Gammelbildung

Der Begriff Gammelbildung bezeichnet mit deutlich abwertender Konnotation die Vermittlung veralteter, anspruchsloser oder schlichtweg falscher Informationen durch moralische oder intellektuelle Instanzen. Sie wird noch immer ohne Gefahrenhinweise ausgestrahlt und von weiten Teilen des Publikums positiv aufgenommen, stellt also eine erhebliche Gefahr für die Bevölkerung dar. Betroffen sind neben den Naturwissenschaften vor allem Teile der Psychologie.

Themen

Physik

Ein Schwarzes Loch ist, wenn alles reingesaugt wird und nix kommt wieder raus. Wie die HRE, haha!

Besonders anfällig für Gammelbildung sind innerhalb der Physik vor Allem die Bereiche der Teilchen- und Astrophysik. Mit größtem Genuss werden hier einfache und einfachste Einsichten auf ein Vielfaches ihres eigentlichen Umfanges aufgebläht und mit ungeeigneten Beispielen zusätzlich sperriger gestaltet, um dem unbedarften Zuhörer das Gefühl zu geben, schon eine ganze Menge gelernt und verstanden zu haben und jetzt vom Laien zum immerhin Wissenschaftsinteressierten aufgestiegen zu sein. Mit winzigen Fragmenten der ersten Schulstunde im Nebenfach Physik kann ein geeigneter Sympathieträger im ZDF oder bei Pro7 ohne Probleme eine ganze Sendung füllen.

Dazu wirft er beispielweise Obst und Gemüse auf die Erde, um die Schwerkraft zu illustrieren, fährt Karussell, um die Fliehkraft anschaulich zu machen, isst Zuckerwatte, weil er Hunger hat (Spaß muss sein), oder steht einfach da und erzählt von der faszinierenden Welt des ganz Kleinen und des ganz Großen. Erstaunlicher Beliebtheit erfreuen sich hier Größenvergleiche mit Planeten, Tennisbällen, Stecknadelköpfen, Punkten am Ende dieses Satzes und Atomen sowie Atomkernen. Wenn man zum Beispiel einen Stecknadelkopf neben einen Tennisball hält, dann hat man ziemlich genau das Größenverhältnis, das man hat, wenn man den Punkt am Ende dieses Satzes neben einen Stecknadelkopf setzt; nun kann man sich vorstellen, wie klein so ein Punkt wirklich ist, und das ist schon ziemlich faszinierend. Oder noch besser: die Erde ist im Verhältnis zum ganzen Universum nur so groß wie ein Stecknadelkopf im Verhältnis zum Universum. Das heißt sogar, dass der Stecknadelkopf genau so groß ist wie die Erde, zumindest im Verhältnis, und das ist wiederum völlig unglaublich! Taucht man mitten im Pazifik einen Stecknadelkopf ins Wasser, so bildet sich eine Ringwelle. Diese breitet sich aus und trifft etwa drei Jahre später – auf etwa ein Trillionstel abgeflacht – gleichzeitig die Küsten von Amerika, Japan, Australien, der Arktis und der Antarktis. Wenn man nun ein Wasserrad hätte, das genau einen Millimeter breit wäre und nur die Energie dieser Welle in Elektrizität umwandeln würde, dann hätte man genau so viel Strom, wie ein durchschnittlich starker Blitz bräuchte, um ganz Amerika für den Zeitraum mit Energie zu versorgen, den das Licht bräuchte, um den Millimeter von ganz links auf dem Wasserrad bis ganz rechts auf dem Wasserrad zurückzulegen. Möglicherweise wird in ferner Zukunft auf diese Art und Weise der Energiebedarf der Menschheit gedeckt. Die Steigung des Meeresspiegels durch versenkte Stecknadelköpfe könnte man hierbei vernachlässigen, da ja die Kontinente, von denen das Eisen der Stecknadeln stammt, zugleich leichter würden und etwas höher auf dem übrigens glühend heißen Magma schwimmen würden (übrigens: unsere Erdkruste ist im Vergleich zur Größe der Erde so dünn, dass der höchste Berg der Welt (genauer: der Erde, denn auf dem Mars gibt es viel größere), der Mount Everest, nicht größer wäre als die Spitze einer Stecknadel), während zugleich der schwerer werdende Meeresboden ein Stück weit absinken würde. Mit dem Beruf des pazifischen Nadeltauchers wären sogar neue Zukunftsperspektiven für kommende Generationen geschaffen und das Arbeitsmarktproblem der heutigen Zeit würde deutlich entschärft.

Ach ja, nur fürs Protokoll: würde man die Zahl [math]9^{(9^9)}[/math] komplett ausschreiben, so würde sie einen Zettel füllen, der von hier bis nach Buxtehude gehen würde. Das ist insofern erstaunlich, als sie ja bloß aus drei Ziffern konstruiert ist, die obendrein alle gleich sind, nämlich 9. Aber die Potenzierung macht viel aus.

Außerirdische

UFO im Landeanflug?

