kriegsführung). Ardipithecus falsifiziert im Wesentlichen solche Modelle, denn die heute lebenden afrikanischen Menschenaffen sind hochgradig abgeleitete Verwandte unseres letzten gemeinsamen Vorfahren.“
Wat-Hypothese
Der sogenannten Wat-Hypothese (auch: „Uferhypothese“) zufolge entwickelte sich die Bipedie der Hominini als ein Ergebnis des zweibeinigen Watens bei der Nahrungssuche – zum Beispiel nach Muscheln – in Gewässern mit niedrigem Wasserstand; zweibeiniges Waten wird gelegentlich bei den Bonobos, den Flachlandgorillas und den Nasenaffen beobachtet. Zweibeiniges Waten bietet den Vorteil, den Kopf zum Atmen über Wasser zu halten. In mehreren Publikationen versuchte der Evolutionsbiologe Carsten Niemitz nachzuweisen, dass keines der anderen Erklärungsmodelle das Entstehen des aufrechten Ganges plausibel erklären könne. Teile dieser Theorie finden sich auch in der Wasseraffen-Theorie.
Wirbelsäule und Beckengürtel
Die Entwicklung der Fähigkeit zum dauerhaft aufrechten Gehen setzte eine Vielzahl von Anpassungen des Skeletts voraus, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule, des Beckengürtels und der Hüftgelenke, der Kniegelenke, der Füße sowie des Foramen magnum (des großen Hinterhauptlochs an der Schädelbasis, wo Rückenmark und Gehirn ineinander übergehen). Veränderungen betrafen sowohl den Bau der Knochen als auch der Skelettmuskeln sowie deren Ursprung und Ansatz.
Eine dauerhaft zweibeinige Fortbewegungsweise und das aufrechte Stehen erfordern gleichermaßen, dass der Schwerpunkt des Körpers sich exakt senkrecht oberhalb der Auftrittsfläche der Füße befindet. Deshalb verlagerte sich das Foramen magnum während der Entstehung des aufrechten Gangs nach vorn und befindet sich heute (wie Becken, Knie und Füße) im Bereich des Körperschwerpunkts. Wenn vierfüßige Tiere sich auf den Hinterbeinen aufrichten, erfüllen sie diese Voraussetzung nur, wenn ihre Hinterbeine in Hüft- und Kniegelenken gebeugt sind, da sie andernfalls – bei gestreckten, vertikal ausgerichteten Beinen – nach vorn überkippen würden. Im Verlauf der Evolution der Vorfahren des anatomisch modernen Menschen wurde daher der Körperschwerpunkt zum Rücken hin verlagert. Hierzu trug insbesondere die Ausbildung der nach vorn gerichteten Wirbelsäulen-Krümmung (Lordose) im Bereich der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule bei, weswegen letztere bei Schwangeren wegen der Schwerpunktverlagerung während einer Schwangerschaft besonders stark ausgeprägt ist. In Höhe des Brustkorbs sowie im Bereich des Kreuzbeins weicht die Wirbelsäule hingegen gekrümmt nach hinten aus (Kyphose) und gibt den inneren Organen Raum, so dass sich der typische Eindruck einer doppelt S-förmigen Krümmung ergibt (bei überwiegend vierfüßigen Affen ist sie c-förmig). Zugleich übernahmen die Beckenknochen die zusätzliche Aufgabe, die inneren Organe zu stützen.
Eine Besonderheit ist zudem der im Vergleich mit allen anderen Menschenartigen sehr enge Beckenkanal, durch den der – im Vergleich mit anderen Menschenartigen ebenfalls bereits vorgeburtlich sehr große – Schädel des Fetus bei der Geburt hindurch gelangen muss – und dies, obwohl das weibliche Becken viel weiter ist als das männliche Becken. Die Innenmaße des weiblichen Beckens sind nahezu identisch mit der Kopfgröße des Neugeborenen, was dazu führt, dass „Mutter und Neugeborenes ein beträchtliches Risiko für eine traumatische Geburt“ tragen.
Die wiederholt von Forschern vertretene Hypothese, Beckengürtel und Beckenkanal seien relativ schmal geblieben, weil ein breiterer Beckengürtel einen größeren Beinabstand zur Folge gehabt hätte und dies unvorteilhaft für eine rasche Fortbewegung gewesen sei, ist umstritten.
Hände
Im Vergleich mit anderen Affen haben die Hände des anatomisch modernen Menschen eine kürzere Handfläche, kürzere Finger sowie längere, kräftigere und beweglichere Daumen. Insbesondere der opponierbare Daumen vereinfacht das Zugreifen und erleichtert beispielsweise das geschickte Handhaben von Werkzeugen. Verantwortlich dafür, dass der Daumen – anders als bei anderen Affen – mit seiner Kuppe die Kuppen der anderen Finger berühren kann, ist ein speziell geformtes Daumengrundgelenk. Dies ermöglicht den Menschen zudem ihre Hände zu Fäusten zu ballen, was wiederum dazu führt, dass die Hand zu einem effektiven Schlagwerkzeug wurde (beim Boxen), ohne die Finger einem allzu hohen Verletzungsrisiko auszusetzen. Bereits die Ausrichtung der feinen Knochenbälkchen (Trabekeln) in den Mittelhandknochen von Australopithecus africanus weist – vor zwei bis drei Millionen Jahren – Merkmale auf, die als Hinweis auf eine Opponierbarkeit des Daumens interpretiert wurden, aber vermutlich erst seit rund zwei Millionen Jahren – von Homo erectus – kann diese Bewegung kraftvoll ausgeführt werden.
Mit Hilfe von 39 Testpersonen wurde zudem experimentell nachvollzogen, welchen Einfluss das Herstellen von Steingerät – die hierzu nötigen Bewegungen – und das Benutzen von Steingerät auf die Evolution der Hand hatte. Demnach waren die Kräfte beim Nüsseknacken nicht groß genug um die Anatomie der Hand maßgeblich zu verändern, wohl aber das Zurichten von Abschlägen bei der Herstellung von Steinartefakten und das kräftige Zuschlagen beim Öffnen von Röhrenknochen, um an deren Knochenmark zu gelangen.
Schädel- und Gehirnentwicklung
Neben den Walen – speziell den Delfinen – gelten die Primaten als die Säugetiere mit den am komplexesten entwickelten Gehirnen. Das Wachstum des Gehirns ist bereits beim menschlichen Fötus (also schon im Mutterleib) größer als beim Fötus der Schimpansen. Eine vergleichende Genomanalyse ergab, dass die Expression von Genen und die Proteinbiosynthese „bei Mensch und Schimpanse sich insbesondere im Gehirn dramatisch unterscheiden“, während die Expressionsmuster in Leber und Blut kaum voneinander abweichen.
Bereits vor rund 300.000 Jahren besaß das Gehirn des frühen archaischen Homo sapiens das gleiche Volumen wie das heutiger Menschen; deren rundliche Schädelform entwickelte sich hingegen deutlich später: Erst Fossilien, die jünger als 35.000 Jahre alt sind, besitzen die gleiche runde Form wie die heutigen Menschen.
Vergrößerung des Volumens
Im Verlauf der Zerebralisation bestand bei den Hominini vor allem eine Tendenz zur Volumen- und Oberflächenzunahme des Gehirns, speziell im Bereich der Großhirnrinde, was unter anderem erhebliche Auswirkungen auf die Nahrungsaufnahme hatte: Das Gehirn des anatomisch modernen Menschen macht zwar nur etwa zwei Prozent vom Körpergewicht aus, es verbraucht aber rund 20 Prozent der Stoffwechselenergie; im Ruhezustand entspricht der Grundumsatz eines Erwachsenen einer Leistung von ungefähr 100 Watt, wovon sogar 30 bis 60 Prozent auf das Gehirn entfallen. Mit der Vergrößerung des Gehirnvolumens ging eine Steigerung der Blutversorgung für das Gehirn einher.
Die Gründe für die Vergrößerung des Schädelvolumens und für die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Gehirnentwicklung, anatomischen Veränderungen des Gesichtsschädels und anderen Körpermerkmalen sowie beispielsweise dem Nahrungserwerb sind jedoch noch immer relativ wenig erforscht. Die Vergrößerung des Gehirns der Hominini in der Epoche der Australopithecinen vor rund 3 bis 2 Millionen Jahren sowie bei Homo erectus korrelierte jedoch mit einer Abkühlung des Klimas in Afrika; zwei in den Jahren 2000 und 2009 vorgelegte Berechnungen lieferten Hinweise darauf, dass in kühlerem Klima die Wärmeabstrahlung des in der geschlossenen Schädelkapsel einsitzenden Gehirns leichter vonstattenging als zuvor und daher eine „Wachstumsbremse“ entfiel, so dass sich ein größeres und deshalb mehr Wärme produzierendes Gehirn entwickeln konnte. Möglicherweise genügte hierfür bereits eine Verringerung der mittleren Temperatur um 1,5 Grad Celsius. Eine andere Hypothese nimmt an, dass die Gehirnvergrößerung mit der Populationsgröße korreliert und die nötige soziale Durchsetzungsfähigkeit gegenüber konkurrierenden Individuen oder Gruppen von Artgenossen in einer größer werdenden Population eine treibende Kraft der Gehirnentwicklung war.
