Diverses:Fahrt mit dem Aufzug
Dienstag, der 13. August 2013. Ich möchte mit dem Fahrstuhl im Gebäude G der Justus-Liebig-Universität Gießen vom Erdgeschoss in das zweite Obergeschoss fahren, um ein paar Bücher für meine Hausarbeit zum Thema "Französische Sprachwissenschaft" zu suchen. Da ich vor kurzem gestürzt bin und nun auf Krücken angewiesen bin, ist es für mich zu umständlich, die Treppe zu benutzen. Es tut einfach weh.
Verzögerungen im Betriebsablauf
Der Fahrstuhl steht derzeit in der zweiten Etage. Ein kleiner Knopfdruck auf den Rufschalter, schon fährt er extra für mich herunter. Doch kurz, nachdem er sich in Bewegung setzt, bleibt er wieder stehen. Auf einer kleinen Infotafel über dem Fahrstuhl steht nun nur noch ein Bindestrich. Plötzlich höre ich eine Ansage: "Sehr verehrte Fahrgäste: Bitte beachten Sie, dass der Fahrstuhl 74 von Erdgeschoss nach Zweiter Obergeschoss heute ca. zehn Minuten Verspätung hat. Grund dafür sind Verzögerungen im Betriebsablauf."
Erschrocken mache ich einen Satz nach hinten. Anscheinend hat die Universitätsleitung die Fahrstühle an die Deutsche Bahn verkauft. Ich schaue auf die Uhr. Es ist jetzt gerade 14:34 Uhr. Die Bibliothek schließt um 16 Uhr. Das reicht noch locker, denke ich mir. Aber wenn ich das allein schon denke, wird mir schon klar, dass ich das nicht mehr richtig schaffe. Dafür sorgt Murphy's Gesetz. Dummerweise hat die Bibliothek hier keinen Servicepoint eingerichtet, sodass ich hier einfach im Gebäude herumstehen muss, anstatt mich mit Verspätungskaffeegutscheinen zu begnügen.
"Stehen Sie gerade in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt?"
Ich warte hier nun schon geschlagene dreißig Minuten. Die Ansage hat die Verspätung stets im Fünfminutentakt um fünf Minuten erhöht. Ich beschließe, die Service-Hotline der Deutschen Bahn anzurufen - wie man es schließlich soll, wenn ein Notfall vorliegt.
"Servicetelefon der Deutschen Bahn, wie kann ich Ihnen helfen?"
"Guten Tag, ja, ich, ähm, stehe hier und der Fahrstuhl geht nicht. Und ein Techniker ist gerade auch nicht in Sicht."
"Ja, das kann passieren. Wir haben halt gerade massive Personalprobleme in Mainz."
"In Mainz? Ich dachte, dort sind derzeit nur die Fritzen für die Stellwerke krank oder im Urlaub?"
"Nee, neuerdings auch die Techniker." Aufgelegt.
So eine Sauerei. Ich haue einmal mit einer Krücke gegen die Fahrstuhltür - und siehe da, wie von Zauberhand bewegt sich der Fahrstuhl plötzlich gemächlich nach unten. Meine Aggressivität hat wohl eine heilende Wirkung oder so. Ich sehe jedoch davon ab, mit der Krücke meinen Fuß zu malträtieren, damit er schneller heilt.
"Willkommen im Fahrstuhl 74 auf der Fahrt von Erdgeschoss nach Zweiter Obergeschoss..." Ich lehne mich erleichtert zurück und erwische dabei die Schaltfläche mit den Knöpfen. "...mit Halt in Erster Obergeschoss." Nein! Da will ich doch gar nicht hin!
Snacks, was zu trinken?
