Spiegelwelten:Brookline
Brookline, geründet Anno 1117 (OZR), war Amerikaniens Hauptstadt und ging bei dem Meteoriteneinsturz, der das ganze Land vernichtete, ebenfallls unter.
Die Stadt lag 30 Kilometer von der Küste des Lakota Meeres entfernt. Das Weisse Haus, der ehemallige Sitz der amerikanensischen Regierung, befand sich 10 Kilometer abseits von Brookline in dessen Umland.
Das Zentrum des Geistes
Es wurde häufig spekuliert, warum ausgerechnet Brookline und nicht die viel größeren Städte wie etwa die Handels- und Hafensadt Newburyport oder die alte Finanzmetropole Old York Hauptstadt des Landes war.
Die Antwort lag in der Mentalität der Amerikanier und ihrer Prioritätensetzung: Brookline wurde von einer langen Tradition mit Schwerpunkt im geistigen und spirituellen Bereich bestimmt.
In dieser Tradition wollte man auch Politik und Regierung stets eingebunden wissen, frei nach dem historischen Zitat Kennedys: "Wenn Politiker mehr von Poesie verstünden und Dichter mehr von Politik, wäre die Welt eine bessere".
Kunst, Religion und Geisteswissenschaften hatten in Brookline eine lange Tradition.
Die berühmte Aspengrove-Universität war die renommierteste Bildungsanstalt des ganzen Landes und erhielt seit vielen Jahren mehr Aufnahmeanträge als Studienplätze frei sind.
In Brookline gab es 5 große Museen, 14 Kunstgalerien, 3 Konservatorien und zahllose Buchläden und Schriftrollen-Banken. Die Bibliothek der Stadt war zudem die älteste Ozeaniens.
Religionen
In kaum einer anderen Stadt des vornehmlich paganistischen Landes lebten so viele religiöse Minderheiten wie in Brookline. Ihre Gotteshäuser prägten teilweise das Stadtbild, wie die prächtige Potemkin-Kathedrale der christlich orthodoxen Gemeinde.
Die jüdische Synagoge war nur einen Steinwurf entfernt, (wurde aber noch nie mit Steinen oder anderem beworfen, was im Universum so ziemlich einmalig sein dürfte).
Am Südende der Stadt schließlich erhob sich die blaue Moschee, wo die muslimischen Bürger Brooklines beten.
Im Zentrum der Stadt lag der große Moonflower Park, in dessen Mitte ein heiliger Eichenhain lag. Dort befand sich ein Labyrinth-Garten mit einer Steinanlage, an der der Präsident an hohen Feiertagen seine Reden hielt und gegebenenfalls Opfer vollzog.
Der älteste Druide Brooklines betreute diesen Kultplatz und stand den Bürgern auch jeder Zeit mit privater Seelsorge zur Seite. An vielen Straßenecken und etlichen Winkeln Brooklines fand sich kleine Kultnischen, Steinkreise, Menhire und Dolmen.
Aber auch die wenigen konfessionslosen Einwohner hatten sich organisiert: In der traditionsreichen Who-know's-Road stand die bekannte Villa Weissnix, das Vereinszentrum der amerikanensischen Agnostiker.
Im "Atheist's Attic", einem herrlichen, unter Denkmalschutz geestandenem Altbau im Herzen der Stadt, trafen sich die Atheisten und Gottlosen, um sich gegenseitig in ihrem Unglauben zu unterstützen.
Leben in Brookline
Das Zusammenleben der vielen unterschiedlichen geistigen Strömungen bildete schon früh ein gesellschaftliches Klima, das von Respekt und einer Art von "ökumenischem Pietismus" geprägt war.
Ein Aspekt, der Besuchern und Touristen oftmals nur unzureichend bewusst war und gelegentlich sogar zu Konflikten führte.
Auf die Einhaltung von Ruhezeiten und Sperrstunden wurde in Brookline mehr Wert gelegt als irgendwo sonst: Bis in alle Nacht lärmende Eckkneipen, lautes Quatschen auf der Straße, Rumgegröhle und hemmungsloses Saufen wurden in Brookline nicht geduldet.
Schon so mancher junge Student, der mit falschen Vorstellungen über die "Stadt der Toleranz" in Brokline seine erste "Sause" abhalten wollte, sah sich mit der Tatsache konfrontiert, dass hier in aller Regel besagte Toleranz der Brookliner aufhörte und der Pietismus anfing.