Taxon | Gehirnvolumen in cm3 |
---|---|
Schimpansen | ca. 400 |
Gorilla-Mann | 535 |
Sahelanthropus tchadensis | 365 |
Ardipithecus ramidus | 280–350 |
Australopithecus afarensis | 458 (335–580) |
Australopithecus africanus | 464 (426–502) |
Homo rudolfensis | ca. 750 (501–950) |
Homo habilis | 610 (544–674) |
Homo ergaster | 764 (640–888) |
Homo erectus | 1003 (956–1051) |
Homo antecessor | ca. 1000 |
Homo heidelbergensis | 1204 (1130–1278) |
Neandertaler | 1426 (1351–1501) |
Homo floresiensis | 380 |
Homo sapiens | 1478 (1444–1512) |
Das Volumen des Gehirns der fossilen Hominini konnte anhand von Schädelfragmenten zumindest näherungsweise rekonstruiert werden. Die nebenstehende Tabelle gibt hierzu einen Überblick. Da Hirn etwa die Dichte von Wasser hat, entspricht das Volumen ungefähr der Masse in Gramm. Die Angaben zu fossilen Arten sind Schätzungen auf Grundlage von meist unvollständigen und deformierten Funden; unterschiedliche Fachbücher können daher voneinander abweichende Angaben enthalten.
Im Vergleich mit den diversen Arten der Australopithecinen – insbesondere zum Beispiel mit Paranthropus aethiopicus – besitzen alle bisher bekannten Arten der Gattung Homo einen extrem schwachen Kauapparat mit zurückgebildeter Kaumuskulatur. US-Forschern um Hansell H. Stedman zufolge besteht ein zeitlicher und funktioneller Zusammenhang zwischen dieser Rückbildung und dem Beginn der Vergrößerung des Gehirns. Vor rund 2,4 Millionen Jahren habe sich die Mutation eines Gens ereignet, das für das Protein MYH16 (myosin heavy chain 16) kodiert; das MYH16-Gen ist bei Säugetieren ausschließlich im Bereich der Kiefer aktiv – im Musculus temporalis und im Musculus masseter – und bewirkt die Produktion von besonders belastbaren Myosin-Ketten in den Muskelzellen (siehe Heavy Chain). Die Mutation habe dazu geführt, dass dieses Gen seitdem in der Abstammungslinie inaktiv ist, die zu den heute lebenden Menschen führt. Es sei kein Zufall, dass aus der gleichen erdgeschichtlichen Epoche die frühesten Fossilien der Gattung Homo stammen: Der Ausfall des Gens habe eine markante Verkleinerung der einzelnen Muskelfasern und – als Folge davon – der gesamten Kaumuskulatur zur Folge gehabt. Der damit verbundene Wegfall der erheblichen Zugkraft von Muskeln, die am Schädel ansetzen und den Unterkiefer bewegen, sei wiederum eine Voraussetzung dafür gewesen, dass sich das Gehirn und mit ihm der gesamte Schädel später vergrößern konnten. Schimpansen und andere Primaten verfügen auch heute noch über das intakte, nicht mutierte Gen.
Mit Hilfe computertomographischer Analysen von fossilen und modernen Schädeln konnten Abdrücke rekonstruiert werden, die von den Gehirnwindungen und -furchen auf den Innenflächen der Schädel hinterlassen wurden. Den Befunden zufolge haben sich die modernen menschlichen Gehirnstrukturen erst vor 1,5 bis 1,7 Millionen Jahren herausgebildet. Ältere Schädel weisen noch die ursprünglichen, menschenaffen-ähnlichen Gehirnwindungen auf.
Das Gehirnvolumen des anatomisch modernen Menschen weist eine erhebliche Spannweite auf, die eine unmittelbare Folge der gleichfalls erheblichen Variabilität seiner Körpergröße ist. Da Frauen im Mittel kleiner sind als Männer, haben Frauen im Mittel auch ein etwas kleineres Gehirn als Männer (siehe dazu: Gehirne von Männern und Frauen).
Bemerkenswert ist ferner, dass das Gehirn der heute lebenden Menschen ungefähr drei bis vier Prozent kleiner ist als das Gehirn der Vorfahren vor 10.000 bis 15.000 Jahren. Denkbar ist, dass dies eine Folge der Erwärmung nach dem Ende der letzten großflächigen Vereisung ist; es wurde aber auch argumentiert, dass möglicherweise die Konnektivität optimiert wurde oder dass eine optimierte Sozialstruktur die Überlebenschancen des Einzelnen verbesserte und dies auf die Gehirngröße zurückwirkte.
Spezielle Anpassungen
Es gibt bislang nur wenige gesicherte Erkenntnisse darüber, welche Regionen des Gehirns in welcher Epoche einem bestimmten Selektionsdruck unterlagen und sich daher veränderten. Im erhaltenen Schädelausguss des so genannten Kindes von Taung (eines drei- bis vierjährigen Australopithecus africanus) blieb jedoch auch eine „Knochennaht“ (metopische Sutur) zwischen beiden Hälften des Stirnschädels erhalten, die – wie meist auch bei gleich alten Kindern von Homo sapiens – noch nicht verknöchert war; bei Schimpansen-Jungen im Alter des Taung-Kindes ist diese Naht hingegen bereits verknöchert. Daraus wurde unter anderem geschlossen, dass schon bei Australopithecus africanus die postnatale Zunahme des Gehirnvolumens – ähnlich wie bei Homo – ausgeprägter war als bei den Schimpansen.
Dreidimensionale Rekonstruktionen ergaben beispielsweise, dass die Riechkolben des anatomisch modernen Menschen ungefähr 12 Prozent mehr Volumen beanspruchen als die des Neandertalers und dass bei Homo sapiens auch der Temporallappen größer ist als er beim Neandertaler war. Das Gleiche trifft zu auf den oberen Parietallappen, dessen Volumenvergrößerung zugleich als Ursache gilt für das rundlichere Scheitelbein bei Homo sapiens.
In der Online-Zeitschrift Royal Society Open Science wurde im Jahr 2017 berichtet, dass sich der Blutfluss zum Gehirn – außer bei Homo heidelbergensis und bei den allerdings fossil bislang schlecht belegten Fossilien von Homo rudolfensis und den Dmanissi-Funden – in Relation zur Vergrößerung des Gehirns der jeweiligen Arten überproportional stark vergrößerte.
Während das Gehirnvolumen der Schimpansen im Alter unverändert bleibt, schrumpft es bei alternden Menschen merklich. Dies ist vermutlich eine Folge der bei Menschen im Vergleich mit Schimpansen deutlich erhöhten Lebenserwartung (ca. 80 bis 90 Jahre bei Menschen, ca. 50 Jahre bei Schimpansen) und somit ein evolutiv relativ junges Phänomen.
Der Verlust markanter Überaugenwulste und diverse andere evolutive Veränderungen an den insgesamt 14 Knochen des Gesichts – und daraus resultierenden Veränderungen der Muskelansätze – wurden 2019 in einem Review-Artikel in Zusammenhang gebracht mit einer erst hierdurch möglichen, umfassenderen nonverbalen Kommunikation durch minimale Muskelbewegungen, die Hinweise auf subtile Emotionen geben und so zur sozialen Interaktion in Gruppen beitragen können.
Zähne und Gebiss
Zähne sind hochgradig widerstandsfähig gegen zerstörerische Umwelteinflüsse, deshalb sind sie die am häufigsten gefundenen Fossilien von Primaten. Ihre Größe und Form, die Dicke ihres Zahnschmelzes und das Verhältnis der beiden stabilen Kohlenstoff-Isotope 12C und 13C im Zahnschmelz (vergl. Isotopenuntersuchung) können Auskunft geben über die stammesgeschichtliche Zugehörigkeit ihrer ehemaligen Besitzer, über ihr Sozialverhalten und ihre Nahrung. Allerdings sind gerade diese Gewebe sowie die ebenfalls widerstandsfähigen Kiefer „besonders anfällig für Homoplasien“ (für parallele, unabhängige Entstehung) als Folge ähnlicher Ernährungsweisen, was ihren Nutzen für taxonomische Fragestellungen begrenzen kann.
Der schon bei Homo erectus nachweisbare evolutive Trend zur Verkleinerung der Zähne wurde als eine Folge des Gebrauchs von Steinwerkzeugen interpretiert, mit deren Hilfe die Nahrung zerkleinert wurde, was wiederum die Kaulast von Zähnen, Oberkiefer und Unterkiefer reduzierte.
