Poetik

Wie jeder weiß, ist Poesie die Kunst, ziemlich wenig Sprache ziemlich kunstvoll sprachlich zu verpacken. Poetik ist tatsächlich etwas sehr ähnliches ...und hat übrigens (nur) deswegen einen sehr ähnlichen Namen. Wenn Poesie sich damit beschäftigt wenig Sprache zu produzieren, ist Poetik die Wissenschaft davon, selbst ziemlich wenig Poesie zu produzieren und bestehende und entstehende Poesie durch den Kakao zu ziehen.

Das Poetikproblem

Poetiker realisieren oft schon in früher Jugend, dass es zum kunstvollen Poeten niemals reichen wird - und schwupp, werden sie Wissenschaftler, die sich mit der Poesie anderer Leute beschäftigen. Das ist also ungefähr dasselbe, wie das weltweit um sich greifende Phänomen, dass die Fußballer, die den Ball nicht zu treffen vermögen ...Fußballreporter werden.

Gelungene Poetik

Gelungene Poetik zeichnet sich dadurch aus, dass man den Poeten und seine Kunstwerke bis ins Kleinste auseinander nimmt und sie für schlecht und ungelungen kritisiert. Gelungene Poetik bewirkt also automatisch misslungene Poesie. Der berühmteste Poetiker unserer Zeit ist Marcel Reich-Ranicki aus Frankfurt. Seine Kritiken und Verrisse selbst bester Texte wurden oft viel berühmter als die Texte selber.

Erfindung der Poetik

Ein Poetiker analysiert ein ungewöhnliches Wort, um seine Überlegenheit gegenüber den Poeten zu verdeutlichen.

Poetik wurde im Jahr 800 vor Christus von den alten Griechen erfunden. Die waren teilweise so alt, dass ihre Zivildienstleistenden.. nein, das ist eine andere Geschichte. Poetik. Erfunden. Ja, Poetik wurde von einem jungen griechischen Gelegenheitsphilosophen und Menschenkenner Gyrospolos Metaximitrakis erfunden. Gyros, wie ihn seine Freunde gerne nannten, saß wieder einmal unter dem Olivenbaum der Erkenntnis und versuchte ein Gedicht zu verfassen. Zwar reimen sich im Altgriechischen alle Hauptwörter untereinander, da alle im Nominativ Singular (<-- übrigens eine verfuckt kluge Art "eins davon" zu sagen) auf das Suffix (<-- übrigens nichts mit ficken zu tun, sondern eine ähnlich kluge Art "Ende vom Wort" zu sagen) -os enden, aber leider war der Endreim noch nicht erfunden. Stattdessen war es damals in Mode den dritten und fünften Buchstaben von hinten miteinander zu reimen - Endreim wäre doch etwas zu einfach gewesen. Und so scheiterte Gyros daran ein gelungenes Gedicht über seine gescheiterte Liebe zu Athens schönster Jungfrau Dorkas Matratzekis zu verfassen.
Er dachte für sich: "Wer oder was entscheidet eigentlich darüber, ob ein Gedicht gelungen oder misslungen ist?". Und so erfand er die Poetik: die Wissenschaft davon, ob Gedichte cool oder scheiße sind.

Poetik durch die Geschichte

Durch die Jahrhunderte begleitete die Poetik die Poesie. Dazu drei treffende Beispiele:

Kaiser Nero aus Rom

Einer der größten Dichter des Altertums war der Surrealist Nero - die Veröffentlichung jedes neuen Gedichts begleiteten wahre Freudenfeuer der Begeisterung. Das lernen Schulkinder seit inzwischen fast 2000 Jahren. Wie kommt es, dass kein einziges seiner fantastischen Gedicht erhalten ist? Und vor allem, warum ist sein Name als Poet dennoch so tief in die Geschichtsbücher eingebrannt? Das gut gehütete Geheimnis ist einfach zu erklären, wenn man weiß, dass er die entscheidenden Poetiker seiner Zeit kontrollierte. Die eine Hälfte der Poetiker stand auf kaiserlichen Lohnlisten, bekam vom Künstlerkaiser königliche Entlohnung und so war deren Begeisterung bei jedem noch so schwachen Lyrikerguss des Chefs vorprogrammiert. Mit diesem Umstand war die andere Hälfte der Poetiker nicht zufrieden und (wie man es so macht, wenn man unzufrieden ist) gründete einen Arbeitskreis. Bereits eine Woche nach der Gründung der "Kritische Poetiker Opposition (KPO)" standen Poetiker ganz oben auf der Speisenliste der nordafrikanischen Wildtiere im Kolosseum. Wenige Tage später löste sich die KPO auch schon wieder auf - ob aus Einsicht oder Mitgliederschwund ist nicht überliefert. Jedenfalls waren in der Folge alle römischen Poetiker glühende Verfechter nerotischer Lyrik. Nach Neros Tod wurden zwar alle schriftlichen Zeugnisse verbrannt, aber das Gerücht, es habe sich bei Nero um den besten Lyriker des Altertums gehandelt, hält sich dank der Poetik hartnäckig. Kleine Randnotiz: weil sich dieses Wissen so gut eingebrannt hat, benennt eine Softwarefirma seit dem Altertum bis heute ihr Brennprogramm nach Nero.

