Bettler mit Tieren in Fußgängerzonen
Begriffserklärung
Das Konzept ist so einfach wie genial: Man nehme ein geeignetes Tier (es können auch mehrere sein), platziere sich damit in der Vorweihnachtszeit an einer strategisch günstigen Stelle inmitten einer stark frequentierten Fußgängerzone und nehme das Geld sämtlicher Passanten entgegen.
Die Gebefreudigkeit der vorbeigehenden Menschen wird dabei mittels einer zweistufigen Taktik gefördert:
- Mitleid: Zunächst wird durch eine gekonnte schauspielerische Darbietung von Mensch und Tier an die Herzensgüte der Passanten appelliert. Sollte dies nicht den gewünschten Erfolg erzielen, geht man über zu
- Penetranz: Hierbei werfen das Tier und sein Halter alles in die Waagschale, um von den Vorüberziehenden als Belästigung oder Störung empfunden zu werden, derer man sich nur durch eine großzügige Spende entledigen kann.
Voraussetzungen
Jahreszeit
Als maximal lukrativ hat sich die Vorweihnachtszeit herauskristallisiert, d.h. in etwa die Zeit vom ersten Herbstfrost bis zum 24. Dezember eines Jahres. Dies liegt vor allem in drei Faktoren begründet:
- Zu keiner anderen Zeit des Jahres sind Fußgängerzonen so überlaufen, wie in der Vorweihnachtszeit. Somit ist die Menge potentieller Spender und die vorteilhafte Enge innerhalb der Fußgängerzone (siehe „Strategische Positionierung“) zu keiner Zeit günstiger.
- Zu keiner anderen Zeit des Jahres stehen die Menschen in den Fußgängerzonen mehr unter Druck. Dank der sofort aufkommenden Verzweiflung bei der geringsten Verzögerung, ist die Bereitschaft zu großzügigen Spenden zur Vermeidung des Aufgehaltenwerdens enorm hoch.
- Zu keiner anderen Zeit des Jahres haben die Menschen eine günstigere Einstellung zum Geld, denn wer gerade für die neueste Playstation als Weihnachtsgeschenk Hunderte von Euro ausgegeben hat, dem tun zehn Euro für einen „guten Zweck“ auch nicht mehr weh.
Zirkus
Um dem ganzen Auftritt einen semiseriösen Anstrich zu geben, darf der Hinweis (in der Regel handgeschmiert auf einem Stück vergammelten Pappkartons) nicht fehlen, zu einem armen, kleinen Wanderzirkus zu gehören, der nicht mehr die finanziellen Mittel hat, eine ausreichende Versorgung der Tiere mit Obdach und Nahrung zu gewährleisten, wobei in jedem Fall der angebliche Zirkus namentlich genannt werden muss. Bei der Wahl des Namens ist jedoch entscheidend, dass dieser keinerlei Realitätsbezug hat, da aufmerksame Passanten sonst bemerken könnten, dass der betreffende Zirkus möglicherweise erst vor zwei Monaten in der Stadt war und damals noch einen finanziell sehr gesunden Eindruck gemacht hatte.
Wahl des Tieres
Der Geschäftserfolg hängt ganz wesentlich von der richtigen Wahl des Tieres bzw. der Tiere ab. Generell ist ein Tier geeignet, wenn es mindestens eine der oben genannten Taktiken bedient: entweder es erregt Mitleid oder es nervt ganz gewaltig. Einige speziell ausgebildete Tiere beherrschen sogar beide Varianten.
Tiere, die sich eignen
- Boa Constrictor: hat ihre Stärken ganz klar in der Penetranz-Taktik, da sie sich aufgrund ihrer stattlichen Länge von etwa 12 Metern hervorragend dazu eignet, in einer Fußgängerzone auf kompletter Breite für Behinderung zu sorgen. Berichten zufolge soll es sogar bereits des Öfteren vorgekommen sein, dass einige Eltern Tierhaltern mit Boas heimlich hohe Summen zugesteckt haben, damit das Tier „versehentlich“ ihr beim Weihnachtseinkauf nervendes Balg verschlingt
- Esel: obwohl sie in erster Linie stumpfsinnig sind, werden sie von manchen als „süß“ empfunden; die eigentliche Stärke liegt jedoch darin, sich mit stoischer Beharrlichkeit keinen Zentimeter mehr zu bewegen, nachdem sie sich quer an einer engen Stelle der Fußgängerzone postiert haben
- Indische Elefanten: werden von Kindern mit Benjamin Blümchen assoziiert, füllen mit ihrer Körpermasse eine Fußgängerzone komplett aus und können sogar trainiert werden, mit ihren sehr beweglichen Rüsseln den Passanten die Brieftasche aus der Jacke zu ziehen
- Grizzlybären:: eignen sich hervorragend dazu, während Kinder das schöne weiche Fell streicheln, deren Eltern zu erklären, wie hungrig so ein Bär ist und wie dringend man Futter für ihn kaufen müsste
- Lamas: nicht wirklich Mitleid erregend, aber umso effektiver, wenn es darum geht, den Vorbeigehenden klar zu machen, dass das Tier alle anspuckt, die es nicht mag – wie sehr es jedoch diejenigen mag, die reichlich spenden
- Ponys: im Allgemeinen sehr hohe Sympathiewerte, können jedoch zu mehreren auch hervorragend dazu verwendet werden, jede Fußgängerzone dicht zu machen