Verkleinerung der Eckzähne
Der Mensch und die anderen Menschenaffen gehören zu den Altweltaffen. Deren früheste bekannte Vertreter – wie beispielsweise Aegyptopithecus – trugen zwei große, längliche Eckzähne im Oberkiefer, die durch stetiges Reiben an jeweils einem Vorderbackenzahn des Unterkiefers (durch Honen) geschärft wurden. Zugleich wies der Oberkiefer zwei Zahnlücken (Diastema) zwischen Eck- und Schneidezähnen auf, in die jeweils einer der Eckzähne des Unterkiefers passte. Im Verlauf der Hominisation wurden die Eckzähne kleiner und die Zahnlücke im Oberkiefer verschwand.
Schon 1871 hatte Charles Darwin die heute noch in Afrika lebenden Schimpansen und Gorillas als die nächsten Verwandten der Menschen erkannt und daher vermutet, dass sich auch der anatomisch moderne Mensch in Afrika entwickelt habe. Zugleich hatte Darwin aber auch den Körperbau dieser Menschenaffen im Sinne eines ursprünglichen Merkmals gedeutet. Seiner Vermutung nach
- „waren die früheren männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit grossen Eckzähnen versehen; in dem Maasse aber, als sie allmählich die Fertigkeit erlangten, Steine, Keulen oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnladen und Zähne immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen in Verbindung mit den Zähnen an Grösse reducirt worden sein, wie wir nach zahllosen analogen Fällen wohl ganz sicher annehmen können.“
Darwins Vermutung beeinflusste mehr als 100 Jahre lang zahllose Versuche, die ursprüngliche Bezahnung der Hominini – abgeleitet von der Bezahnung der Schimpansen – zu rekonstruieren. Durch Fossilfunde belegbare Hypothesen zum Gebiss der frühen Hominini waren jedoch erstmals möglich, nachdem man das 4,4 Millionen Jahre alte Fossil Ardi und zahlreiche Zähne von anderen Individuen der Art Ardipithecus ramidus entdeckt hatte. Weder hatte Ardi eine besonders stark ausgeprägte Schnauze, noch hatten ihre männlichen Artgenossen die von Schimpansen bekannten, dolchartig verlängerten und von außen deutlich wahrnehmbaren Eckzähne („Fangzähne“). Sollte Ardipithecus ramidus zu Recht in die Entwicklungslinie der Hominini gestellt worden sein, würden seine anatomischen Merkmale belegen, dass der evolutionäre Trend hin zu verkleinerten Eckzähnen bereits vor mehr als vier Millionen Jahren eingesetzt hatte, also lange vor der Herstellung erster Steinwerkzeuge, und somit das gesamte Pliozän hinweg angedauerte.
Die dolchartigen Eckzähne des Oberkiefers dienen bei den heute lebenden männlichen Affen regelmäßig auch als Waffe bei Rangordnungskämpfen innerhalb der eigenen Gruppe und bei Kämpfen mit Individuen anderer Gruppen. Die früh einsetzende Verkleinerung der Eckzähne legt daher nahe, dass sich aufgrund sexueller Selektion auch das agonistische Verhalten und das Imponierverhalten verändert hat, „lange bevor die Hominini ein vergrößertes Gehirn hatten und Steinwerkzeuge benutzten.“
Veränderungen der Zahnzahl und der Schnauze
Ein zweiter, langfristiger evolutionärer Trend, der mit der Verkleinerung der Zähne und der Schnauze einherging, kann aufgrund der Verringerung der Zahnzahl rekonstruiert werden. Weitgehend anerkannt ist heute, dass die ursprünglichen höheren Säugetiere in jeder Kieferhälfte drei Schneidezähne, einen Eckzahn, vier Vorderbackenzähne und drei hintere Backenzähne hatten. Ihre Zahnformel lautet demnach 3 • 1 • 4 • 3, ihre Zahnzahl betrug 44. Alle heute lebenden Altweltaffen haben hingegen die Zahnformel 2 • 1 • 2 • 3 und somit 32 Zähne. Bei den Menschen ist der Trend zur Verringerung insofern unmittelbar zu beobachten, als der dritte (hintere), so genannte Weisheitszahn erhebliche Unterschiede der Form sowie des Durchbruchzeitpunkts aufweist und seine Zahnanlagen gelegentlich völlig fehlen; er kann daher als Rudiment bezeichnet werden.
Ebenfalls verringert hat sich im Verlauf der Hominisation die Anzahl der Zahnwurzeln, mit denen die Vorderbackenzähne im Kiefer verankert sind: Die frühen Arten der Hominini aus der Gruppe der Australopithecinen hatten zwei Wurzeln pro Vorderbackenzahn, Homo sapiens besitzt nur eine Wurzel. Im Vergleich zu den Schimpansen ist bei den Menschen zudem während der Individualentwicklung der Wechsel vom Milchgebiss zum Dauergebiss verzögert, was zugleich als Indiz für eine Verlängerung der Jugendphase beim Menschen gilt. Bei den nicht-menschlichen Menschenaffen beginnt der Durchbruch der Dauerzähne im Alter von 3,0 bis 3,5 Jahren, beim Menschen hingegen meist erst im 6. Lebensjahr; Ursache ist eine verzögerte Bildung der Zahnwurzeln. Ein weiteres Merkmal des jungen Homo sapiens ist, dass der Molar M1 und der Schneidezahn I1 des Dauergebisses gemeinsam durchbrechen, gefolgt vom Schneidezahn I2, während beim jungen Schimpansen zunächst nur der Molar M1 durchbricht, gefolgt von beiden Schneidezähnen.
Die schon von Charles Darwin auf veränderte Gewohnheiten bei der Nahrungsaufnahme zurückgeführte Verkürzung des Unterkiefers wurde 2011 durch eine Studie an elf heute lebenden Populationen bestätigt. Ihr zufolge haben Jäger und Sammler längere und schmalere Unterkiefer als Sesshafte, die sich von Feldfrüchten, Milcherzeugnissen oder Zuchttieren ernähren.
Behaarung
Auffallend beim heute lebenden Menschen ist, dass er – als einziger aller heute lebenden Primaten – neben dem meist unauffälligen Vellushaar allenfalls eine außerordentlich geringe Körperbehaarung besitzt. Da bisher keine paläoanthropologisch relevanten Haarfunde entdeckt wurden, sind weder Aussagen zur Behaarung ausgestorbener Spezies der Hominini möglich, noch lässt sich die Zeitspanne paläoanthropologisch belegen, während der bei seinen Vorfahren das Fell verloren ging. Das über einige Jahre ungebremste Wachstum des Haupthaares findet ebenfalls keine Parallele unter den Primaten; eine klare Funktion ist nicht ersichtlich.
Hypothesen zum Zeitpunkt
Aus molekularbiologischen Analysen zur Evolution der Familie der Menschenläuse (Pediculidae) und zur Entstehungszeit von dunkler Hautfarbe wurden einige Anhaltspunkte dafür abgeleitet, wann sich die Reduzierung der Körperbehaarung ungefähr zugetragen hat.
Die Familie der Menschenläuse besteht aus den Gattungen Pediculus und Phtirus. Zu Pediculus zählt die an den Menschen angepasste Kleiderlaus (Pediculus humanus humanus, in Abgrenzung von der Kopflaus Pediculus humanus capitis auch benannt als „Körperlaus“ Pediculus humanus corporis) sowie die an Schimpansen angepasste Art Pediculus schaeffi. Phtirus kommt beim Menschen als Filzlaus (Phtirus pubis), beim Gorilla als Phtirus gorillae vor. Aus Genanalysen wurde abgeleitet, dass der letzte gemeinsame Vorfahr von Pediculus humanus spec. und Pediculus schaeffi vor rund 6 Millionen Jahren existierte und der letzte gemeinsame Vorfahre von Phtirus pubis und Phtirus gorillae vor etwa 3 bis 4 Millionen Jahren; ferner, dass die Trennung von Pediculus humanus humanus und Pediculus humanus capitis vor 72.000 ± 42.000 Jahren erfolgte. Daraus lässt sich näherungsweise folgender Zeitablauf rekonstruieren: Seit 5 bis 6 Millionen Jahren leben die Vorfahren der Schimpansen und der Menschen und mit ihnen die Vorfahren der Parasiten Pediculus schaeffi und Pediculus humanus spec. getrennt voneinander. Vor rund 3 Millionen Jahren konnte sich der gemeinsame Phtirus-Vorfahre, vom Gorilla stammend, dauerhaft bei den damals lebenden Vorfahren der heutigen Menschen ansiedeln, bei gleichzeitiger Anwesenheit von Pediculus humanus spec. Demnach bestanden vermutlich bereits in dieser Epoche bei den Vorfahren des Menschen unterschiedliche Haar-Biotope, etwa auf dem Kopf und im Schambereich, die durch Haar-arme Zonen getrennt waren (was ungefähr unserem heutigen Haarbewuchs entspräche). Vor etwa 60.000 bis 80.000 Jahren schließlich kann die Aufspaltung von Pediculus humanus spec. in die beiden Unterarten Pediculus humanus capitis und Pediculus humanus humanus als Anzeichen für die Verwendung von Kleidung gedeutet werden. Eine zweite, davon unabhängige Studie bestätigte im Grundsatz diese Argumentation, kam aber zu höheren Werten: Ihr zufolge ereignete sich die letztgenannte Aufspaltung spätestens vor 83.000 Jahren, möglicherweise aber auch schon vor 170.000 Jahren.
