Diverses:Ein Sauerländer in Köln

Meinen ersten Anfall hab ich in Köln gekriegt. Ich kam morgens aus meinem überteuerten Hotelzimmer raus und irrte die Gänge lang bis in die Hotelhalle. Vor der Rezeption fiel mir auffallend auf, dass alle Leute mit dem Finger auf mich zeigten. Zuerst dachte ich mir, das sei der berühmte Kölner Humor, aber dann merkte ich, dass ich noch völlig nackt war.

Karte von Köln

Ich rannte fort, quer durch eine Cocktaillounge mit verblichener Oktoberfestdekoration, zwei Behelfsküchen mit verzweifelt gaffenden unbeholfenen ukrainischen Küchenhilfen und kam auch an einem wild-fotografierenden japanischen Touristen vorbei, der mir anscheinend auf japanisch „cheeeese!“ zuzuschreien versuchte. Schließlich kam ich an eine einladend offene Tür, hinter der sich die Kleiderkammer für die Mitarbeiter befand.
Ich suchte kurz und fand dann auch eine Hose, die mir passte, und ein viel zu kleines weinrotes, frisch gebügeltes Pagensakko mit metallernen Messingknöpfen in Doppelreihe mittig.
Kaum hatte ich die Sachen angezogen, fühlte ich mich schon ein bisschen wohler und traute mich wieder zurück auf den Gang. Obwohl alles wie aufgeregt herumlief und nach dem dicken nackten Spinner aus dem Sauerland suchte, erkannte mich niemand, denn ich sah so durchschnittlich aus wie ein Maiglöckchen auf einer Frühlingswiese.

Ich beteiligte dann mich auch eine zeitlang an der Suche nach mir selber. Ich kam jedoch früher als die anderen zu dem Schluss, dass ich mich nicht finden würde. Nun versuchte ich das Hotel so unauffällig wie möglich durch den hinterletzten Hintereingang zu verlassen. Ich hatte die Klinke gerade in der Hand, als mich der Chef der Hotelbuchhaltung mit dem Vorwurf überraschte: „Hörens! Se sinn aber janz schön spät, Mann!“. Ich solle mich auf den Weg machen und – schwupps – drückte er mir eine Handschelle mit einem verschlossen Beutel mit den gesamten Tageseinnahmen um mein Handgelenk.

Ich machte mich dann auch sofort auf den Weg!

Mit dem so gewonnenen 15.704 Euro und 23 Cent hatte ich plötzlich das Gefühl, dass man vielleicht die Welt ein wenig verbessern könnte. Nur hatte ich noch keinen Plan, wie. So ging ich dann auf der Hohe Straße erst mal nach Kettner ins Waffengeschäft und fand dort auch als Sonderangebot für Gesamtschulkinder eine Beretta 92FS mit reichlich Munition. Das kann ja schon mal nicht schaden für die Weltverbesserung, dacht ich, oder?

Obwohl ich nun gut ausgerüstet wieder herauskam hatte ich noch reichlich Geld über. Ich sah als nächstes eine hochgeschminkte Dame mittleren Alters und mittleren altersbedingten Verfallsstadiums in einem neonfarbenen Navykostüm. Sie stand an der Ecke zur Schildergasse an einem Werbestand und verkaufte eine „nachtaktive Antifaltencreme für SIE und IHN“. Die Dame namens Roswitha versuchte mich mit ihrer Verkaufsstimme zum Kauf einer „Klatschgold glatt! Jung Sofort! Probepackung für 14 Tage“ zu zwingen. Ich versprach ihr ALLE Packungen zu kaufen, wenn sie mir bei meinem Projekt helfen könnte.

Da waren wir schon zwei.

Wir warfen dann abwechselnd jeweils einen TopfKlatschgoldglattkreme“ in die Luft und zielten mehr oder weniger erfolgreich mit der Beretta 92FS auf die tief fliegenden Töpfchen. Nach einer knappen Minute waren wir olympiareife Spezialisten in Flugtöpfchenballistik! Wir konnten mit einem gezielten Projektil fünf alternden Damengesichtern durch die herniederklatschenden Spritzern „Klatschgoldglatt“ die Krähenfüße ausspachteln.

Als uns nach einigen weiteren Schüssen die Munition an „Klatschgoldglatt – jung sofort!“ ausging und wir im Hintergrund auch das seichte Säuseln einer Polizeisirene hörten, setzten wir uns erst mal ins „Café Wahlen“ auf einen Tasse Grog und beratschlagten.

Wir gingen dann in den H&M, kauften uns erst mal neue unauffälligere Kleidung. Wir mussten ja vermuten, dass das Kölner Polizeipräsidium inzwischen eine Großfahndung nach dem Fräulein im neonfarbenen Navykostüm und dem irren dicken Sauerländer im Pagensakko mit metallernen Messingknöpfen in Doppelreihe herausgegeben hatten.

