Plätzchen
Plätzchen sind köstliche Teigfragemente. Sie werden auf einer Scheibe in Form gedreht, in einem Ofen gebrannt, glasiert und zur Dekoration im Zimmer oder im Garten aufgestellt. Die beliebtesten Plätzchen sind schattig und lauschig, es gibt sie aber auch hell und trocken. Wenn ein feuchtes Plätzchen zu lange in der Sonne steht, wachsen Blumen darauf. Dort verbringen besonders Rentner gerne die Sommerzeit beim Beeten. Die weitaus meisten Plätzchen entstehen aber zur Weihnachtszeit, in der sie besorgten Müttern als Kraftschrot für die Mästung heimkehrender Studenten oder Obdachlosen, die in den Mülleimern von Marktpassagen wühlen, als christliches Festmahl dienen, das sie an kalten Tagen in ihren Weihnachtsgrog tunken können.
Enstehung
Plätzchen wurden von den Vorgängern der Wichtel, den Eskimos entwickelt. Lange handelte es sich dabei um plattgesessenes Fladenbrot mit Rentierpansen, das bei der wilden Fahrt auf dem Husky-Schlitten im Proviantbeutel des Eskimos auf- und niedergedrückt und dann durch die Kälte des Fahrtwindes steinhart wurde. Unter den Nomadenvölkern waren diese Brote eine platzsparende Ernährungsvariante, um ihren hohen Energiebedarf in der Kälte zu decken, wenn sie sich schon nicht durch den Fahrtwind die Fliegen von den Zähnen lecken konnten und gesünder als Pökelfleisch, das Bifi der Neuzeit. Abends, wenn sie in ihren Iglus zusammensaßen, freuten sich viele Eskimos auf ein warmes Plätzchen am Ofen und so begannen die Eskimofrauen bald, die gefrorenen Backfladen auf einer Wäscheleine über das Feuer zu hängen, wo sie bis zum nächten Morgen noch einmal schön aushärteten. Als Süßungsmittel für die benötigten Kohlehydrate diente Liebe. Daher kommt auch das Sprichwort "Liebe geht durch den Magen".
Als schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts die Northpole Inc. von Coca Cola am Polarkreis expandierte, den Landleuten die Schollen wegkaufte und den Rentierhütenden die Industrialisierung brachte, mussten immer mehr Eskimos in lichtlosen Einpackstationen für einen Hungerlohn arbeiten. Die dicken Vorärbeiter in den roten Mänteln bemerkten schnell, dass sich die Einheimischen zum Mittag ihre kraftspendenden Plätzchen mitbrachten und wurden neugierig auf die Rezeptur. Bald schon hatte Coca Cola die Snacks als Einheitsnahrung für die Mitarbeiter etabliert und, wie in den meisten patriarchalischen Industrietaaten üblich, die Liebe schrittweise durch Zucker ersetzt, weil es sich schlicht nicht mehr gelohnt hatte, Liebe von Eskimofrauen zu kaufen. Die Überschwemmung mit Süßkram in den Arbeiterkantinen des Polarkreises veränderte die Angetellten, sie wurden rundlich, gedrängt und wegen ihrer Körpergröße durch nicht abgesprochene Werbekampagnen (grüne Zipfelmützen) verniedlicht.
Die zunehmende Plätzchenproduktion brachte neue Entwicklungsideen in die Spur. Probleme wurden klein geredet. Zivilisationskrankheiten griffen um sich, Coca Cola konnte sie aber mit kommerziell platzierten Deminutiven, ganz eigen denen der Plätzchen, verharmlosen. War ein Arbeiter krank, was zu den weihnachtlichen Stoßzeiten besonders häufig vorkam, litt er vielleicht an einem Zuckerschöckchen oder an einem Bauspeicheldrüsenfehlfunktiönchen. Erkrankte so ein Arbeiter dann noch an einem diabetischen Beinchen hörte sich das gleich weniger schlimm an als es war und als immer mehr Eskimos durch eine fehlende gesetzliche Krankenversicherung ein plötzlicher, grässlicher Tod durch einen Darmdurchbruch ereilte, setzte der Betrieb die die Wendung "Er hat ein Plätzchen gemacht" dafür durch.