Hinweise auf den ungefähren Zeitpunkt erbrachten auch Berechnungen zur Entstehenszeit von dunkler Hautfarbe. Viele Forscher vermuten, dass die behaarten frühen Arten der Hominini – wie die Schimpansen – eine rosafarbene Haut besaßen. Eine bestimmte Variante des Gens MC1R, das an der Hautpigmentierung beteiligt ist, kommt bei allen dunkelhäutigen Afrikanern vor und existiert laut einer Studie von Forschern der University of Utah seit 1,2 Millionen Jahren. Daraus wurde wiederum abgeleitet, dass die Körperbehaarung damals schon recht dünn gewesen sein muss.
Hypothesen zu Ursachen und Folgen
Über die Frage, warum die Reduktion des Fells eingesetzt hat, gehen die Ansichten der Evolutionsbiologen auseinander. „Die vielleicht plausibelste Theorie geht davon aus, dass die Nacktheit zusammen mit der Vermehrung der Schweißdrüsen ursprünglich zur Regulierung der Körpertemperatur diente. Das Merkmal wäre also bereits vor rund zwei Millionen Jahren bei frühen Menschen (H. erectus) als Anpassung an ausdauerndes Laufen unter Hitzebelastung entstanden.“ Hierfür spricht, dass Menschen sehr viel mehr ekkrine Schweißdrüsen besitzen als ihre behaarten Verwandten und daher – mangels Fell – der von ihnen produzierte dünnflüssige Schweiß direkt auf der Haut verdunsten kann („Verdunstungskälte“). Gestützt wird diese Hypothese unter anderem durch eine Modellrechnung, der zufolge nur ein weitgehend unbehaartes, zu starkem Schwitzen befähigtes Individuum der Gattung Homo tagsüber in heißem, offenem Gelände habe aktiv sein können. Dies gilt als evolutionärer Vorteil, der die Ausdauerjagd ermöglichte und möglicherweise zugleich die Anfälligkeit für Ektoparasiten reduzierte. Als vorteilhaft für die Ausdauerjagd und für das mit ihr verbundene, zeitweise Verlassen der Nähe zu Trinkwasserquellen, erwiesen sich laut einer 2021 veröffentlichten Studie ferner Veränderungen im Wasserhaushalt: Der anatomisch moderne Mensch muss – trotz erhöhter Schweißproduktion – zwischen 30 und 50 Prozent weniger Flüssigkeit aufnehmen als ein Schimpanse, um seinen Wasserhaushalt langfristig stabil zu halten.
Die behaarte Kopfhaut wiederum reduziert Experimenten zufolge den Wärmegewinn durch Sonneneinstrahlung, wobei dicht gelocktes Haar Kopfhaut und Gehirn am effektivsten vor Sonneneinstrahlung schützt und gleichzeitig den Bedarf an Schweiß zum Ausgleich des Wärmegewinns minimiert.
Eine Mutation des Gens EDAR führte vermutlich vor rund 30.000 Jahren bei den Bewohnern Ostasiens dazu, dass die Dichte ihrer Schweißdrüsen noch größer und zugleich die Haare dicker wurden.
Eine Folge der reduzierten Behaarung war, dass die nunmehr weitgehend ungeschützte Haut der intensiven afrikanischen Sonneneinstrahlung ausgesetzt war: „Um die schädliche UV-Strahlung abzuhalten, ‚erfand‘ der Körper die Produktion von Melanin und damit die dunklere Hautfarbe, die es den Menschen ermöglichte, in diesen Breitengraden überhaupt überleben zu können.“ Pigmentierte Haut verhindert unter anderem, dass die Folsäure-Versorgung des Körpers durch ein Übermaß an UV-Strahlung beeinträchtigt wird. Nach Berechnungen von Nina Jablonski (California Academy of Sciences) ist die Hautfarbe relativ leicht veränderbar, so dass sich ein Wechsel von hell nach dunkel bzw. von dunkel nach hell innerhalb von nur 100 bis 200 Generationen vollziehen kann. Daher sei die Hautfarbe „wertlos für das Bestimmen der stammesgeschichtlichen Verwandtschaft“ von heute lebenden Populationen.
Eine weitere Folge der reduzierten Behaarung war, dass die sichtbar gewordene Haut stärker als zuvor durch Verhornung geschützt werden musste: „Vergleiche des menschlichen und des Schimpansengenoms zeigten, dass wir uns von unseren nächsten Verwandten gerade auch in jenen Genen deutlich unterscheiden, deren Proteine über Hauteigenschaften bestimmen.“ Ferner konnte die Färbung der Haut zu einem sozialen Signal werden und beim anatomisch modernen Menschen auch der innerartlichen Kommunikation dienen, indem emotionale Zustände wie Angst oder Wut mit Erbleichen oder Erröten einhergehen. Zudem verlagerten sich Signale über emotionale Zustände vom gesträubten Haar hin zu einem komplexen Mienenspiel.
Es ist zudem „offensichtlich, dass Auftreten und langsame Zunahme der Schambehaarung in der Pubertät die Geschlechtsreife signalisiert.“
Sozialverhalten
Der Paläoanthropologe Richard Leakey beschrieb das Sozialverhalten der Vorfahren des Menschen, die vor sieben Millionen Jahren lebten, wie folgt: „Statt als Familiengruppen in nomadischen Verbänden zu leben wie heutige Jäger und Sammler, lebten die ersten Menschen wahrscheinlich wie Mantelpaviane. Rudel von um die 30 Individuen streiften damals in koordinierter Weise durch ein ausgedehntes Gelände und kehrten nachts zu ihren bevorzugten Schlafplätzen in steilen Felswänden oder Baumgruppen zurück. Ausgewachsene Weibchen und ihr Nachwuchs machten den größten Teil des Rudels aus, während geschlechtsreife Männchen nur in geringer Zahl vorhanden waren.“
Unser heutiges Sozialverhalten, das sich zum Beispiel in Empathie, sozialer Nähe / Distanz, Bereitschaft zu aggressivem Verhalten, Ängstlichkeit oder in den Reaktionen auf Stressoren zeigt, wird in erheblichem Maße durch Hormone wie Adrenalin, Oxytocin, Serotonin und Testosteron beeinflusst. Einer 2018 publizierten Studie zufolge unterscheiden sich die Menschen von allen anderen Primaten u. a. durch eine – auch im Vergleich mit den anderen Menschenaffen – „dramatisch“ erhöhte Dopamin-Ausschüttung im Striatum und einer geringeren Freisetzung von Acetylcholin. Auch die Produktion von Serotonin und von Neuropeptid Y im Striatum ist erhöht. Diese Kombination von erhöhter und verringerter Hormonproduktion „begünstigt von außen gesteuertes Verhalten und verstärkt erheblich das Gespür für soziale Signale, die soziale Anpassung, Empathie und Altruismus fördern.“
Kindheit
Der beim weiblichen Homo sapiens – im Verhältnis zur Körpergröße aller anderen Menschenartigen – sehr enge Beckenkanal ist insofern besonders bemerkenswert, als die Gehirngröße eines Neugeborenen bei Homo sapiens ohnehin nur ungefähr 28 Prozent der Gehirngröße des Erwachsenen beträgt. Ein Schimpanse wird hingegen bereits mit 40 Prozent der Gehirngröße seines ausgewachsenen Individuums geboren, und auch der frühe Homo erectus wurde im Altpleistozän – vor mehr als einer Million Jahren – vermutlich noch mit rund 35 Prozent der Gehirngröße des Erwachsenen geboren, obwohl dessen Beckenkanal bereits deutlich größer war als der von Australopithecus afarensis. Makaken werden sogar mit 70 Prozent des Gehirnvolumens ausgewachsener Artgenossen geboren.