Ich schaue noch einmal auf das Pult, bevor ich mich zielsicher daneben seufzend gegenlehne. Nun gut, nach einer vierzigminütigen Verspätung macht das Öffnen der Türe auf dem ersten Stock den Braten natürlich nicht mehr fett, aber es hätte ja nicht sein müssen. "Erster Obergeschoss. Ausstieg in Fahrtrichtung neunzig Grad zur Seite geneigt", ertönt es im Fahrstuhl. Und da wartet tatsächlich jemand, der einsteigen möchte: Mit einem fröhlichen "Snacks! Kalte Getränke! Kaffee!" begrüßt er mich. "Seit wann verkauft die Deutsche Bahn - mal ganz abgesehen davon, dass ich mich wundere, warum sie nun überhaupt Aufzüge übernimmt - Snacks auf solch kurzen Strecken? Mein Gott, ich will doch nur in die erste Etage!" - "Die Bahn will halt alle Möglichkeiten ausnutzen, um Geld zu verdienen", sagt mir der Verkäufer. Er stellt sich kurze Zeit später als Snoopy vor. Ich bezweifle, dass das sein echter Name ist und teile ihm meine Zweifel auch mit, als ich mir eine Packung NicNacs von ihm kaufe, die ich auf der Fahrt zur zweiten Etage mampfen möchte. Er zuckt nur die Schultern.
So nah und doch so fern
Nach knapp fünf Sekunden Aufwärtsfahrt sind wir dann endlich da: Das zweite Obergeschoss. "Zweites Obergeschoss. Endstation. Bitte alle aussteigen. Sie haben Übergang zu der Treppe. Sänk ju for träwelling wiß dem Aufzug." Und es geschieht: Nichts.
"Warum geht die blöde Tür nicht auf?", will ich von Snoopy wissen. Der zuckt nur kurz mit den Schultern.
"Sehr verehrte Fahrgäste", ertönt es wieder aus den Lautsprecheransage, "leider haben wir zur Zeit eine Signalstörung und können aus Sicherheitsgründen diese Tür nicht freigeben. Wir bitten Sie um Ihr Verständnis." Signalstörung im Fahrstuhl? Das ist doch wohl ein schlechter Witz. Frustriert haue ich mit der Krücke gegen die Tür, aber anscheinend hat die Krücke all ihre Heilkräfte schon beim ersten Mal aufgebraucht. Wenigstens werde ich dank Snoopy hier nicht kurzfristig vom Fleisch fallen.
Durch die Glastür erkenne ich jedoch eine Person antraben, die hektisch an der Tür herumfummelt. Nun kommt wenigstens ein Techniker - denke ich mir.
"Das macht dann vierzig Euro."
Der vermeintliche Techniker bekommt die Tür in Windeseile geöffnet und stürmt dann in den Fahrstuhl: "Guten Tag, Fahrscheinkontrolle, die Fahrscheine bitte!" Völlig überrumpelt von der Situation verstehe ich die Welt nicht mehr. "Ich...Fahrschein?", stammele ich. Blitzschnell zückt der Schaffner sein kleines Blöckchen und notiert sich was darin: "Aha, schon wieder. Ihr Studenten glaubt wohl auch, dass ihr euch alles erlauben könntet, nur, weil ihr ein Semesterticket habt, hmh? Tja, das ist hier aber nicht gültig. Die Bahn muss schließlich auch ihren Fahrstuhl abbezahlen und der ist erst NACH eurer Zahlung des Semestertickets gekommen, dementsprechend nicht eingebunden in das Angebot. Das macht dann vierzig Euro bitte." Mein Mund wird zu einer liegenden eins. "Das ist doch bescheuert, ich habe hier fast eine Stunde gebraucht, um mit dem Fahrstuhl auch nur die zweite Etage sehen zu können und jetzt sowas?" - "Ich mache die Regeln nicht. Da müssen Sie sich am besten an die Servicehotline wenden, die können Ihnen mehr Informationen geben." - "Die denken doch, ich sei in Mainz." - "Oh, diese Ausrede habe ich schon des Öfteren gehört." Der Schaffner drückt mir ein Ticket in die Hand und verschwindet. Und ich torkele, immer noch verwirrt, zur Bibliothek.