Herstellung
Rezeptur
Plätzchen bestehen aus Zucker, unter den man Teigreste aus der Küche mengt. Der Teig wiederum besteht aus Harmonie ,Glück, Liebe und hauptsächlich aus Mehl, Eiern und Milch, die weder mit Glück noch mit Harmonie oder Liebe gewonnen werden. In manchen Gegenden kommt statt Mehl auch Puderzucker in die Plätzchen.
Um das Gebäck geschmeidig zu machen, wird die Pampe mit fünf Pfund Butter gestreckt und dann mit einem Mixer so lange in Form gedreht, bis die Hälfte an der Decke klebt. Exzessive Fleisch- und Eieresser können sich anhand der Broteinheiten zum Quadrat minus die Grammzahl an Butter ihre durchschnittliche Lebenserwartung ausrechnen, die entsprechend jeder Plätzchencharge abnimmt. Natürlich kann man auch Plätzchen ohne Butter machen, z.B. wenn man anderen damit tödliche Platzwunden am Kopf zufügen will, aber Plätzchen ohne Butter sind wie alkoholfreies Bier, ein Bungeesprung, ohne dass das Seil reißt oder die meisten Werke von Franz Kafka: unvollendet.
Schließlich werden die Plätzchen noch mit flüssigem Zucker glasiert und dann mit allerlei Geschmacksstoffen bestreut, damit man nicht schmeckt, dass die Unterseite im Ofen völlig verbrannt ist. Naturverbundene lieben die ursprünglichen Zusatzstoffe auf der Zunge und so erstickt mancher beim Genuss eines harmlos aussehenden Plätzchens schon mal an kleinen Überrschaungen wie ungeschälten Zimt- oder Vanilleschoten, verfaulten Weintrauben, Pimentkernen oder ganzen Lorbeerblättern. Manche raspeln auch gespritzte Orangenschalen hinein, um die Plätzchen einerseits lange haltbar zu machen und ihnen andererseits mit einer gewissen Portion Vitamin C den Anstrich von Gesundheit zu geben.
Heimherstellung
Die meisten zu Hause hergestellten Plätzchen entstehen aus einem bestimmten Anlass, z.B. der Begeisterung für heidnische Christanisierungsbräuche oder einfach so, weil die Mutter den Familienzusammenhalt mit gemeinsamen Aktivitäten stärken will. Meistens läuft es so ab, dass die gutmütige Hausfrau vorher ihre Angehörigen fragt, ob sie nicht zusammen Plätzchen backen wollen, diese begeistert zustimmen und dann für zwei bis drei Stunden spurlos verschwinden, um pünktlich zur Abfüllung der letzten Plätzchendose wieder zum Kosten aufzutauchen, während die erschöpfte aber glückliche Mutter wegen der enormen Arbeitslast, die sie allein stemmen musste schwitzend vor dem Herd zusammenbricht. Der einzige, der nicht verschwindet, ist ein Gierschlund, der alle halbe Stunde in die Küche schleicht mit der Bitte, kurz den Löffel abzulecken. Dreht sich die Hausfrau dabei einen Moment um und schaut nicht hin, hat er sich schon die ganze Schüssel in den Mund geschoben.
Um dem vorzubeugen, backen immer mehr Hausfrauen mit einem abgerichteten Wolf, der ihnen mit Rüschenschürze und Backblech bekleidet beim Überwachen der Produktion gut gelaunt zur Hand geht. Plätzchen, die schon zu lange im Ofen sind werden z.B. durch den Wolf gedreht, damit sie auch von beiden Seiten durchbacken. Für besondere Liebhaber gibt es Plätzchen aus dem Wolf, die zwar schon goldbraun sind, bevor sie gebacken werden, aber beim besten Willen nicht jedermanns Sache.