Vergleichsweise verlangsamt im Vergleich mit Homo erectus ist bei Homo sapiens auch das Größenwachstum des Gehirns in den Monaten nach der Geburt. Dies wurde abgeleitet von einem 1939 auf Java entdeckten Kinderschädel („Mojokerto child“; Sammlungsnummer: Perning I), den man 1994 mit Hilfe der 40Ar-39Ar-Methode auf 1,8 Millionen Jahre datierte. 2004 wurde dem Kind ein Lebensalter bei Todeseintritt von ungefähr einem Jahr und ein Gehirnvolumen von ungefähr 70 bis 90 Prozent eines Erwachsenen zugeschrieben; zum Vergleich: Kinder von Homo sapiens haben im Alter von einem Jahr erst ungefähr 50 Prozent des Gehirnvolumens eines Erwachsenen.
Hieraus können zwei evolutionäre Trends für die Entwicklungslinie abgeleitet werden, die zu den heute lebenden Menschen führt: Zum einen vergrößerte sich der Beckenkanal, was auf den Durchtritt eines schon vor der Geburt immer größer gewordenen Gehirns schließen lässt; zum anderen wurde das Gehirn – im Verhältnis zu seiner Größe beim Erwachsenen – bei der Geburt immer kleiner. Das Gehirnwachstum wurde somit in erheblichem Maße in die Zeit nach der Geburt verlegt, was eine deutliche Verlängerung der Kindheit und der mit ihr verbundenen, verlängerten sozialen Fürsorge durch Erwachsene schon vor 160.000 Jahren, vermutlich sogar noch früher, zur Folge hatte: Die Phase von Kindheit, Jugend und Adoleszenz – die zugleich eine Phase der Erziehung und des intensiven sozialen Lernens ist – dauert beim anatomisch modernen Menschen doppelt so lang wie bei den Schimpansen und führte zu einer Verlängerung des Intervalls zwischen zwei Geburten. Auch im Vergleich mit Homo erectus und mit den Neandertalern war die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Kindes von Homo sapiens wesentlich langsamer.
Lebenserwartung
Taxon | Dauer der Trächtigkeit (Tage) | Lebens- erwartung (Jahre) |
---|---|---|
Lemuren | 120–135 | 14–15 |
Makaken | 165 | 27–28 |
Gibbons | 210 | 30–40 |
Schimpansen | 228 | 40–50 |
Menschen | 266 | > 70 |
Zu den fortpflanzungsbiologischen Besonderheiten der Primaten-Evolution gehört, dass sich nicht nur die Kindheit, sondern auch die vorgeburtliche Phase (die Dauer der Trächtigkeit) und insgesamt die Lebenserwartung im Verlauf der Stammesgeschichte verlängert haben (siehe Tabelle).
Die Tendenz zu einer verlängerten Lebensspanne ging vermutlich einher mit speziellen genetischen Anpassungen zur Abwehr von potentiellen Krankheitserregern. Dies wurde unter anderem abgeleitet aus einer Studie zur Funktionsweise des Apolipoprotein E. Dessen nur beim Menschen vorhandene Variante ApoE3 trägt maßgeblich dazu bei, dass Menschen weniger empfindlich auf Entzündungen und Infektionen reagieren als zum Beispiel Schimpansen.
Eine weitere Konsequenz der gestiegenen Lebenserwartung war – so wird häufig argumentiert – das Entstehen der Menopause: „Um für die Nachkommen von Müttern in fortgeschrittenem Alter die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, den Tod der Mutter zu überleben, entwickelten sich neue Reproduktionsstrategien, d. h. ältere Frauen gebären nicht selbst noch Kinder, sondern investieren in die Fürsorge des Nachwuchses der eigenen Tochter. Die ‚Erfindung der Großmutter‘ stellt vermutlich die funktionale Zweckursache (= ultimate Ursache) der weiblichen Menopause dar.“ Tatsächlich wurde für Finnland und Kanada belegt, dass eine besonders lange Lebenszeit nach der Menopause mit einer besonders großen Zahl an Enkelkindern korreliert.
Sexualität
Bei allen Säugetieren besteht das Sexualverhalten aus einer Abfolge von Aktionen und Reaktionen der Sexualpartner, die sich jeweils „sehr spezifisch gegenseitig verstärken. […] Das bedeutet, daß unter anderem das Sexualverhalten dieser Tiere nicht ‚instinktiv‘ ist, das heißt, nicht ausschließlich aus ihnen selbst heraus bestimmt.“ Vielmehr ist das Sexualverhalten dieser Tiere – und insbesondere der Menschenaffen – „in hohem Maß von Übung und Erfahrung“ abhängig. „Menschen ist die Fähigkeit zu bestimmten grundlegenden sexuellen Reaktionen angeboren, sie sind aber nicht spezifisch auf Paarung ‚programmiert‘. Sie sind daher fast ganz auf Beobachtung und Erfahrung angewiesen. Ihr Sexualverhalten ist außerordentlich variabel“.
Während Emotionen wie Angst und Furcht sowie Traurigkeit und Melancholie heute bereits durch pharmazeutische Therapien beeinflusst werden können, sind die neurobiologischen und physiologischen Grundlagen der Emotion Liebe noch weitgehend unverstanden.
Genetisch determinierte Besonderheiten
- Außerhalb von Zeiten der Schwangerschaft ständig bestehende Empfängnisbereitschaft
- keine durch Beobachtung erkennbaren Merkmale für den Sexualzyklus
- der direkten Ansicht verborgene primäre Geschlechtsorgane bei der erwachsenen Frau
- Geschlechtsverkehr weitgehend ohne Synchronisierung mit der Ovulation
- Ausbildung von Brüsten bei erwachsenen Frauen unabhängig von einer Laktation, deren Größe vom Fettgewebe bestimmt wird, nicht vom Drüsengewebe; auch die auffällige Färbung der Brustwarzenregion und die Größe der Brustwarzenhöfe ist einzigartig unter den Säugetieren.
- Beginn der Fruchtbarkeit im Vergleich zu anderen (auch langlebigen) Primaten erheblich verzögert
- Beendigung der Fruchtbarkeit von Frauen lange vor ihrem Tod: Ab einem Alter von ca. 50 Jahren erleben Frauen durch die Wechseljahre ein Ende ihrer Fruchtbarkeit
- Hervorhebung der adulten primären Geschlechtsorgane durch deutlich abgesetzte Schambehaarung bei sonst geringer Behaarung
- Verlust des Penisknochens
- Ausbildung eines für Primaten im erigierten Zustand außerordentlich großen Penis, der nicht (ohne Hilfsmittel) verborgen werden kann
Kulturell etablierte Besonderheiten
- Monogamie: In vielen Ethnien existieren mehr oder weniger langfristige Paarbeziehungen zwischen einer Frau und einem Mann, was jedoch eine Neigung beider Geschlechter zu ‚Seitensprüngen‘ keineswegs ausschließt. Es gibt aber auch Populationen, in denen Polygynie oder Polyandrie vorkommen und offiziell geduldet werden. Genetische Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei den Vorfahren der heutigen Menschen über lange Zeitspannen hinweg Monogamie die übliche Form der Paarbeziehung war. Dies hatte auch zur Folge, dass die Männer langfristig und unmittelbar für das Überleben der gemeinsamen Kinder mitverantwortlich wurden.
- Vorschriften und Verbote von Sexualpraktiken in vielen (oder den meisten) Kultur- und Religionsvorschriften.
- Kopplung von Scham und Sexualität: Menschen sind die einzige Spezies, die Scham für Sexualität entwickeln kann; Geschlechtsverkehr findet üblicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, während Tiere in der Regel vor den Augen der Artgenossen kopulieren. Eine Reihe von Autoren vertritt die Position, dass der versteckte Eisprung, die Sexualität zum Vergnügen und die Privatheit des Sexualaktes Merkmale sind, die die Bindung des Mannes an eine Frau, d. h. die zur Kinderaufzucht notwendige langfristige wirtschaftliche Kooperation von Paaren begünstigt haben.
Sprechvermögen
Die Befähigung zu einer äußerst komplexen Artikulation unterscheidet den anatomisch modernen Menschen von allen anderen Menschenaffen. Wann sich das hierauf gründende Sprechvermögen entwickelte und welcher Selektionsdruck dies bewirkte, ist mangels fossiler Belege weitgehend unbekannt. Möglicherweise dienten die für das Sprechen erforderlichen komplexen Muskelbewegungen (schnelle und koordinierte Bewegungen der Lippen, des Unterkiefers und der Zunge) zunächst dem Mienenspiel, also der visuellen Kommunikation.
Voraussetzung für das Entstehen des Sprechvermögens war unter anderem die Herausbildung eines unter den Primaten einzigartigen Vokaltrakts und dessen motorischer Kontrolle sowie die geistige Fähigkeit, mit einer endlichen Anzahl von Lauten eine unendliche Anzahl von Bezeichnungen zu erzeugen, indem die Laute in einer bestimmten Abfolge (Syntax) angeordnet werden: „Im Vergleich zu den Menschenaffen liegt der für die Spracherzeugung wichtige Kehlkopf tiefer und ist zudem in wichtigen Details, beispielsweise den Stimmbändern, anders konstruiert.“ Insbesondere die freie Beweglichkeit der Zunge trägt dazu bei, dass eine besonders große Vielfalt an Lauten erzeugt werden kann.