Ähnlich beliebt wie Größenvergleiche sind abwegige bis abenteuerliche Mutmaßungen über außerirdisches Leben, immer natürlich in Verbindung mit der banalen Feststellung, dass Außerirdische nicht so aussehen müssen wie wir und möglicherweise auch kein Englisch sprechen. Mit der nüchternen Wahrheit, dass bis dato noch gar nichts gefunden wurde, ist selbstredend kein Publikum zu begeistern. Interessanter ist da schon die Frage: "Was wäre, wenn...?" So lässt sich zum Beispiel aus den nicht nur auf der Erde gültigen Gesetzen der natürlichen Auslese zweifelsfrei feststellen, dass auf einem Planeten, der über eine vollkommen glatte, harte Oberfläche mit kreisrunden, vier Zentimeter breiten und zwölf Meter tiefen Löchern verfügen würde, auf deren Boden sich Nahrung befinden würde, nur folgende Lebensformen eine Chance hätten:

  • Wesen, die klein genug sind, um in die Löcher zu klettern, und die in der Lage wären, wieder herauszufinden
  • Wesen mit höchstens vier Zentimeter dicken, mindestens zwölf Meter langen Fangarmen und Händen, Saugnäpfen oder Rüsseln

Möglicherweise würde der Planet aber auch von einem einzigen, riesenhaften Ungetüm ohne Augen bewohnt, das seine unzähligen schlürfrüsselbewehrten Fangarme in alle Löcher zugleich stecken und Jahrmilliarden lang nur fressen würde. Der Mensch wäre in jedem Falle völlig lebensuntauglich auf diesem Planeten. Außer er hätte Schaufeln, dann ginge es vielleicht doch wieder.

Psychologie

Ähnlich spannend, weil komplett kenntnisfrei vermittelbar, sind auch ein paar Themen aus der Psychologie. Nach gängiger Lehrmeinung will wohl jeder Mensch selbstbewusst und anerkannt sein, Erfolg in Liebe, Leben und Beruf haben und die Gedanken der Anderen lesen und beherrschen können.

Entsprechend ausgebucht sind auch die teuersten Seminare, wenn sich nur vorne jemand hinstellt, der den Anspruch erhebt, die Schlagfertigkeit erfunden zu haben, selbst wenn er bereits in der Einleitung verkündet, dass es eben diese Schlagfertigkeit eigentlich gar nicht gibt. Denn es folgen ein paar praktische Hinweise, die so idiotensicher sind, dass sie jeder ohne großen Trainingsaufwand befolgen kann:

  • unerwartet zustimmen: Man wird beleidigt, zum Beispiel "Du bist dumm, hässlich und in jeder Hinsicht erbärmlich". Anstatt sich nun dem natürlichen Rechtfertigungsdruck zu ergeben und zu erläutern, warum man denn so dumm und hässlich sei oder dies sogar abzustreiten, ist hier das Mittel der Wahl die Zustimmung: "Ja, das bin ich, gut erkannt." Der Angreifer ist völlig überrollt, ihm fällt nichts mehr ein.
  • unerwartet widersprechen: Wieder wird man beleidigt, der Einfachheit halber genau wie oben. Nur dieses Mal widerspricht man: "Nein, das ist nicht richtig. Das kann man so nicht sagen, das stimmt nicht." Diese schlagfertige Antwort verunsichert den Angreifer zutiefst, denn sie ist sachlich, treffsicher und sehr bestimmt. Auch hier verschlägt es ihm schlichtweg die Sprache.

Vergleichbar einfach gestaltet sich der Themenkreis rund um Traumdeutung und Psychoanalyse: träumt man von Nudeln, deutet das auf Hunger oder verdrängte Sexualität hin, während Steine für Dinge wie Härte oder Hartherzigkeit oder auch Kälte stehen können, oder gar für verdrängte Sexualität. Träumt man sogar von Sternen, drängt sich eine Verknüpfung mit der Astrologie auf: träumt man von günstig stehenden Sternen, symbolisiert dies die Hoffnung auf Glück, während schlecht stehende Sterne die Furcht vor Unglück signalisieren. Sterne können ferner für Navigation auf See oder die Sehnsucht nach außerirdischem Leben stehen (siehe oben).

Hohlkopf voll kochender Gammelbildung

Besonders fähig zeigen sich beim Thema Psychologie übrigens nicht die grauen Theoretiker, sondern vielmehr Leute mit praktischer Erfahrung, also Menschen auf dem Weg in die Klapsmühle hinein, aus der Klapsmühle heraus und ganz besonders diejenigen, die in der Drehtür schreiend im Kreis laufen. Sie haben sehr viel Erfahrung.

Gesundheitsrisiko

In geringen Mengen konsumiert ist die Gammelbildung zunächst nicht schädlich und wird daher gelegentlich zur Unterhaltung genutzt. Wird jedoch ein Hohlkopf überwiegend oder vollständig damit gefüllt, stellt dies ein erhebliches Risiko für seine Gesundheit dar. Die muffig vor sich hin modernde Gammelbildung stört das chemische Gleichgewicht im Kopf, sie sorgt für Unmut, Schlaflosigkeit und Reizbarkeit. In kritischen Fällen verstopft sie alle Ein- und Ausgänge des Kopfes, so dass die entstehenden Faulgase einen wachsenden Überdruck erzeugen. Rasender Kopfschmerz, Gleichgewichtsverlust und schwere Orientierungsstörungen sowie völlige Unbelehrbarkeit sind die Folge. Steigt der Druck weiter, werden irgendwann alle Verstopfungen mit lautem Krachen herausgesprengt – der Patient "knallt durch" und ist hernach von allen guten Geistern verlassen, redet irr und kombiniert Versatzstücke seiner aufgestauten Gammelbildung zu immer neuen Pseudoerkenntnissen, die er nach Möglichkeit der ganzen Welt mitteilen muss, und zwar sofort. Häufige Folgeerkrankungen sind chronische Themasthenie und spontane Achselhaardetonation.

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