Weihnachtsduft

Der moderne Weihnachts- oder Winterduft ist eine von Baumärkten und Möbelhäusern kreierte aromatisierte Verkaufsstrategie.

Das Möbelhaus, hier mit integriertem Weihnachtsbaum. Erfinder und Hort des modernen Weihnachtsdufts

Historische Betrachtungen

Geburt des Jesulein (nachgestellte Szene). Der Hauptakteur (nicht im Bild) flüchtete bald aufgrund des vorstellbaren penetranten Weihnachtsdufts
Man spürt förmlich die anheimelnde vorfestliche Stimmung, die durch den Weihnachtsduft des Scheiterhaufens verströmt wird
Erzeugung eines historischen Weihnachtsdufts

Ursprung des Weihnachtsdufts

Das erste Kind, das den Weihnachtsduft wahrnehmen durfte, war das neugeborene Jesulein. Damals hatte der Duft allerdings völlig andere Qualitäten als heute.
In der hygienisch desolaten Umgebung des Stalles musste der Knabe beispielsweise die wenig lieblichen Düfte von Ochsenschweiß und Eselurin ertragen. Später kamen die kaum vorteilhafteren Ausdünstungen von Schafbauern und deren Getier hinzu. Erst der Duft von Myrrhe schmeichelte etwas und die Verbrennungsgase des Weihrauchs ließen den Säugling wenigstens im leicht betäubten Zustand zurück. So wird er auch den Kamelgestank und den Muff der über Wochen ungewaschen reisenden Heiligen 3 Könige kaum bemerkt haben.
Doch die Geschichte lehrt es: Selbst solche schon in den ersten Lebenstagen geruchlich malträtierten Kinder taugen als Erwachsene immer noch zu Messiassen. Deshalb kann dieser frühe Weihnachtsduft trotz allem als wenig schädlich betrachtet werden.

Die historische Entwicklung des Weihnachtsdufts

Im Mittelalter gesellte sich eine neue Duftkomponente zu den üblichen natürlichen Gerüchen: verbranntes Menschenfleisch. Als Dochte von Scheiterhaufen erglühende Hexen und andere Ketzer wärmten gerade in der kalten Adventszeit die umstehenden Rechtgläubigen und verbreiteten eine erste wohlige und gemütliche Weihnachtsstimmung.
Anfang des 18. Jahrhunderts startete man in Sendling bei München den Versuch, in einer sogenannten Mordweihnacht Pulverdampf und Blutgeruch als neue Duftkreation einzuführen. Leider waren die dazu verwendeten österreichischen Vorderlader und die Oberländer Bauern aromatisch ungeeignet, so dass dieser Duft bald wieder gefallen gelassen wurde.

Die Weihnachtsduftrevolution

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen religiös motivierte protestantische Kreise, den Weihnachtsduft radikal zu verändern. Scharenweise fielen nun in der Adventszeit die Gläubigen in die Wälder ein und rodeten Fichten oder Tannen, um die stinkigen und keimverseuchten Wohnzimmer geruchlich zu verfeinern und die Verdorrtheit ihres Glaubens mit der grünenden Frische von Nadelhölzern zu konfrontieren. Der Duft der Armut und des Elends wich in der Adventszeit quasi dem Duft des Waldes. Für die Küche der ärmeren, deshalb meist kinderreicheren, katholischen Bevölkerungsschichten wurde die Miniausführung des Weihnachtsbaums erfunden: der Adventskranz. Erst jetzt konnte man den angenehmen Geruch liquidierter Ketzer entbehren.
Einige Jahrzehnte später, das Elend im Heim wurde durch das Elend der Sklavenarbeit am Fließband ergänzt, erfasste die Frauen die Sehnsucht, neue Weihnachtsdüfte zu etablieren. In Mutter- und Omaform standen sie deshalb bald in den Küchen, kneteten Rosinen in Teige ein, hantierten mit Gewürzen wie Vanille und Zimt und ließen wohlfeile Backgerüche von Plätzchen oder Christstollen durch die Wohnräume wehen. Die Männer beteiligten sich gerne am Hinzufügen neuer Aromen, befüllten Rumtassen mit etwas heißem Wasser zum Grogtrinken oder verwendeten die Gewürze kurzerhand als Zusatz für angeglühten Wein.