Seit dem Fund des Zungenbeins eines Neandertalers im israelischen Karmelgebirge Mitte der 1980er-Jahre gilt es als gesichert, dass die anatomischen Voraussetzungen für sprachliche Kommunikation auch beim Neandertaler gegeben waren. Ob dies auch schon für den letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertaler und Homo sapiens gilt, ist hingegen unklar. Welche Bedeutung einer Mutation des für das Forkhead-Box-Protein P2 codierenden Gens zuzuschreiben ist – dem in den Massenmedien die Rolle eines „Sprachgens“ zugeschrieben wurde – ist gleichfalls unklar. Einer paläogenetischen Studie zufolge soll es seit 200.000 Jahren in der heute beim Menschen nachweisbaren Form existieren.
Stammesgeschichtlich wesentlich älter ist hingegen die Fähigkeit von Menschenaffen, Symbol-Kombinationen zu bilden und anderen Individuen mitzuteilen. Das haben beispielsweise seit den 1970er-Jahren die Forschungen von Roger Fouts an Schimpansen ergeben:
„Sie haben also die auditiven und kognitiven Fähigkeiten, Sprache zu ‚verstehen‘, obwohl sie selbst nicht sprechen können. Aus diesen Experimenten ist zu schließen, daß das syntaktische und symbolische Verständnis in anderen Verhaltensbereichen evolviert worden ist, nämlich bei der sozialen Kognition. Mensch und nicht-menschliche Primaten unterscheiden sich hierin nicht fundamental.“
Der wesentliche Unterschied zwischen menschlicher Sprache und den Lautäußerungen anderer Tiere ist die Grammatik, die es ermöglicht, komplexe Zusammenhänge darzustellen. Menschen sind nur in einer sensiblen Phase der Kleinkindzeit in der Lage, die Grammatik einer Sprache spontan vollständig zu erlernen und sie akzentfrei sprechen zu lernen. Kleinkinder, die in einer Umgebung aufwachsen, in der keine voll ausgebildete Sprache zur Kommunikation verwendet wird – zum Beispiel in Situationen, in denen in einem Pidgin kommuniziert wird –, machen daraus im Umgang miteinander spontan wieder eine Sprache mit allen grammatikalischen Funktionen – eine sogenannte Kreolsprache. Steven Pinker leitete daraus die Vorstellung von einem „Sprachinstinkt“ ab, der recht weitgehend die Eigenarten natürlicher Sprachen vorgeben soll. Im Gegensatz dazu sind Menschenaffen zwar in der Lage, einzelne Wörter zu erlernen und sie zusammenzusetzen, um neue Bedeutungen auszudrücken, können aber keine grammatisch korrekten Sätze bauen, um komplexere Bedeutungszusammenhänge darzustellen.
Eine Hypothese, die von vielen Forschern vertreten wird, besagt, dass Kommunikation durch Laute allmählich die soziale Fellpflege ersetzt habe und – wie diese – zum Zusammenhalt der Gruppe beitrug, das heißt, die Sprechfähigkeit entstand „in einem hochgradig sozialen, potentiell kooperativen Kontext, verknüpft und einhergehend mit mindestens drei Merkmalen: gemeinsame Aufmerksamkeit, gemeinsame Absichten und Theory of Mind.“
Wann sich, unter anderem aufbauend auf diesen Fähigkeiten, den anatomischen Veränderungen des Vokaltrakts und der Ausbildung des heutigen Sprachzentrums, die lautliche Kommunikation zur Symbolsprache entwickelte, lässt sich nach heutigem Stand des Wissens erst dann klären, „wenn wir aus dem archäologischen Befund unmißverständliche Belege für syntaktische und symbolhafte, auf hohem Niveau angesiedelte sprachliche Fähigkeiten haben. Auf dem Homo-erectus-Stadium waren diese Qualifikationen wohl noch nicht erreicht.“
Kulturell tradierte Merkmale
Zu den kulturell tradierten Merkmalen zählen beim Menschen unter anderem Geschichtlichkeit und Moral sowie die Weitergabe von Wissen durch Sprache (das heißt durch symbolische Kommunikation), die mit steigender Gruppengröße wesentlich komplexere Kooperation, das Anfertigen von Kunstwerken und der Technikeinsatz. Prozesse der kulturellen Evolution werden seit den 1970er Jahren unter dem Begriff Kulturethologie erforscht.
Für Informationen, die allein durch menschliches Bewusstsein verbreitet und vermehrt („repliziert“) werden, schlug der Evolutionsbiologe Richard Dawkins im Jahre 1976 das Konzept der Memetik vor. Damit wurde ein Pendant zum Gen entworfen, wobei der Grundgedanke darin besteht, dass sich bestimmte Informationen („Meme“) aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit replizieren und gegenüber anderen Informationen durchsetzen, ebenso wie das „erfolgreiche“ Gene tun. In diesem Sinne können Traditionen der Werkzeugherstellung (Beispiel: Faustkeil), Arbeitsprozesse (Beispiel: Feuer, Ackerbau) oder Rituale früher Hominiden als Meme bzw. Memplexe („Mem-Komplexe“) bezeichnet werden, die sich aufgrund ihrer Vorteilhaftigkeit von Gehirn zu Gehirn replizieren.
Der anatomisch moderne Mensch ist allerdings nicht die einzige Art, die erlernte Eigenschaften an die nachfolgende Generation weitergibt. Ein bekanntes Beispiel ist das „Kartoffelwaschen“ einer Population von Japanmakaken auf der Insel Kōjima. In einer Übersichtsarbeit von Andrew Whiten und Jane Goodall wurden 1999 mehrere Dutzend gruppenspezifisch tradierte Verhaltensweisen bei Schimpansen nachgewiesen, darunter auch Werkzeuggebrauch bei Schimpansen, 2001 wurde beispielsweise „Kultur bei Walen und Delfinen“ beschrieben, 2003 bei Orang-Utans und bei Weißschulterkapuzinern. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Tieren und dem Menschen besteht daher nicht in der Existenz von kulturell tradierten Merkmalen, sondern darin, dass Jungtiere sich nur durch Beobachtungslernen Verhaltensweisen ihrer Eltern aneignen, während Menschen ihr Wissen auch aktiver, durch Instruktionen (‚Lehrer‘ und ‚Schüler‘) weitergeben.
Gesprochene Sprache
Die größte genetische Vielfalt der Menschheit wurde in afrikanischen Populationen südlich der Sahara nachgewiesen. In ähnlicher Weise wie die genetische und – hiermit verbunden – die phänotypische Vielfalt mit Abstand von Afrika abnimmt, da zusätzliche Populationen in der außerafrikanischen Welt meist nur von wenigen Individuen gegründet wurden, verringert sich auch die Zahl der benutzten Phoneme. Hieraus wurde abgeleitet, dass der Ursprung der ersten tradierten menschlichen Sprachen (der Sprachursprung) in Westafrika, Zentralafrika oder im südlichen Afrika gelegen habe.
Zur Struktur der ersten Sprachen – sogenannter Protosprachen – gibt es zahlreiche Hypothesen. Beispielsweise wird von einigen Forschern angenommen, dass anfangs einzelne Wörter ohne Anordnung in syntaktischen Strukturen (ohne Anordnung in „Sätzen“) verwendet wurden; Einigkeit in der Paläolinguistik herrscht darüber, dass gesprochene Wörter anfangs vor allem auf Objekte und Ereignisse verwiesen und nicht auf Ideen. Die auffällige Häufung von Tonsprachen, bei denen mit einer Änderung der Tonhöhe oder des Tonverlaufs in einer Silbe in der Regel auch eine Änderung der Bedeutung des entsprechenden Wortes (oder des Morphems) einhergeht, in tropischen und subtropischen Regionen wird durch die Hypothese erklärt, dass solche Sprachen sich in einer weniger feuchten Umgebung nicht haben herausbilden können, da trockene Luft es dem Kehlkopf erschwere, den richtigen Ton zu treffen.
