Die Kochprofis – Einsatz am Herd

ein kleiner Gastronom, der verschuldet in Not geriet, aber noch genug Geld für ein Telefongespräch hatte. Er rief mit einem Anruf nicht ein, nicht zwei, sondern gleich drei Heinzelmännchen herbei, die binnen zwei Tagen aus fettigem Convenience-Food leckerste Speisen zauberten. Sie riefen alle verloren gegangenen Kunden herbei, die nun sogar bereit waren, noch mehr für kleinere Portionen zu bezahlen. So war gleich am vorletzten Tag abzusehen, dass der kleine Gastronom bald schuldenfrei sein würde. Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute im Vorruhestand auf den Malediven.

Kinderpsychologen warnen vor der suggestiven Kraft von Märchen, die gerade dann ihren pädagogischen Effekt verlieren und Schadwirkung entfalten, wenn sie im Übermaß genossen werden. Das führt letztlich dazu, dass man jeden Buchstaben dieser Märchen glaubt, die gute Fee hinter jedem Wimpernhärchenverlust vermutet und aus Furcht vor dem schwarzen Mann nicht in den Keller geht. Doch zur Beunruhigung sei versichert: es gibt tatsächlich den kreidefressenden Wolf im Schafspelz, es gibt schwarze Männer und auch tatsächlich Gastronomen, die furchtbar schlecht kochen. Dank der Zuschauer, die glauben, dass dann noch Rettung möglich ist, gibt es die Sendung mit den Kochprofis. Ihr Ziel ist ihr Programm: der Blitzkrieg gegen selbstverlorene Kleinunternehmer-Existenzen und das Abservieren ihres inneren Schweinehundes. Dies zwar im realen Küchen-TV-Alltag auf effiziente dreieinhalb Bruttofilmstunden heruntergewürzt, aber im Fell des Kochs will niemand stecken und dieser wird alles tun, aber sicher nicht mehr meckern.

Das Team

Auf Theorie kann leider nicht verzichtet werden!

Frank Oehler wird meist mit einem für die Mundart nach schwäbischer Art perfektioniertem leidenden Lächeln (Mundwinkel nach unten) im Bild festgehalten, wodurch er in allen nichtschwäbischen Bundesländern grimmig wirkt. Nicht ganz von Zynismus befreit, tritt er als einziger Heinzelmann mit weißer Weste auf, was allerdings seinen Anspruch als "Held der Arbeit" unter quasi Arbeitslosen unterstreicht. Aus Kostengründen wird er seit mehreren Sendungen nicht mehr untertitelt. Seine Brumm- und Grunzgeräusche sind aber leicht zu interpretieren. Sonst springt meist Andy Schweiger als Übersetzer ein, der sowieso vor Ort ist. Oehler weiß sofort, wo es beim inspizierten Betrieb hapert und arbeitet nach dem Prinzip "Böser Koch - böser Koch" auch dem dritten bösen Koch vor. Spezialfähigkeiten: seine drei Kochleben (Selbständigkeit - Nichtselbständigkeit - Selbständigkeit), mehrere Gault-Millau-Punkte und sein Probierbärtchen, mit dem er bereits aus zehn Metern Entfernung Immissionen einer Tiefkühlgemüsegarung wahrnehmen kann.

Andreas Schweiger, einer der beiden jungen Wilden im Trio, ist ein größtenteils schief gegangener Klon von Frank Oehler. Das äußert sich in seinem kümmerlichen Probierbärtchen, das nur halbautomatisch, in Zusammenhang mit einem Probierlöffelchen, funktioniert. Auch ist er durch seinen badischen Dialekt versehentlich massenkompatibler geworden und dank des smarten Aussehens beinahe sympathisch. Seine Spezialfähigkeit, die Schreckensszenarien aus der pubertären Urtiefe menschlicher Angst wiederbelebt, ist sein berüchtigter "Wie willst du das deiner Mutter erklären?"-Blick. Danach kann nicht mehr kommen, als die Einsicht vollkommener Unfähigkeit beim Gegenüber.

Ole Plogstedt hat eigentlich keine richtige Spezialfähigkeit, trägt aber zum Einschüchtern gerne Schwarz am Herd. Dank seines Einsatzes wird diese Farbe nicht mehr als Traueraufarbeitung für Übergartes verstanden und schon gar nicht als farbgewordene Konklusion von sehr viel Liebe und noch mehr Zeit für das Kochen, Angebranntem eben. Nein, er ist ein Koch-Ninja, es ist sein schwarzer Ganzkörpergürtel, dessen Gegenstück Schweiger aufträgt.