Der Weihnachtsduft heute

Allgemeines

Natürlich musste es in der rationalen Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts bald auffallen, dass die Erstellung eines Weihnachtsdufts in herkömmlicher Form viel zu arbeitsaufwändig und gewinnverhindernd ist. Wo von der Natur kostenlos hergestellte Düfte verwendet werden, ist eine Vermarktung derselben schwierig bis unmöglich. Deshalb galt es nun für die Unternehmen, die bereits vorhandene geruchliche Konditionierung der Menschen zur Adventszeit auszunutzen und ihnen eine reinere und authentischere Form des Weihnachtsdufts in künstlich hergestellten Produkten zu suggerieren und diese anschließend gewinnbringend zu verkaufen.
Der Clou gelang mithilfe von ebenfalls davon profitierenden Baumärkten und Möbelhäusern, die auch die umsatzsteigernde optische und akustische (Stichwort: Weihnachtsliedgedudele) Umgebung für die duftenden Produkte lieferten.

Moderne Weihnachtsdüfte

Der weihnachtliche Stau. Eine Weihnachtsduftneuschaffung des späten 20. Jahrhunderts
  • In hinterhältiger Ausnutzung der pyromanischen Veranlagung der Frau dienen vor allen Duftkerzen und Räuchermännchen zur Verbreitung künstlich aromatisierter Weihnachtsstimmung in den Wohnungen. Betrachtet man allerdings die auf den Verpackungen deklarierten Bestandteile dieser Produkte, entdeckt man Aldehydhydrate, Pheromone oder künstliche Zimtdiowerweißsonstnochalleshyde, die für sich allein schon gesundheitsschädlich sind. Bei gemeinsamer Verbrennung verbinden sie sich zu noch gefährlicheren Gasen, so dass dieser Weihnachtsduft eigentlich nach Krebs riecht.
  • Die Verunreinigung der Wohnzimmer und Küchen durch Tannennadeln verhindert der Weihnachtsbaum oder Adventskranz aus Plastik. Dessen höchstens unangenehmer Eigengeruch wird durch Tannenduftspray überlagert. Sofort macht sich festliche Stimmung breit - und ein Asthmaanfall bei der Großmutter.
  • Auch in den Toiletten darf der Weihnachtsduft nicht fehlen; er erinnert notwendigerweise jeden, der sein Geschäft verrichtet, an die stille Adventszeit. Die für diese Örtlichkeiten maßgeschneiderten Düfte nennen sich meist WinterDream, X-masSpice oder ähnlich - Hauptsache, sie besitzen keinen deutschsprachigen Namensbestandteil und verursachen Hautausschlag bei Kleinkindern, weil weihnachtliches Toilettenpapier ebenfalls damit imprägniert ist.
  • Um eine unnötige Verschmutzung der 50000-Euro-Designer-Küche zum Vorzeigen zu verhindern, gibt es nun auch Fertigprodukte von Backwaren und Glühwein. Natürlich duften und schmecken diese dank technisch hergestellter Aromastoffe weit mehr nach Weihnacht als der einst mühsam von der Oma gefertigte und bereits aus der Erinnerung getilgte Bröselbampf.
  • Auch völlige Neukreationen von Weihnachtsdüften entstanden in den letzten Jahrzehnten: So fügt sich nun nahtlos der Geruch von Erbrochenen nach alkoholisch eskalierten Weihnachtsmärkten und Weihnachtsfeiern in die Adventszeit ein. Auch die weihnachtlichen Abgasdüfte der Fahrzeuge, die im Stau die Zufahrtstraßen zu den Wintersportorten blockieren, sind hier zu erwähnen.
  • Bis auf die Neukreationen verschwinden die Weihnachtsdüfte urplötzlich nach dem Fest und vor dem Geschenkeumtausch wieder. Angeimmerwiedert wendet man sich von dem Gestank ab und wird von den Möbel- und Baumärkten mittels entsprechender optischer und aromatischer Reize für die nächste Konsumwelle vorbereitet - Silvester oder Karneval.

Bekannte Weihnachtsdüfte und deren Assoziationen

Tannenduft

Er vermittelt Naturverbundenheit, aber auch Abenteuer, deshalb ganzjährig als Duftnote des Wunderbaums am Rückspiegel im geländegängigen Auto hängend verwendbar. Erschnüffelt man den Duft, hört man praktisch den Schnee knirschen auf dem Weg zum zukünftigen Weihnachtsbaum. Dazwischen läuft Bambi umher.