Nach der Analyse von 2200 lebenden Sprachen und toten Sprachen publizierten Murray Gell-Mann und Merritt Ruhlen 2011 eine Hypothese zum ursprünglichen Satzbau. Demnach ordnet die Mehrzahl der lebenden Sprachen ihre Satzglieder in der Reihenfolge Subjekt – Verb – Objekt, also: „Ich – sehe – Löwen“; die meisten toten Sprachen hingegen ordneten die Satzglieder in der Reihenfolge Subjekt – Objekt – Verb, „Ich – Löwen – sehe“. Gell-Mann und Ruhlen zufolge ließen sich alle ‚Subjekt-Verb-Objekt-Sprachen‘ von ‚Subjekt-Objekt-Verb-Sprachen‘ ableiten, es existiere aber kein einziger Hinweis auf eine gegensätzliche Veränderung des Satzbaus. Dies wurde von Merritt Ruhlen als Beleg dafür interpretiert, „dass die mutmaßliche Ursprache eine ‚Subjekt-Objekt-Verb-Wortstellung‘ hatte.“
Die ältesten, über das afrikanische und europäische Siedlungsgebiet des Homo sapiens verteilten, gezeichneten Symbole – zum Beispiel Kreise, Spiralen, Punkte, Linien, offene und geschlossene Dreiecke sowie Hände – sind rund 35.000 Jahre alt; unklar ist aber, ob diese Symbole als frühe Belege für die Anfänge einer geschriebenen Sprache interpretiert werden können.
Werkzeuggebrauch
Für die Abgrenzung der Gattung Homo von den Australopithecinen wurde lange Zeit Werkzeugnutzung als wichtiges Definitionskriterium angesehen. Dies änderte sich erst, nachdem Jane Goodall 1964 den Werkzeuggebrauch bei Tieren nachgewiesen hatte. Es wird vermutet, dass – vergleichbar den heute lebenden Schimpansen – von Australopithecinen auch bearbeitete Holzstücke verwendet wurden, die wegen ihrer Vergänglichkeit archäologisch aber nicht nachweisbar sind.
In Kenia wurden an der Fundstelle Lomekwi 3,3 Millionen Jahre alte Steinwerkzeuge (Geröllgeräte) entdeckt, die 2015 von ihren Entdeckern als Lomekwian-Typ bezeichnet wurden. Die ältesten Steinwerkzeuge vom Oldowan-Typ sind bis zu 2,9 Millionen Jahre alt und stammen aus der Fundstätte Nyayanga in Kenia. Aus der gleichen Fundschicht traten zudem zwei große Backenzähne zutage, die Paranthropus zugeschrieben wurden. Aus Äthiopien stammen bis zu 2,6 Millionen Jahre alte Funde, die somit ebenfalls älter sind als die frühesten Vertreter der Gattung Homo. Sie wurden – wie auch die Funde von Nyayanga – in Verbindung mit Knochen gefunden, auf denen Schnittspuren von der Bearbeitung mit Steinwerkzeugen erhalten sind und die daher als relativ gesichert gelten. Urheber dieser Werkzeuge ist aus heutiger Quellenlage Australopithecus garhi. 3,4 Millionen Jahre alte Ritzungen an zwei Wildtierknochen aus Dikika wurden ebenfalls auf Steinwerkzeuge zurückgeführt und Australopithecus afarensis zugeschrieben; aus der gleichen Fundschicht ist hier allerdings bisher kein Steingerät bekannt, weswegen die Interpretation der Ritzungen als Schnittspuren umstritten ist. In Südafrika entdeckte, 500.000 Jahre alte Steinartefakte wurden im Jahr 2012 als Projektilspitzen interpretiert; sollte diese Deutung korrekt sein, wären die aus der Fundstelle Kathu Pan 1 (KP1) stammenden Funde die ältesten Belege für die Nutzung von Speeren.
Eine überzeugende Korrelation von biologischer Entwicklung und dem vermuteten Selektionsvorteil durch Nutzung einfacher Geröllgeräte konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Stattdessen wird die Einnischung aufgrund des regional sehr unterschiedlichen Nahrungsangebots als möglicherweise wichtigste Triebkraft der Speziation angesehen. Dieser Prozess begann vor mindestens 3 Millionen Jahren, wobei sich langfristig die Omnivoren (Generalisten) durchsetzten. Für jüngere Homo-sapiens-Populationen gilt es hingegen weiterhin als wahrscheinlich, dass die Vermittlung spezieller Herstellungstechniken für Steingerät an die jeweils nachfolgende Generation unter anderem Auswirkungen auf Sozialverhalten und Lernvermögen hatte und auch die Befähigung zu planvollem Handeln förderte.
Spätestens vor 72.000 Jahren wurden Steine aus einem bestimmten verkieselten Gestein (Silcrete), aus denen Werkzeuge mit scharfen Kanten hergestellt werden sollten, routinemäßig ins Feuer gelegt; nach der Erhitzung konnte man die Abschläge leichter vom Kern trennen.
Auch die Domestizierung des Wolfes wurde dahingehend interpretiert, dass er zu einem ‚(Jagd-)Werkzeug‘ des Menschen geformt wurde.
Kleidung
488 Flachsfasern – darunter 58 mutmaßlich gefärbte Fasern – gelten als die ältesten Belege für das Anfertigen von Kleidung. Sie stammen aus der Dzudzuana-Höhle in Georgien und wurden 2007 und 2008 aus einer Bodenschicht geborgen, deren Alter auf 36.000 bis 31.000 Jahre (yr B.P. ka) datiert wurde. Nur unwesentlich jünger sind Faserfunde – vermutlich von Brennnesseln – aus Dolní Věstonice (Tschechien), die 32.000 bis 29.000 Jahre alt sind und ebenfalls von Cro-Magnon-Menschen (Homo sapiens) stammen.
Wann die ersten Kleidungsstücke (vermutlich aus Fellen) angefertigt wurden, ist unbekannt, da es keine noch älteren archäologischen Funde gibt. Allerdings haben Genanalysen von Menschenläusen zu dem Schluss geführt, dass Homo sapiens bereits vor mindestens 70.000 Jahren, möglicherweise sogar schon vor 170.000 Jahren Kleidung trug. Als Hinweis auf eine mögliche Verarbeitung von Leder vor rund 40.000 Jahren wurde zudem 2023 der Fund eines Knochens im Nordosten Spaniens interpretiert, der eine Reihe gleichförmiger Vertiefungen aufweist und als Unterlage gedient haben könnte, um Leder zu durchbohren und für das Vernähen vorzubereiten.
Spekuliert wird in Fachkreisen ferner darüber, dass auch die sehr viel früher stattgefunden habende Ausbreitung von Homo heidelbergensis und der Neandertaler im nördlichen Eurasien „eine kälteabweisende Kleidung“ erforderte, „um auch bei monatelang unter 10 Grad Celsius fallenden Temperaturen ohne bleibende und für kleine Kinder durch anhaltende Unterkühlung unfehlbar tödliche Schäden handlungsfähig zu bleiben.“
Ernährung
Nach heutigem Kenntnisstand ist der anatomisch moderne Mensch „von Natur aus“ weder ein reiner „Fleischfresser“ (Carnivore) noch ein reiner „Pflanzenfresser“ (Herbivore), sondern ein „Allesfresser“ (Omnivore). Für die frühesten zur Gattung Homo gestellten Fossilien wurde nachgewiesen, dass sie sich – ähnlich wie Australopithecus africanus und Paranthropus robustus – zu mehr als 50 Prozent ihrer täglichen Zufuhr an Nahrungsenergie von C3-Pflanzen und zu einem weiteren erheblichen Anteil von C4-Pflanzen ernährten.
Der Gebrauch von Werkzeugen hat später die Ernährung des Menschen wesentlich beeinflusst und in der Folge auch die Gestalt der Knochenplatten des Kopfes, der Kiefer und der Zähne verändert. Wenn man die Zeitspanne, die Affen täglich für die Nahrungsaufnahme aufwenden, auf die Körpermasse des Menschen umrechnet, würde man erwarten, dass Homo sapiens 48 Prozent der täglichen Aktivität hierfür verwendet; tatsächlich sind es aber nur knapp fünf Prozent. Insbesondere die im Vergleich zu Homo habilis und Homo rudolfensis verkleinerten Backenzähne – vor rund 1,9 Millionen Jahren bei Homo erectus und später beim Neandertaler und bei Homo sapiens – können am ehesten als Folge von „verarbeiteter“ Nahrung interpretiert werden. 1,95 Millionen Jahre alte Knochenfunde aus Kenia bezeugen beispielsweise, dass damals bereits neben Antilopenfleisch auch das Fleisch zahlreicher im Wasser lebender Tiere – darunter Schildkröten, Krokodile und Fische – verzehrt wurde. Australopithecus afarensis hatte sich, vergleichbar den heutigen Pavianen, noch von einer überwiegend pflanzlichen, aber wenig hartfaserigen Kost ernährt, während die Individuen der Gattung Homo bereits vor zwei Millionen Jahren zunehmend proteinreichere Kost verzehrten – was wiederum die allmähliche Vergrößerung des Gehirns begünstigte.