So setzten wir unauffällig in eine KVB Bahn. An der Haltestelle „ZOO“ fiel uns unser nächster Schachzug ein. Meine Damenbegleitung Roswitha, ehemalige Verkäuferin von Unisex-Faltenkreme, jetzige Gelegenheitsweltverbessererin, sagte: „Wie können im Jahr 2006 noch in aller Öffentlichkeit Tiere hinter Gitterstäben eingesperrt sein, wenn wir unsere Haustiere als Ersatzkinder ummuttern?!“

Die Zebras und die Gazellen freizulassen war eine Kleinigkeit. Unter dem wilden Gezeter einer kleinen blonden Tierpflegerin und einer stark umsatzorientierten Kassiererin gelang es uns mit vorgehaltener Beretta 92 FS, den Wildtieren ihre Freiheit zu verschaffen. Ein wahrer Großwild-Tsunami ergoss sich über die nördliche Innenstadt. Schnell nachdem wir das Nashorn- und das Elefantengehege nach einigen Schwierigkeiten geöffnet hatten, waren die Insassen in Richtung Ebertplatz und Nord-Süd-Fahrt verschwunden. Nun konnten wir auch sicher sein, dass die Polizei von nun an genug anderes zu tun hatte, als sich unserer Verfolgung zu widmen. Bei einer weiteren Tasse Grog auf der Außenterrasse des Zoocafés zwischen Zottelzebras und Ziertukanen verfütterten wir die Forellen, die bei dem Versuch sie freizulassen verstorben waren, an einen einsam zurückgebliebenen kümmerlichen Kaiserpinguin namens Konrad. Dieser quittierte jeden Forellenwurf mit einem zufriedenen Flügelzucken.

In Begleitung des Konradpinguins ging es weiter, da waren wir schon drei.

Die Welt verbessern kam uns nach und nach immer weniger als ein hartes Geschäft vor. Es war mehr eine freudige gottgefällige Mission.

Unweit des Zooausgangs flimmerte uns im Schaufenster eines elenden Elektroeinzelhändlers ein Farbfernsehgerät mit Bild-im-Bild Funktion entgegen. Das Großbild zeigte die fünfzehnte Wiederholung der fünfhundertsten Folge Lindenstraße. Im kleinen Fenster den Georg Uecker der von Lilo Wanders über seine sexuellen Vorlieben ausgequetscht wurde. Wir, Roswitha, der Kaiserpinguin Konrad und ich, beschlossen auch diesem Leid ein Ende zu machen.

Es dunkelte schon leicht als wir vor Ueckers Haus ankamen. Nach stürmischem Sturmklingeln öffnete uns die multimediale Landplage dann auch persönlich.

Wir erklärten ihm kurz die komplizierte Sachlage und unsere Absicht ihn zu töten. Er erklärte sich überraschend sofort bereit, nie wieder in Film, Funk, Fernsehen, Theater oder CSD Bühnen aufzutreten, und außerdem läge ihm die Verbesserung gesellschaftlicher Missstände extrem am Herzen.
Ich glaubte als Reaktion auf seinen Fernsehverzicht ein millionenfaches erleichtertes Aufatmen zu vernehmen, jedoch waren es nun leichte Blähungen des forellensüchtigen Kaiserpinguins, der uns immer noch folgte.

Mit Georg Uecker waren wir nun vier. Georg meinte, er sei Fachmann für schlimme Sachen! Er wisse auch, wo in Köln Korrekturen am notwendigsten seien.

Der persische Taxifahrer zeigte auf seine Beförderungsordnung, die Mitnahme von Kaiserpinguinen sei strikt untersagt, jedoch ein Hundert-Euroschein überzeugte ihn, dass es sich bei unserem Pinguin um einen incognito reisenden Musiker der Berliner Philharmoniker handele. Auf dem Kaiser-Wilhelm-Ring begegneten wir zwei flüchtenden Flamingos, die uns, ihren Befreiern fröhlich zuwinkten, während sie von einer Gruppe stark schwitzender lesbischer Polizistinnen verfolgt wurden. Wenige Minuten später setzte uns das Taxi auf der Schaafenstraße ab.

Wir setzten uns zur taktischen Lagebesprechung in eine lauschige Schlagerkneipe namens Mumubar. Ein Kellner mit Namen Mario machte uns noch kreative Vorschläge. Zwei Jägermeister und einem Erdbeerlimes später machten wir uns dann ans Werk: Wir erstürmten in breiter Front den Kölner Sündenpfuhl Nummer eins, das X-Corner.

Georg Uecker trug meine Beretta 92FS. Er schoss als Warnung drei Schuss quer durch den ruchlosen Schankraum in die Decke, dass der Kalk nur so spritzte. Die rasende Roswitha warf in rhythmischen Abständen Pinguinkot in die versammelte Gästemeute. Ich schwang bedrohlich über meinem Kopf kreisend die - immer noch mit der Handschelle festgetackerte - Geldtasche. Der Killerpinguin besetzte den Haupteingang, wackelte extrem bedrohlich mit den Flügeln.
Nachdem auch der letzte Gast das Etablissement verlassen hatte schwang eine Angestellte namens Emely von hinter der Theke eine weiße Fahne und rief melodisch röchelnd "Kapituliere! Kapituliere" und wir nahmen Verhandlungen mit dem winzigen Wirt namens „Dieter“ auf.

Dieser versprach uns dafür, dass wir sofort wieder gehen, aus der Kneipe ein 24-Stunden-Nachtasyl zu machen für verirrte Pilger, die seit dem Weltjugendtag im Sommer 2005 heimatlos durch die Kölner Straßen irren und Zuflucht suchen. Das stellte uns zufrieden!

Der persische Taxifahrer brachte uns zurück zu Georg Uecker’s Wohnung, unserem neuen konspirativen Hauptquartier. Stolz und zufrieden legten wir uns schlafen. Wir wussten, dass der erste Tag nur der Anfang gewesen sein konnte...

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