Zimt- und Nelkenduft

Ebenfalls Abenteuer, ein Hauch von östlicher Exotik und bei Männern Haremsfantasien steigen in die Nase. Wird gerne in künstlicher Form sämtlichen Fertigbackmischungen beigegeben, um deren üble Eigengerüche zu überdecken und beziehungstechnisch desillusionierten Männern wenigstens Haremsfantasien zu vermitteln. Deshalb riechen entsprechende befriedigende und noch unbenutzte Produkte für den Genitalbereich für beide Geschlechter ähnlich.

Vanilleduft

Kaum mehr in natürlicher Form vorhanden. Er wird heute, ähnlich dem Erdbeerduft, aus verfaultem Holz, Kakerlakenfäkalien und frisch gepresstem Hähnchensaft (bestehend aus geschredderten männlichen Küken von Geflügelzuchtgroßbetrieben) hergestellt. Der Duft erinnert dann an Vanillekipferl, Liebe und Harmonie.

Weihrauchduft

Erweckt religiöse Gefühle und lässt Atheisten weich werden. Erinnert an den unangenehmen Ursprung des Weihnachtsfests: den Glauben an höhere Mächte, trotz dem sich und alles regulierenden Kapitalmarkt.

Orangenscheibenduft

Es duftet nach Weihnachten. Der Coca-Cola-Truck

Da die Scheiben meist im gedörrten Zustand verwendet werden, assoziieren Frauen mit diesem Duft trockene Orangenhaut an Oberschenkeln und Männer stören sie beim grenzenlosen Hinunterschütten des Glühweins, wenn sie sich im Rachen querstellen. Darüber hinaus symbolisiert der Duft sonnendurchflutete südliche Länder mit weißen Stränden am azurblauen Mittelmeer wie Portugal, Griechenland oder Italien und damit Korruption, Staatspleiten oder Schutzschirmschlüpfer.

Apfelduft

Einst wurden ausgehöhlte Äpfel mit Marzipan gefüllt, mit Zimt gewürzt und verbreiteten, einmal im Backrohr, durch ihren Bratapfelgeruch im Haus heimelige Adventsgefühle. Heute nur mehr als Aroma einer weihnachtlich limitierten und überteuerten Ritter-Sport-Schokolade bekannt.

Coca-Cola-Duft

Riesige, grell beleuchtete rote Trucks versperren die Straßen und duften nach Diesel, Gummireifenabrieb und frischem Lack - und damit erstaunlicherweise genau so, wie das durch sie repräsentierte Getränk schmeckt.

Schlussbetrachtungen

Dank der hervorragenden Leistung der Chemiker ist heute der Weihnachtsduft weitaus echter und weihnachtlicher als je zuvor. Kein Eselurin oder Ochsenschweiß verdirbt mehr die vorfestliche Stimmung, und sowohl Küchen als auch Wohnzimmer bleiben naturfrei und klinisch-hygienisch rein. Kleinkinder werden auch in der Vorweihnachtszeit nicht von künstlichen Aromen entwöhnt und Großmütter brauchen nicht mehr stundenlang backend in der Küche verbringen, sondern können entspannt im Schaukelstuhl ihrem Asthmaanfall entgegen harren.
Einzig und allein ein zukünftiges Duftfernsehen könnte ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen, wenn Florian Silbereisen die vorweihnachtliche Sendung "Adventsfest der 100000 Lichter" moderiert. Aber auch für diesen Showmaster werden Chemiker irgendwann ein geeignetes Deodorant entwickeln.
Sollte man also das nächste Mal zu Weihnachten ein Möbelhaus betreten, wundere man sich nicht, an Bambi, Geländewagen, Harems, geschredderte Hähnchen, Gott, Orangenhaut an Oberschenkeln und Coca-Cola zu denken - es ist die wunderbare, friedliche und hoffnungsfrohe Atmosphäre, die der Weihnachtsduft hervorruft und das Leben lebenswert macht. Es gilt deshalb, dieses gleich vor Ort mit vor Staunen weit geöffnetem Geldbeutel zu feiern.

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