Die Orientierungsphase (0 - 30. Minute)

Lethargie kann man nicht herausschneiden, Übermotiviertheit schon:
"Soso, Eierschaum auf englischem Darjeeling-Tea mit feiner Kräutertrübung - es schmeckt aber plump nach Weizenbier!"

Damit das Feuerwehrauto für den Gefrierbrand-Einsatz "auf seinen Reisen quer durch die lukullische Republik" (O-Ton) nicht gleich von hunderten Bruchpiloten aufgehalten wird, die weniger Glück im Unglück hatten, wird es von dem hauseigenen werbefinanzierten 40-Tonner der Sendeanstalt aufgenommen, der normalerweise für deren Sendung "Der Trödeltrupp" unterwegs ist. Einen Straßenzug vor dem Ziel wird die Crew schließlich auf die Straße entlassen. Hier ist viel schauspielerisches Talent gefragt. Man will die Zuschauer mit den großen Kulleraugen nicht enttäuschen, dass die deutsche Kochelite nicht persönlich am Lenkrad sitzt, um Hein Blöds Spezialitäten-Restaurant in Karlsruhe und die Waldschenke in der norddeutschen Tiefebene, mit angeschlossenem Grillimbiss und sonntäglichem Brotaufbackservice, zu retten. Nach einem kurzen Einspieler, der in der gourmetfreien Zone gedreht wurde und die Missstände mit dem Zaunpfahl anzeigt, ist von Oehler ein geübtes, von latenter Ungeduld durchdrungenes, hoch motiviertes "Hier müsste es sein!" zu hören. Die drei Köche sitzen nun vor einem Laptop, der den besagten Trailer in Kurzform abspielt. Oehlers Barthaar zuckt, Schweigers Blick wird finster und Plogstedt zupft seine Terminator-Kutte für den Außeneinsatz zurecht. Die Analyse, die sich später bestätigen wird, mäandert zwischen den Kommentaren:

  • "Die unterhalten sich ja gar nicht miteinander!!
  • "Schwieriger Standort!!"
  • "Sieht aber nicht sauber aus!!"
  • "Das ist nicht frisch gekocht!!"
  • "Da steckt aber keine Liebe drin!!"

Obwohl vorher alles klar ist, sucht man trotzdem den Standort auf. Man lässt sich die Karte bringen und niemand wird mehr anzweifeln, dass die Profis auch das nicht schon vorher gewusst hätten: Sie ist zu groß!!
Fasziniert angewidert gewahren sie kopfschüttelnd, dass die Speisekarte - eigentlich sind es mehrere ineinander gesteckte - sämtliche menschlichen Errungenschaften seit der Jungsteinzeit beinhaltet, die je auf einer Kochstelle stattgefunden haben, nur nicht nach Herkunftsländern geordnet:

  • Gyros, Souflaki, Bifteki, griechischer Salat - klein, mittel, groß, ganz groß
  • Pizzen mit allen möglichen Belägen (auch Gyros-Pizza und sonst kann man mit dem Koch reden)
  • Wildgerichte, knapp unter Einhaltung der Roten Liste für gefährdete Tierarten
  • Fisch aus der Tiefsee und dem Angelteich

Die Karte hat also etwas Anrührendes - man will es einfach jedem Recht machen. Man will alle bedienen und so muss man mit dem Schicksal leben, sich am eigenen Anspruch messen zu lassen, ohne dass überhaupt erst die Bratkartoffeln oder die Konsistenz der Crème fraîche kritisiert werden müsste. Tischlein, deck dich:

  • Wildlachsfilet mit Spinatdressing
  • Vanillecreme im Himbeergeisttraum
  • Rucola-Arrangement in Stubenküken

Trotzdem bestellt man nicht mit bauchgrimmigem Humor, sondern aus reiner Menschenliebe - dem Koch und noch mehr den Gästen gegenüber - quer durch die Karte. Eben auch, um das ausgehungerte Aufnahmeteam nach der eigenen Verpflegung zu sättigen und natürlich den gerichtlich vorliegenden Beweis übel zugerichteter Zutaten auf lieblos angerichteten Tellern in Händen zu halten:

  • dass der Fisch beinahe wiederbelebt werden könnte
  • dass der Himbeergeist ein Discountprodukt ist
  • dass die Stubenküken wohl zum ältesten Geflügel zählen, dass in Deutschland je (nicht) gegessen wurde.