Die meisten Plätzchen sind aber schweißtreibende Handarbeit, besonders die Ausstechplätzchen, für die sich Mütter in der Adventszeit extra drei Wochen freinehmen, um ganze Lastwagenladungen voll zu produzieren. Bei Ausstechplätzchen ist die Hausfrau froh, wenn sie so viel Teig wie möglich für eine Charge verwerten kann. Dieses Streben lässt sie in eine Art Trance fallen, in der sie jeden der ihr beim Ausstechen hilft und nicht platzsparend vom Rand her arbeitert, unbarmherzig aus dem Sichtfeld wischt. Jeder Teigkrümel wird mit der Pinzette von der Arbeitsplatte gesammelt und mit einem Spezialnudeholz auf dem Blech so lange verstrichen, bis man die Teigschicht beim Ausstechen nicht mehr vom Backpapier unterscheiden kann. Dabei kommen die altgewohnten Motive der Sandkastenförmchen der lieben Kleinen zum Einsatz und wenn die Plätzchen gut durchbacken, stört es auch nicht, dass Blume, Fuchs und Sandmännchen zuvor im katzenscheißekontaminierten Sandkasten für das Backen von Schlammkuchen hergehalten haben.
Die Weihnachtsbäckerei
Die Ideen für die meisten Plätzchenrezepte kommen aus der Weihnachtsbäckerei. War das Backen früher zur Weihnachtszeit einfach nur kulturell bedingt, um den pappigen Geschmack des tschechischen Plätzchens nach dem Abendmahl, der sogenannten Oblate, aus dem Mund zu kriegen wurden die anfänglich unmotiviert hingeworfenen Teigklumpen mit Hilfe der Weihnachtsbäckerei zu delikaten Konditorien. Der Ursprung des Brauchtums liegt im Dunkel der Geschichte und historische Details zur originalen Weihnachtsbäckerei lassen sich nur noch aus informierten Volksgesängen ziehen. So gab es in der ursprünglichen Weihnachtsbäckerei "so manche Leckerei", Probierfreude und Erfindergeist waren an der Tagesordnung. Offenbar arbeitete dort auch kein Zuckerbäcker, obwohl es aus der Küche lecker roch, oh es roch gut, oh es roch fein.
Naja, jedenfalls haben sich so über die Zeit zahlreiche Plätzchenrezepte der Weihnachtsbäckerei erhalten, die heute von industriellen Großbäckereien ab Ostern im Akkord gebacken werden, damit sie pünktlich Ende August, zum Beginn der Weihnachtszeit, in den Regalen stehen. Ob nachgemacht oder zugekauft bilden mit den selbst hergestellten Zuckerklumpen am häufigsten den Gabenteller:
- Spuckulatius
- Kuhlatschen
- Vanillegipfel
- Spritzgebäck
- Anusplätzchen
- Zinnsterne
Nutzen
Weil Plätzchen in Zeiten von Celebrationsboxen und krampfhaft kultigen Partysets von Ferrero ihre Effekte zusehends einbüßen, stellt sich die Frage nach ihrem Sinn in jeder Adventszeit neu. Während ökologisch denkende Familien schon lange alte Plätzchen zerstampfen und trocknen, um sie in Bastmatten eingewickelt als Dämmmaterial für ihre Vorstadthäuser zu verwenden, haben es andere satt, dass die blöden Blagen im Winter ständig den Teppich vollkrümeln, wenn man sie auch mit synthetisch erzeugten Lachgummis vor dem Fernseher parken kann.
Weil sie weder sättigen, noch ausreichend Energie geben, sind Plätzchen zur Weihnachtszeit mittlerweile noch unbeliebter als Christstollen. Den kann man nach der Christtollenschwemme in Obdachlosenmissionen am 27. Dezember wenigstens bis Pfingsten lagern, unter dem Hinweis, dass er dann noch besser wird oder, wenn er sogar denen zu eklig wird, beim Bäcker im Pumpernickelfach als das "Gute vom Vortag" anbieten. Bei Plätzchen funktioniert das wegen des hohen Wiedererkennungswertes nicht. Immer wieder versuchen verschämte Mütter, die ihren Backwahn nicht unter Kontrolle hatten, ihre Kinder anzustiften, das alte Gebäck auf Volkfesten unter die Leute zu bringen und in manchem Provinznest hat schon ein Beiwohner eines Karnevalsumzugs sein Augenlicht durch herabprasselnde Kokosraspeln verlorenen, weil die auf den Wagen stehenden Funkemariechen von ihren Familien unter Druck gesetzt wurden, irgendwie die Altplätzchen vom letzten Heilig Abend loszuwerden. Das Altplätzchenproblem geht so weit, dass einige verzweifelte Eigenheimbesitzer in Innenstädten schon wieder überlegen, sich Hühner und Schweine anzuschaffen, damit die guten Sachen nicht sinnlos weggeschmissen werden. Es wäre natürlich möglich, bedarfsorientiert zu backen, um kleinere Mengen als weihnachtliche Zusatzzusatznahrung restlos verzehren zu können, in einer Überflussgesellschaft aber ein ganz und gar unkonventioneller Gedanke.