- Robbenbabys: bei Alt und Jung gleichermaßen beliebt, daher für die Mitleidsmasche bestens geeignet; können jedoch auch alternativ eingesetzt werden, indem lautstark die Drohung ausgestoßen wird, diese kleinen hilflosen Wesen eigenhändig zu erschlagen (natürlich nur um ihnen einen langsamen und qualvollen Hungertod zu ersparen), sollte die Spendenfreudigkeit der Passanten nicht langsam steigen
- Ziegen: Dank des bestialischen Gestanks wir der Tierhalter von umliegenden Geschäftsinhabern in der Regel mit stattlichen Summen bestochen, damit er weiterzieht und nicht mehr sämtliche Kunden vergrault
Tiere, die sich nicht eignen
- Bachforellen: zu zappelig, verenden außerdem gewöhnlich bereits nach kurzer Zeit
- Königskobras: Versicherungsprämien aufgrund der erfahrungsgemäß immensen Kollateralschäden an Passanten kaum bezahlbar
- Micky Maus: drohende Markenrechtsproblematik
- Okapis: kennt keine Sau
- Rentiere: zur Weihnachtszeit meist anderweitig im Einsatz; Nebenerwerbstätigkeit aufgrund der horrenden Doppelbesteuerung für die meisten Rentiere uninteressant
- Säbelzahntiger: leider schon ausgestorben
- Werwölfe: funktionieren nur außerhalb der Ladenöffnungszeiten
Ausbildung
Wie für jede andere Tätigkeit, die auf kurzfristige Gewinne in Rekordhöhe abzielt, ist auch in diesem Fall eine hochgradige Qualifikation erforderlich. Diese kann durch erfolgreichen Abschluss einer dreijährigen B.E.T.T.L.E.R.(BildungsEinrichtung für Tiere und Tierhalter mit Lizensierter EinnahmeRegulierung)-Schulung erworben werden.
Im Rahmen dieser Ausbildung wird der Tierhalter speziell in den Bereichen „Mimik“ und „Strategische Positionierung“ geschult, während Tiere durch die von Walt Disney konzipierte Animal Acting Class auf das Berufsleben vorbereitet werden.
Mimik
Bei diesem Ausbildungsschwerpunkt lernt der Tierhalter, seinen Gesichtsausdruck weitestgehend dem seines mitgeführten Tieres anzugleichen. In Perfektion strahlt die Mimik eine Mischung aus schwerem Schicksal, Hunger, Armut, Depression und Verzweiflung aus. Die richtige Anwendung von Zwiebeln, um die Augen weinerlich und gerötet aussehen zu lassen, ist ebenfalls Bestandteil der Schulung. Zahlreiche Schauspieler, darunter Größen wie Susan Sarandon, Robin Williams, Joaquin Phoenix und Till Schweiger, begannen ihre Karriere als Tierhalter in den Fußgängerzonen großer Metropolen und verdanken ihren Erfolg nicht zuletzt der exzellenten B.E.T.T.L.E.R.-Ausbildung.
Strategische Positionierung
Ein klassischer Einsteigerfehler besteht in der falschen Wahl des Aufstellplatzes in der Fußgängerzone. Wird dabei nämlich eine zu weitläufigen Stelle gewählt, so bietet diese den Passanten die Möglichkeit, den Tierhalter und sein Tier weiträumig zu umlaufen oder gar zu ignorieren. Daher wird im Rahmen der B.E.T.T.L.E.R.-Schulung die Fähigkeit vermittelt, die ideale Position innerhalb einer Fußgängerzone zu identifizieren. Dabei wird nicht nur die Enge als geschäftsbegünstigendes Kriterium herangezogen, sondern auch die Art der umgebenden Geschäfte. Empirische Erhebungen sprechen vor allem für
- Spielzeugläden (Eltern mit Kindern gehören zu den dankbarsten Zielgruppen)
- große Kaufhäuser (die schiere Masse an Menschen, die sich ganztägig durch die Eingänge zwängt, bringt stets Opfer hervor, die sich zu einer Spende genötigt fühlen, damit das Vieh, das sich plötzlich auf dem Weg in den Laden vor ihm aufbaut, endlich Platz macht)
- McDonalds (ein typischer McDonalds-Kunde ist eher bereit, ein „verhungerndes“ Tier mit finanziellen Mitteln vor dem „sicheren“ Tod zu retten, als zu riskieren, dass ihm selbiges auf seinem nächsten Burger begegnet)
- Sodomie-Klubs (selbsterklärend)
Animal Acting Class
Ursprünglich wurde die Animal Acting Class von der Walt-Disney-Company gegründet, um possierlichen Tieren für Filme irgendwelche lächerlichen Kunststückchen beizubringen. Erst später entdeckte man das viel größere Potenzial in der professionellen Ausbildung von Tieren im Fußgängerzoneneinsatz.
Durch die heutigen Unterrichtsinhalte wird Tieren die Fähigkeit vermittelt, einerseits möglichst süß und sympathisch auszusehen, andererseits möglichst erbärmlich, verhungert und traurig zu wirken. Zu den zu erlernenden Techniken zählen zum Beispiel das Weinen auf Kommando, übertriebener Speichelfluss, zielgerichtetes Erbrechen, absichtlicher Durchfall und Sich-tot-Stellen.
Selbst geometrische Grundlagen sind ein wichtiger Bestandteil des Lehrstoffs, da damit jedes Tier kennenlernt, wie es seinen Körper mit maximalem Behinderungseffekt in einer Fußgängerzone einsetzen kann.