Die ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher war eine pädagogisch ambitionierte Artikelserie der Feuilleton-Redaktion der Wochenzeitung Die Zeit. Begonnen 1978, wurde in den folgenden zwei Jahren Woche für Woche eine Rezension zu einem Werk der Weltliteratur veröffentlicht.
1980 erschien eine Buchausgabe dieser Essays im Suhrkamp Verlag, herausgegeben von Fritz J. Raddatz, deren Verkaufserfolg das große Interesse an dieser Art Kanonbildung bestätigte; die Essaysammlung liegt 2009 in der unveränderten 13. Auflage vor.
Der Erfolg der Unternehmung führte dazu, dass das Projekt fünf Jahre später um eine Sammlung ZEIT-Bibliothek der 100 Sachbücher ergänzt wurde, die Buchausgabe 1984 besorgte wiederum Raddatz als Herausgeber. Schließlich folgte in den Jahren 2002 und 2003 eine Artikelserie, die einen 50 Werke umfassenden Lesekanon für Schüler vorschlagen wollte, die ZEIT-Schülerbibliothek.
ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher
Auf Grundlage der Beobachtung, dass in einer damals aktuellen Studie zum Leseverhalten die Rezeption der „Schönen Literatur“ weit abgeschlagen hinter diversen Arten von Nachschlagewerken und Sachbüchern landete, war erklärtes Ziel, das Lesen beizubringen, zum Lesen zu verführen.
Die Auswahl der Werke besorgte eine sechsköpfige Jury (Rudolf Walter Leonhardt, Hans Mayer, Rolf Michaelis, Fritz J. Raddatz, Peter Wapnewski und Dieter E. Zimmer), die auch die Rezensenten einlud. Einige der Werke wurden von den Jury-Mitgliedern selbst vorgestellt, die meisten Rezensenten waren aber nicht professionelle Literaturkritiker, sondern selbst namhafte Schriftsteller. Deren subjektive Perspektive auf die Werke aus der eigenen Leseerfahrung und -begeisterung heraus macht für viele Leser einen Teil des Reizes der Sammlung aus. Der ZEIT-Kanon unterscheidet sich mit seinem Auswahlgremium aus Literaturexperten konzeptionell von Ansätzen in Frankreich und Großbritannien. Die BBC hat Leser in großer Zahl abstimmen lassen und so eine Liste der 100 wichtigsten Bücher erstellt. Die französische Zeitschrift Le Monde hat zunächst die 200 wichtigsten Bücher der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts durch eine Expertenkommission bestimmen lassen und unter diesen dann eine Leserabstimmung über die 100 Bücher des Jahrhunderts durchgeführt.
Die Jury legte fünf „Spielregeln“ für die Auswahl fest (Einleitung des Herausgebers, Buchausgabe, S. 8):
- Keine zeitliche Begrenzung (die Bibel kommt ebenso vor wie Günter Grass).
- Kein „verspieltes Bildungsgärtlein“ (Lautréamont oder Saint-John Perse kommen nicht vor).
- Keine nationalen Schranken (von Andersen bis Zola).
- Von jedem Autor nur ein Buch (Ausnahmen nur bei der deutschsprachigen Literatur für Goethe und Kafka).
- Keine Dramen (z. B. kein Shakespeare), keine Gedichte, keine Sachbücher – es ging um eine Bibliothek der erzählenden Literatur.
Liste der rezensierten Werke
ZEIT-Bibliothek der 100 Sachbücher
Die Jury dieses Projekts: Ralf Dahrendorf, Manfred Eigen, Theodor Eschenburg, Wolf Lepenies, Golo Mann, Alexander Mitscherlich, Fritz J. Raddatz, Thomas von Randow und Uta Ranke-Heinemann.
Liste der rezensierten Werke
ZEIT-Schülerbibliothek
2002 bis 2003 wurden 50 Werke vorgestellt, die als Kanon für den Deutschunterricht vorgeschlagen wurden. Die Jury: „zwei Schüler, zwei Deutschlehrer, zwei Schriftsteller und zwei Redakteure“. Die Liste ist alphabetisch nach Autoren geordnet, außer den fünf Lyrik-Bänden, die unter „L“ eingeordnet sind.
Liste der rezensierten Werke
Siehe auch
- BBC Big Read
- Time-Auswahl der besten 100 englischsprachigen Romane von 1923 bis 2005
- BBC-Auswahl der besten 20 Romane von 2000 bis 2014
- BBC-Auswahl der bedeutendsten 100 britischen Romane
- Die 100 Bücher des Jahrhunderts von Le Monde
- Dreizehn Klassiker (klassischer chinesischer Kanon)
- Kanon der Literatur
Literatur
- Fritz J. Raddatz (Hrsg.): ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher. 13. Auflage, Suhrkamp TB 645, Frankfurt am Main 2009 (Erstausgabe 1980), ISBN 978-3-518-37145-9.
- Fritz J. Raddatz (Hrsg.): ZEIT-Bibliothek der 100 Sachbücher. 2. Auflage, Suhrkamp TB 1074, Frankfurt am Main 1985 (Erstausgabe 1984), ISBN 3-518-37574-1.
Weblinks
- Ulrich Greiner: Weshalb wir einen literarischen Kanon brauchen (Memento vom 9. Dezember 2002 im Internet Archive)
- Die ZEIT-Schülerbibliothek
Fußnoten
- ↑ Rezension von Rolf Michaelis. – Eine Kurzvorstellung des Werks und Textausschnitte finden sich im ZUM-Wiki
- ↑ Die Zeit 22, 27. Mai 1983.
- ↑ Die Zeit 32, 5. August 1983.
- ↑ Die Zeit 33, 12. August 1983.
- ↑ Ulla Hahn veröffentlichte ihre Zusammenstellung von 234 Gedichten 2003 als Anthologie unter dem Titel Stimmen im Kanon – Deutsche Gedichte. Reclam, Ditzingen 2003, ISBN 3-15-010536-6.