William Shakespeare aus Startford

Marcel Reich-Ranicki, der berühmteste Poetiker unserer Zeit!

William Shakespeare! Ein Name wie ein Donnerhall. Liebling der Massen und Liebling der Poetiker! Auch nach vielen hundert Jahren spielen die Theaterbühnen der Welt noch seine gefühlt tausend Stücke Abend für Abend vor ausverkauften Häusern. Die Liebhaber der Welt binden heute wie vor Jahrhunderten seine coolsten Stellen aus seinen coolen Sonnetten in ihr Balzverhalten ein. Insgesamt kann man von Old Willi als dem berühmtesten Schriftsteller des westlichen Kulturkreises sprechen, was ihm unter den berühmtesten Schriftstellern weltweit eine verdammt gute Platzierung beschert.
Auch hier lohnt sich allerdings eine genauere Betrachtung seiner zeitgenössischen Poetiker: Zu Shakespeares Lebzeiten gab es kaum Poetiker. Alle Menschen waren fähig und lyrisch hochbegabt, so dass niemand es nötig hatte, sein Geld als Poetiker zu verdienen - alle produzierten lieber selber Sonnette oder schrieben fantastische Dramen. Eine Generation später war es allerdings vorbei mit der schreiberischen Brillianz und die nächste Generation hatte Schreibblockade sondergleichen. Und so ging die der Shakespearezeit folgende Lyrikerschar dazu über Poetikerschar zu werden. Vor dem Altar der Geschichte wollte man aber nicht dumm darstehen: die Befürchtung im Nachhinein an der vorangegangenen Generation gemessen zu werden (und zu scheitern) war groß. Und so begann die Poetik Shakespeares Zeitgenossen zu verheimlichen. Waren um 1800 noch 20 verschiedene Autoren, Lyriker und Dramatiker aus der Shakespearezeit bekannt, waren es um 1900 schon nur noch drei und heutzutage dichtet man Shakespeare die gesamten Werke seiner Zeit an. Dabei hat der echte Shakespeare persönlich nur ein Drama und zwei Sonette geschrieben. Die Poetiker hatten also Erfolg: Ihr eigenes schreiberisches Vollversagen blieb im Verborgenen.

Rüdiger-Dieter Hammels aus Finkenwerder

Rüdiger-Dieter Hammels auf Finkenwerder bei Hamburg ist der größte und vielseitigste Lyriker in der Nachkriegs-Bundesrepublik. Er verfasste über 200 Romane, 7030 Gedichte und einige Dutzend Dramen. Nebenbei schrieb er auch für Hörfunk und Fernsehen und nicht weniger als 30 Fernsehspiele und 20 Tatortfolgen gehen auf sein schreiberisches Werk zurück. Unter anderem verfasste Hammels die Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" und die Romane "Ansichten eines Clowns", "Sansibar oder der letzte Grund" und "Die Blechtrommel". Ebenfalls auf sein Konto gehen die Dramen "Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher", "Die Physiker" und "Der Stellvertreter".
Allerdings beschlossen die deutschsprachigen Poetiker auf ihrem Jahrekongress 1957 im feinen Hotel/Café Schlack in Tuttlingen, dass der Autor einen sehr albernen Namen habe, der der deutschsprachigen Literatur nicht gut zu Gesicht stünde. Und somit begannen sie das Werk des kongenialen Hamburger Vorortbewohners unter einigen anderen Autoren mit wohlklingenderen Namen aufzuteilen: Böll, Brecht, Norbert Sternmut, Andersch, Dürrenmatt und Grass. Wann immer ein neues Manuskript an einen Verlag eingeschickt wurde, das den Finkenwerderaner Poststempel trug, klingelten alle Alarmglocken - und die Nachkriegspoetiker wurden tätig.
Hammels verstarb kaum bekannt im Alter von 99 Jahren im November 2013 in seinem Wohnzimmer. Selber allerdings wurde er nie ein glühender Fan der Poetik.

Beispiele der Poetik in reinster Form

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