Gerne gibt man jedoch solchen unzureichend Vorbereiteten ein Wörterbuch mit in die Zelle, wo sie dieses Wort in Ruhe nachschlagen konnten.
Wer als Ausländer zum dritten Mal wegen Vergehen wie Ruhestörung, Rauchen in der Öffentlichkeit oder Spucken auf den Boden verwarnt wurde, lief Gefahr, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren. Wird die Tat gar an einem religiösen Feiertag begangen - egal welcher Religion - folgte die Abschiebung auch nach dem ersten Mal.
Besonders sensibel waren die Brookliner gegenüber Geschmacklosigkeiten aller Art: FFF-Humor, Teufel auf den Boden malen, Beleidigungen und würdeloses Verhalten grundsätzlich. Jede Form von ethisch verwerflicher Scheiße konnte bei den Brooklinern zu anhaltender Empörung führen.
Der Skandal vom Moonflower Park
Überdeutlich wurde das oben beschriebene Konflikt-Potential als kurz vor der Jahrhundertwende, im Juni 1797 der OZR, eine Gruppe deutscher Metaller nach Brookline reiste, um dort das Litha-Fest (Sommersonnenwende) zu feiern.
Was man auch in Brookline zunächst als ehrfürchtiges Interesse an der örtlichen Religion und Kultur deutete, entpuppte sich als tragisches Missverständnis. Die Metaller hielten Litha für eine Variante von Wacken und just als Präsident Kennedy seine Rede vor den andächtig lauschenden Gläubigen halten wollte, drehte die Metall Band einen so sagenhaft lauten Krach auf, dass fast der heilige Steinkreis zusammenbrach. Die Metaller soffen, kotzten, gröhlten und entweihten die Stimmung auf so brutal-unverschämte Weise, dass die Bürger zu Selbstjustiz griffen und der Präsident die Nationalgarde alarmierte.
Als die Metaller von den aufgebrachten Brooklinern mit Handtaschen, Schlachtmessern und Geweihstangen beworfen wurden, dachten sie anfänglich noch, diese wollten an ihrer Fete mitmachen, doch schon bald rannten die Headbanger um ihr Leben. Die Flucht gestaltete sich aufgrund des fortgeschrittenen Alkoholkonsums schwierig. Zwei torkelten unter den Bus, andere knallten gegen Bäume und Laternen und wieder welche rutschten auf dem Schmier aus Erbrochenem, Bier und Sperma aus, der auf dem Festplatz herumlag.
Nur wenige schafften es, in der Sankt Potemkin Kathedrale um Kirchenasyl zu bitten. Sie wurden am nächsten Tag unter Polizeischutz zurück zum Flughafen begleitet und erhielten lebenslänglich Einreiseverbot.
Die Mitglieder der Band erhielten je 5 Jahre Haft wegen außerordentlicher Miesheit.
Neil McNamara, der ehemalige amerikanensische Verteidigungsminister, der sich immer wieder kritisch über Zuwanderung und Tourismus äusserte, nahm den Vorfall zum Anlass, ein generelles Einreiseverbot für Ausländer während religiöser Feiertage zu beantragen:
"Brookline ist, wie der Rest von Amerikanien, ein Ort gelebter Toleranz und des Miteinanders in Respekt und Achtung vor der Vielfalt. Dieses Gleichgewicht gerät immer mehr in Gefahr durch jene Horden von tölpelhaften, auswärtigen Existenzen, die bei uns zwar das Gute suchen, aber nur ihre eigene Scheißhaftigkeit mitnehmen und HIER ausleben. Es ist schon schlimm genug, wenn wir in den Sommermonaten extra Leiharbeiter anstellen müssen, die die Stadt allmorgendlich von dem ganzen Dreck befreien, den diese Wixxer vor dem Herren in der Nacht produzieren. Aber wenigstens an den religiösen Feiertagen sollte unsere Bevölkerung vor der Barbarei sicher sein."