Plätzchenschützer laufen seit Jahren Sturm gegen diese Entwicklung und betonen den hohen ideellen Wert, den Plätzchen durch das Wirtschaftswunder der 50er Jahre im deutschen Weihnachtsfest erhalten haben. Neben der kulturellen Funktion, alteuropäische Familienbräuche auf etwas zu übertragen, was man im alten Europa wohl nie gemacht hat, fördern Plätzchen durch ihre Individualität und die kreative Betätigung die künstlerische Ader beim Backen und ersparen mancher Mittfünfzigerin den Töpferkurs zur Selbstfindung, was letztlich zu Harmonie und Familienzusammhalt führt. Jährlich schreiben daher immer mehr örtliche Plätzchenvereine Kampfessen nach Weihnachten aus, um die nutzlosen Harmonieüberschusse einem guten Zweck, dem sportlichen Wettbewerb zuzuführen.
Plätzchen vs. Keks - die alte Feindschaft
Auch wenn Plätzchen in der heutigen Gesellschaft immer weiter ins Hintertreffen geraten, so stehen sie doch noch weit vor dem prekären Keks. Zwar ist der an zahlreichen Leibniz-Instituten ein beliebtes Forschungsobjekt geworden, doch das Plätzchen ist durch seine weite Verbreitung als erfundene Weihnachtstradition ein Anker moderner Volkstümlichkeit, an dem sich das wahre Kulturgut eines Landes bemisst. Ohne Plätzchen zu Weihnachten könnten Jesus und sein Verein einpacken, vermutlich wären wir schon den dekadenten Spezereien der Südländer verfallen, die den Geist träge und das Fleisch schwach und mürbe machen und mit Bier einreiben.
Viele Kekse sind hingegen nur Plätzchen ohne Butter, die sich durch ihre köstliche Füllung oder Glasur einen internationalen Anstrich verleihen wollen. Ihnen fehlt das Altbackene, der Staub der nie ganz aufgebrauchten Mehlsäcke, den man in ihren spiegelglatten Glasuren und blankpolierten Zähnen vergebens sucht. Keksliebhaber halten die Frage, ob Keks oder Plätzchen zwar für müßig, da alljährig verfügbare Kekse einen höheren Genuss bieten als eine saisonale Schwemme von Weihnachtsgebäck, doch gerade hier sind sich Ernährungswissenschaftler einig: Gebäck darf nicht schmecken. Wer Kekse isst, trinkt schnell auch eine Milch dazu und das führt über Kaffee unweigerlich zu härteren Sachen. Wer frühs mit schokoverschmiertem Mund in einem dunklen Hotelzimmer neben einer Prinzenrolle aufwacht, hat vermutlich schon die Kontrolle verloren und von da ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis er an seinem ersten Zimttütchen zieht.
Worauf würde eine Gesellschaft ohne Plätzchen zusteueren, ohne traditionsreiche Kontrolle des Belohnungszentrums? Was wäre das für eine Welt, in der der aalglatte Hartkeks die Süßigkeitenregale regiert mit seinen Schokostückchen und seiner raffinierten Füllung? Es wäre eine Welt, in der Brathähnchen so gezüchtet werden, dass sie einem, natürlich gegen alle Krankheiten geimpft, in den Mund fliegen, wenn man aus dem Haus geht und die Matratzen aus Waffeln bestehen, um Essen, Schlafen und Wohnen in einem totalen Konsumkonglomerat verschmelzen zu lassen. In Wahrheit ist der Mensch nicht so. Er möchte seine Plätzchen nur manchmal im Überfluss und er möchte auch nur zur Weihnachtszeit immer wieder Last Christmas hören, so lange bis er sich mit zuckenden Augenlidern, auf das Autoradio starrend wünscht, dass es wirklich das letzte Weihnachten ist. Es ist das Maßhalten aller Dinge, das dem Menschen letzlich sein Plätzchen in dieser Gesellschaft sichert.