Nun weiß es wirklich jeder, aber sie sprechen es als Erste in der Tradition des Hauses aus: "DU KANNST NICHT KOCHEN! Gelernter Koch? NOCH SCHLIMMER!" Schweiger positioniert seinen Blick: "Fisch braten lernt man im ersten Ausbildungsjahr", Oehler grunzt nickend furchtbar dazu, während Plogstedt die Bratkartoffeln und die Konsistenz der Creme fraîche kritisiert. Hintergrund ist, dass sich auch der beste Koch nur dann verbessern kann, wenn ihm glaubhaft gemacht wird, dass er beschissen kocht. Die Demontage des kochenden Handwerkers ist abgeschlossen!

Die Wahl der Taktik (31. - 60. Minute)

ist der kürzeste, weil auch selbstverständlichste Teil der Dokumentation. Allen, vor allem dem Koch ist klar, dass nun der Satz folgen muss, der den Höhepunkt jeder Sendung wie ein Gipfelkreuz markiert: "Wir müssen bei 0 beginnen!"

Break! Die Kochprofis sitzen im Feuerwehrauto und beratschlagen sich über diskussionsunwürdige Fakten, was dem Zeitdruck geschuldet ist. Bevor Zuschauer, die sich noch mit dem Inhaber identifizieren, die Karte gemäß des demonstrierten Könnens tatsächlich auf 0 reduziert sehen, zeigen die Kochprofis das Potenzial des Pachtbetriebes: Wenn sich in der Nähe ein Fischteich befindet, wird ein Fischrestaurant draus gemacht. Wenn der größte Umsatz mit klassischem Fastfood gemacht wird, steht hier bald ein Fastfood-Restaurant. Wenn sich das Etablissement in der Nähe großer Wälder befindet, wird sich auf Wildgerichte spezialisiert. Die Karte gehört so zusammengestrichen, dass man nur noch das anbietet, was man im folgenden Crash-Kurs mit den Besuchern vom Michelin-Stern lernen kann.

Gastronomie ist so unglaublich einfach, wie Gut und Böse im Märchen zu erkennen ist! Die Metamorphose der bösen Köche hin zu improvisationsbegabten Knuddelgourmets beginnt. Man hört Oehler in seinen logopädisch unbedenklicheren Momenten vom künftigen Erfolg derart schwärmen, dass man sich mit seinen Vokabeln ganz in die private Emotionalität erotischer Literatur zurückziehen möchte: "[Kochen] heißt doch Natürlichkeit [der Zutaten], Authentizität [des Angebots], Ehrlichkeit [zu den Kunden], Liebe [zu den Produkten], Leidenschaft [fürs Kochen] und immer genau auf DEN Punkt zu kommen, der auch erwartet wird!" (Herrlich! <<Anm. des Verf.>>)
Die Rettung ist so gut wie vollzogen!

Das gemeinsame Kochen (61. - 120. Minute)

Nachgestelltes Backwerk aus der Vorratskammer vor der Hausaufgabe

Der letzte Drehtag beginnt mit der Auswertung der auferlegten Hausaufgabe, die etwas an die Abschlussprüfung des Meisters an seinen Musterschüler erinnert, der momentan an einem kompletten Blackout leidet: "Eure Kunden schätzen Eure Hausmannskost, die sogenannten einfachen Gerichte! Was sollte also auf der neuen Karte stehen? Na? Was bietet ihr an?" Inhalt der Hausaufgabe können aber auch weitere aufgedeckte Mängel sein, die bis zum nächsten Morgen erledigt zu sein hatten; so die verdreckte Küche, der zu entrümpelnde Kühlraum, Rückstände tierischen Aufenthalts in der Vorratskammer, die defekte Lüftung oder überhaupt das furchtbare Arbeitsklima, das entfernt an eine LPG-Kantine aus den 60ern erinnerte. Nachdem die Nebenquests immer alle erfolgreich absolviert wurden, geht man also daran, die Wildentenbrust an Pfifferling-Rahmsauce mit Trüffeln und die für Frühaufsteher auf dem Großmarkt beschaffbaren Flusskrebse durch zünftigen Schweinebraten, natürlich grünem Salat mit selbst gemachtem Dressing sowie cross gebratenem Rinderfilet zu ersetzen und alles zum Schluss mit der einen oder anderen Innerei abzurunden. Sicher ist es so, dass nichts mehr auf der Karte bleibt, wie es war, aber da die Nachsitzenden vom Helfersyndrom und der Ambivalenz der strengen und trotzdem einfühlsamen Profis geschockt sind, glauben sie bis zuletzt, das neue Angebot sei ihr eigenes Werk.