McNamaras Vorstoss scheiterte nur knapp und dies auch nur, weil der Präsident sein Veto angekündigt hatte. Kennedy sagte:
"Wenn wir Brookline abschotten vor der "bösen Welt da draußen", wenn wir der Stadt nicht zutrauen, die innere Kraft zu besitzen, auch die eine oder andere Entgleisung seitens dümmlicher Touristen wegzustecken, dann legen wir den Grundstein zum Anfang vom Ende. Ja, einige Besucher benehmen sich daneben. Und ja, das IST teilweise ein Problem. Aber wenn wir alle Touristen und ausländische Studenten unter Generalverdacht stellen und uns einmauern, sind wir nicht besser als irgendein totalitärer Gottestaat. Die bestehenden scharfen Gesetze gegen solche Subjekte reichen aus. Sie müssen nur konsequent angewendet werden. Ich möchte es jedenfalls nicht erleben, dass Brookline und ganz Amerikanien wird wie Aquanopolis, das paranoid jeden Tourismus verbietet und wo jeder Besucher sich nur unter Aufsicht bewegen darf. "
Infrastruktur
Die Straßen von Brookline waren meist breit und freundlich. An öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es die Omnibusse, die im 10-Minutentakt, verteilt auf 6 Linien, alle Viertel miteinander verbunden. Man konnte aber auch Droschken bestellen, ein Pferd oder ein Fahrrad mieten.
Vom Brookliner Zentralplatz fuhren mehrere Überland-Postkutschenlinien ab.
Es gab in Brookline eine größere Einkaufsstrasse, wo sich verschiedene Geschäfte aneinanderreihten: So findet man neben dem Gemüsehändler auch gleich die Molkerei. Gegenüber dann die Pferdemetzgerei und den Fischladen neben der Unterwäscheboutiqe. Wobei letztere - warum auch immer - nicht wirklich glücklich über den Standort war.
Jeden Mittwoch ist Markttag auf der Ocean's Plaza. Dann fuhr der Koch des Weissen Hauses persönlich in die Stadt, um sich mit frischen Zutaten einzudecken, deren Qualität und Frische er an Ort und Stelle prüfte.
Wie in ganz Amerikanien hatte auch in Brookline die Reinheit und Güte von Lebensmitteln einen besonders hohen Stellenwert. Die Herstellung oder gar der Verkauf von Gammelfleisch, Ekelkäse, Glykolwein oder ähnlichen Scheusslichkeiten wurde hart bestraft.
Gastronomie
Brookline war bekannt für seine vielen, lauschigen Teestuben und Cafés.
Einen guten Ruf als überregionales Ausflugsziel genoss das feudale Hotel-Restaurant "Les Présidents", das Brookline als Regierungssitz dadurch Tribut zollte, indem es thematisch allen Präsidenten gewidmet war, die Amerikanien bislang regierten.
So konnte man nicht nur überall an den Wänden Porträts der Präsidenten bestaunen, sondern auch kleine Annekdoten über selbige auf schmucken Holztafeln lesen.
Die Speisekarte enthielt ausschließlich die jeweiligen Lieblingsgerichte der Regenten. Hier konnte der Gast endlich mal probieren, wie die von Alphonse Kennedy so geliebte Büffelzunge in Tomatensauce schmeckte oder was an Teddy Roosevelt's Schildkrötensuppe dran war. Hüttenkäse mit Ketchup, einst Richard Nixons Leibspeise, wurde zwar seltener bestellt, war aber für wahre Fans jederzeit verfügbar.
Auch das Tafelgeschirr war authentisch: Es stammte aus den Beständen dessen, was die Angestellten des Weissen Hauses im Laufe der Jahre so zusammengeklaut hatten.
Für die fortgeschrittenere Stunde gab es zwei schummrige Absinth-Höhlen, wo der gehobene Gast gebettet im Art Nouveau-Plüsch geschmeidig über Verlaine oder John Steinbeck parlieren konnte, während der feine Wasserstrahl das Zuckerstückchen langsam durch den Absinthlöffel schwemmte. Nirgendwo auf der Welt konnte man sich niveauvoller besaufen!
Kulinarische Spezialitäten der Stadt sind Kürbisblüten-Toast mit Ei und Brookliner Pferdegulasch mit Bohnen und Zwiebeln.
Kriminalität, Sicherheit
Brookline galt als sehr sichere Stadt. Das hohe Bildungsniveau der Bürger war Garant für eine durchgehend niedrige Kriminialitätsrate. Die schwerste Straftat im Jahre 1799 war ein Fall von Telefonterror gewesen. Der letzte Mord liegt ungefähr 35 Jahre zurück und wird dies auch immer bleiben. Das statistisch häufigste Vergehen ist Reiten unter Kakao-Einfluss.
Trotzdem empfiehlt es sich, die üblichen Sicherheitsmassnahmen zu beachten.