Als gesichert gilt beim derzeitigen Forschungsstand, dass Homo erectus als erster die Beherrschung des Feuers lernte, was eine unter allen Lebewesen exklusive Fähigkeit der Gattung Homo ist; jedoch scheinen auch Schimpansen gekochte Nahrung zu bevorzugen. Die älteste unumstrittene Fundstelle mit verbrannten menschlichen Nahrungsresten ist Gesher Benot Ya’aqov im Norden Israels, die etwa 790.000 Jahre alt ist. In Europa hingegen stammt der älteste Nachweis von Feuerstellen aus der Zeit um 400.000 vor heute (Schöningen in Deutschland und Beeches Pit in England), während ältere Fundstellen homininer Fossilien wie die Höhle von Arago in Frankreich oder die Höhlen in der Sierra de Atapuerca (Sima del Elefante, Gran Dolina) keine Spuren von Feuergebrauch aufweisen; trotz Temperaturen von zeitweise unter Null Grad hat Homo erectus demnach Europa ohne Wärmeerzeugung durch Feuerstellen besiedeln können. Auch das Erhitzen der Nahrung hat Homo erectus demzufolge in Europa erst relativ spät praktiziert, Homo sapiens hingegen vermutlich seit Beginn seiner Existenz als unterscheidbare Art.
Auch heute noch ist der Mensch ein „Allesfresser“ (Omnivore); umstritten ist allerdings, welcher Anteil der Nahrungsaufnahme in vormodernen Gesellschaften auf Fleisch und auf Pflanzenkost entfiel: Während sich die Ewenken in Sibirien und die Eskimos überwiegend fleischlich ernährten, lebten die Völker in den Anden in erster Linie von pflanzlichen Nahrungsmitteln; bei der Mehrheit der heute noch lebenden Jäger-und-Sammler-Völker stammt allerdings weit über die Hälfte der Kost von Tieren.
Für die vor 30.000 Jahren in Europa lebenden Männer wurde die Körpergröße auf im Mittel 1,72 Meter geschätzt; später – offenbar infolge der Ausweitung der Landwirtschaft – verschlechterte sich die Ernährungslage, so dass die Körpergröße bis vor 4000 Jahren stetig abnahm. Eine weitere Größenabnahme ereignete sich im Mittelalter. Erst seit etwa 100 Jahren hat die Körpergröße der männlichen Europäer wieder den Ausgangswert erreicht und ihn in jüngster Zeit überschritten.
Kunstwerke
Als die frühesten Zeugnisse symbolischer Kommunikation gelten mit geometrischen Gravuren verzierte Ockerstücke aus der Blombos-Höhle in Südafrika, die auf etwa 77.000 Jahre datiert wurden. Noch 5000 Jahre älter sind durchbohrte Schneckenhäuser (Nassarius gibbosulus) aus der Grotte des Pigeons bei Taforalt (Region Oujda, Marokko), die mit anhaftenden Ockerresten gefunden wurden. Ungefähr 60.000 Jahre alt sind 270 Fragmente von Straußeneiern, die gleichfalls in Südafrika – in der Diepkloof-Höhle – entdeckt wurden und ebenfalls geometrische Muster (Schraffuren, parallele und sich kreuzende Linien) aufweisen. Mit einem Alter von unter 40.000 Jahren wesentlich jünger sind die aus Europa bekannten Höhlenmalereien sowie Objekte wie beispielsweise die Löwenmenschen und die Venus vom Hohlen Fels.
Soziale Fürsorge
Soziale Fürsorge, das heißt die altruistische Versorgung von nur eingeschränkt handlungsfähigen Individuen durch andere Mitglieder ihrer Gruppe, ist bei den heute lebenden Menschenaffen weitgehend beschränkt auf die Ernährung und den Schutz von Jungtieren. Die Merkmale einiger Fossilien der Gattung Homo wurden jedoch dahingehend interpretiert, dass sie deutliche Hinweise auf soziale Fürsorge zugunsten von betagten Erwachsenen zeigen. So wurde in Georgien unter den homininen Fossilien von Dmanissi ein rund 1,8 Millionen Jahre alter, zahnloser Schädel mit zugehörigem unbezahntem Unterkiefer entdeckt, dessen „verheilte“ Zahnfächer den Schluss zulassen, dass das Individuum – obwohl es grobe Nahrungsmittel nicht mehr zerkauen konnte – mit stark zerkleinerten Nahrungsmitteln versorgt und trotz seiner Behinderung sozial integriert gewesen sein muss.
Ähnlich interpretiert wird der Fund eines rund 500.000 Jahre alten Homo heidelbergensis aus der Sierra de Atapuerca in Spanien: Die männliche Wirbelsäule zeige Anzeichen einer ausgeprägten Kyphose (eines „Buckels“), von Spondylolisthesis und von Morbus Baastrup, so dass dieses Individuum sich vermutlich nur noch mit einem „Gehstock“ habe aufrecht fortbewegen können. Weder habe es aufgrund dieser schmerzhaften Krankheiten an der Jagd teilnehmen noch schwere Lasten tragen können, so dass es vermutlich in besonderem Maße auf die soziale Fürsorge seiner Gruppe angewiesen gewesen sei.
Spiritualität und Religiosität
Schon Charles Darwin hatte vermutet, die Neigung des Menschen zu Spiritualität und Religiosität habe sich erst im Verlauf der jüngeren Stammesgeschichte herausgebildet:
- „Wir haben keinen Beweis dafür, dass dem Menschen von seinem Ursprunge an der veredelnde Glaube an die Existenz eines allmächtigen Gottes eigen war.“
Darwin deutete diese Neigung als Folge bestimmter kognitiver, also letztlich durch die Verschaltung der Nervenzelle im Gehirn ermöglichter Fähigkeiten:
- „Sobald die bedeutungsvollen Fähigkeiten der Einbildungskraft, Verwunderung und Neugierde, in Verbindung mit einem Vermögen nachzudenken, theilweise entwickelt waren, wird der Mensch ganz von selbst gesucht haben, das was um ihn her vorgeht zu verstehen, und wird auch über seine eigene Existenz dunkel zu speculiren begonnen haben.“
Heutige Kulturanthropologen führen die Existenz von Spiritualität und Religiosität darauf zurück, dass sie kooperatives Verhalten zwischen gleichgesinnten Fremden fördern und dadurch zum Entstehen und zum Erhalten stabiler sozialer Gruppen beitragen; ungeklärt ist jedoch, ob dies im Sinne einer evolutionären Anpassung oder – vergleichbar der Musikalität – als ‚Begleiterscheinung‘ anderer kognitiver Fähigkeiten zu deuten ist.
In welcher Epoche diese kognitiven Fähigkeiten erstmals auftraten, ist umstritten: Einige Forscher stellen einen Zusammenhang mit den ältesten, sicher datierten Bestattungen vor 95.000 Jahren in der Qafzeh-Höhle (Israel) her; andere mit den ältesten sicher datierten Kunstwerken wie der Venus vom Hohlefels vor rund 35.000 Jahren.
Die neurophysiologische Basis geistiger Fähigkeiten ist bislang weitestgehend unerforscht, jedoch gibt es zumindest im Hinblick auf Spiritualität erste Hinweise; so wies Vilayanur S. Ramachandran beispielsweise darauf hin: „Jeder Medizinstudent lernt, dass Patienten mit epileptischen Anfällen, die [im linken Schläfenlappen] entstehen, während der Anfälle oft intensive spirituelle Erfahrungen haben…“ Ramachandran stellte ferner die Einzigartigkeit solcher Erfahrungen heraus:
- „Wir Menschen besitzen viele Eigenschaften, die nur unserer Art eigen sind, aber keine von ihnen ist so rätselhaft wie die Religion – unser Hang, an eine höhere Macht zu glauben, die die Welt der Erscheinungen transzendiert. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass irgendein anderes Geschöpf nach ‚dem Sinn des Ganzen‘ fragen kann.“
Siehe auch
Literatur
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Weblinks
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East-African human ancestors lived in hot environments, says Caltech-led team. Auf: eurekalert.org vom 8. Juni 2010. Hier heißt es als wörtliches Zitat des Co-Autors der PNAS-Studie, John Eiler (Robert P. Sharp Professor of Geology und professor of geochemistry am California Institute of Technology): „For example, by standing upright, we intercept less direct sunlight than if we were on all fours, and in hot, open environments, the ground and near-surface air can be appreciably hotter than the air a few feet above the ground. So, by standing upright, we are avoiding a high-temperature environment.“ - ↑ Graeme D. Ruxton und David M. Wilkinson: Thermoregulation and endurance running in extinct hominins: Wheeler’s models revisited. In: Journal of Human Evolution. Band 61, Nr. 2, 2011, S. 169–175, doi:10.1016/j.jhevol.2011.02.012.
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- 1 2 Vilayanur S. Ramachandran, Sandra Blakeslee: Die blinde Frau, die sehen kann. Rätselhafte Phänomene unseres Bewusstseins. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2002, S. 285.