Selbst in schwierigeren Fällen ist der Grat zwischen zornigem Beleidigtsein, kindlichem Trotz und devoter Einsicht in faszinierender Schnelligkeit gemeistert worden. Jede Minute zählt. Die Verbrecher am guten Geschmack haben nun eindeutig Schlagseite hin zur Feinkost bekommen. Auch sie haben nun diese großen wässrigen Augen, wenn Schweiger irgendetwas von ordentlicher Kalkulation erzählt, Plogstedt verfahrensoptimierte Abläufe herunterbetet und Oehler dazu nickt, weil er gerade zwischen Zwiebelschneiden und Pfannenschwenken nichts anderes zu tun zu haben schien. Das Konzept ist wie ein vernünftiger Hefeteig aufgegangen und der Waschmaschinenkaufvertrag kann unterzeichnet werden. "Das ist Eure Chance! Und so machen wir’s auch!"

Es gibt kein Zurück mehr, aber es gibt ein Schwarzbuch an Kochtodsünden, die man sich am besten in Reimform merkt:

Rouladen anbraten und DANN schmoren,
sonst ist man verraten und verloren!

Wenn Röstis im Fett ersaufen,
gehen die Kunden laufen!

Arzt und Koch wisse,
durch Nierchen lief...
Man wäscht sie besser roh,
sonst stinkt’s am Herd nach...

Die Chancen stehen gut, dass sich trotz besseren Wissens und bestem Willen nur zögerlich in die perfekte Routine der Profis eingefunden wird. Damit findet die zweite große Verwandlung während der Sendung statt: die des wohlwollenden Zuschauers in einen fassungslosen Mitwisser, der sich gegen den Däumling Dümmling wendet, der im Glassarg seines Konservenkosmos unbekümmert mit Soßenbinder und Fertigmayonnaise sein gastronomisches Nahtoderlebnis befleißigt: "Diese Vollidioten, NOCH IMMER haben sie nichts gelernt, dabei ist es doch so einfach!" In der Rolle der einst bösen Köche hat man nun überhaupt kein Verständnis mehr dafür, dass man Ketchup nicht selbst viel leckerer herstellen kann und sich beim Entgräten der Forelle so dumm angestellt wird. Allegorisierend möchte man fragen, wie sie sich nur als unbedarfte Kinder des Arbeitsmarktes im Kochvorschriftenwald der Gastronomie verlaufen und auf das nun entzauberte Hexenwerk an gesättigten Fettsäuren moderner Vorkochindustrien hereinfallen konnten.

Das Wechselbad der Gefühle endet, wenn Oehler den Hackbraten gerettet hat, Schweiger die vorgekochte Frühlingssuppe mit Petersilienkrümeln abnickt und Plogstedt stimmig dazu darauf besteht, die Röstzwiebeln ruhig noch etwas dunkler werden zu lassen. Eine Werbepause später ist klar, dass man ungefähr drei Gerichte der neuen Karte nun selbst kochen kann.

Der große Erfolg (121. - 210. Minute)

Kaum zu glauben, daher weiß man es: Schönfrittchens Prinzen brauchen tatsächlich keine Froschschenkel, um königlich aufzutreten! In unauffälliger Alltagsgarderobe heimeliger Profiküchenoptik sammelt man die Sterntaler vertrauensseliger Kundschaft ein, wenn sich im Choral der Drei aus dem Morgenland unternehmerischer Zukunft das Menü in seine atomaren Bestandteile an Mehlschwitze, Suppenknochenarbeit, Röstaromen und liebevoller Dekoration zerlegen lässt. Die Einfachheit ist das Geheimnis.

Jeder weiß nun, dass dieses Wunder an Geschmack und Respekt vor den Zutaten wahr werden wird, dass der kleine Gastronom stets erhofft, oft erbeten, aber nie zuvor erlebte. Es braucht nur noch den Schritt vor die senderseitig angeheuerten, einst ausgehungerten Mäuler nach dem großen Fressen in die Sirtaki-Grundstellung. Begafft, beklatscht und bewundert wird man sich einig sein, dass dies jedenfalls die schönste Art wäre, die Feier zur eigenen Insolvenz zu begehen.

Und wenn sie nicht auf den Malediven sind, dann sind sie alle tot.

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